Sozialrecht

Voraussetzungen einer Erwerbsunfähigkeitsrente

Aktenzeichen  L 19 R 655/11

Datum:
30.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 43 Abs. 1
SGB VI SGB VI § 43 Abs. 2

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsunfähigkeitsrente.
Allein der Umstand des Vorliegens einer Vielzahl von Diagnosen im krankenversicherungsrechtlichen Sinne begründet keine besondere Einschränkung der Leistungsfähigkeit, die einer quantitativen Leistungseinschränkung gleichzustellen wäre. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 12 R 1141/09 2011-06-09 Bes SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente aufgrund ihres Antrags vom 18.11.2008 hat.
Die 1960 geborene Klägerin hat von 1975 bis 1978 eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert und war anschließend bis 1985 in diesem Beruf auch versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete infolge Kündigung. In der Zeit von Mai 2002 bis August 2003 war die Klägerin als Sekretärin versicherungspflichtig tätig. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit war sie vom 10.01.2005 bis 10.07.2005 als kaufmännische Angestellte in Teilzeit (16 Wochenstunden) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung beendet.
Am 28.11.2005 beantragte die Klägerin erstmals bei der Beklagten wegen eines im März 2000 erlittenen Bandscheibenvorfalls und zahlreicher internistischer Erkrankungen die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. Sch. vom 10.01.2006 und eines internistischen Gutachtens von Dr. S. vom 17.01.2006 wurde der Rentenantrag mit Bescheid der Beklagten vom 03.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2006 abgelehnt. Die hiergegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage, die unter dem Aktenzeichen S 14 R 4423/06 geführt wurde, wurde nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. M. vom 12.04.2007 und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. J. vom 12.06.2007 in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2007 zurückgenommen.
Am 29.09.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, die ihr auch bewilligt wurde. Aus der Maßnahme, die vom 05.12.2007 bis 23.12.2007 im Reha-Zentrum B. A. absolviert wurde, wurde die Klägerin als arbeitsfähig entlassen, jedoch mit einem Leistungsbild von drei bis weniger sechs Stunden täglich sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Im Entlassungsbericht der Klinik vom 04.01.2007 wurde auf diverse bestehende Behandlungsoptionen ausdrücklich hingewiesen.
Am 18.11.2008 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Erwerbsminderungsrente, nachdem sie vom 04.08.2008 bis 13.10.2008 als Telefonistin geringfügig beschäftigt gewesen war. Seit 30.09.2008 bestand Arbeitsunfähigkeit.
Die Beklagte holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. Z. ein, die am 05.02.2009 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin sowohl die letzte Tätigkeit als auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus nervenärztlicher Sicht noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Des Weiteren holte die Beklagte ein chirurgisches Gutachten von Dr. St. L. vom 05.02.2009 ein, der zu dem Ergebnis gelangte, dass die letzte Tätigkeit und Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden täglich verrichtet werden könnten. Im Rahmen einer prüfärztlichen Stellungnahme wurde das sozialmedizinische Ergebnis des Gutachtens Dr. St. L. beanstandet. Die festgestellte quantitative Leistungsminderung sei nicht ausreichend begründet und nicht nachvollziehbar.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.06.2009 eine Rentengewährung ab. Hiergegen wurde mit der Begründung Widerspruch eingelegt, dass der Sachverständige Dr. St. L. die Klägerin herabwürdigend behandelt habe. Sie habe ihm dann ihre Schmerzen nicht mehr so mitgeteilt, wie dies erforderlich gewesen wäre. Es sei für die Klägerin unfassbar, dass der Sachverständige ihre gesundheitliche Verfassung – unter der sie sehr leide – einem schauspielerischen Talent zuordne. Vorgelegt wurden weitere Arztbriefe der Klägerin sowie ein Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales – ZBFS – Region Mittelfranken vom 27.11.2008, wonach der Klägerin ab 31.10.2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 06.10.2009 als unbegründet zurück. Aus dem zusätzlich eingeholten Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 29.07.2009 hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Leistungen noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein. Ebenso sei ihre letzte versicherungspflichtige Tätigkeit als Industriekauffrau noch mindestens sechs Stunden täglich möglich.
Zur Begründung der hiergegen am 15.10.2009 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin nur unzureichend berücksichtigt worden seien. Es liege zumindest eine teilweise Erwerbsminderung vor. Der Klägerin stehe kein Teilzeitarbeits Platz zur Verfügung, so dass ihr volle Erwerbsminderungsrente zu gewähren sei.
Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Hausärztin Dr. F. und des Orthopäden Dr. H. hat das SG ein orthopädisches Gutachten von Dr. R. eingeholt, der am 17.05.2010 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1.Belastungsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen, Bandscheibenschäden, Muskelreizerscheinungen ohne Hinweis für akute oder chronische zervikale oder lumbale Wurzelreizsymptomatik,
2.geringe Funktionseinbuße beider Kniegelenke bei Verschleißerscheinungen,
3.geringes Funktionsdefizit beider Hüftgelenke bei geringer Hüftfehlanlage,
4.geringe Funktionseinbuße beider Schultergelenke bei Sehnenreizerscheinungen.
Die Klägerin könne unter Beachtung der genannten Gesundheitsstörungen zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen tätig sein. Auch die Ausübung einer Tätigkeit als kaufmännische Angestellte sei mindestens sechsstündig möglich. Hier sei darauf zu achten, dass keine ausschließliche Bildschirmtätigkeit mit Haltungsmonotonie abverlangt werden könne. Die Umstellungsfähigkeit für gehobene Tätigkeiten sei gegeben. Die qualitativ geminderte Erwerbsfähigkeit bestehe mindestens seit Antragstellung. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens sei nicht gegeben. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG sodann ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. L. eingeholt, der am 20.09.2010 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1.Endlagige Bewegungsbehinderung der Halswirbelsäule ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinung bei röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Bewegungssegment HWK 5 zu HWK 6,
2.Bewegungsbehinderung der Lendenwirbelsäule,
3.Röntgenologisch nachgewiesene Torsionsskoliose der Lendenwirbelsäule mit beginnenden spondylotischen Randlippenreaktionen,
4.Bewegungsbehinderung beider Arme in den Schultergelenken bei röntgenologisch nachgewiesener Schultereckgelenksarthrose links,
5.Arthralgie der Langfingermittelgelenke beider Hände,
6.Arthralgie auch der Daumengrundgelenke bds.,
7.Endlagige Innendrehbehinderung beider Beine im Hüftgelenk bei röntgenologisch nachgewiesener Dysplasiecoxarthrose I. Grades bds.,
8.Innenmeniskusdegeneration an beiden Kniegelenken,
9.Hallux rigidus bds.
Die Klägerin könne unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein. Es sei ihr auch die Ausübung einer Tätigkeit als kaufmännische Angestellte zumutbar. Die Umstellungsfähigkeit und die Wegefähigkeit der Klägerin seien gegeben. Empfohlen werde die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens im Nachgang zum Gutachten von Dr. Z. vom 05.02.2009.
Auf Nachfrage des SG, ob zwischenzeitlich eine nervenärztliche Behandlung – wie im Gutachten Dr. Z. angeregt – von der Klägerin aufgenommen worden sei, wurden von Klägerseite lediglich zwei Atteste von Dr. F. und Dr. H. vorgelegt. Das SG hat sodann ein nervenärztliches Gutachten von Dr. B. eingeholt, der am 09.03.2011 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
2. Dysthymie
3. Hals- und Lendenwirbelsäulenwurzelreizsyndrom
4. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche beiderseits
5. Gutartiger anfallsartiger Lagerungsschwindel
6. Verengung der Halsschlagader rechts, symptomatisch Übernommene Diagnosen:
7. Abnutzungen der Wirbelsäule und verschiedener Gelenke
8. Bluthochdruck
9. Herzrhythmusstörungen, Linksschenkelblock
10. Schilddrüsenstörung
Bei den Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet handele es sich um echte psychische Krankheitsbilder mit Krankheitswert, die die Klägerin nur zum Teil unter eigener zumutbarer Willensanstrengung, jedoch mit ärztlicher Hilfe in absehbarer Zeit überwinden könne. Die ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Möglichkeiten seien kaum in Anspruch genommen und keineswegs ausgeschöpft worden. Bei Scheitern derartiger intensiver ambulanter Bemühungen käme die Durchführung einer stationären Reha-Maßnahme in einer psychosomatischen Klinik in Betracht. Die Klägerin könne Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechsstündig verrichten. Gleiches gelte für die Tätigkeit einer kaufmännischen Angestellten. Eine Umstellungsfähigkeit für hervorgehobene Tätigkeiten sei bei der Klägerin vorhanden. Die Wegefähigkeit sei gegeben.
Das SG hat sodann durch Urteil vom 09.06.2011 die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, aufgrund der vorliegenden Sachverständigengutachten von Dr. R. und Dr. B. sei davon auszugehen, dass die Klägerin noch mindestens sechsstündig Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten könne und auch ihre letzte Tätigkeit als kaufmännische Angestellte. Zu den von der behandelnden Hausärztin Dr. F. vorgetragenen Gründen gegen das Gutachten von Dr. B. habe dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.04.2011 ausreichend Stellung genommen. Dr. B. habe angegeben, dass er keineswegs der Klägerin unterstellt habe, keine Schmerzen zu haben, sondern dass er seine Beurteilung damit begründet habe, dass das Ausmaß der Schmerzen nicht so gravierend sein könne wie von der Klägerin dargestellt, weil sonst die verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten in Anspruch genommen worden wären. In Anbetracht dessen, dass Schmerzen nur sehr schwer zu objektivieren seien und auch von Frau Dr. F. eingeforderte subjektive Schmerzskalenangabe nicht unbedingt weiterführend sei, bestehe auch seitens des Gerichts die Auffassung, dass der „Leidensdruck“ sich durch nach außen erkennbare Umstände aufzeigen lassen müsse. Dazu gehörten vor allem die nachgewiesenen Bemühungen um eine Verbesserung der Beschwerden durch entsprechende fachärztliche Behandlungsmaßnahmen. Die Klägerin sei sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Klageverfahren mehrfach orthopädisch und nervenärztlich begutachtet worden. Übereinstimmend hätten die Gutachter ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und auch im Beruf als kaufmännische Angestellte festgestellt, ebenso der von der Klägerin benannte Gutachter Prof. Dr. L. Sämtliche Gutachter seien erfahrene Sachverständige, die mit der Beurteilung des Leistungsvermögens seit Jahren vertraut seien. Die Gutachten seien für das Gericht schlüssig und überzeugend gewesen, wohingegen die vorgelegten Atteste der behandelnden Ärzte nicht geeignet gewesen seien, die Beurteilung zu entkräften oder gar zu widerlegen.
Zur Begründung der hiergegen am 30.06.2011 beim SG eingelegten Berufung, die am 12.07.2011 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet wurde, hat der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nur unzureichend berücksichtigt worden seien. So habe zwischenzeitlich die Fibromyalgie bestätigt werden können. Das Gutachten von Dr. B. sei fehlerhaft und nicht nachvollziehbar. Die behandelnden Ärzte Dr. F. und Dr. H. würden davon überzeugt sein, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Des Weiteren werde ein Attest der Augenarztpraxis Dr. W. übersandt, wonach die Klägerin nur noch ein eingeschränktes Nachtsehvermögen habe. Dies sei bislang nicht berücksichtigt worden. Ebenso fehlerhaft sei die Begutachtung durch Dr. R.. Dieser habe eine Beweglichkeit des Armes festgestellt, die so entsprechend gemäß den Voruntersuchungen nicht gegeben sei. Er habe es auch verabsäumt, in seinem Gutachten zu erwähnen, dass die Klägerin zweimal während ihrer Untersuchung einen Schwindelanfall gehabt hätte. Des Weiteren sei zu beachten, dass die Klägerin regelrecht „zusammensacke“, weil sie extreme Schmerzen im Hüftbereich/Leiste habe, ziehende Schmerzen beinabwärts. Dadurch bedingt sei eine Kraftlosigkeit.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Hausärztin Dr. F. mit weiteren ärztlichen Unterlagen, unter anderem des Internisten und Kardiologen Dr. F., des Internisten Dr. B., des Orthopäden Dr. H. und des HNO-Arztes Dr. B. beigezogen, des Weiteren einen Bericht des medizinischen Versorgungszentrums A. med und der Dipl.-Psych. E.
Der Senat hat sodann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. I. eingeholt, der am 13.08.2015 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
2. Dysthymia
3. Kontrollzwänge
Diese seelischen Störungen könnten von der Klägerin bei zumutbarer Willensanspannung und mit ärztlicher Hilfe (medikamentöse Therapie, Psychotherapie) überwunden werden. Da die Klägerin aber als wesentliches Ziel die Erlangung einer Rente habe, sei die diesbezügliche Prognose – wie auch von Dr. F., Facharzt für Neurologie, am 11.12.2014 formuliert – eher pessimistisch einzuschätzen. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht seien der Klägerin aber noch leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zuzumuten, auch die Tätigkeiten einer Industriekauffrau. Die Leistungsmotivation der Klägerin müsse als eingeschränkt eingeschätzt werden. Nicht eingeschränkt seien aber die Merk- und Konzentrationsfähigkeit, das Verantwortungsbewusstsein und die Gewissenhaftigkeit, die Selbständigkeit des Denkens und Handelns, das Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen, das Reaktionsvermögen und die Umstellungsfähigkeit. Die Ausdauer sei leicht bis mittelstark eingeschränkt. Nicht eingeschränkt sei die Anpassungsfähigkeit an den technischen Wandel. Nicht abverlangt werden sollten Tätigkeiten unter Zeitdruck (Fließbandarbeit) und Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei aus neurologisch-psychiatrischer Sicht gegeben. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich ab November 2008 bis aktuell nicht verändert. Die qualitativen Leistungseinschränkungen seien dauerhaft.
Des Weiteren hat der Senat ein orthopädisches Fachgutachten von Dr. G. eingeholt, der am 01.09.2015 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1. Muskuläre Verspannungen im Nacken mit einer leichten Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule bei leichter Fehlstatik und Verschleiß im unteren Abschnitt mit Betonung C6/C7 mit wiederkehrenden Nervenwurzelreizerscheinungen ohne motorische Defizite.
2. Leichte bis mäßige Einschränkung der Lendenwirbelsäulenentfaltbarkeit bei Verschleiß und leichter Fehlstatik ohne aktuellen Anhalt für eine von der Lendenwirbelsäule ausgehende Nervenwurzelirritation.
3. Wiederkehrende Reizzustände beider Schultern bei Verschleiß der Schultereckgelenke ohne klinischen Anhalt für eine weitergehende Schädigung der Rotatorenmanschetten.
4. Beiderseitige Kniegelenksbeschwerden bei leichteren Verschleißerscheinungen ohne Funktionsbehinderung und ohne Anhalt für anhaltende Reizerscheinungen.
5. Leichte polyarthrotische Veränderungen der Fingermittel- und Endgelenke ohne weitergehende Auswirkungen auf die Fein- und Grobmotorik beider Hände.
6. Beiderseitige, leichtere Verbildung der Großzehen mit Verschleißerscheinungen.
Wegen der festgestellten Gesundheitsstörungen könne die Klägerin nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von länger anhaltenden statischen Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufigen Überkopfarbeiten, längere Tätigkeiten in gebückter, gehockter oder kniender Stellung sowie eine Kälte-, Nässe-, Zugluftexposition ohne entsprechenden Bekleidungsschutz. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Ihre Angabe, sie könne maximal 50 m bis 100 m am Stück zurücklegen, lasse sich aus orthopädischer Sicht nicht objektivieren. Es bestünden keine hochgradigen Funktionseinschränkungen an den Gelenken der Beine, der Bandapparat sei stabil, entzündliche Veränderungen hätten sich nicht gezeigt. Die festgestellten leichteren Verschleißerscheinungen an den Füßen, den Sprunggelenken, den Kniegelenken würden keine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit bedingen. Sensomotorische Defizite an den Beinen seien nicht feststellbar gewesen. Die Wirbelsäulenproblematik bedinge bei fehlenden Hinweisen für eine Spinalkanalstenose und der Entwicklung einer sogenannten Schaufensterkrankheit keine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich aus orthopädischer Sicht seit November 2008 nicht wesentlich geändert.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat der Senat sodann ein orthopädisch-unfall-chirurgisches Gutachten von Prof. Dr. C. eingeholt, der am 23.09.2016 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
Auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet:
1. Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule mit Fehlstatik und Verschleiß im unteren Abschnitt mit Betonung C6/C7 mit wiederkehrenden rezidivierenden Wurzelreizsyndrom C6 links, Zervikobrachialgien links ohne motorisches Defizit (chronisches HWS-Syndrom bei zervikalem Bandscheibenvorfall C6/C7)
2. Muskuläre Verspannungen im Nacken
3. Einschränkungen der Beweglichkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule bei Verschleißsymptomatik ohne ausgehende Nervenwurzelirritation
4. Chronisches LWS-Syndrom bei Bandscheibenprotrusion L4/5 lateral mit rezidivierenden Blockierungen ISG beidseits, therapieresistente Lumboischialgie
5. Fibromyalgie
6. beginnende Hüftgelenksarthrosen links mehr als rechts
7. Stattgehabte Borreliose
8. Impingement-Syndrom Schultergelenk beidseits, Zustand nach Akromioplastik links und Zustand nach lateraler Klavikula-Teilresektion links offen
9. Fingergelenkspolyarthrose
10. Senk-Spreizfuß-Deformität beidseits
11. Dorsaler und plantarer Fersensporn
Auf internistischem Fachgebiet:
12. Diffuses Blockbild bzw. Linksschenkelblock mit erheblicher Dyssynchronisation des linken Ventrikels
13. Arterieller Hypertonus, Tinnitus, Struma nodosa mit Substitution von Schilddrüsenhormonen, Hyperinsulinismus, Zustand nach Polypen des Kolons
14. Geringe Mitralklappeninsuffizienz, asymptomatische ventrikuläre Extrasystolen
15. Laktoseintoleranz
16. Sorbitolintoleranz
17. Weißmehlintoleranz
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet:
18. Schwerhörigkeit
19. Geruchssinnstörung
20. Tubenventilationsstörungen
Auf neurologischem, psychiatrischem Fachgebiet:
21. Depressive Reaktions- und Anpassungsstörungen
22. Anhaltende ängstliche Depression und Zwangsrituale
23. Schlafstörungen
24. Unklare Kopfschmerzen
25. Erschöpfungssyndrom
26. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
27. Schmerzchronifizierung, Stadium Grad 3 nach Gebershagen
28. Dysthymia
29. Kontrollzwänge
Auf dermatologischem Fachgebiet:
30. Allergische Reaktion auf Gräser und Pilze
31. Seborrhoische Dermatitis
32. Zustand nach Trichilemm-Zysten (Varianten des Atheroms am behaarten Kopf) im Bereich des Hinterkopfs
Der Klägerin seien unter Berücksichtigung der genannten gesundheitlichen Einschränkungen noch eine mindestens sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ebenso die Tätigkeit einer Industriekauffrau zumutbar. Es müsse sich um leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung handeln. Zu vermeiden seien längere statische Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten. Auch Tätigkeiten, die gewisse Extrem-Gelenksstellungen benötigten, sollten vermieden werden. Ebenfalls kniende Positionen. Die Reduktion der körperlichen Arbeit resultiere aus den degenerativen Veränderungen der nativ radiologischen Diagnostiken, die erstellt worden seien. Aufgrund der bestehenden Wirbelsäulenproblematik seien hier bezüglich der degenerativen Veränderungen Fehlhaltungen über längere Zeiten zu vermeiden. Überkopfarbeiten seien bedingt durch die Beschwerden im Bereich des Schultergelenkes sowie der HWS zu unterlassen. Aufgrund des reduzierten Kniegelenksspaltes sowie vermehrter Sklerosierung seien kniende Tätigkeiten zu unterlassen. Zu vermeiden seien Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie Arbeit auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, Arbeit an laufenden Maschinen, ebenso Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen wie Einflüsse von Kälte, Hitze, Zugluft, starke Temperaturschwankungen, Nässe und Lärm. Aufgrund der bekannten Allergien der Klägerin sollte diesbezüglich Kontakt mit Hautreizstoffen unterbleiben. Hinsichtlich der polyarthrotischen Veränderungen der Fingermittel- und Endgelenke ohne grobe Auswirkung auf die Fein- und Grobmotorik seien keine außergewöhnlichen Pausen indiziert. Die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin bestünden im Wesentlichen seit 2008 ohne wesentliche Veränderung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auf den Antrag vom 18.11.2008 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.2011 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, nachdem er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten wird. Die Beteiligten wurden vorher gehört.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Urteil vom 09.06.2011 einen Anspruch der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2009 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch aktuell besteht kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.
Gemäß § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI wären bei der Klägerin aktuell längstens bis 31.10.2013 gegeben. Nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf der Klägerin sind für den Zeitraum vom 13.10.2011 bis aktuell keine rentenrechtlichen Zeiten mehr belegt, weder Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 55 SGB VI noch Anrechnungszeiten im Sinne des § 58 SGB VI, die die Fünfjahresfrist verlängern würden. Weitere rentenrechtliche Zeiten der Klägerin, die im Rahmen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Beachtung finden müssten, sind nicht ersichtlich und wurden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Die für die Zeit ab 13.10.2011 enthaltenen Zeiten sind im Versicherungsverlauf der Klägerin deshalb zutreffend als Überbrückungszeiten gekennzeichnet. Dies hat zur Konsequenz, dass ein denkbarer Leistungsfall der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung, d. h. ein Absinken des qualitativen Leistungsvermögens der Klägerin dauerhaft auf unter 6 Stunden bzw. sogar unter 3 Stunden bis zum 31.10.2013 eingetreten sein müsste. Hierfür trägt die Klägerin im Zweifel die objektive Darlegungs- und Beweislast.
Die Klägerin konnte den Nachweis des Eintritts eines Leistungsfalls der vollen oder teilweisen Erwerbsfähigkeit bis zum 31.10.2013 nicht führen. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen noch in der Lage ist, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es muss sich um leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen handeln, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Witterungseinflüsse ohne besondere Schutzkleidung sowie ohne besondere nervliche Belastungen (Fließbandarbeit bzw. Publikumsverkehr).
Der Senat stützt seine Überzeugung auf die eingeholten Gutachten von Dr. G. vom 01.09.2015 auf orthopädischem Fachgebiet und von Dr. I. vom 13.08.2015 auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet, die im Wesentlichen keine entscheidende Veränderung bei den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin gefunden haben, wie sie bereits im Rentenverfahren und auch im sozialgerichtlichen Verfahren festgestellt wurden. Beide kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auch aktuell noch ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann und dass eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin seit Rentenantragstellung im November 2008 nicht eingetreten ist. Zu dem gleichen Ergebnis ist der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. C. gelangt.
Die meisten Sachverständigen, die im vorliegenden Rechtsstreit seit Rentenantragstellung tätig geworden sind, bejahen ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Gleichwohl ist die Klägerin der Überzeugung, dass sie von den Gutachtern falsch eingeschätzt wird und ihre gesundheitlichen Einschränkungen nicht ausreichend gewürdigt werden. Bestärkt wird die Klägerin durch ihre behandelnden Ärzte Dr. F. und Dr. H.. Mit der wiederholt im Verfahren vorgetragenen Einschätzung der behandelnden Ärzte Dr. F. und Dr. H. zum Leistungsbild der Klägerin haben sich die in den einzelnen Verfahrensabschnitten tätig gewordenen Sachverständigen jeweils auseinander gesetzt und auch hier im Berufungsverfahren haben die beiden Sachverständigen Dr. I. und Dr. G. sich ausführlich mit den vorgelegten ärztlichen Befundberichten und Attesten beschäftigt. Auch die beiden auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG tätig gewordenen Sachverständigen Prof. Dr. L. und Prof. Dr. C. sind zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen der Klägerin gelangt.
Rentenrechtlich relevante gesundheitliche Einschränkungen der Klägerin finden sich vorliegend auf unterschiedlichen Fachgebieten, in erster Linie jedoch auf orthopädischem und neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet. Daneben bestehen noch eine Schwerhörigkeit mit Tinnitus, die durch eine Hörgeräteversorgung ausgeglichen ist, internistische Erkrankungen des Herzens und der Schilddrüse sowie diverse Allergien. Letztere begründen aber allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen.
Auf orthopädischem Fachgebiet sind funktionelle Einschränkungen qualitativer Art im Bereich der HWS und LWS zu sehen sowie Schmerzen in der Schulter und in der Hüfte. Gravierende Funktionseinschränkungen, die rentenrechtlich zu einer quantitativen Leistungsminderung auf unter 6 Stunden täglich führen könnten, sind damit allerdings nach Ansicht aller Sachverständigen, also von Dr.R. und Prof. Dr. L. im SG-Verfahren und von Dr. G. und Prof. Dr. C. im Berufungsverfahren, nicht verbunden. Die von der Klägerin geltend gemachten, teils erheblichen Bewegungseinschränkungen konnten nicht oder nur zum Teil objektiviert werden. Festgehalten sind in den Gutachten in der Regel beginnende bis leichte Funktionseinschränkungen oder wiederkehrende Reizzustände, insbesondere an der HWS, LWS und der operierten Schulter. Die Sachverständigen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die orthopädischen Einschränkungen für sich allein betrachtet eine quantitative Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht zu rechtfertigen vermögen, sondern dass eine erhebliche psychische Überlagerung der Beschwerden eingetreten ist. Dies wird von den im Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, nämlich Frau Dr. Z. im Verwaltungsverfahren, Dr. B. im SG-Verfahren und Dr. I. im Berufungsverfahren übereinstimmend bestätigt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine somatoforme Schmerzstörung vorliegt. Die psychischen Beeinträchtigungen im Übrigen sind eine Dysthymia bzw. leichte depressive Erkrankung sowie Kontrollzwänge. Diese finden sich auch in den Berichten der behandelnden Hausärztin Dr. F., die immerhin eine Medikation für erforderlich hält, und auch in den Berichten der Dipl.-Psych. E. wieder. Auch hinsichtlich der leichten depressiven Erkrankung bzw. der Dysthymie bestehen Behandlungsoptionen in Form einer Änderung der Medikation, ambulanter Psychotherapie bzw. psychiatrischer Behandlung und auch eventuell bei einem entsprechenden intensiven Behandlungsbedürfnis die Möglichkeit einer stationären oder teilstationären Behandlung der Klägerin. Einschränkungen der Umstellungsfähigkeit der Klägerin konnten die Sachverständigen nicht sehen. Hirnorganische Beeinträchtigungen konnten nicht festgestellt werden, weder medikamentös bedingt noch in Folge einer organischen Hirnerkrankung.
Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der vorliegenden Sachverständigengutachten fest, dass die Klägerin dringend einer multimodalen Schmerztherapie bedarf. Eine solche Therapie wurde der Klägerin bereits mehrfach angeraten. Eine entsprechende Behandlung wird aber bei deutlichem Rentenwunsch der Klägerin nicht durchgeführt. Diesen starken Rentenwunsch hat die Klägerin auch gegenüber dem Sachverständigen Dr. I. angegeben. In erster Linie sei ihr Streben darauf gerichtet, eine Anerkennung ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und die daraus resultierende Leistungsminderung zu finden. Aus den Akten lässt sich ausreichend nachvollziehen, dass außer der Behandlung bei der Hausärztin Dr. F. und dem Orthopäden Dr. H. eine intensive Behandlung der Schmerzerkrankung, die sich zwischenzeitlich wohl verselbständigt haben dürfte, nicht stattfindet. Bereits im September 2011 ist bei dem Befundbericht der Schmerztherapie A. med festgehalten, dass die Medikation abgesetzt wurde wegen Nebenwirkungen bzw. Wirkungslosigkeit und eine neue Medikation erforderlich sei sowie eine Entspannungstherapie. Eine fortlaufende Behandlung ist dort aber nicht verzeichnet. Auf Nachfrage des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 30.04.2015 mitgeteilt, dass eine psychiatrische Behandlung der Klägerin nicht stattfinde und diese auch nicht notwendig sei, weil die Hausärztin die Klägerin mit dem Medikament Opipramol versorge. Die Psychotherapeutin habe ihre Behandlung positiver schildern müssen, um selber keine Nachteile zu erleiden. Die behandelnde Dipl.-Psych. E. hatte gegenüber dem Senat angegeben, dass erste Erfolge eingetreten seien, die Sitzungsfrequenz habe auf ein- bis zweimal monatlich verringert werden können. Das Problem der Klägerin sei ihr geringes Selbstwertgefühl, sie fühle sich verkannt. Sie leide unter Kontrollzwängen. Aktuell sei der Kontrollzwang im Vordergrund, der aber ebenfalls habe verbessert werden können. Dr. F. hat in seinem Befundbericht vom 11.12.2014 ausgeführt, dass bei der Klägerin eine multimodale Schmerztherapie notwendig sei. Die Klägerin habe aber auf das laufende Rentenverfahren verwiesen, so dass in der Behandlung momentan kein Sinn zu sehen sei.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nochmals mit Schreiben vom 28.11.2016 auf den Umstand hinweist, dass zwei Sachverständige im Verfahren ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin gesehen hatten, ist dies zwar zutreffend, vermag aber an der sozialmedizinischen Leistungseinschätzung der Klägerin nichts zu ändern. Zuerst hatte der im ersten Rentenverfahren tätig gewordene orthopädische Sachverständige Dr. Sch. in seinem Gutachten vom 10.01.2006 ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen angenommen mit der Begründung, dass infolge des im Jahr 2000 erlittenen Bandscheibenvorfalls und der unzureichenden konservativen Behandlung gegenwärtig Bewegungseinschränkungen gegeben seien, die durch Ausschöpfung der bestehenden Behandlungsoptionen eine deutliche, kurzfristige Besserung erfahren könnten. Die Beklagte hatte daraufhin einen Rentenanspruch der Klägerin zutreffend abgelehnt. Im laufenden Verfahren hatte einzig Dr. St. L. ein unter 6stündiges Leistungsvermögen angenommen. Die Beklagte hatte aber bereits in ihrer prüfärztlichen Stellungnahme hierzu vom 29.05.2009 zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Leistungseinschätzung nicht nachvollziehbar ist. Dr. St. L. hat bei seiner Untersuchung nur leichte oder beginnende Funktionsstörungen festgestellt sowie ausdrücklich auf die unstimmigen Bewegungstestungen hingewiesen. Er sah Anhaltspunkte für Aggravation und nur qualitative Leistungseinschränkungen, teilweise waren die von der Klägerin angegebenen Einschränkungen nicht objektivierbar oder nachvollziehbar. Die Klägerin könne ohne weiteres leichte kaufmännische Tätigkeiten, wie sie diese zuletzt halbschichtig ausgeführt habe, ohne weiteres ausführen. Er hielt eine eventuelle hormonelle Beeinflussung wegen seit Jahren beklagter Wechseljahrbeschwerden für denkbar, die abgeklärt werden sollte. Weshalb eine quantitative Leistungsminderung vorliegen könnte hat Dr. St. L. nicht begründet.
Es liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bei der Klägerin vor. Es fehlt bereits an einer ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen wie etwa eine (ggf. funktionale) Einarmigkeit der Klägerin. Eine Summierung solcher ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen kann damit denknotwendig bereits nicht vorliegen. Allein der Umstand des Vorliegens einer Vielzahl von Diagnosen im krankenversicherungsrechtlichen Sinne begründet keine besondere Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin, die einer quantitativen Leistungseinschränkung gleichzustellen wäre.
Soweit der Sachverständige Prof. Dr. C. empfiehlt, weitere Gutachten einzuholen, folgt der Senat dem nicht. Prof. Dr. C. hat angeregt, ein augenärztliches Gutachten einzuholen, weil bei der Klägerin eine Nachtblindheit vorliege. Der vorliegende augenärztliche Befund von Dr. W. vom 15.09.2011, der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin überreicht wurde, enthält als Diagnose eine altersentsprechende regelrechte Augenfunktion. Handschriftlich wurde dort ergänzt, dass ein eingeschränktes Nachtsehen vorliege. Die Klägerin selbst hat aber keine Einschränkungen dahingehend geltend gemacht, dass tatsächlich Nachtblindheit vorliegen würde, auch nicht im Rahmen der sehr ausführlichen Anamneseerhebung durch Prof. Dr. C.. Allerdings würden hieraus im Zweifel lediglich qualitative Leistungseinschränkungen abzuleiten sein.
Soweit Prof. Dr. C. die Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens wegen der Schwerhörigkeit und des Tinnitus der Klägerin angeregt hat, ist festzuhalten, dass aus dem vorliegenden HNO-ärztlichen Befund eine deutliche Verbesserung des Hörvermögens nach entsprechender Hörgeräteversorgung hervorgeht. Aus den bei Prof. Dr. C. vorgelegten Berichten der HNO-Ärztin K. vom 19.10.2015 und 14.01.2015 ergab sich ein Ohrekzem mit Salbentherapie, also offenbar ein behandlungsbedürftiger Krankheitszustand, aber keine Funktionsbeeinträchtigung im rentenrechtlichen Sinne.
Die Anregung von Prof. Dr. C. auf Einholung eines neurologischen Gutachtens mit Liquordiagnose und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird vom Senat ebenfalls nicht aufgegriffen. Der Umstand, dass die Klägerin über eine seit Jahren bekannte Borreliose klagt, die auch mit Gelenksbeschwerden einhergehen könne, wird als zutreffend unterstellt und wurde in den eingeholten Gutachten auch berücksichtigt. Eine Einschränkung der Nervenleitgeschwindigkeit konnte durch den Sachverständigen Dr. I. auf neurologischem Fachgebiet nicht erkannt werden. Er kam hier vielmehr zu dem Ergebnis, dass eine rentenrechtlich relevante Erkrankung auf neurologischem Fachgebiet überhaupt nicht erkennbar ist.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Zwar ist diese Vorschrift aufgrund des Alters der Klägerin auf sie anwendbar, weil die Klägerin vor dem 01.01.1961 geboren ist. Sie ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI, da sie ihre erlernte Tätigkeit als Industriekauffrau nach dem Ergebnis der vorliegenden Sachverständigengutachten noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.2011 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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