Sozialrecht

Wichtiger Grund für einen zweiten Fachrichtungswechsel

Aktenzeichen  12 C 16.1405

Datum:
30.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG BAföG § 7 Abs. 3
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121
VwGO VwGO § 166

 

Leitsatz

1 Wird ein Student nach einem Semester von der Hochschule für die folgenden drei Semester krankheitsbedingt beurlaubt und führt er daraufhin sein Studium im zweiten Fachsemester fort, kann ein anschließender Fachrichtungswechsel noch als unverzüglich angesehen werden, sofern sich ein Eignungsmangel bzw. Neigungswandel erst jetzt zeigt. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Erfolgt auf einen fristgemäß gestellten Antrag hin rückwirkend eine Beurlaubung vom Hochschulstudium, kann dem Studenten der zwischenzeitliche Bezug von Ausbildungsförderung nicht als treuwidrig angelastet werden. Gegebenenfalls ist geleistete Ausbildungsförderung zurückzufordern. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ob ein Student sein Studium zielgerichtet betreibt, lässt sich nicht allein anhand der Ergebnisse der Semesterabschlussklausuren beurteilen. Vielmehr sind die gesamten, in einem Semester erbrachten Leistungen in den Blick zu nehmen.  (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 3 K 15.1668 2016-06-02 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. Juni 2016 wird aufgehoben.
II. Der Klägerin wird für ihre Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (Az. Au 3 K 15.1668) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Hoffmann bewilligt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ihre auf die Bewilligung von Ausbildungsförderung nach einem zweiten Fachrichtungswechsel gerichtete Klage.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Insbesondere nach Vorlage der von der Universität Augsburg mit Bescheid vom 24. Juni 2016 verfügten krankheitsbedingten Beurlaubung der Klägerin für das Sommersemester 2013 können der Klage prozesskostenhilferechtlich hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht abgesprochen werden.
Ausgehend von der, der Klägerin vom Verwaltungsgericht als unterblieben entgegengehaltenen, nunmehr von der Universität jedoch verfügten Beurlaubung auch im Sommersemester 2013 ergibt sich für den Studienverlauf der Klägerin, dass sie nach dem ersten Fachrichtungswechsel zunächst im Wintersemester 2011/2012 im ersten Semester Rechtswissenschaften studiert und in der Folge nach drei krankheitsbedingten Urlaubssemestern im Wintersemester 2013/2014 ihr Studium im zweiten Fachsemester wieder aufgenommen hat. Dabei gilt es ferner zu berücksichtigen, dass das Studienprogramm der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg (vgl. hierzu https: …www.jura.uniaugsburg.de/lehre/jura_klassisch/20131001_stunden plaene/20140625 studienprogramm_jura.pdf) einen Studienbeginn nur zum Wintersemester vorsieht mit der Folge, dass die Klägerin angesichts des entsprechenden Lehrangebots im Wintersemester 2013/2014 ihr erstes Studiensemester gewissermaßen wiederholt hat: Mithin ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts davon auszugehen, dass die Klägerin sich zum Zeitpunkt des zweiten Fachrichtungswechsels noch in der sog. Orientierungsphase des Studiums befand und der Wechsel des Studienfachs nach Erkennen eines Eignungsmangels bzw. Neigungswandels noch unverzüglich erfolgt ist.
Ferner lässt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin im Wintersemester 2011/2012, ihrem ersten Fachsemester, lediglich an zwei von drei Abschlussklausuren teilgenommen und dabei lediglich die Prüfung im Fach Rechtsgeschichte bestanden hat, nicht der Schluss ziehen, sie habe ihr Studium nicht zielgerichtet betrieben und hätte einen Eignungsmangel bzw. Neigungswandel bereits zum damaligen Zeitpunkt erkennen können, wie dies das beklagte Studentenwerk vorträgt. Denn ausgehend vom Studienplan der Universität Augsburg ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach einem Semester nicht nur Abschlussprüfungen zu erbringen, sondern auch an vorlesungsbegleitenden Übungen/Fallbesprechung teilzunehmen hatte, deren Ergebnisse gegebenenfalls in die Beurteilung der Zielgerichtetheit des Studiums bzw. der Möglichkeit, einen Eignungsmangel oder Neigungswandel zu erkennen, einzubeziehen wären.
Soweit das beklagte Studentenwerk weiter darauf verweist, dass es angesichts einer Entscheidung über den Beurlaubungsantrag für das Sommersemester 2013 erst im Juni 2016 der Klägerin zumutbar gewesen wäre, „diesen Antrag bereits im Jahr 2013 weiterzuverfolgen bzw. die entscheidungsrelevanten Unterlagen (z.B. ein aussagekräftiges ärztliches Attest) bei der Universität einzureichen“ und dies als Indiz dafür wertet, dass der Klägerin „an einem zielstrebigen und planmäßigen Fortgang ihres Studiums nicht gelegen war“, liegen hierfür gegenwärtig keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, vielmehr stützt sich das Studentenwerk insoweit auf Vermutungen. Weshalb die Universität Augsburg erst drei Jahre nach dem – fristgemäß gestellten – Antrag über eine Beurlaubung entschieden hat, ist bislang ungeklärt.
Weiter kann der Klägerin die nachträglich ausgesprochene Beurlaubung auch nicht als „treuwidrig“ entgegengehalten werden. Sofern sie trotz Beurlaubung im Sommersemester 2013 Ausbildungsförderungsleistungen bezogen hat, sind diese vielmehr von ihr zurückzuzahlen bzw. vom Beklagten zurückzufordern, sodass der angenommene Widerspruch zwischen der Berufung der Klägerin auf die Studierunfähigkeit einerseits und dem Bezug von BAföG-Leistungen andererseits nicht besteht.
Im Ergebnis muss es daher zumindest als offen angesehen werden, ob für den zweiten Fachrichtungswechsel der Klägerin vom Studium der Rechtswissenschaften zum Bachelor-Studium Germanistik ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG besteht. Damit liegen, da die wirtschaftlichen Voraussetzungen auf Seiten der Klägerin erfüllt und die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 2 ZPO gegeben sind, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor. Der entgegenstehende Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg war demzufolge im Beschwerdeverfahren aufzuheben.
Eine Kostenentscheidung war im vorliegenden Fall nicht veranlasst, da in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2,1 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben und nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren Kosten nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Dr. Mayer Kurzidem Abel


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben