Sozialrecht

Zum Anspruch auf Umrüstung eines PKWs auf Linksgas sowie Fahrstunden zur Nutzung des umgerüsteten PKWs

Aktenzeichen  L 20 KR 48/15

Datum:
13.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX SGB IX § 31 Abs. 1, § 33
SGB V SGB V § 33
SGB XII SGB XII § 53, § 60
EinglHV

 

Leitsatz

1 Eine Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Hilfsmittelversorgung (§ 33 Abs. 1 SGB V) ein behindertengerechtes Kfz zur Verfügung zu stellen, besteht grundsätzlich nicht; es handelt sich dabei nicht um die Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Beurteilung, ob hinreichende Mobilität hergestellt worden ist, sind nicht die konkreten Verhältnisse vor Ort maßgebend, sondern abstrakte Maßstäbe anzulegen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch im Rahmen der Eingliederungshilfeverordnung bilden die Grundbedürfnisse den Maßstab (§ 53 Abs. 4 SGB XII, § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 277/13 2004-10-20 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.10.2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Der Senat sieht letztlich – zumindest teilweise – ein Rechtsschutzbedürfnis beim Kläger weiterhin als gegeben an. Dabei ist zu differenzieren zwischen dem geltend gemachten Anspruch auf PKW-Umbau und dem auf PKW-Fahrausbildung.
Über den PKW-Umbau war zunächst in einem Bescheid vom 06.03.2012 durch die Beklagte entschieden worden. Gegen diesen Bescheid war der Kläger auch mittels Klage vorgegangen; es fehlte aber zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits an einer Beschwer, weil die Beklagte diesen Bescheid schon am 08.03.2012 wieder aufgehoben hatte. Die Klage wäre also unzulässig gewesen, ist aber vom Kläger im Folgenden ohnehin ausdrücklich als abgeschlossen erklärt worden, was eine einseitige Erledigterklärung und damit im sozialgerichtlichen Verfahren eine Klagerücknahme darstellt. Im erstinstanzlichen Klageverfahren war nur der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2013 angefochten worden, in dem es nicht um die PKW-Umrüstung ging. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger darin eine Einbeziehung des Antrags vom 28.02.2012 auf Übernahme der Kosten für den PKW-Umbau sehen will. Objektiv ist dieser eindeutig nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheids.
Dem vom Kläger dann erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrag (§ 56 SGG) hinsichtlich der Kostenübernahmepflicht für den PKW-Umbau fehlt das berechtigte Interesse, da auf die Leistung ein Antrag gestellt werden kann und tatsächlich auch noch zur Entscheidung offensteht. Die betrifft jedenfalls den bei der Beigeladenen am 03.03.2014 gestellten Antrag und auch den wiederaufgelebten und zwischenzeitlich an das ZBFS weitergeleiteten Antrag vom 28.02.2012. Soweit der Antrag wegen des aktuellen Fehlens eines umbaufähigen Automatikfahrzeuges beim Kläger ins Leere gehen könnte, wäre insofern wohl ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen, da der Kläger glaubhaft dargelegt hat, zur Wiederanschaffung eines Automatikfahrzeugs bereit zu sein und ein solches auf dem Markt auch wieder verfügbar ist.
Hinsichtlich der Kostenübernahme für Fahrstunden ist eine Verurteilung der Beklagten oder des Beigeladenen derzeit schon deshalb ausgeschlossen, weil die Fahrstunden nicht unabhängig von einem umgebauten Fahrzeug erfolgen können, sowohl tatsächlich als auch rechtlich, weil der Anspruch auf Erlernen des Umgangs mit einem Hilfsmittel akzessorisch zum Anspruch auf das Hilfsmittel selbst ist. Deshalb fehlt es derzeit an einem entsprechenden Rechtsschutzinteresse des Klägers. Der Senat sah aber die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags nicht bereits deshalb als entfallen an, weil der Kläger den Antrag im Jahr 2014 beim Beigeladenen und damit bei einem anderen als dem ursprünglich angegangenen Sozialleistungsträger gestellt hat. Zum einen ist im Rahmen von § 14 SGB IX ein Anspruch aus allen in Frage kommenden gesetzlichen Anspruchsgrundlagen zu prüfen, also auch nach dem SGB V, und zum anderen ist es nicht völlig fernliegend, dass der Kläger – bei dem eine sozialhilferechtliche Bedürftigkeit derzeit nicht vorliegt – einen erneuten Leistungsantrag bei der Beklagten stellt, sobald er wieder über ein umbaufähiges Automatikfahrzeug verfügt.
Die Berufung ist aber nicht begründet, da die Entscheidung des Sozialgerichts im Ergebnis zutreffend ergangen ist und der Kläger mit seinen Anträgen nicht durchdringt. Er hat aus diesem Verfahren weder Ansprüche gegenüber der Beklagten, noch gegenüber dem Beigeladenen. Der Neuantrag vom 03.03.2014 entfaltet auch keine Sperrwirkung, da über ihn bisher nicht in der Sache entschieden worden ist.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) und damit auch die Anwendung der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung scheiden im Fall des Klägers von vornherein aus, da bei ihm eine volle Erwerbsminderung festgestellt worden ist und auch ein Wiedereinstieg in das Erwerbsleben nicht zur Debatte steht.
Somit könnten die beantragten Fahrstunden nur über § 31 SGB IX im Leistungskatalog des SGB IX mitumfasst sein, nachdem § 31 Abs. 2 SGB IX auch die Ausbildung im Gebrauch von Hilfsmitteln umfasst. Hilfsmittel sind zunächst in § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX im Zusammenhang mit der medizinischen Rehabilitation genannt. Ihr Einsatz muss nach § 31 Abs. 1 SGB IX im Einzelfall erforderlich sein, um 1. einer drohenden Behinderung vorzubeugen, 2. den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder 3. eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Im Fall des Klägers kommen Ziffern 1 und 2 offensichtlich nicht in Betracht. Dagegen kann mit dem Gebrauch eines PKW eine Gehbehinderung ausgeglichen werden. Auch wenn ein PKW schon eine Nähe zu einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens aufweist, ist hier eine speziell behinderungsbedingte Umrüstung des PKW und der Umgang damit Inhalt der geltend gemachten Leistung, so dass der Anspruch nicht daran scheitern würde, dass hier Kosten für einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens geltend gemacht würden.
Leistungen aus dem Katalog des SGB IX werden nach Maßgabe der jeweiligen spezialgesetzlichen Regelungen der Leistungsträger erbracht (§ 7 SGB IX), hier also insbesondere § 33 SGB V und § 53 SGB XII.
Die Einschränkung, wonach ein Ausgleich nur für die Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zu erfolgen hat, führt aber – wie von Beklagter und SG zutreffend dargestellt – dazu, dass inhaltlich ein Anspruch des Klägers auf die beantragte Kostenübernahme für die Fahrzeugumbau- und Unterrichtskosten nicht zu bejahen ist. Zu den Grundbedürfnissen des Lebens zählt nach ständiger Rechtsprechung die Bewegung im Nahbereich zur Erholung und zur Erledigung von Alltagsgeschäften. Dazu erscheinen die seitens der Beklagten bewilligten Hilfsmittel einer Beinprothese, Unterarmgehstützen, Rollator und Leichtrollstuhl als ausreichend, wie sich auch aus dem Gutachten des Dr. W. ersehen lässt. Eine Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Hilfsmittelversorgung (§ 33 Abs. 1 SGB V) ein behindertengerechtes Kfz zur Verfügung zu stellen besteht grundsätzlich nicht (Nolte in: Kasseler Kommentar, Stand März 2013, § 33 SGB V, Rn. 12e m. w. N. aus der Rechtsprechung).
Für die Beurteilung, ob hinreichende Mobilität hergestellt worden ist, sind nicht die konkreten Verhältnisse vor Ort maßgebend, sondern sind abstrakte Maßstäbe anzulegen. Insofern sind die ergänzenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen zur Wohnumfeldsituation vor allem insofern bedeutsam als dass eine sonst zu vermutende Aggravation der Beschwerden und ihrer Folgen relativiert wird. Für die Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls ist aber auch von Bedeutung, dass der Kläger den Bezug von Wertmarken für den öffentlichen Nahverkehr in Anspruch genommen hat, was dafür spricht, dass der Kläger zumindest zeitweilig diesen auch nutzen konnte.
Auch im Rahmen der EinglhVO, die die Leistungsverpflichtung des Beigeladenen u. a. zur Herstellung der Teilhabe eines behinderten Menschen an einem Leben in der Gemeinschaft (§ 53 SGB XII) näher beschreibt (§ 60 SGB XII), ergibt sich kein Leistungsanspruch des Klägers, da auch hier die Grundbedürfnisse den Maßstab bilden (§ 53 Abs. 4 SGB XII). Hinzu kommt, dass nach den vorliegenden Unterlagen eine Bedürftigkeit des Klägers nicht vorliegt oder zumindest nicht nachgewiesen ist.
Auch unmittelbar aus Verfassungsrecht ist nicht erkennbar, dass weitere Anspruchsgrundlagen geschaffen werden müssten. Eine Benachteiligung durch die Behinderung bringen die im Fall des Klägers anzuwendenden Gesetze nicht zum Ausdruck. Es ist auch nicht so, dass dem Kläger keinerlei Ausgleich für die bestehende Behinderung gewährt worden wäre. Vielmehr hat die Beklagte verschiedene sich ergänzende Hilfsmittel, u. a. eine hochwertige Beinprothese mit Funktionsvielfalt, als Leistungen der Krankenversicherung zur Verfügung gestellt.
Insgesamt ergibt sich für den Senat, dass der Kläger keinen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen zum Behinderungsausgleich hat und die Berufung des Klägers zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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