Staats- und Verfassungsrecht

Verwaltungsrechtsweg, Einstellungsvermerk, Nichtförmliche Entscheidung, Formlose Entscheidung, Effektiver Rechtsschutz, Allgemeiner Justizgewährleistungsanspruch

Aktenzeichen  M 30 K 21.1024

Datum:
18.3.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9542
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
VwGO § 40

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte auch in der vorliegenden Besetzung unter Beteiligung des Berichterstatters in den Verfahren M 30 K 20.6712 und M 30 E 21.18 entscheiden, da dieser nicht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen ist. Weder entscheidet das Gericht vorliegend als Rechtsmittelgericht i.S.d. § 41 Nr. 6 ZPO (vgl. §§ 45, 48 und 50 VwGO) noch über einen Entschädigungsanspruch nach §§ 198 ff. GVG (vgl. § 41 Nr. 7 ZPO).
II.
Nach allseitiger Verzichtserklärung der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte über den Rechtstreit im schriftlichen Verfahren entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
III.
Das klägerische Begehren ist nach § 88 VwGO auszulegen. Vorliegend begehrt die Klägerin zum einen den Ausspruch einer Verpflichtung des Beklagten über ihre Klage gegen die Beigeladene zu entscheiden sowie die Feststellung, dass die richterliche Verfügung im Schreiben vom 4. Februar 2021 rechtswidrig gewesen ist.
IV.
Die Klage bleibt ohne Erfolg, da sie unzulässig ist.
Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO ist nicht eröffnet und eine Verweisung an eine andere Gerichtsbarkeit kommt nicht in Betracht. Die von der Klägerin begehrte Verpflichtung betrifft die richterliche Tätigkeit. Über § 40 VwGO wird jedoch kein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Judikative eingeräumt (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 40 VwGO, Rn. 75). Zur öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG gehören nicht die Akte der Rechtsprechung – Spruchrichtertätigkeit – selbst; denn Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO gewähren Schutz durch den Richter, nicht gegen den (Spruch-)Richter (vgl. BVerfG Plenum, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/402 und 406; BVerfG, B.v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/60 – BVerfGE 15, 275; st. Rspr.; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 45). Dementsprechend unterliegen Entscheidungen der Judikative, d.h. gerichtliche Urteile, Beschlüsse oder sonstige Anordnungen und prozessleitende Maßnahmen im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit nicht der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Dem Gericht ist es daher verwehrt, sowohl die rechtskräftigen Verweisungsbeschlüsse vom 7. Februar 2020 als auch das Schreiben des Gerichts vom 4. Februar 2021 in einem eigenständigen Verfahren – gleichsam einer „Superrevision“ – zu überprüfen (vgl. hierzu BVerfG Plenum, a.a.O., BVerfGE 107, 395/402).
Der Klägerin stehen in solchen Fällen vielmehr die in den jeweilig betriebenen Gerichtsverfahren eröffneten Rechtsmittel zur Verfügung, etwa die Beschwerde gegen die Verweisungsbeschlüsse vom 7. Februar 2020, welche die Klägerin nicht genutzt hat. Für den Fall einer Untätigkeit des Gerichts besteht zusätzlich die Möglichkeit der Einlegung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG. Im Falle einer nicht-förmlichen richterlichen Verfügung steht jedenfalls die formlose Gegenvorstellung offen.
Da es für das Klagebegehren der Klägerin somit kein zuständiges Gericht des zulässigen Rechtsweges i.S.d. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG gibt, kommt auch eine Verweisung des Rechtsstreits nicht in Betracht.
V.
Selbst wenn man vorliegend das Schreiben der Klägerin vom 19. Februar 2021 entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut als Gegenvorstellung gegen das Schreiben vom 4. Februar 2021 in den Verfahren M 30 K 20.6712 und M 30 E 21.18 bzw. als Antrag auf Fortsetzung dieser Verfahren werten würde, ist vorliegend weder ein Weiterbetreiben dieser Verfahren angezeigt noch die Verfügung vom 4. Februar 2021 zu beanstanden.
Eine formlose Weitergabe der Verfahren M 30 K 20.6712 und M 30 E 21.18 an das Landgericht München I zu dem dort gemäß § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG rechtshängigem Verfahren 20 O 2861/20 begegnet keinen Bedenken. Die formlose Behandlung durch das Schreiben vom 4. Februar 2021 verletzt die Klägerin insbesondere nicht in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG bzw. dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 20 Abs. 3 GG. Der Rechtsweg wird durch eine solche Behandlung nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert und die Rechtschutzsuchende nicht unverhältnismäßig belastet (vgl. zum Maßstab an den Gesetzgeber: BVerfG, B.v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59 – BVerfGE 10, 264/268; B.v. 2.12.1987 – 1 BvR 1291/85 – BVerfGE 77, 275/284; B.v. 2.3.1993 – 1 BvR 249/92 – BVerfGE 88, 118/124).
Der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch (Art. 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip) sowie Art. 19 Abs. 4 GG für den Bereich des öffentlichen Rechts gewährleisten den effektiven Rechtsschutz, wozu neben dem Recht auf Zugang zu den Gerichten grundsätzlich die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung gehören (BVerfG Plenum, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/401; BGH, B.v. 13.2.2014 – VII ZB 39/13 – BGHZ 200, 145 Rn. 13), aber auch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung (BVerfG, B.v. 2.3.1993 – 1 BvR 249/92 – BVerfGE 88, 118/124) sowie die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege zählen (BVerfG, B.v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96; 1 BvR 805/98 – BVerfGE 106, 28/49).
Soweit der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht bereits von Art. 19 Abs. 4 GG verdrängt wird (vgl. hierzu Jarass a.a.O., Art. 19 Rn. 34 und Art. 20 Rn. 129), stellt die formlose Weiterleitung eines erneut mit identischem Begehren eingelegten Verfahrens aufgrund eines vorherigen Verweisungsbeschlusses jedenfalls einen gerechtfertigten Eingriff in diesen als auch in Art. 19 Abs. 4 GG dar.
Nach einer Ansicht in der Rechtsprechung können bereits unwirksam erhobene Klagen im nichtförmlichen Verfahren „verbeschieden“ und die Gerichtsverfahren auf „sonstige Weise“ erledigt werden (str.; so VGH Mannheim, B.v. 11.7.2016 – 1 S 294/16 – NVwZ-RR 2017, 4 Rn 4 und 6 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 14.3.90 – 5 B 89.3542 – NJW 1990, 2403; a.A. BSG, B.v. 12.2.2015 – B 10 ÜG 8/14 B – BeckRS 2015, 67445).
Nach der Rechtsprechung und Kommentarliteratur liegt eine unwirksam erhobene Klage vor, wenn – wenngleich nur unter besonders engen und strengen Voraussetzungen – ein Klageschriftsatz ein sachliches Vorbringen nicht erkennen lässt oder hinter den gestellten Anträgen ersichtlich kein ernsthaftes Rechtsschutzbegehren steht, sondern damit ausschließlich prozessfremde Zwecke verfolgt werden – etwa ausschließlich die Beleidigung der Gegenpartei. Ein sinnhaftes und ernstzunehmendes Rechtsschutzbegehren fehle beispielsweise bei völlig wirrem oder stereotypisch wiederholtem Vorbringen. Dies komme insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen in Betracht (vgl. hierzu: VGH Mannheim, ebd.; Hoppe in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 81 Rn. 18; ferner BVerfG, B.v. 19.7.2001 – 2 BvR – 1175/01 – NJW 2001, 3615; Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 81 Rn. 2). „Ersuchen“, die mit dem Rechtsschutzauftrag der Gerichte überhaupt nicht mehr im Zusammenhang stehen, sondern nur noch entweder der Selbstdarstellung des Einreichers dienen sollen oder primär eine zusätzliche Arbeitsbelastung der Gerichte bezwecken, seien von vornherein nicht als förmliche Rechtsbehelfe zu behandeln; insofern sei die Sachlage vergleichbar mit jener der Einreichung von Rechtsmitteln mit vorwiegend beleidigendem Inhalt, die ebenfalls als unbeachtlich angesehen werden (VGH Mannheim, ebd.; BayVGH, ebd.). Das Fehlen eines ernsthaft verfolgten Anspruchs führe nach dieser Ansicht nicht dazu, dass die „Klage“ noch förmlich durch Prozessurteil abzuweisen wäre (VGH Mannheim, ebd.; BayVGH, ebd.).
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit zurückhaltender. Eine förmliche Entscheidung über Ablehnungsgesuche beispielsweise sei verfassungsrechtlich dann aber nicht geboten, wenn diese missbräuchlich gestellt worden und deshalb unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind und das erkennende Gericht auch nicht aus willkürlichen Gründen über das Ablehnungsgesuch hinweggegangen ist (vgl. BVerfG, B.v. 22.2.1960 – 2 BvR 36/60 zur Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerfGE 10, 1/5; B.v. 2.11.1960 – 2 BvR 473/60 – BVerfGE 10, 343/348 m.w.N.)
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Erwägungen ist die formlose Abgabe der Verfahren M 30 K 20.6712 und M 30 E 21.18 nicht zu beanstanden, da bereits die zuvor klägerseits betriebenen Verfahren M 30 K 19.4629 und M 30 E19.4635 mit identischem Rechtschutzbegehren durch die Verweisungsbeschlüsse vom 7. Februar 2020 an das zuständige Landgericht München I förmlich ordnungsgemäß abgegeben und dort auch rechtshängig geworden sind und die Klägerin ihre Rechtsschutzbegehren vor dem zuständigen Landgericht München I verfolgen kann. Auch liegen – mit Blick auf die rechtskräftigen Verweisungsbeschlüsse vom 7. Februar 2020 und der gegebenen Identität der „Rechtschutzbegehren“ – keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gericht oder der Berichterstatter aus willkürlichen Gründen über das erneute Ersuchen im Schreiben vom 16. Dezember 2020 hinweggegangen sind. Insbesondere hat das Gericht die Klägerin über die formlose Abgabe in Kenntnis gesetzt und diese Art der Behandlung begründet, die im Übrigen vor dem Hintergrund von § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG nicht nur prozessökonomisch, sondern auch für die Klägerin kostengünstig war.
VI.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge der §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen hat, da diese einen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
VII.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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