Steuerrecht

Ablehnung des Antrages auf Verzicht auf Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer

Aktenzeichen  5 K 1535/16

Datum:
11.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133418
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 6b

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Gründe

I.
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
Die Bescheide vom 24.03.2016 über die Ablehnung des Antrags auf Verzicht auf die Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1985 und 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 11.10.2016 sind nicht rechtswidrig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf den Verzicht auf die Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1985 und 1987.
1. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen solchen Bescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen.
Gemäß §§ 237 Abs. 4, 234 Abs. 2 AO können die Finanzbehörden allerdings auf Aussetzungszinsen ganz oder zum Teil verzichten, wenn deren Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d. h. wirtschaftlichen Verhältnissen (persönliche Gründe) begründet sein.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Zinsverzicht in Betracht kommt, entsprechen denjenigen nach §§ 163, 227 AO (vgl. BFH, Urteile vom 20.11.1987 VI R 140/84, BStBl II 1988, 402 und vom 18.04.1996 V R 55/95, BStBl II 1996, 561). Ein Verzicht auf die Zinsfestsetzung aus Gründen der sachlichen Unbilligkeit kommt danach nur in Betracht, wenn die Erhebung der Zinsen im Einzelfall mit Rücksicht auf den § 237 AO zugrunde liegenden Zweck nicht mehr zu rechtfertigen ist bzw. den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFH, Urteile vom 21.10.1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546, vom 29.08.1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906 und vom 21.07.1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597).
Sinn und Zweck der in § 237 AO enthaltenen gesetzlichen Regelung der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht (vgl. BFH, Urteile vom 24.07.1979 VII R 67/76, BStBl II 1979, 712 und vom 20.09.1995 X R 86/94, BStBl II 1996, 53).
Unter dem Gesichtspunkt eines gerechten Ausgleichs zwischen den Geldnutzungsinteressen des Steuergläubigers und denen des Steuerpflichtigen ist es daher für den Regelfall angemessen, die Entscheidung über die Festsetzung von Aussetzungszinsen als automatische Folge des Verfahrensausgangs über die Steuerfestsetzung auszugestalten. Nur wenn die im Einzelfall maßgebliche materielle Steuerrechtslage ausnahmsweise so beschaffen ist, dass der Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens nicht mehr als Abbild der materiellen Rechtslage aufgefasst werden kann, ist der vom Gesetz gedeckte Regelfall nicht mehr gegeben und eine Einzelfallkorrektur geboten (vgl. BFH, Urteil vom 31.03.2010 II R 2/09, BFH/NV 2010, 1602).
2. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist – wie diese – eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 Satz 1 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (vgl. BFH, Urteile vom 15.10.1998 IV R 69/97, a.a.O., vom 17.06.2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505 und vom 14.07.2010 X R 34/08, BStBl. II 2010, 916 m.w.N. der Rspr.). Die Nachprüfung der Ablehnung des Verzichts ist daher auf die Prüfung beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ebenso hat das Gericht als Voraussetzung dieser Prüfung nachzuprüfen, ob das Finanzamt den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Bei Überprüfung der Ermessensentscheidung darf das Gericht die für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Erwägungen, die vom Finanzamt vorzunehmen sind, nicht durch eigene Erwägungen ersetzen. Für die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen sind diejenigen tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die dem Finanzamt im Zeitpunkt der letzten Ermessensausübung – hier bei Ergehen der Einspruchsentscheidungen – bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. BFH, Urteile vom 26.03.1991 VII R 66/90, BStBl. II 1991, 545 und vom 26.07.2005 VII R 57/04, BStBl II 2005, 814).
Ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf den Verzicht auf Aussetzungszinsen kann sich deshalb nur ergeben, wenn das der Finanzbehörde in § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO eingeräumte Ermessen derart reduziert ist, dass alleine der Zinsverzicht als rechtmäßig erscheint (Ermessensreduzierung auf Null, vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung-Kommentar, 8. Aufl. 2015, § 102 Rz. 2 m.w.N.). Ist nur der Erlass eines Anspruchs bzw. d aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass bzw. Verzicht aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 15.10.1989 IV R 69/97, a.a.O.).
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bei der Ausübung des Ermessens nicht fehlerhaft gehandelt. Erst recht ist der Ermessensspielraum im konkreten Fall nicht derart eingeschränkt gewesen, dass das Ermessen fehlerfrei nur durch Stattgabe des Verzichtsantrages hätte ausgeübt werden können.
a) Der Beklagte legte seiner Entscheidung den Sachverhalt zutreffend zugrunde. Soweit das Finanzamt in den Ablehnungsbescheiden vom 24.03.2016 sowie den Einspruchsentscheidungen vom 11.10.2016 von dem Verzicht auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen spricht, ergibt sich aus dem Kontext der Entscheidungen, dass dies den Zinsverzicht im Sinne von §§ 237 Abs. 4, 234 Abs. 2 AO umfasst.
Die Anträge auf Verzicht auf die Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1985 und 1987 aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das Finanzamt ermessensfehlerfrei abgelehnt. Es hat die im Rahmen der sachlichen Billigkeit zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkte gegeneinander abgewogen und ist dabei zu einem Ergebnis gelangt, das im Rahmen der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis nach § 102 FGO nicht zu beanstanden ist. Ein Anspruch der Kläger auf Verzicht auf die Aussetzungszinsen 1985 und 1987 bestand nicht.
b) Der Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens weicht im Streitfall nicht derart von der materiellen Rechtslage ab, dass ausnahmsweise eine Korrektur durch Zinsverzicht geboten wäre. Die Kläger haben aufgrund der von Ihnen beantragten und durch das Finanzamt gewährten Aussetzung der Vollziehung zunächst die mit Einkommensteuerbescheiden vom 19.04.1995 festgesetzte Einkommensteuer 1985 und 1987 zunächst nicht zahlen müssen und hieraus einen Liquiditätsvorteil im Hinblick auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum erlangt.
Der Argumentation des Finanzamts ist nach Auffassung des Senats insoweit zuzustimmen als die Kläger im Endergebnis die Aufrechnung der Aussetzungszinsen 1985 und 1987 mit fiktiven Erstattungszinsen für 1984 und 1986 beantragen, die ihrer Meinung nach – trotz entgegenstehender Rechtslage – hätten anfallen müssen.
Das Fehlen einer Verzinsungsregelung für Erstattungsansprüche bei dem gleichzeitigen Recht des Steuergläubigers, Aussetzungszinsen festzusetzen, führt jedoch zu keiner sachlichen Unbilligkeit im Sinne von §§ 237 Abs. 4, 234 Abs. 2 AO.
Die Verzinsung von Steuerforderungen und -erstattungen nach § 233a AO – sog. Vollverzinsung – wurde erst durch das Steuerreformgesetz 1990 (BGBl. I 1988, 1093, 1127) neu eingeführt. Sie galt erstmals für Ansprüche, die nach dem 31.12.1988 entstanden. Da der Gesetzgeber sich des Umstandes bewusst war, dass aus den verschiedensten Gründen Steuerforderungen verzinst wurden und werden (§§ 234 ff. AO), er aber gleichwohl eine Vollverzinsung erst für nach dem 31.12.1988 entstehende Ansprüche anordnete, läuft die Erhebung von Aussetzungszinsen für bestimmte Veranlagungszeiträume auch dann nicht den gesetzlichen Wertungen zuwider, wenn für andere Veranlagungszeiträume mangels gesetzlicher Regelung keine Zinsen auf Erstattungsbeträge zu zahlen sind (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 04.12.1998 18 K 5362/97 AO, Juris und FG München, Urteil vom 22.01.2004 5 K 3593/01, Juris).
Entgegen der Auffassung der Kläger ergab sich durch die geänderte Festsetzung der Einkommensteuer 1984 bis 1987 durch die Einkommensteuerbescheide vom 19.06.2013 auch keine rückwirkende Aufrechnungslage für das Jahr 1995. Zudem stand die von den Klägern beantragte und seitens des Finanzamts gewährte Aussetzung der Vollziehung einer Aufrechnung in diesem Zeitpunkt entgegen.
c) Eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich des Erlasses von Aussetzungszinsen wird vielmehr dann von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung angenommen, wenn objektiv die Voraussetzungen für eine Verrechnungs- oder technische Stundung vorliegen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 04.12.1998 18 K 5362/97 AO, a.a.O., FG Hamburg, Urteil vom 22.05.1997 II 22/95, EFG 1997, 1355, FG Münster, Urteile vom 03.12.1993 11 K 5330/91, EFG 1994, 552 und vom 04.04.2017 15 K 2127/14 AO, EFG 2017, 960).
Die Verzinsung eines Steueranspruchs kann nämlich im Einzelfall unbillig sein, wenn der Steuerschuldner in Kürze mit einer Steuererstattung rechnen kann, ohne dass bereits eine Aufrechnungslage besteht. Eine Verrechnungsstundung setzt voraus, dass der Steuerschuldner zur Zeit der Fälligkeit der Steuerschuld seinen Gegenanspruch bereits nach Grund und Höhe rechtlich und tatsächlich darlegt und dass dieser zeitnah fällig wird. Eine ungewisse Aussicht auf eine Steuererstattung ist nicht ausreichend. Der Steuererstattungsanspruch muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald entstehen (vgl. BFH, Urteil vom 6.10.1982 I R 98/81, BStBl. II 1983, 397).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Einsprüche wegen Einkommensteuer 1984 bis 1987 vom 11.05.1995 wurden erst Anfang 2012 von den Klägern konkretisiert. Es handelte sich daher aus Sicht des Jahres 1995 nicht um „belegbare, demnächst fällige Ansprüche des Steuerschuldners aus einem Steuerschuldverhältnis“ im Sinne von AEAO zu § 234, Nr. 11 (Verrechnungsstundung).
d) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Kläger, dass die Feststellungen nach Abschluss der Betriebsprüfung für die Jahre 1984 bis 1987 letztlich nicht zu einem Liquiditäts- und damit Zinsvorteil zu ihren Gunsten geführt habe, da im Endergebnis die Erstattungen höher ausgefallen seien als die Nachzahlungen.
Die von den Klägern zur Unterstützung ihrer Argumentation angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BFH, Urteile vom 11.07.1996 V R 18/95, BStBl. II 1997, 259, vom 12.04.2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178, vom 16.11.2005 X R 28/04, BFH/NV 2006, 697, vom 28.07.2009, I B 42/09, BFH/NV 2010, 5, vom 07.11.2013 X R 23/11, BFH/NV 2014, 660 und vom 01.06.2016 X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668) beziehen sich sämtlich auf den Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO und damit auf die Rechtslage nach 1988, d.h. ab Einführung der Vollverzinsung nach § 233a AO.
Der BFH führt in den genannten Entscheidungen u.a. aus, dass für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung von Steuernachforderungen im Sinne von § 233a AO kein Raum sei, wenn zweifelsfrei feststehe, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Schaden erlitten habe.
Diese Rechtsprechung kann jedoch – wie oben aufgezeigt – nicht auf die Rechtslage vor 1989 in dem von den Klägern dargelegten Sinne übertragen werden, denn der Gesetzgeber sah eine Vollverzinsung erst für nach dem 31.12.1988 entstehende Ansprüche vor.
Aus diesem Grund kann auch der Verweis auf das Urteil des BFH vom 15.10.1989 (IV R 69/97, a.a.O.) der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. In dieser Entscheidung hat der BFH ausgeführt, dass die Erhebung von Nachzahlungszinsen sachlich unbillig sei, wenn nachträglich zunächst vor 1989 besteuerte Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum nach 1988 der Einkommensteuer unterworfen werden. Dies stelle einen speziellen und praktisch seltenen Fall der vorwärts gerichteten Einkünfteverschiebung dar, der die Besonderheit aufweise, dass die Einkünfteverschiebung über die Schwelle des Inkrafttretens der Vollverzinsung nach § 233a AO 1977 stattgefunden habe. Es sei nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber diesen Fall bedacht habe, da er anderenfalls vermutlich eine Übergangsregelung getroffen hätte.
Im Streitfall gibt es jedoch keinen vom Gesetz nicht erfassten Ausnahmefall, etwa das Fehlen einer Übergangsregelung, sondern die Festsetzung und Erhebung der Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1985 und 1987 entspricht nach Auffassung des Senats dem erklärten Willen des Gesetzgebers.
e) Auch der Vergleich mit dem Erlass von Säumniszuschlägen und der Hinweis auf AEAO zu § 240, Nr. 5f geht fehl.
Säumniszuschläge fallen von Gesetzes wegen an. Verwirkte Säumniszuschläge bleiben auch bestehen, wenn die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt wird. Hier schafft ein Verzicht Abhilfe, wenn der Steuerpflichtige alles getan hat, um Aussetzung der Vollziehung zu erlangen und diese abgelehnt worden ist. Der Steuerpflichtige soll so gestellt werden, als hätte er den gebotenen einstweiligen Rechtsschutz erlangt.
Aussetzungszinsen beruhen hingegen auf einem Antrag des Steuerpflichtigen und sind nach der gesetzlichen Regelung an den Ausgang des Rechtsbehelfs- oder Klageverfahrens gekoppelt.
f) Sachliche Unbilligkeitsgründe liegen daher nicht vor. Persönliche Billigkeitsgründe wurden weder vorgetragen noch sind sie aus den Akten ersichtlich.
4. Die Klage ist daher abzuweisen.
II.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung zu ausgelaufenem Recht auf der Basis der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Eine Divergenz zu Entscheidungen anderer Finanzgerichte liegt nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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