Steuerrecht

Ablehnung einer Richterin wegen Mitwirkung am Gesetzesentwurf

Aktenzeichen  Vf. 2-VII-17

Datum:
13.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18273
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 53 S. 1
VfGHG Art. 9
BVerfGG § 18 Abs. 3 Nr. 1
StPO § 24 Abs. 2, § 30

 

Leitsatz

Eine Richterin des Verfassungsgerichtshofs, die als Referatsleiterin eines Ministeriums am Entwurf eines Gesetzes mitgewirkt hat, gegen das sich eine Popularklage richtet, ist zwar nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen; dieser Sachverhalt begründet jedoch die Annahme der Besorgnis der Befangenheit. (Rn. 7 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Selbstanzeige des Mitglieds des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Dr. M. wird für begründet erklärt.

Gründe

I.
1. Gegenstand der Popularklage ist die Regelung zum Sondergeld in Art. 53 Satz 1 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz – BayStVollzG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl S. 866, BayRS 312-2-1-J), das zuletzt durch Art. 37 a Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 438) geändert worden ist.
Das Bayerische Strafvollzugsgesetz wurde nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder (Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl I S. 2034) erlassen und ersetzt im Freistaat Bayern – für den Bereich des Erwachsenenstrafvollzugs – im Wesentlichen das 1977 in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Gemäß Art. 53 Satz 1 BayStVollzG kann für die Gefangenen zum Zweck des Sondereinkaufs gemäß Art. 25 BayStVollzG oder für die Kosten einer Krankenbehandlung Geld einbezahlt werden. Der Antragsteller macht geltend, Art. 53 Abs. 1 (richtig Satz 1) BayStVollzG verletze Art. 118 Abs. 1 BV durch den gleichheitswidrigen Ausschluss Dritter, die Zahlungen an Gefangene zu anderen als den in Art. 53 Satz 1 BayStVollzG genannten Zwecken vornähmen.
2. Nach der Geschäftsverteilung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gehört Richterin am Oberlandesgericht Dr. M. als berufsrichterliches Mitglied des Verfassungsgerichtshofs der für die Entscheidung zuständigen Spruchgruppe B an.
Die Richterin hat dem Verfassungsgerichtshof mit Schreiben vom 26. Juni 2018 die folgende dienstliche Äußerung übermittelt:
„[…] hiermit zeige ich gemäß Art. 9 VfGHG an, dass ich das Gesetzgebungsverfahren zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz (BayStVollzG) als zuständige Referatsleiterin im Bayerischen Staatsministerium der Justiz begleitet habe. Dies könnte eine Ablehnung vom Standpunkt der Verfahrensbeteiligten aus rechtfertigen.
Gegenstand der Popularklage ist die Regelung in Art. 53 Satz 1 BayStVollzG, die sich – anders als andere Vorschriften des BayStVollzG -nicht an einer Regelung im StVollzG von 1977 orientiert.
Nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder (Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl I S. 2034) habe ich – zusammen mit dem für den Jugendstrafvollzug zuständigen Referatsleiter – als Leiterin des damaligen Referats F 4, zu dessen Zuständigkeit u. a. Gesetzgebungsangelegenheiten auf dem Gebiet des Justizvollzugs gehörten, den Entwurf eines BayStVollzG mit Unterstützung einer von uns geleiteten Arbeitsgruppe verfasst, die Anhörung der Praxis und der Verbände sowie die Ressortabstimmung veranlasst und die Beratungen im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags bis zu meinem Ausscheiden aus dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz am 1. November 2007 begleitet. Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung (LT-Drs. 15/8101) fand am 27. November 2007 statt. […].“
3. Dem Antragsteller, der Bayerischen Staatsregierung und dem Vertreter des Bayerischen Landtags ist die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass „keine Be denken hinsichtlich der Richterin“ bestünden. Weitere Stellungnahmen sind nicht eingegangen.
II.
1. Gemäß Art. 9 VfGHG sind auf die Ausschließung und die Ablehnung eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs die Vorschriften der §§ 22 bis 30 StPO entsprechend anzuwenden. Eine dem § 18 Abs. 3 Nr. 1 BVerfGG entsprechende Vorschrift, wonach die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren nicht als Tätigkeit in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen gilt, gibt es im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof nicht. Über die Selbstanzeige der Verfassungsrichterin Dr. M. nach Art. 9 VfGHG i. V. m. § 30 StPO hat der Verfassungsgerichtshof – ohne Mitwirkung der anzeigenden Richterin (§ 27 Abs. 1 StPO) – in der Besetzung zu entscheiden, die auch über die Popularklage zu entscheiden hat.
2. Die Verfassungsrichterin Dr. M. ist nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.
a) § 22 Nr. 4 StPO ist nicht einschlägig. Danach ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist. Die Aufzählung ist abschließend (vgl. Scheuten in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 22 Rn. 9). Davon nicht erfasst -auch nicht entsprechend über Art. 9 VfGHG – ist die Tätigkeit als Beamtin eines Staatsministeriums im Gesetzgebungsverfahren.
b) Auch § 23 Abs. 1 StPO ist vorliegend nicht einschlägig. Danach ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung in einem höheren Rechtszug kraft Gesetzes ein Richter ausgeschlossen, der bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Diese Vorschrift findet keine entsprechende Anwendung 6 auf den Fall, dass mit der Popularklage eine Vorschrift angegriffen wird, an deren Entwurf ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs als Referatsleiterin eines Ministeriums mitgewirkt hat.
Ein Ausschlussgrund nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 StPO liegt schon deshalb nicht vor, weil die Popularklage eine Norm und keine gerichtliche Entscheidung zum Gegenstand hat. Zwar kann der grundlegende Gedanke des § 23 Abs. 1 StPO auch dann zum Tragen kommen, wenn die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Entscheidung oder Norm jedenfalls im Ergebnis zur Überprüfung einer eigenen Entscheidung würde (vgl. VerfGH vom 7.8.2012 VerfGHE 65, 143/147). Hier liegt eine solche eigene „Entscheidung“ der Verfassungsrichterin Dr. M. jedoch nicht vor. Der Begriff der Mitwirkung an einer Entscheidung in § 23 Abs. 1 StPO setzt voraus, dass der Richter an der angefochtenen Entscheidung in richterlicher Funktion unmittelbar beteiligt war, sie also (mit) zu verantworten hat; eine bloße Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung bewirkt noch keine Ausschließung (vgl. z. B. Scheuten in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 23 Rn. 2). § 23 StPO gehört zu den Vorschriften über den gesetzlichen Richter; solche Vorschriften müssen wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen, strikt ausgelegt werden und sind einer ausweitenden Auslegung nicht zugänglich (vgl. BVerfG vom 26.1.1971 BVerfGE 30, 149/155).
Bei der Mitarbeit eines Referatsleiters an der Erstellung und anschließenden Begleitung eines Gesetzentwurfs handelt es sich lediglich um vorbereitende Tätigkeiten. Die im Gesetzgebungsverfahren zu treffenden formalen Entscheidungen werden dagegen nicht von dem Referatsleiter getroffen. Gemäß Art. 71 BV werden Gesetzesvorlagen vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtags oder vom Volk (Volksbegehren) eingebracht und gemäß Art. 72 BV vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen. Den Mitarbeitern der Ministerien kommt dabei lediglich eine Vorbereitungsfunktion zu. Dass das Bundesverfassungsgericht eine Referententätigkeit als „Mitwirkung“ im Gesetzgebungsverfahren ansieht (BVerfG vom 13.2.2018 NJW 2018, 1307 Rn. 24; (vgl. auch BT-Drs. 1/788 S. 41), ändert daran nichts, da diese Einordnung im Zusammenhang mit der Spezialregelung des § 18 Abs. 3 BVerfGG getroffen wurde und nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Mitwirkung an einer Entscheidung im Sinn des § 23 StPO vorliegt.)
3. Der von der Verfassungsrichterin Dr. M. in ihrer Erklärung vom 20. Juli 2018 mitgeteilte Sachverhalt begründet jedoch die Besorgnis der Befangenheit gemäß Art. 9 VfGHG i. V. m. §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.
Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gemäß § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach § 30 StPO hat der Verfassungsgerichtshof auch ohne ein Ablehnungsgesuch Beteiligter über die Mitwirkung eines Richters zu entscheiden, wenn dieser einen Sachverhalt anzeigt, der seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Entscheidend ist, ob nach Auffassung des Gerichts bei vernünftiger Würdigung aller Umstände für einen am Verfahren Beteiligten Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und an der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln; ob der Richter tatsächlich befangen ist, spielt keine Rolle (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.7.1997 VerfGHE 50, 147/149; vom 29.2.2008 VerfGHE 61, 44/46; vom 20.4.2009 – Vf. 8-VII-05 – juris Rn. 12).
Zwar begründet nicht jede frühere Beteiligung eines Verfassungsrichters an einem Gesetzgebungsverfahren die Besorgnis der Befangenheit in einem späteren Popularklageverfahren, welches die Verfassungsmäßigkeit einer der erlassenen Normen betrifft. Allerdings kann sich aus den besonderen Umständen Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters ergeben. So hat der Verfassungsgerichtshof beispielsweise darauf hingewiesen, dass wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage zwar für sich genommen keinen Befangenheitsgrund darstellten; Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit eines Richters könnten jedoch z. B. dann bestehen, wenn die wissenschaftliche Tätigkeit die Unterstützung eines Verfahrensbeteiligten bezweckte (VerfGHE 61, 44/46). Im vorliegenden Fall hat die Verfassungsrichterin Dr. M. als zuständige Referatsleiterin im Bayerischen Staatsministerium der Justiz sowohl selbst (gemeinsam mit einem weiteren Referatsleiter) den Entwurf des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes verfasst als auch unter anderem die Beratungen des Entwurfs im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags begleitet. Aus objektiver Sicht können Verfahrensbeteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände deshalb Grund zu Zweifeln haben, ob die Richterin bei der Entscheidung unvoreingenommen ist (vgl. zur Mitwirkung eines Referatsleiters in einem Landesjustizministerium an einem Entwurf gesetzlicher Regelungen auch: Sächsisches OVG vom 12.5.2011 – 2 A 540/09 – juris Rn. 3). Dass der Antragsteller keine Bedenken gegen die Mitwirkung der Richterin geäußert hat, steht dem nicht entgegen (vgl. VerfGH vom 19.12.2007 – Vf. 17-VII-06 – amtl. Umdruck S. 4).


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