Steuerrecht

Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, Beihilfe, künstliche Befruchtung nach der ICSI-Methode, Kostenverteilung nach dem Körperprinzip, Verhältnis von Beihilfe und gesetzlicher Krankenversicherung

Aktenzeichen  W 1 K 21.750

Datum:
31.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54031
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48
BayBG Art. 96
BayBhV § 43
SGB V § 27a
GG Art. 33 Abs. 5
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 24.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da dieser keinen Anspruch auf die zunächst gewährte Beihilfe hat und sich der Rückforderungsbescheid auch im Übrigen als rechtmäßig erweist. § 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Hinsichtlich der maßgeblichen Sach- und Rechtslage in Beihilfestreitigkeiten ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen abzustellen (st.Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 6.11.2014 – 5 C 7. 14 – juris; U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – juris, jeweils m.w.N.). Anwendbar ist deshalb, ausgehend von der Maßgeblichkeit des Datums der Rechnungsstellungen, die BayBhV in der Fassung vom 1. Januar 2019.
1. Rechtsgrundlage für die zwischen den Beteiligten streitige Aufhebung der Beihilfebescheide vom 04.03.2020 und vom 11.08.2020 ist Art. 48 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter den im Folgenden geregelten Einschränkungen zurückgenommen werden kann.
1.1 Die tatbestandliche Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG hat entgegen der Rechtsauffassung des Klägers vorgelegen. Bei der gebotenen objektiven Beurteilung (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, RdNrn. 50, 51 ff. zu § 48 m.w.N.) sind mit den Rechnungen der M1. A1. GmbH vom 08.11.2019 (Betrag 39,97 €), der M2. A2. GmbH vom 06.02.2020 (Betrag 89,40 €), des Zentrums für Reproduktionsmedizin vom 24.02.2020 (Betrag 3.544,62 €) sowie des Zentrums für Reproduktionsmedizin vom 23.07.2020 (Betrag 1.966,90 €) Leistungen abgerechnet worden, für die ein Beihilfeanspruch des Klägers nach der in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 und 3 BayBhV normierten Kostenverteilung nach dem Körperprinzip ausgeschlossen ist. Hinsichtlich der Rechnung der ECB K. GmbH vom 13.02.2020 (Betrag 208,61 €) für die Lagergebühr Samen entfällt die Beihilfefähigkeit mangels nachgewiesener medizinischer Notwendigkeit.
Beihilfeberechtigten im Sinne von Art. 96 Abs. 1 Satz 1 BayBG werden gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG Beihilfeleistungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge nach Maßgabe der aufgrund von Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG erlassenen Rechtsverordnung, der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV) gewährt, sofern die Aufwendungen nachgewiesen medizinisch notwendig und angemessen sind. Die BayBhV sieht in § 7 Abs. 1 vor, dass Aufwendungen erstattet werden, die dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1) und der Höhe nach angemessen sind (Nr. 2) und die Beihilfe nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
Gemäß § 43 BayBhV sind Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung einschließlich der im Zusammenhang damit verordneten Arzneimittel zu 50 v.H. beihilfefähig, wenn auf Grund eines Behandlungsplans die Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind (Nr.1), eine hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahme eine Schwangerschaft herbeigeführt wird (Nr. 2), die Person, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind (Nr. 3) und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (Nr. 4). Zudem sind die Aufwendungen nur beihilfefähig für Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben (§ 43 Abs. 1 Satz 2 BayBhV), sofern die Frau das 40. Lebensjahr und der Mann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 43 Abs. 1 Satz 3 BayBhV).
Unstreitig sind vorliegend diese Voraussetzungen erfüllt, sodass die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung grundsätzlich zu 50 v.H. beihilfefähig sind. Soweit in den Beihilfebescheiden vom 04.03.2020 und vom 11.08.2020 die hier inmitten stehenden Rechnungsposten zu jeweils 100 v.H. als beihilfefähigen Kosten anerkannt wurden, widersprach dies daher bereits der Regelung des § 43 Abs. 1 S. 1 BayBhV. Hinsichtlich der Anerkennung der Rechnung vom 13.02.2020 ist eine medizinische Notwendigkeit (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayBhV) der Lagerung des Samens weder nachgewiesen noch sonst erkennbar.
Im Übrigen widersprach die Anerkennung der Rechnungen vom 08.11.2019, 08.01.2020, 24.02.2020, und vom 23.07.2020 dem Körperprinzip.
Gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 BayBhV erfolgt die Zuordnung der Kosten zu den jeweiligen Ehepartnern nach der Person, anlässlich deren Beratung und Behandlung die Kosten entstehen. Demnach werden gem. § 43 Abs. 2 Satz 3 BayBhV dem Ehemann zugeordnet die Kosten für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Gewinnung, Untersuchung und Aufbereitung, gegebenenfalls einschließlich der Kapazitation der männlichen Samens, für die in Nr. 12.1 der Richtlinie über künstliche Befruchtung genannten Laboruntersuchungen des Ehemannes sowie für die Beratung des Ehepaares nach Nr. 16 der Richtlinien über künstliche Befruchtungen und die gegebenenfalls in diesem Zusammenhang erfolgende humangenetische Beratung. Der Ehefrau hingegen werden die Aufwendungen für die Beratung des Ehepaares nach Nr. 14 der Richtlinie über künstliche Befruchtungen zugeordnet, sowie die Aufwendungen für die in Nr. 12.1 der Richtlinie über künstlichen Befruchtungen genannten Laboruntersuchungen der Ehefrau und für die extrakorporalen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Eizellen und Samenzellen. Diese Zuordnung deckt sich mit der in Nr. 3 der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung („Richtlinie über künstliche Befruchtung“) in der Fassung vom 14. August 1990, zuletzt geändert am 16. März 2017, vorgenommenen Zuordnung.
Es gilt somit das sogenannte Körperprinzip. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, bei welchem Ehepartner die Ursache für die Kinderlosigkeit liegt (vgl. zu vorangegangenen Fassungen der BayBhV, welche auf Nr. 3 der Richtlinie zur künstlichen Befruchtung verwiesen: VG Ansbach, U.v. 14.4.2010 – AN 15 K 09.02255 – juris Rn. 24, U.v. 19.11.2008 – AN 15 K 08.01410 – juris Rn. 20; VG München, U.v. 27.7.2017 – M 17 K 17.1209 -, Rn. 26, juris). Die Gesamtkosten einer Behandlung zur künstlichen Befruchtung sind danach regelmäßig auf zwei Personen und die für diese jeweils zuständigen „Kassen“ aufzuteilen (zu § 43 BBhV: BayVGH, U.v. 15.11.2019 – 14 B 18.1583; vgl. zu § 6 Abs. 1 Nr. 13 BhV: BVerwG, U.v. 24.2.2011- 2 C 40.09).
Unter Anwendung des in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 und 3 BayBhV normierten Körperprinzips waren die mit den Rechnungen des Zentrums für Reproduktionsmedizin vom 24.02.2020 und vom 23.07.2020 abgerechneten Aufwendungen (Ziffer A4873M2: Chromosomenanalyse, mikroskopische Isolierung, Aufnahme einzelnes Spermium sowie Punktion einer M2-Oozyte unter Mikrokulturbedingungen; Ziffer A 1114SI: Insemination) als extrakorporale Maßnahmen im Zusammenhang der Zusammenführung von Eizelle und Samenzelle der Ehefrau des Klägers und nicht dem Kläger selbst zuzuordnen. Bei den Aufwendungen, die mit Rechnungen vom 08.11.2019 und vom 06.02.2020 abgerechnet wurden, ergibt sich dies bereits aus der Rechnung selbst.
Bei der künstlichen Befruchtung nach der ICSI-Methode (intracytoplasmatische Spermieninjektion) handelt es sich um eine spezielle Methode der In-Vitro-Fertilisation. Dabei erfolgt zunächst wie bei einer gewöhnlichen In-Vitro-Fertilisation (IVF) eine Eizellen- und Spermienentnahme. Die Besonderheit gegenüber der konventionellen IVF-Methode besteht darin, dass das Sperma nicht zur Eizelle in die Petrischale gegeben wird, sondern unter dem Mikroskop mittels einer speziellen Glaskanüle ein einzelnes Spermium direkt in das Cytoplasma der Eizelle injiziert wird. Danach werden die Eizellen in den Brutschrank gegeben. Kam es zu einer erfolgreichen Befruchtung, erfolgt wie bei der herkömmlichen IVF der Embryonentransfer in die Gebärmutter der Frau. Die vorliegend in Streit stehenden Gebührenziffern A 4873M2 und A 1114SI erfassen gerade jene besonderen Arbeitsschritte der ICSI-Methode.
Bei den Maßnahmen nach GOÄ 4873 analog und 1114 analog handelt es sich weder um eine Maßnahme im Zusammenhang mit der Gewinnung, Untersuchung und Aufbereitung, gegebenenfalls einschließlich der Kapazitation des männlichen Samens nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 a) BayBhV, noch um eine der in Nr. 12.1. der Richtlinie über künstliche Befruchtung genannten Laboruntersuchungen des Ehemanns nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 b) BayBhV oder eine Beratung nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 c). Vielmehr handelt es sich dabei um extrakorporale Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Eizelle und Samenzelle, die gem. § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 c) der Ehefrau zuzuordnen sind. Hinsichtlich der GOÄ-Ziffer 1114 ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung „Insemination einer Ooyzyte durch Spermieninjektion“. Der Begriff „Insemination“ steht für die Übertragung des männlichen Samens in die Eizelle. Mit der Analogberechnung der GOÄ-Ziffer 1114 wird daher gebührenrechtlich unmittelbar das Zusammenbringen von Samen und Eizelle beschrieben. Diese Maßnahme ist von § 43 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c) BayBhV umfasst und als extrakorporale Maßnahme im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Eizelle und Samenzelle eindeutig der Ehefrau zuzuordnen. Aber auch bei den mit GOÄ-Ziffer A 4873 beschriebenen Behandlungsschritten handelt es sich um Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Eizellen und Samenzellen. Sie stellen unmittelbare Vorbereitungshandlungen auf das Einbringen des Spermiums in die Eizelle dar. Die Punktion der M2 Oozyte einschließlich der Vorbehandlung des Follikelpuktats und der Entfernung des Eizellkumulus dient der Vorbereitung der weiblichen Eizelle auf die Insemination. Aber auch die Aufnahme eines einzelnen Spermiums mit einer speziellen Glaskanüle stellt keine Maßnahme der Untersuchung und Aufbereitung des Spermas im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 a) BayBhV mehr dar (so auch VG München, U.v. 21.5.2015 – M 17 K 15.751 – juris, Rn. 37 f.). Letztere Maßnahmen umfassen vor allem die qualitative Aufbereitung des Spermas einschließlich der Kapazitation, einem speziellen biochemischen Umbauprozess, der dem Spermium das Eindringen in die Eizelle ermöglicht. Das Aufnehmen eines einzelnen Spermiums dient jedoch bereits unmittelbar dessen folgender Injektion in die Eizelle, ohne dass hierfür noch weitere Zwischenschritte erforderlich wären. Diese Maßnahme ist daher nach Art. 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 c) BayBhV ebenfalls der Ehefrau des Klägers zuzuordnen (so schon VG Würzburg, U.v. 22.07.2021 – W 1 K 20.1354).
1.2 Die Beihilfegewährung zu den Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach diesem anwendungsbezogenen sogenannten Körperprinzip sind mit höherrangigem Recht vereinbar (BVerwG, U.v. 24.2.2011 – 2 C 40/09 – juris, Rn. 10).
Die Aufteilung der Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach dem sogenannten Körperprinzip verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Dass bei einem Zusammentreffen nicht aufeinander abgestimmter Beihilfe- bzw. Versicherungssysteme Deckungslücken verbleiben können, ist als Folge der dem Normgeber des Beihilferechts zustehenden Befugnis, typisierende Vorschriften zu erlassen, hinzunehmen. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung gibt es nur innerhalb des jeweiligen Sicherungssystems. Überdies stellt die Übernahme des Modells der gesetzlichen Krankenversicherung in der Mehrzahl der Fälle Regelungsgleichheit her.
Auch die Fürsorgepflicht, welche als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlichen Schutz genießt, wird durch die Kostenverteilung nach dem Körperprinzip nicht verletzt. Die Fürsorgepflicht verlangt nicht, dass Aufwendungen stets vollständig durch eine beihilfekonforme Krankenversicherung oder ergänzende Beihilfe gedeckt werden oder dass die nicht beihilfefähigen Kosten in jedem Fall in vollem Umfang versicherbar sind (BVerwG, U.v., 24.2.2011 – 2 C 40/09 – juris, Rn. 14).
Auch Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG sind nicht verletzt, da der staatlichen Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie kein Anspruch entnommen werden kann, die Entstehung einer Familie durch Übernahme der Aufwendungen für künstliche Befruchtungen zu fördern. Nichts anderes gilt im Hinblick auf das beamtenrechtliche Dienst- und Treueverhältnis und die darin begründete Fürsorgepflicht des Dienstherrn, weil der Bereich der Lebens- und Familienplanung davon nicht erfasst wird (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2011 – 2 C 40/09 – juris Rn. 10 ff.; BayVGH, U.v. 29.3.2010 – 14 B 08.3188 – juris Rn. 17 ff.; VG Ansbach, U.v. 14.4.2010 – AN 15 K 09.02255 – juris Rn. 25 ff.; VG München, U.v. 27.7.2017 – M 17 K 17.1209 -, Rn. 36 – 38, juris).
1.3 Der Kläger hat auch keinen weitergehenden Beihilfeanspruch für seine berücksichtigungsfähige Ehefrau nach Art. 96 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Zwar kann der Kläger als beihilfeberechtigter Beamter grundsätzlich auch für Aufwendungen, die seinem Ehegatten entstanden sind, Beihilfe erhalten, wenn dessen Gesamtbetrag der Einkünfte im zweiten Kalenderjahr vor Stellung des Beihilfeantrags 20.000,00 EUR nicht übersteigt. Unabhängig davon, ob dies hier der Fall ist, ist ein Beihilfeanspruch vorliegend indes nach Art. 96 Abs. 2 Satz 3 BayBG ausgeschlossen.
Nach Art. 96 Abs. 2 Satz 3 BayBG erfolgt keine zusätzliche Gewährung von Beihilfeleistungen, wenn die finanziellen Folgen von Krankheit, Geburt, Pflege und Gesundheitsvorsorge durch Leistungen aus anderen Sicherungssystemen dem Grunde nach abgesichert sind. Wer auf Grund anderweitiger Vorschriften einen Anspruch darauf hat, dass ein krankheitsbedingter Mehrbedarf durch Sach- oder Dienstleistungen grundsätzlich vollständig abgedeckt wird, soll wegen seines Verzichts auf diese Leistungen im System der Beihilfe nicht besser gestellt werden. Gleichzeitig werden die verschiedenen Krankenversorgungssysteme gegeneinander abgegrenzt. Es wird aus Gründen der Systemtrennung ausgeschlossen, dass Aufwendungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers in dem einen Leistungssystem aus Gründen der Kostendämpfung und Eigenbeteiligung von einem dem Grunde nach Berechtigten getragen werden sollen, auf ein anderes Leistungssystem, nämlich die Beihilfe übergewälzt werden.
Die Ehefrau des Klägers ist Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (…). Die gesetzliche Krankenversicherung stellt ein solches anderes Sicherungssystem im Sinne des Art. 96 Abs. 2 Satz 3 BayBG dar, das nach § 27a Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB V eine Absicherung der Ehefrau des Klägers für die bei ihr durch eine künstliche Befruchtung entstehenden Aufwendungen dem Grunde nach vorsieht. Dem kann der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Krankenkasse habe unter Zuordnung der Aufwendungen für die ICSI-Methode zum Kläger Leistungen für seine Frau aus der gesetzlichen Krankenversicherung abgelehnt. Die Ehefrau des Klägers hat, wie oben bereits dargelegt, als gesetzlich Versicherte einen Anspruch nicht nur auf Maßnahmen, die an ihrem Körper erforderlich sind, sondern darüber hinaus auch auf extrakorporale Maßnahmen, unabhängig davon, bei welchem Ehegatten die Unfruchtbarkeit vorliegt (VG Ansbach, U.v. 14.4.2010 – AN 15 K 09.02255 – juris, Rn. 19 ff.).
1.4 Schließlich ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Beihilfegewährung auch nicht aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht, die die ebenfalls durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn ergänzt bzw. § 49 Abs. 2 BayBhV.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – juris Rn. 19 ff.; U.v. 24.1.2012 – 2 C 24/10 – juris) erstreckt sich die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Pflicht des Dienstherrn zur Sicherstellung des amtsangemessenen Lebensunterhalts auf Lebenslagen, die einen erhöhten Bedarf begründen. Die verfassungsrechtliche Alimentations- bzw. Fürsorgepflicht gebietet dem Dienstherrn, Vorkehrungen zu treffen, dass die notwendigen und angemessenen Maßnahmen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt und Tod nicht aus wirtschaftlichen Gründen unterbleiben, weil sie der Beamte mit der Regelalimentation so nicht bewältigen kann, und dass der amtsangemessene Lebensunterhalt wegen der finanziellen Belastungen in diesen Ausnahmesituationen nicht gefährdet wird. Sind die Dienst- und Versorgungsbezüge so bemessen, dass sie eine zumutbare Eigenvorsorge nur im Hinblick auf einen Teil der durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt und Tod begründeten Belastungen ermöglichen, so hat der Dienstherr zusätzliche Vorkehrungen zu treffen, damit der Beamte die Belastungen, die den Umfang der Eigenvorsorge überschreiten, ebenfalls tragen kann. Wenn sich der Dienstherr für ein Mischsystem aus Eigenleistungen des Beamten und Beihilfen entscheidet, muss gewährleistet sein, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht abzusichern vermag. Die Fürsorgepflicht verlangt aber nicht, dass Aufwendungen in Krankheits- bzw. Pflegefällen durch ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden oder dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 2 C 127/07 – juris Rn. 8,12; U.v. 10.6.1999 – 2 C 29/98 – juris Rn. 22 f.). Der Beamte muss wegen des ergänzenden Charakters der Beihilfe auch Härten und Nachteile hinnehmen, die sich aus der am Alimentationsgrundsatz orientierten pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht ergeben und keine unzumutbare Belastung bedeuten (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2007 – 14 ZB 06.2911 – juris Rn. 13 m.w.N.; VG München, U.v. 27. 7.2017 – M 17 K 17.1209 -, Rn. 40 – 42, juris).
Abgesehen davon, dass Aufwendungen im Rahmen der Familienplanung nicht von der Fürsorgepflicht erfasst werden, sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger durch den Umstand, dass er die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung nicht vollständig erstattet bekommt, in seiner angemessenen Lebensführung beeinträchtigt und unzumutbar belastet wäre. Zudem hat die Krankenkasse der Ehefrau Leistungen für die in Streit stehenden Maßnahmen zu erbringen.
2. Der teilweisen und der Höhe nach im Ergebnis auf 2.744,98 € begrenzten Rücknahme der Beihilfebescheide vom 04.03.2020 und 11.08.2020 steht Art. 48 Abs. 1 S. 2 BayVwVfG nicht entgegen, da die Einschränkungen des Absatzes 2 gegeben sind.
Auf Vertrauensschutz, der grundsätzlich nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG einer Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte entgegensteht, kann sich der Kläger nicht berufen, denn er wird im vorliegenden Fall durch Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 BayVwVfG ausgeschlossen.
Die Voraussetzungen von Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 BayVwVfG sind gegeben, weil dem Kläger mit Schreiben des Landesamtes für Finanzen vom 18.02.2020 die Voraussetzungen für die Gewährung von Beihilfe für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Einzelnen dargelegt und erläutert wurden. Diese Erläuterungen enthielten sowohl einen Hinweis darauf, dass die Aufwendungen grundsätzlich nur zu 50 v.H. beihilfefähig sind (und auch den Hinweis auf die dann noch zu erfolgende Multiplikation mit dem persönlichen Beihilfesatz), als auch auf die nicht-Beihilfefähigkeit der Kyrokonservierung (hier der Samenzellen) sowie den Hinweis auf das Köperprinzip, wobei nochmals durch Unterstreichung darauf hingewiesen wurden, dass nur für die beim Kläger selbst entstandenen Aufwendungen für drei in Folge geplante Zyklen genehmigt würden. Damit kann sich der Kläger gerade nicht auf Unkenntnis und Unverständnis der Regelungen berufen, wie dies im Klageverfahren versucht wurde. Soweit das Schreiben des Landesamtes vom 18.02.2020 für den Kläger nicht verständlich gewesen sein sollte, wäre eine Unkenntnis zudem grob fahrlässig, weil es dann seine Obliegenheit gewesen wäre, sich etwa durch Nachfragen Gewissheit zu verschaffen. Die grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen wird insbesondere auch nicht dadurch beseitigt, dass der Kläger von einer sorgfältigen Sachprüfung vor Erlass der Bescheid ausgehen konnte; insbesondere im Massengeschäft der Beihilfebewilligung kommt es nach Erfahrungen des Gerichts immer wieder zu unzutreffenden Bewilligungen. Es existiert dagegen kein Erfahrungssatz dahingehend, dass Bewilligungen schon deshalb rechtmäßig seien, weil sie mit sogenannten Hinweisziffern versehen sind.
3. Im Rahmen der Rückforderung war gemäß Art. 15 Abs. 2 S. 2 BayBesG eine Billigkeitsentscheidung zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Billigkeitsentscheidung notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung. Sie hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Die Billigkeitsentscheidung soll der besonderen Lage des Einzelfalls Rechnung tragen, wobei die Frage von besonderer Bedeutung ist, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Im Rahmen des konkreten Rückforderungsbegehrens sind die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners zu berücksichtigen, wobei es entscheidend auf die Lage des Beamten im Zeitpunkt der Rückabwicklung ankommt. Da die Billigkeitsentscheidung den Rückzahlungsanspruch modifiziert, kann Gegenstand der Billigkeitsentscheidung auch die Höhe der Rückforderung bei Vorliegen besonderer, in der Person des Rückzahlungspflichtigen liegender Umstände sein (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.2005 – 2 B 2.05 – juris Rn. 10 m.w.N. zum gleichlautenden § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG). Neben dem vollständigen oder teilweisen Absehen von der Rückzahlung kommen die Stundung der Rückzahlungsforderung oder die Einräumung von Ratenzahlungen in Betracht. Vor der Billigkeitsentscheidung steht lediglich die Höhe der Überzahlung fest, nicht aber, ob, in welcher Höhe und mit welchen Modalitäten diese Überzahlung auch einen Rückforderungsanspruch begründet (vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 25.09.2017 – 14 CS 15.1273 – juris-Rn. 12).
Die Billigkeitsentscheidung des Landesamts für Finanzen, in Höhe von 10 v.H. von einer Rückforderung abzusehen, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist vorliegend schon deshalb keine überwiegende behördliche Verantwortung für die fehlerhafte Bewilligung der Beihilfe erkennbar, weil diese auf Anträgen des Klägers beruhte, mit denen dieser erkennbar nicht beihilfefähige Aufwendungen geltend machte. Ein Belassen von 10 v.H. der zu Unrecht bewilligten Beihilfe ist damit nicht zu beanstanden, zumal besondere Umstände, die eine weitere Ermäßigung des Rückforderungsbetrages erfordern, weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich sind.
4. Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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