Steuerrecht

Einspruchsentscheidung, Bundesfinanzhof, Befähigung zum Richteramt, Eingangsstempel, Prozeßbevollmächtigter, Steuerbevollmächtigte, Familienkasse

Aktenzeichen  7 K 1691/15

Datum:
1.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 94487
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld für seine beiden Töchter in voller Höhe nach deutschem Recht zusteht.
Der Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger. Seine beiden Töchter, geboren am leben zusammen mit der Ehefrau des Klägers in Bulgarien. Am 10. September 2014 beantragte der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger Kindergeld ab Juli 2012 für seine Töchter. Dem Antrag waren verschiedene Unterlagen beigefügt. Auf Anfrage der Familienkasse mit Schreiben vom 14. Oktober 2014 teilte der Kläger mit, dass seine Ehefrau bis zum 30. Juni 2008 Kindergeldleistungen bezogen habe, seitdem seien keine Familienleistungen beantragt worden, da das Familieneinkommen die Höchstgrenze zur Gewährung von Familienleistungen in Bulgarien überschritten habe.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 setzte die Familienkasse für den Zeitraum Juli 2012 bis September 2014 Differenzkindergeld in Höhe von 8.969,67 € fest. Ebenfalls mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 setzte die Familienkasse ab Oktober 2014 Differenzkindergeld in Höhe von 332,21 € fest. Den dagegen am 17. Dezember 2014 eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass ihm Kindergeld nach deutschem Recht in voller Höhe zustehe. Da ihm in Bulgarien keine Familienleistungen zustünden, habe er von einer entsprechenden Antragstellung abgesehen. Mit Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2015, die mit einem Absendevermerk ebenfalls vom 21. Mai 2015 versehen und an den rechtlichen Vertreter des Klägers adressiert war, wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück.
Die dagegen gerichtete Klage ging beim Finanzgericht mit Telefax vom 29. Juni 2015 um 18.31 Uhr ein. Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass die Familienkasse zu Unrecht lediglich Differenzkindergeld festgesetzt habe. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeldleistungen in Bulgarien, da das Familieneinkommen seit dem Jahr 2011 die maßgeblichen Grenzen übersteige. Das Einkommen für das Jahr 2013 habe er anhand der Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2013 vom 12. März 2015 nachgewiesen, aus dem sich ein zu versteuerndes Einkommen von 7.197 € ergebe. Die Unterlagen für die Jahre 2012 und 2013 könnten wegen des Verschuldens der zuständigen bulgarischen Behörden nicht vorgelegt werden.
Mit Klageerhebung sei versehentlich der Zugang der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2015 am 29. Mai 2015 behauptet worden. Tatsächlich habe er die Einspruchsentscheidung bereits am 27. Mai 2015 erhalten wie sich auch aus dem elektronisch geführten Posteingangsbuch des Klägervertreters ergebe. Da das Fristende im Terminkalender richtigerweise zum 29. Mai 2015 eingetragen worden sei, sei er von einem Zugang zum gleichen Tage ausgegangen. Die Klagefrist habe am 28. Mai 2015 begonnen und am 29. Mai (wohl Juni) 2015 geendet, da der 27. Mai (wohl Juni) 2015 auf einen Samstag fiel. Er habe über keinen Eingangsstempel verfügt. Er erfasse seinen täglichen Posteingang persönlich ohne Bürohilfe in digitaler Form und ordne sie in der Aktenverwaltungssoftware der jeweiligen Akte zu. Nach der Eingabe lasse sich das Zustelldatum nicht mehr verändern.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 12. Dezember 2014 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2015 dahingehend zu ändern, dass deutsches Kindergeld in voller Höhe für seine Töchter ab Juli 2012 festgesetzt wird.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung trägt sie vor, dass die Klage verspätet erhoben worden ist. Darüber hinaus habe der Kläger weder Bescheinigungen der bulgarischen Behörden noch sonstige Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ihn die Höhe seines Einkommens nicht zum Bezug bulgarischer Familienleistungen berechtige. Das im Jahr 2013 erzielte zu versteuernde Einkommen von 7.197 € liege unterhalb der bulgarischen Einkommensgrenze von circa 8.592 €.
Mit gerichtlicher Anordnung vom 14. Oktober 2015 wurde der Kläger gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, für die Jahre 2011 bis einschließlich 2013 die Höhe des Familieneinkommens, d.h. einschließlich etwaiger Einkünfte der Ehefrau anhand geeigneter Beweismittel darzulegen. Hierfür wurde dem Kläger eine Frist mit ausschließender Wirkung bis 31. Dezember 2015 gesetzt. Auf die hierzu eingereichte Stellungnahme vom 21. Dezember 2015 wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Familienkasse, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst der vom Kläger vorgelegten Anlagen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage wurde erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben und ist unzulässig.
Gemäß § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung (AO) bei einer Übermittlung im Inland grundsätzlich am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Fällt dieser 3. Tag auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist gemäß § 108 Abs. 3 AO erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 19. November 2009 IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818). Im Streitfall gilt die Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2015 (Donnerstag), an deren Absendung keine Zweifel bestehen, gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wegen des Sonntags bzw. gesetzlichen Feiertags (Pfingstsonntag und -montag) als am Dienstag, den 26. Mai 2015 bekanntgegeben. Die einmonatige Klagefrist begann mit dem Tage der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) und endete gemäß §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Zivilprozessordnung (ZPO), 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Ablauf des 26. Juni 2015 (Freitag). Die Klage ging jedoch erst am 29. Juni 2015 und damit verspätet ein.
Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist es nicht gelungen, die gesetzliche Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zu entkräften. Diese Vermutung greift dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang zu beweisen. Um die Beweislast der Behörde zu begründen, muss der Steuerpflichtige nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch substan-tiierte Erklärungen darlegen, dass er nicht rechtzeitig in den Besitz des Bescheides gekommen ist (vgl. BFH vom 14. Februar 2012 V S 1/12 (PKH), BFH/NV 2012, 979 m.w.N.). Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische – Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post – ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Es genügt danach nicht schon ein einfaches Bestreiten, um die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zu entkräften. Es müssen vielmehr nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen Zweifel am Zugangszeitpunkt bestehen (BFH vom 6. Juli 2011 III S 4/11 (Pkh), BFH/NV 2011, 1717). Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist reicht ein abweichender Eingangsvermerk allein nicht aus (BFH-Beschluss vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115, m.w.N.).
Im Streitfall liegen keine Umstände vor, nach denen ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Insbesondere reicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein abweichender Eingangsvermerk allein nicht aus (BFH-Beschluss vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115, m.w.N.). Die vom Klägervertreter vorgelegte Seite des von ihm selbst geführten digitalen Posteingangsbuchs ist nicht geeignet, die widersprüchlichen Angaben über den tatsächlichen Zugang der Einspruchsentscheidung zu klären. Dieser Vortrag genügt nicht, um den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist (vgl. die Ausführungen im BFH-Beschluss vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115).
Auch eine als mögliche anwaltliche Versicherung zu wertende Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers genügt zur Glaubhaftmachung des Zugangszeitpunkts eines Verwaltungsaktes nicht, wenn objektive Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten (s. BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 2003 VI B 95/03, BFH/NV 2004, 219; vom 13. Oktober 2005 IV B 21/05, BFH/NV 2006, 328). Im Streitfall wurde jedoch weder der betreffende Briefumschlag vorgelegt noch die Einspruchsentscheidung mit Eingangsstempel vorgelegt. Insbesondere hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er im Mai 2015 nicht über einen Eingangsstempel verfügt hat. Zudem wurden zwei unterschiedliche Zugangsdaten genannt (vgl. Klageschrift und Schreiben des Klägervertreters vom 9. Februar 2016).
2. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist kommt vorliegend nicht in Betracht. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung der im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen, vgl. § 56 Abs. 2 FGO.
Im Streitfall scheidet eine Wiedereinsetzung schon deswegen aus, weil der Kläger an der Einhaltung der Klagefrist nicht ohne Verschulden gehindert war. Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, handelt regelmäßig schuldhaft, wer Rechtsmittelbe lehrungen nicht beachtet (BFH-Beschluss vom 29. März 2007 VIII B 52/06, BFH/NV 2007, 1515). Der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2015 war eine verständliche Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt, wonach gegen die Entscheidung Klage erhoben werden kann. Bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, den zutreffenden Rechtsbehelf fristgerecht einzulegen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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