Aktenzeichen 22 ZB 16.1884
Leitsatz
1. Ein Gewerbetreibender ist gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 14). Die Begehung von Straftaten in unmittelbarer Ausführung eines angemeldeten Gewerbes (hier: Eingehungsbetrug) lässt einen derartigen Schluss zu (vgl. zum Prüfungsumfang bei gewerbebezogenen Straftaten auch VGH München BeckRS 2016, 50123). (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage einer (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 15); nachträgliche Veränderungen der Sachlage können nur im Rahmes eines Antrags auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden (vgl. auch VGH München BeckRS 2016, 54943). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 4 K 16.357 2016-08-24 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung „aller dem Anwendungsbereich des § 35 GewO“ unterliegenden Gewerbe durch Bescheid des Landratsamtes N. Land vom 3. Februar 2016. Sie hatte am 2. Juni 2004 die selbstständige gewerbliche Tätigkeit „Groß- und Einzelhandel“ mit näher bezeichneten Artikeln angemeldet. Das Landratsamt stützte die Einschätzung der Klägerin als gewerberechtlich unzuverlässig (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GewO) insbesondere darauf, dass sie ihren steuerrechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten nicht ordnungsgemäß nachkomme. Ein weiteres Indiz für die Unzuverlässigkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass die Klägerin zweimal wegen Betrugs, in einem Fall zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr, verurteilt worden sei und diese Straftaten jeweils in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit begangen habe. Mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 12. August 2013 wurde die Klägerin wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 75 Tagessätzen verurteilt. In einem weiteren Urteil dieses Gerichts vom 10. Juni 2015 wurde die Klägerin des Betrugs in 16 Fällen für schuldig befunden und eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Den abgeurteilten Fällen lag nach den strafgerichtlichen Feststellungen jeweils zugrunde, dass die Klägerin auf ihrer Internetplattform vorgetäuscht hat, willens und in der Lage zu sein, bestimmte Gegenstände zu liefern. Nach entsprechenden Bestellungen und Zahlungseingängen lieferte die Klägerin die bestellten Waren jedoch entsprechend ihrer vorgefassten Absicht nicht aus.
Mit Urteil vom 24. August 2016 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 3. Februar 2016 ab.
Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung der Klägerin (vgl. zur deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 VwGO erfüllt sind.
1. Die Klägerin hat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) dargelegt, soweit sie in der Antragsbegründung vom 2. November 2016 ausführt, in den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den von ihr begangenen Betrugsdelikten werde in unzutreffender Weise auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg (U. v. 13.3.2014 – Au 5 K 13.1298) Bezug genommen. Der vom Verwaltungsgericht Augsburg in dieser Entscheidung beurteilte Sachverhalt habe sehr viel gewichtigere Straftaten betroffen, die zudem über einen deutlich längeren Zeitraum hinweg verübt worden seien. Im Falle der Klägerin handele es sich „lediglich“ um 20 Betrugstaten im Zeitraum vom 12. August 2013 bis 10. Juni 2015. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung zudem zu Unrecht das geringe Verschulden der Klägerin bei der Tatbegehung und ihr stetiges Bemühen um eine ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung (z. B. durch die Rückerstattung von Zahlungen, Bemühung um anderweitige Warenbeschaffung) unberücksichtigt gelassen. Diese Rügen stellen die Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils nicht in Frage.
Im angefochtenen Urteil wird auf die vorgenannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg bereits nicht zur Beurteilung der Frage Bezug genommen, ob die von der Klägerin begangenen Betrugstaten für eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit sprechen. Vielmehr wird diese Entscheidung lediglich im Zusammenhang mit der Überlegung erwähnt, dass die Strafaussetzung zur Bewährung die gewerberechtliche Unzuverlässigkeitsprognose nicht entkräften kann (UA S. 9 unten).
Vor allem jedoch beruht eine solche Prognose stets auf einer Beurteilung der Umstände des Einzelfalls. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – BVerwGE 152, 39 Rn. 14) ist hierbei maßgeblich, ob der betreffende Gewerbetreibende nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Ein schematischer Vergleich mit der Unzuverlässigkeitsprognose in anderen Fällen, wie ihn die Klägerin nahelegt, ist bereits aus diesem Grund nicht möglich.
Die Beurteilung der Klägerin als gewerberechtlich unzuverlässig hat das Verwaltungsgericht (UA S. 9) im Hinblick auf die begangenen Betrugstaten als gerechtfertigt angesehen, weil durch diese eine Gesinnung zum Ausdruck komme, die mit der ordnungsgemäßen Ausübung eines Gewerbes nicht in Einklang zu bringen sei, zumal diese Straftaten in unmittelbarer Ausführung des von der Klägerin angemeldeten Gewerbes begangen worden seien. Entscheidend seien in diesem Zusammenhang die hohe Anzahl der Geschädigten sowie die Tatsache, dass die Klägerin auch nach der ersten strafrechtlichen Verurteilung an ihrem Fehlverhalten festgehalten habe. Die Klägerin hat nicht in Zweifel gezogen, dass das Landratsamt und das Verwaltungsgericht berechtigt waren, die strafgerichtlichen Feststellungen bei ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, weshalb dies ausnahmsweise unzulässig gewesen wäre, etwa wegen Vorliegens eines Wiederaufnahmegrunds (§ 359 StPO) für das strafgerichtliche Verfahren (vgl. BayVGH, 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 – Rn. 28 m. w. N.). Weiter hat die Klägerin nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Bewertung der Sachverhalte, die den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrunde lagen, die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) überschritten hätte (vgl. dazu BayVGH, B. v. 14.3.2013 – 22 ZB 13.103 u. a. – Rn. 11 m. w. N. u. B. v. 6.10.2014 – 22 ZB 14.1079 – Rn. 21). Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung des Beweisergebnisses rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (BayVGH a. a. O. und B. v. 20.5.2015 – 22 ZB 14.2827 – juris, Rn. 19, m. w. N.). Dass die Beweiswürdigung objektiv willkürlich gewesen wäre, gegen die Denkgesetze verstoßen oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet hätte (vgl. BayVGH. B. v. 14.3.2013, a. a. O.), zeigt die Klägerin nicht auf.
Im Übrigen sind die Darlegungen der Klägerin auch tatsächlich unzutreffend. Dem Strafurteil des Amtsgerichts H. vom 12. August 2013 lagen vier Betrugstaten im Zeitraum vom 30. Juni 2012 bis 1. März 2013 zugrunde, dem Strafurteil desselben Gerichts vom 10. Juni 2015 insgesamt 16 Betrugstaten, deren Begehung in die Zeit vom 8. September 2013 bis 26. Februar 2015 fiel. Auch ist gerade im Hinblick auf die Fortsetzung der Tatbegehung nach der erstmaligen Verurteilung nicht nachvollziehbar, woraus sich ein Bemühen der Klägerin um eine ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung ergeben würde. Sie war selbst nach dieser ersten Verurteilung offensichtlich entweder nicht in der Lage oder nicht willens, ihre bisherige Geschäftspraxis zu beenden. Bloße „Bemühungen“ der Klägerin um eine ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung wären zudem gegebenenfalls für die Zuverlässigkeitsprognose unerheblich, solange nicht auch durch nachvollziehbare Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass dadurch die bisher aufgetretenen Pflichtverletzungen künftig unterbleiben.
Weiter ergeben sich keine Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils, soweit die Klägerin vorträgt, zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass die verzögerte Steuerzahlung auf wirtschaftlichen Schwierigkeiten beruht habe, welche die Klägerin nach Erlass der strittigen Gewerbeuntersagung in den Griff bekommen habe; über einen längeren Zeitraum hinweg seien die Steuerrückstände zurückgeführt und ausstehende Steuererklärungen abgegeben worden.
Da der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z. B. U. v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – GewArch 2015, 366/367; B. v. 14.5.1997 – 1 B 93/97 – GewArch 1997, 478) und des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z. B. B. v. 3.12.2015 – 22 ZB 15.2431 – Rn. 5) die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung ist, kommt es auf Änderungen des Sachverhalts, die erst später eintreten, nicht an. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass bereits vor Bescheidserlass aufgrund eines entsprechenden Sanierungskonzepts absehbar war, dass sie die Steuerrückstände voraussichtlich in einem überschaubaren Zeitraum zurückführen konnte (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – GewArch 2015, 366; BayVGH, U. v. 14.8.2014 – 22 B 14.880 – juris Rn. 19), z. B. mithilfe einer Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt. Für solche Darlegungen hätte gerade auch deshalb Anlass bestanden, weil der Gesamtbetrag der Steuerschulden in dem überschaubaren Zeitraum von der ersten Meldung des Finanzamts an das Landratsamt (Stand 12.3.2015: 8.608,00 Euro) bis kurz vor Bescheidserlass (Stand 2.2.2016: 13.625,50 Euro) relativ betrachtet nicht unerheblich angestiegen ist. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit die Klägerin im Zusammenhang mit „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ daran gehindert gewesen wäre, Steuererklärungen fristgerecht abzugeben. Nachträglich eingetretene, ihr günstige Umstände kann die Klägerin gegebenenfalls mit einem Antrag auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung (§ 35 Abs. 6 GewO) geltend machen.
Mit welchen Rechtsgrundsätzen, die dem von der Klägerin zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen wären, die angefochtene Entscheidung nicht vereinbar wäre, wurde nicht dargelegt.
2. Inwieweit der Rechtssache, wie von der Klägerin behauptet, grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zukommen sollte, geht aus den Ausführungen in ihrer Antragsbegründung nicht ansatzweise hervor.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Streitwert: §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, Nrn. 54.2.1, 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013.