Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 15.4675

Datum:
8.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6
VwGO VwGO § 74 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung. Bestehen in diesem Zeitpunkt erhebliche Steuerschulden sowie Beitragsrückstände und fehlt es an der Vorlage eines tragfähigen Sanierungskonzepts durch den Gewerbetreibenden, kommt es auf nachträgliche Veränderungen der Sachlage nicht an (vgl. auch VGH München BeckRS 2016, 54943; BeckRS 2016, 52322). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine die erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 2 GewO rechtfertigende gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit kann sich aus der Verletzung für jeden Gewerbetreibenden geltender steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Pflichten ohne Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit ergeben (vgl. auch VG München BeckRS 2016, 54220 mwN). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unzulässig.
Der Kläger hat die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) von einem Monat ab Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids nicht eingehalten. Der Bescheid wurde im Wege der Ersatzzustellung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) in Verbindung mit § 180 Zivilprozessordnung (ZPO) in den Briefkasten des Klägers eingelegt und damit an diesem Tag gegenüber dem Kläger bekanntgegeben. Nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird, da es sich bei der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO um eine Ereignisfrist handelt, zur Bestimmung des Fristbeginns der Tag nicht mitgezählt, in den das Ereignis fällt. Bei einer Zustellung durch die Post mittels Postzustellungsurkunde gilt als fristauslösendes Ereignis der Tag der Zustellung, hier der 10. September 2015. Das Fristende bestimmt sich nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB. Da der rechnerisch letzte Tag der Frist auf einen Samstag, den 10. Oktober 2015 fiel, endete die Klagefrist am Montag, den 12. Oktober 2015. Weil der Bescheid zudem mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, musste der Kläger spätestens bis zum 12. Oktober 2015 Klage erheben, was er nicht getan hat. Die Klage wurde erst am 21. Oktober 2015 erhoben, deshalb hat der Kläger die Klagefrist nicht eingehalten. Mithin ist die Klage unzulässig.
Die Klage wäre darüber hinaus unbegründet. Der Bescheid des Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO), der eine Untersagung des konkret ausgeübten Gewerbes rechtfertigt, liegen vor. Das für die Bestimmung der Unzuverlässigkeit erforderliche prognostische Element zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ist gegeben. Zum entscheidenden Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids hatte der Kläger hohe Steuerschulden. Hinzukommen die Beitragsschulden bei der Industrie- und Handelskammer und der gesetzlichen Unfallversicherung sowie die Anordnungen von Haft und die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung. Nachträgliche Änderungen der Sachlage sind nicht entscheidend, da das Gesetz in § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO eine Wiedergestattung eines Gewerbes vorsieht. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids lag zudem kein tragfähiges Sanierungskonzept vor. Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit sind nicht gegeben.
Auch die erweitere Gewerbeuntersagung ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO sind erfüllt. Der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er bereits mit der fortlaufenden Verletzung steuerrechtlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger künftig keine anderweitige Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausüben wird. Der Beklagte hat das ihm im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO zustehende Ermessen ausgeübt. Die Ermessensausübung des Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- in Verbindung mit Ziffer 54.2.2 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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