Steuerrecht

Festsetzungsverjährung beim Erlass der  Umsatzsteuerbescheide

Aktenzeichen  2 K 33/16

Datum:
27.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2018, 1018
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 164 Abs. 2,  § 170 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2
UmwG § 123 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet, da bei Erlass der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Die Umsatzsteuererklärung für 2004 wurde am 14. Februar 2006 abgegeben, so dass die reguläre vierjährige Feststellungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2006 begonnen und gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2010 geendet hat. Entsprechend hat aufgrund der in den Folgejahren jeweils abgegebenen Umsatzsteuererklärungen die reguläre Feststellungsfrist für 2005 mit Ablauf des 31. Dezember 2011, für 2006 mit Ablauf des 31. Dezember 2012 und für 2007 mit Ablauf des 31. Dezember 2013 geendet.
1. Allerdings ist gemäß § 171 Abs. 4 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt worden, da im Dezember 2009 und damit vor Ablauf der regulären Feststellungsfrist des jeweiligen Streitjahrs mit einer Außenprüfung begonnen wurde.
Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO setzt voraus, dass im Hinblick auf die begonnene Außenprüfung eine Prüfungsanordnung im Sinne des § 196 AO ergangen ist. Die Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen oder an einen Bevollmächtigten ist gemäß §§ 122, 197 AO Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prüfungsanordnung (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 3. März 2003 IX B 206/02, BFH/NV 2003, 884).
Die Prüfungsanordnung vom 16. August 2010 ist der Klägerin wirksam bekannt gegeben worden; sie ist insbesondere nicht nichtig.
a) Ein Verwaltungsakt ist gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Ein Verwaltungsakt leidet an einem schweren und offenkundigen Fehler, wenn er inhaltlich nicht so bestimmt ist, dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird.
Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts; dieser muss gemäß § 119 Abs. 1 AO hinreichend bestimmt angeben, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Der Regelungsinhalt einer Prüfungsanordnung (§ 196 AO) besteht darin, dass dem Steuerpflichtigen aufgegeben wird, die Prüfung in dem in der Anordnung näher umschriebenen Umfang zu dulden. Die Prüfungsanordnung ist daher an denjenigen als Inhaltsadressaten zu richten, der die Prüfung zu dulden verpflichtet ist. Das ist der Steuerschuldner (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BStBl II 2006, 404).
Im vorliegenden Fall war die Prüfungsanordnung unstreitig an die weiterhin existente Klägerin zu richten, da diese Steuerschuldnerin für die streitgegenständliche Umsatzsteuer und eine Gesamtrechtsnachfolge aufgrund der Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG nicht eingetreten war. Rechtsnachfolger war die M GmbH & Co KG lediglich zivilrechtlich bezüglich der – in einem Akt – übertragenen Summe an Vermögensgegenständen.
Die an den damaligen steuerlichen Vertreter der Klägerin adressierten Prüfungsanordnung erging jedoch „für die M GmbH & Co KG als Rechtnachfolger der G GmbH“.
b) Diese insofern fehlerhafte Bezeichnung des Inhaltsadressaten, als die M GmbH & Co KG steuerrechtlich nicht Rechtsnachfolger der Klägerin war, ist im vorliegenden Fall – entgegen der Auffassung der Klägerin – jedoch auslegungsfähig.
Zwar ist eine Prüfungsanordnung unwirksam, die an einen erloschenen und damit nicht mehr existenten Rechtsvorgänger gerichtet ist. Eine Umdeutung in einen Bescheid gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger kommt in diesem Fall auch dann nicht in Betracht, wenn sie diesem zugegangen ist und der Gesamtrechtsnachfolger den Inhalt als für sich bestimmt zur Kenntnis genommen hat (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2016 IV R 20/14, BFH/NV 2017, 475, m.w.N.).
Die Bezeichnung des Inhaltsadressaten ist jedoch nicht eindeutig falsch, sondern mehrdeutig und damit auslegungsfähig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, wer tatsächlich gemeint sein könnte. Solche Anhaltspunkte können sein: ein Hinweis auf die eingetretene Vollbeendigung (BFH-Urteil vom 15. April 2010 IV R 67/07, BFH/NV 2010, 1606), das Auftreten nach Außen unter einer bisherigen Firma (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BStBl II 2006, 404, Rn. 18), die Begleitumstände sowie der übrige Inhalt des Verwaltungsakts (BFH-Urteil vom 14. März 1990 X R 104/88, BStBl II 1990, 612, Rn. 25). Formalismus und Wortklauberei sind insofern bei der Adressierung unangebracht; entscheidend ist vielmehr, ob sich der Inhaltsadressat sicher identifizieren lässt (BFH-Urteil vom 30. September 2015 II R 31/13, BStBl II 2016, 637, m.w.N.).
Anders als in den Fällen, in denen die Rechtsprechung von einer eindeutig falschen Adressierung ausgegangen ist, sind im vorliegenden Fall beide angesprochenen Gesellschaften existent: die M GmbH & Co KG ebenso wie die G GmbH. Mangelhaft ist lediglich die Bezeichnung der Klägerin. Damit war aber bereits in der Bezeichnung des Adressaten unter Nennung der Klägerin ersichtlich, dass es in der Prüfung um Belange der Klägerin gehen sollte. Ebensolches ergab sich aus dem bezeichneten Prüfungszeitraum, der die Zeit umfasste, in der die Klägerin aktiv tätig war. Somit sowie aufgrund der die Prüfung begleitenden Umstände und der Unterschiedlichkeit der Bezeichnungen (Bezeichnung als Außenprüfung, z.T. bei der Klägerin, z.T. bei der M GmbH & Co KG als Rechtsnachfolgerin der Klägerin; Einigkeit der Beteiligten hinsichtlich der Zurechnung der Umsätze bis Mitte 2007 zur Klägerin; Vorlage von Unterlagen der Klägerin; im Vorfeld geäußerte Rechtsansicht des FA, dass die M GmbH & Co KG Rechtsnachfolgerin bzw. Organträgerin der Klägerin sei) lagen auch für Dritte – denen der Ausgliederungsvorgang bekannt war – ersichtlich (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BStBl II 2006, 404) Anhaltspunkte vor, dass es sich um eine mehrdeutige Adressierung handelte.
c) Aufgrund des bestehenden Auslegungsspielraums war die Adressierung vorliegend dahingehend auszulegen, dass der Regelungsinhalt der Prüfungsanordnung sich an die Klägerin richtete.
Bei der Bestimmung des Inhaltsadressaten durch Auslegung ist zu beachten, dass der Inhaltsadressat nicht zwingend für einen Dritten aus dem Bescheid selbst oder aus beigefügten Unterlagen erkennbar sein muss; entscheidend ist, wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteile vom 15. April 2010 IV R 67/07, BFH/NV 2010, 1606, und vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BStBl II 2006, 404).
Vorliegend war den Beteiligten offensichtlich klar, dass die Klägerin Adressatin der Prüfungsanordnung sein sollte. Dementsprechend haben der empfangsbevollmächtigte steuerliche Vertreter und die Geschäftsführer der Klägerin auch an der Außenprüfung mitgewirkt, so dass nicht eingewandt werden kann, dass diese von der Außenprüfung keine Kenntnis hatte (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 25. Oktober 2011 2 K 13/11, DStRE 2012, 1268). Dies ergab sich auch aus dem in der Prüfungsanordnung bezeichneten Prüfungszeitraum und den die Klägerin betreffenden angeforderten und vorgelegten Unterlagen (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1990 X R 104/88, BStBl II 1990, 612), sowie spätestens aufgrund der im Rahmen der Prüfung angeforderten Aufteilung der Umsätze zwischen der Klägerin und der M GmbH & Co KG, die entsprechend vom damaligen steuerlichen Berater vorgelegt wurde.
Zudem hatte der steuerliche Vertreter in dem vorangegangenen Rechtsbehelfsverfahren über die ursprüngliche, später geänderte Prüfungsanordnung bei der Klägerin (für 2003 – 2006), die ebenfalls an die „M GmbH & Co KG als Rechtnachfolger der G GmbH“ adressiert war, klargestellt, dass er davon ausgehe, dass es sich um eine einheitliche Prüfung bei allen Gesellschaften und Einzelpersonen der „D-Gruppe“ – zu der auch die Klägerin gehört – handele.
Damit führt die nicht eindeutige Adressierung nicht zur Nichtigkeit der Prüfungsanordnung.
2. Außerdem ist die Berufung der Klägerin auf eine Nichtigkeit der Prüfungsanordnung auch nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Der Grundsatz von Treu und Glauben, wonach jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht zu nehmen hat und sich zu seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen darf, ist auch im Steuerrecht anzuwenden (BFH-Urteil vom 29. März 2017 VI R 82/14, BFH/NV 2017, 1313, m.w.N.).
Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es, innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtigen gleichermaßen, dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Als Anwendungsfall des Verbots „venire contra factum proprium“ ist von der Verwirkung von Rechtspositionen dann auszugehen, wenn ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden wird (vgl. FG München, Urteil vom 12. Dezember 2012 1 K 3645/08, Rn. 130, juris, m.w.N.). So kann ein Steuerpflichtiger die Befugnis verlieren, aus der Nichtigkeit eines Steuerverwaltungsakts abgeleitete Rechte, geltend zu machen, wenn er sich z.B. nicht nur mit dem Mangel in der Bestimmtheit des Inhaltsadressaten lange Zeit abgefunden, sondern ihn in der Kommunikation mit dem Finanzamt auch aufrechterhalten hat (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BStBl II 1993, 174).
Im vorliegenden Fall hat das Verhalten der Klägerin im Vorfeld und während der gesamten Prüfung und der Schlussbesprechung bis zum Einspruchsverfahren fast vier Jahre nach Ergehen der Prüfungsanordnung deren Adressierung nicht beanstandet. Durch den Klägervertreter wurde dieser Adressierungsmangel auch insofern aufrechterhalten, als bestätigt wurde, dass die Umsatzsteuer der Prüfungszeiträume bei der Klägerin anzusetzen sei und von einer Prüfung bei allen Gesellschaften und Einzelpersonen der „D-Gruppe“ ausgegangen werde.
Zudem ist der Zweck der durch eine Prüfungsanordnung ausgelösten Ablaufhemmung zu berücksichtigen (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2013 6 K 6228/08; EFG 2013, 1292, Rn. 132f).
3. Da ein Verwertungsverbot für die Prüfungsfeststellungen mangels unwirksamer Prüfungsanordnung (vgl. oben) nicht besteht und die ursprünglichen Bescheide entweder nach § 164 Abs. 2 AO oder zumindest nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden konnten, erfolgte die – der Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht streitige – Festsetzung der Umsatzsteuer in den angefochtenen Bescheiden zu Recht.
Nicht entscheidungsrelevant ist insofern, ob aufgrund Steuerhinterziehung eine verlängerte Festsetzungsfrist galt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
5. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.


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