Steuerrecht

Fremdenverkehrsbeitrag, Tankstelle mit Shop, Vorteilssatz

Aktenzeichen  B 4 K 18.1057

Datum:
29.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53582
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide der Beklagten vom 25.05.2018 für die Jahre 2011 bis 2016 werden aufgehoben.
2.Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.  

Gründe

1. Die gemäß § 75 VwGO zulässigen Untätigkeitsklagen haben Erfolg. Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide der Beklagten vom 25.05.2018 für die Jahre 2011 bis 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 6 KAG können Gemeinden, in denen die Zahl der Fremdenübernachtungen im Jahr in der Regel das Siebenfache der Einwohnerzahl übersteigt, zur Deckung des gemeindlichen Aufwands für die Fremdenverkehrsförderung u. a. von den selbstständig Tätigen, natürlichen und juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile erwachsen, einen Fremdenverkehrsbeitrag erheben.
Von dieser Ermächtigung hat die Antragsgegnerin durch den Erlass der Satzung für die Erhebung eines Fremdenverkehrsbeitrags vom 30.09.1981 (FVBS) Gebrauch gemacht. Gegen die Gültigkeit dieser Satzung wurden keine Einwände erhoben. Gegen die Gültigkeit sprechende Gründe sind nicht ersichtlich.
Nach § 1 Abs. 1 FVBS wird von allen selbstständig Tätigen, natürlichen und juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet Vorteile erwachsen, ein Fremdenverkehrsbeitrag erhoben. Mit dem Beitrag wird der Vorteil, der dem Beitragsschuldner durch den Fremdenverkehr mittelbar oder unmittelbar erwächst, abgegolten (§ 2 Abs. 1 FVBS). Unmittelbare Vorteile entstehen durch den direkten Geschäftsverkehr mit Fremden. Mittelbare Vorteile resultieren daraus, dass jemand aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit zwar nicht mit den Ortsfremden selbst, wohl aber im Rahmen der Bedarfsdeckung für den Fremdenverkehr mit den unmittelbar daran Beteiligten Geschäfte tätigt.
Grundsätzlich besteht eine Fremdenverkehrsbeitragspflicht des Klägers. Der Fremdenverkehr führt bei Tankstellen zu einer Steigerung des Treibstoffverbrauchs, sei es unmittelbar durch entsprechende Nachfrage der Fremden oder mittelbar durch die am Fremdenverkehr direkt beteiligten Personen (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 6 KAG, Frage 3, Tz. 6.30). Das Gleiche gilt für die weiteren im Betrieb des Klägers angebotenen Waren und Dienstleistungen. Fremdenverkehrsbedingte Vorteile hat der Kläger im Erörterungstermin vom 14.11.2019 auch grundsätzlich eingeräumt. Er wendet sich aber gegen die Höhe des angesetzten Vorteilssatzes.
Der Vorteilsatz bezeichnet den auf dem Fremdenverkehr beruhenden Teil des steuerbaren Umsatzes. Er wird durch Schätzung für jeden Fall gesondert ermittelt, wobei insbesondere Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit, die Lage und Größe der Geschäfts- und Beherbergungsräume, die Betriebsweise und die Zusammensetzung des Kundenkreises von Bedeutung sind (§ 3 Abs. 3 FVBS).
Dass ein Vorteilsatz im Wege der Schätzung ermittelt wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere auch mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar (BayVerfGH E.v. 21.10.1960 – Vf. 24-VII-59 – VerfGH 13, 127/132). Die Legitimation für eine Schätzung des Vorteilsatzes ergibt sich daraus, dass es praktisch kaum möglich ist, die dem Einzelnen aus dem Fremdenverkehr erwachsenden Vorteile exakt zu ermitteln und die Geschäfte mit Fremden und Ortsansässigen jeweils gesondert zu erfassen. Bei der Schätzung ist derjenige Betrag festzustellen, der bei Berücksichtigung aller Umstände die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat. Die Schätzung ist dabei nicht dem Bereich der Ermessensausübung, sondern der Tatsachenfeststellung zuzurechnen; sie unterliegt daher der vollen gerichtlichen Nachprüfung (std. Rspr. des BayVGH – vgl. U.v. 09.05.1984 – 4 B 82 A.1097 – BayVBl 1985, 244 ff.; U.v. 05.12.2006 – 4 B 05.3119 – juris Rn. 28; B.v. 01.02.2007 – 4 ZB 06.167 – juris Rn. 7). Das Gericht überprüft demgemäß, ob die Schätzung der einzelnen Vorteilsätze von einer plausiblen Tatsachengrundlage getragen ist. Ausreichend – aber auch notwendig – ist die objektive Möglichkeit der Erzielung von Umsätzen in Höhe der festgesetzten Vorteilsätze. Zwar kann die Gemeinde beim Fehlen ausreichender Daten auf Erfahrungswerte zurückgreifen (BayVGH, B.v. 01.02.2007, a.a.O. Rn. 8), die Schätzungsbefugnis entbindet die Gemeinde aber nicht von der Verpflichtung, nach Möglichkeit alle Tatsachen zu ermitteln und zu berücksichtigen, die für die Abgabenpflicht von Bedeutung sind. Es ist bei der Schätzung derjenige Betrag festzustellen, der bei Berücksichtigung aller Umstände die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat (BayVGH, U. v. 01.12.1989 – 4 B 88.1720).
Die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren keine Angaben dazu gemacht, wie sie zu dem gewählten Vorteilssatz von 20% für das Jahr 2011 und die Folgejahre gekommen ist. Der vorgelegten Behördenakte ist zu entnehmen, dass für den Betrieb des Klägers in den Jahren 1989 bis 1999 ein Vorteilssatz von 20% angesetzt wurde. Auf Antrag des Klägers wurde ab dem Jahr 2000 bis einschließlich 2005 ohne nähere Darlegung ein reduzierter Vorteilssatz von 5% zu Grunde gelegt. Im Jahr 2005 stellte die Beklagte Ermittlungen für eine Anpassung der Fremdenverkehrsbeiträge durch Umfragen bei anderen Fremdenverkehrsgemeinden an. Am 09.05.2006 beschloss der Gemeinderat, den Vorteilssatz für den Betrieb des Klägers auf 15% anzuheben. Davon wurde der Kläger mit Schreiben vom 22.06.2006 verständigt. In dem Bescheid vom 09.09.2008 wurde für den Fremdenverkehrsbeitrag 2006 aber ein Vorteilssatz von 20% angesetzt, ebenso in der Folgezeit bis einschließlich 2010, sowie für die Jahre 2011 bis 2016 durch die streitgegenständlichen Bescheide vom 25.05.2018. Die Beklagte räumte im Erörterungstermin ein, dass sie keine Erklärung für den Ansatz eines Vorteilssatzes von 20% anstatt des 2006 beschlossenen Vorteilssatzes von 15% hat. Es seien seither auch keine weiteren Ermittlungen dazu erfolgt, ob der damals beschlossene Vorteilssatz noch den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Der Kläger verweist hierzu auf die seit Jahren rückläufigen Übernachtungszahlen, die für sich genommen zwar keinen konkreten Nachweis, aber doch ein gewichtiges Indiz für rückläufige Vorteile aus dem Fremdenverkehr darstellen. Die Beklagte führt die statistischen Landesdaten für den ländlichen Raum in Bayern mit einer Fremdenverkehrsquote von 12,89% an, die für Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit des Klägers allein nicht aussagekräftig sind, und einen Vorteilssatz von 20% ebenfalls nicht rechtfertigen.
Somit ergibt sich, dass der in den Bescheiden vom 25.05.2018 angesetzte Vorteilssatz von 20% nicht auf einer hinreichend belegbaren Tatsachengrundlage beruht, zumal seit der letzten Schätzung mehr als zehn Jahre vergangen sind.
Zwar kann die Gemeinde grundsätzlich bei der Schätzung auch allgemeine Erfahrungswerte zu Grunde legen. Das gilt jedoch nur dann, wenn konkrete Umstände nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden können, oder wenn der Abgabenschuldner insoweit keine ausreichenden oder keine brauchbaren Angaben macht (BayVGH, U. v. 01.12.1989 – 4 B 88.1720). Von Letzterem ist hier nicht auszugehen.
Die Beklagte hat auch seit dem Erörterungstermin vom November 2019 keine neuen Tatsachen ermittelt, die den Vorteilssatz für das Unternehmen des Klägers in den fraglichen Jahren stützen. Der Hinweis auf andere in Oberfranken gelegene Tankstellen, für die von den zuständigen Gemeinden sogar höhere Vorteilssätze (bis zu 40%) angesetzt werden, genügt nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 3 FVBS, wonach die Schätzung unter Berücksichtigung von Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit, der Lage und Größe der Geschäfts- und Beherbergungsräume, der Betriebsweise und der Zusammensetzung des Kundenkreises für jeden Fall gesondert zu ermitteln ist.
Es ist auch im Klageverfahren nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die tatsächlichen Grundlagen für die Festsetzung des Beitrags selbst festzustellen, wenn dies im Verwaltungsverfahren nicht erfolgt ist. Vielmehr kann sich das Gericht auf die Aufhebung der für rechtswidrig erkannten Bescheide beschränken und der Gemeinde die ihr obliegende Ermittlung der Bemessungsgrundlagen überlassen (vgl. BayVGH, U.v. 01.12.1989 a.a.O., juris Leitsatz 2; VG München, B.v. 23.11.2010 – Az. M 10 S 10.4524, juris Rn. 37).
Die Bescheide vom 25.05.2018 waren somit aufzuheben. Auf die Frage der Festsetzungsverjährung für die Jahre 2011 bis 2013 kommt es nicht mehr an, ebensowenig darauf, dass die Beiträge (zugunsten des Klägers) falsch berechnet wurden.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


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