Steuerrecht

Gefährdung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand

Aktenzeichen  M 12 S 19.2333

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28957
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1,  Abs. 5, Abs. 6, § 88
BestG Art. 14 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Bei Einäscherungskosten handelt es sich nicht um öffentliche Abgaben oder Kosten i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, sondern um Kosten der Ersatzvornahme. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 647,15 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Kostenerstattungsbescheids.
Zwischen dem … Juni 2018 und dem … Juni 2018 verstarb der zuletzt im Gemeindegebiet des Beklagten wohnhafte Bruder der Antragstellerin.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2018 und 14. Juni 2018 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin und deren beide Schwestern über den Tod des Bruders und forderte sie auf, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen und sich bis 18. Juni 2018 beim Antragsgegner zu melden. Soweit der Bestattungspflicht nicht nachgekommen werde, müsse der Antragsgegner eine Bestattung von Amts wegen anordnen und die anfallenden Bestattungskosten als öffentlich-rechtliche Forderung geltend machen.
Mit Fax vom 14. Juni 2018 bestätigte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner, dass der Verstorbene eine Feuerbestattung gewünscht habe. Am gleichen Tag ordnete der Antragsgegner die Einäscherung des Verstorbenen an.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 und 13. März 2019 hörte der Antragsgegner die Klägerin und ihre Schwestern zur beabsichtigten Inanspruchnahme bzgl. der angefallenen Bestattungskosten an.
Mit Bescheid vom 12. April 2019 verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin zur Erstattung von 2588,61 EUR innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides und setzte eine Gebühr von 50,– EUR sowie Auslagen von 3,45 EUR fest. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei zunächst trotz bestehender Bestattungspflicht nicht bereit gewesen, die Bestattung zu veranlassen. Der Antragsgegner habe daher aufgrund der Erklärung von 14. Juni 2018 eine Feuerbestattung veranlasst, da innerhalb der gesetzlichen Bestattungsfrist weitere Anordnungen nicht erfolgversprechend gewesen seien. Die für die Einäscherung entstandenen Kosten entsprächen einer nach den örtlichen Verhältnissen einfachen, aber würdevollen Bestattung. Das dem Antragsgegner eingeräumte Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die Antragstellerin und ihre Schwestern seien gleichrangig bestattungspflichtig und daher Gesamtschuldner. Dem Antragsgegner stehe ein Wahlrecht zu, ob er die Gesamtschuldner anteilig oder einen in voller Höhe in Anspruch nehme. Dieses Wahlermessen sei dahingehend ausgeübt worden, die Antragstellerin in voller Höhe in Anspruch zu nehmen, da die beiden Schwestern voraussichtlich nicht leistungsfähig seien. Die Antragstellerin könne ihre Schwestern zivilrechtlich in Regress nehmen.
Mit an das Gericht adressiertem, als Widerspruch bezeichnetem Schreiben vom 14. Mai 2019, am 15 Mai 2019 bei Gericht eingegangen, hat sich die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 12. April 2019 gewandt. Gleichzeitig hat sie beantragt,
die sofortige Vollziehung des Bescheids auszusetzen.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, sie sei finanziell nicht in der Lage, die kompletten Bestattungskosten des Bruders zu übernehmen. Sie habe sich nicht geweigert, den auf sie entfallenden Anteil an den Bestattungskosten zu übernehmen, es könne aber nicht angehen, ihr allein die gesamten Kosten aufzuerlegen, nur weil sich die Schwestern nicht bei dem Antragsgegner gemeldet haben. Dieses Schreiben übersandte die Antragstellerin auch dem Antragsgegner.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 3. Juni 2019 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er wies darauf hin, dass die erhobene Klage aufschiebende Wirkung entfalte und der Eilantrag daher unstatthaft sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgelegte Behörden- und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Über die Verwaltungsstreitsache konnte entschieden werden, obwohl die Antragstellerin nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Denn in der ordnungsgemäßen Ladung wurde sie darauf hingewiesen, dass auch ohne ihre Anwesenheit verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
2. Das Gericht legt den Antrag der Antragstellerin nach § 88 VwGO dahingehend aus, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 12 K 19.2355) nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO begehrt wird. Denn ihr Rechtsschutzziel ist darauf gerichtet, dass bis zur Entscheidung über ihre Klage keine Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids erfolgt.
3. Der so verstandene Antrag ist jedoch unzulässig.
a) Bei den geforderten Einäscherungskostenkosten handelt es sich nicht um öffentliche Abgaben oder Kosten, so dass die Klage nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Als Vorschrift, die den Grundsatz der aufschiebenden Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO einschränkt, ist § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO restriktiv auszulegen. Sinn und Zweck der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO getroffenen Regelung ist es, sicherzustellen, dass die Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht dadurch gefährdet wird, dass Betroffene von den ihnen zustehenden Rechtsmitteln Gebrauch machen. Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand soll gewährleistet werden. Mithin fallen unter § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO alle Abgaben, die der Befriedigung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen. Von einer solchen Finanzierungsfunktion kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn sich der Hoheitsträger mit ihrer Hilfe eine Einnahmequelle erschließt, die es ihm ermöglicht, seine eigenen Ausgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Begriffsmerkmale der Steuer, der Gebühr oder des Beitrags erfüllt sind (BVerwG, U.v. 17.12.1992 – 4 C 30/90 juris). Kosten sind die Gebühren und Auslagen, die in einem förmlichen Verwaltungsverfahren (einschließlich des Widerspruchsverfahrens) nach den Vorschriften der Verwaltungskostengesetze auferlegt werden (Gersdorf in: BeckOK VwGO, 50. Edition Stand 1.7.2018, § 80 Rn. 53).
Gemessen daran fallen die in dem streitgegenständlichen Bescheid erhobenen Bestattungskosten nicht unter § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Rechtsgrundlage dieser Kostenforderung ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG, wonach die Gemeinde, die die Bestattung unter den Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG selbst durchgeführt hat, von einem Pflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen kann. Dabei handelt es sich um Kosten der Ersatzvornahme. Kosten der Ersatzvornahme, wie die hier streitgegenständlichen Kosten der Einäscherung als Teil der Bestattungskosten, sind vom Begriff der Abgaben und Kosten nicht erfasst (VGH Mannheim, B.v. 9.9.1999 – 1 S 1306/99 – NVwZ-RR 2000, 189; BayVGH, B.v. 25.2.2009 – 2 CS 07.1702 juris).
b) Soweit sich der Antrag auch gegen die im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzten Kosten richtet (vgl. Art. 12 Abs. 3 Kostengesetz – KG), ist er ebenfalls unzulässig.
Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur die isoliert erlassene Kostenentscheidung oder auch die zusammen mit der Sachentscheidung festgesetzten Kosten erfasst sind (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 13.8.2013 – 7 ME 1/12 – BeckRS 2013, 54405 m.w.N.). Die Frage kann hier aber offen bleiben, denn nach beiden Auffassungen ist der Antrag unzulässig.
aa) Folgt man der Ansicht, dass § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur die isolierte Kostenentscheidung erfasst und die zusammen mit der Sachenentscheidung festgesetzten Kosten das Schicksal der Sachentscheidung teilen, ist der Antrag schon aus den unter 3. a) dargelegten Gründen unstatthaft.
bb) Nach der Gegenansicht, wonach auch für die zusammen erlassene Kostenentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt, ist der Antrag mangels vorherigen erfolglosem Antrag bei der Behörde unzulässig. Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat.
Diese Voraussetzung ist im Falle der Antragstellerin nicht erfüllt. Abzustellen ist insoweit auf die Sachlage im Zeitpunkt der Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor Gericht, denn bei dem Erfordernis der vorherigen Durchführung eines erfolglosen behördlichen Aussetzungsverfahrens handelt es sich nicht um eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung, die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens verwirklicht werden könnte. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO normiert vielmehr eine Zugangsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrags bei Gericht erfüllt sein muss (VGH Mannheim B.v. 28.2.2011 – 2 S 107/11 – BeckRS 2011, 49104 Rn. 3; Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 74 jeweils m.w.N; a.A. BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 8 CS 8.1117 – NVwZ-RR 2009, 135).
Es ist schon fraglich, ob das dem Antragsgegner übermittelte, an das Gericht adressierte und mit der Antragsschrift wortlautgleiche Schreiben vom 14. Mai 2019, ebenfalls am 15. Mai 2019 dort eingegangen, überhaupt ein Antrag i.S.v. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO darstellt. Selbst wenn man dies annimmt, ist aber dieser Antrag nicht vor Antragstellung bei Gericht abgelehnt worden. Auf die Ausnahmen nach § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO kann sich die Antragstellerin dabei nicht berufen. Danach gilt das Erfordernis der vorherigen Ablehnung des Aussetzungsantrags durch die Behörde nicht, wenn diese ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (Nr. 1) oder eine Vollstreckung droht (Nr. 2). Der Antragsgegner hatte vor Antragstellung bei Gericht schon gar keine Möglichkeit, über den Aussetzungsantrag zu entscheiden, weil dieser am gleichen Tag auch bei Gericht eingegangen ist. Auch eine Vollstreckung drohte nicht, da der Antragsgegner noch keine konkreten Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hatte.
3. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. dem Streitwertkatalog 2013.


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