Steuerrecht

Gewerbesteuer: Anforderungen an Haftungsbescheid gegen früheren Geschäftsführer einer insolventen GmbH

Aktenzeichen  4 CS 15.2488

Datum:
22.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO AO § 34, § 69, § 90 Abs. 1, § 93 Abs. 1 S. 1, § 191 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein auf eine Verletzung der Steuerentrichtungspflicht nach § 34 Abs. 1 AO gestützter Haftungsbescheid gegen den früheren Geschäftsführer einer – mittlerweile insolventen – GmbH erfordert die Feststellung, dass die Gesellschaft ungeachtet sonstiger Verbindlichkeiten bei Fälligkeit der Steuerschulden oder später über hinreichende Mittel zur Begleichung der Verbindlichkeiten verfügte (Bestätigung von VGH München BeckRS 2000, 24847 Rn. 13; vgl. auch BFH BeckRS 1989, 22009086). Werden Gewerbesteuererhöhungen festgesetzt und anschließend außer Vollzug gesetzt, tritt Fälligkeit in diesem Sinne erst mit Beendigung der Aussetzung der Vollziehung ein. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Pflicht zur Bildung von Rücklagen als Bestandteil der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen entrichtet werden (vgl. auch BFH BeckRS 2004, 24001725; OVG Münster BeckRS 2013, 58008), besteht mit Entstehung der Steuerforderung, soweit verwaltete Mittel in diesem Zeitpunkt vorhanden sind. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheids hat grundsätzlich der Steuergläubiger zu belegen. Dem potentiellen Haftungsschuldner kommt hierbei nach § 90 Abs. 1, § 93 Abs. 1 S. 1 AO eine Mitwirkungs- und Auskunftspflicht zu, deren Verletzung zu einer Beweismaßverringerung führen kann. Die objektive Beweis- bzw. Feststellungslast für das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Rücklagenbildung trägt jedoch der Steuergläubiger (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2013, 58008 mwN). (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Feststellungslast des Steuergläubigers entfällt nicht schon wegen der Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters der Steuerschuldnerin, im Falle deren Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Vermutung, die später in Insolvenz gefallene Steuerschuldnerin habe vor dem Insolvenzantrag noch über ausreichende Mittel verfügt, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Haftungsschuldner das Fehlen von Mitteln lediglich behauptet, ohne dies näher darzulegen (hier verneint). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 S 15.977 2015-10-30 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.417,46 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts, der dem Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz gegen die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die Gewerbesteuerschulden der H.-GmbH gewährt hat.
Der Antragsteller war Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der H.-GmbH, eines Transportunternehmens mit Sitz im Gemeindegebiet des Antragsgegners. Mit Bescheiden vom 13. Oktober 2006 setzte der Antragsgegner für die H.-GmbH Gewerbesteuererhöhungen für die Veranlagungsjahre 2000, 2001 und 2002 fest (ursprüngliche Fälligkeit: 16.11.2006). Das Finanzamt S. bewilligte mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 antragsgemäß die Aussetzung der Vollziehung für die Gewerbesteuermessbeträge der genannten Veranlagungsjahre. Mit Schreiben vom 8. November 2006 verfügte der Antragsgegner ebenfalls die Aussetzung der Vollziehung. Mit Bescheid vom 25. März 2008 setzte der Antragsgegner für die H.-GmbH eine Gewerbesteuererhöhung für das Veranlagungsjahr 2004 fest (ursprüngliche Fälligkeit: 28.4.2008). Das Finanzamt S. bewilligte mit Schreiben vom 11. April 2008 für einen Teilbetrag des Gewerbesteuermessbetrags die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 20. Mai 2008 verfügte der Antragsgegner insoweit ebenfalls die Aussetzung der Vollziehung.
Mit Schreiben vom 16. März 2011 beendete das Finanzamt S. die Aussetzung der Vollziehung für die Veranlagungsjahre 2000, 2001, 2002 und 2004 mit Wirkung ab 17. März 2011. In der Folge hob der Antragsgegner mit Schreiben vom 25. August 2011 die Aussetzung der Vollziehung auf; die Wirkung der Aufhebung datierte er auf den 17. März 2011. Die Fälligkeit der Zinsbeträge wurde auf den 28. September 2011 festgesetzt. Zum 17. März 2011 bestanden offene Gewerbesteuerforderungen und Nebenforderungen in Höhe von 12.182,86 € (ohne Mahngebühren und Säumniszuschläge). Der Antragsgegner mahnte die Erfüllung der streitgegenständlichen Forderungen gegenüber der H.-GmbH an; eine Zahlung erfolgte nicht.
Das Amtsgericht S. lehnte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H.-GmbH mit Beschlüssen vom 27. Dezember 2012 mangels Masse ab. Gemäß der Handelsregisterveröffentlichung vom 26. Februar 2013 wurde die H.-GmbH von Amts wegen aufgelöst.
Nach vorheriger Anhörung nahm der Antragsgegner den Antragsteller mit Haftungsbescheid vom 21. August 2013 in Höhe von insgesamt 15.019,86 € als Haftungsschuldner für die Gewerbesteuerrückstände der H.-GmbH für die Veranlagungsjahre 2000, 2001, 2002 und 2004 in Anspruch. Der genannte Betrag umfasst neben den Gewerbesteuerforderungen und den Zinsen auch Säumniszuschläge von 2.812,00 €. In den Bescheidsgründen wurde ausgeführt, der Antragsteller hafte als Geschäftsführer der H.-GmbH nach § 34, § 69 AO für die nicht beglichenen Steuerforderungen. Der Antragsteller hätte im Rahmen seiner Geschäftsführertätigkeit dafür sorgen müssen, dass bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld ausreichend Mittel der GmbH bereitgestanden hätten, um sämtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zum Fälligkeitszeitpunkt zu begleichen.
Mit Schreiben vom 10. September 2013 ließ der Antragsteller beim Antragsgegner Widerspruch erheben und die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Der Antragsgegner beschloss mit Gemeinderatsbeschluss vom 31. Oktober 2013, den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen und den Widerspruch dem Landratsamt S. zur Entscheidung vorzulegen. Gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 25. November 2013 „Einspruch“ ein, den der Antragsgegner mit Schreiben vom 27. Februar 2014 zurückwies. Im Widerspruchsverfahren legte der Antragsteller mit Schreiben vom 2. März 2015 Bilanzunterlagen vor. Er bestritt, dass zu den Festsetzungszeitpunkten der Gewerbesteuererhöhungen in den Jahren 2006 und 2008 Vermögenswerte im Unternehmen vorhanden gewesen seien, aus denen ein sorgfältiger Kaufmann hätte Rücklagen bilden können.
Das Landratsamt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24. September 2015 zurück. Eine Rücklagenbildungspflicht habe spätestens mit der Festsetzung der Gewerbesteuererhöhungen durch die Bescheide vom 13. Oktober 2006 und 25. März 2008 bestanden. Der Antragsteller hätte dafür Sorge tragen müssen, dass die Steuerforderungen bei späterem Eintritt der Fälligkeit nach Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung entrichtet würden. Die Nichtbefolgung der Rücklagenbildungspflicht könne eine Dauerpflichtverletzung begründen, die über den tatsächlichen Fälligkeitstermin hinaus bis zum endgültigen Schadenseintritt anhalten könne. Die Verletzung der Vermögensvorsorgepflicht sei auch schuldhaft. Nach den eigenen Angaben des Antragstellers sei davon auszugehen, dass bei Entstehung der Steuerschulden ausreichende Mittel im Unternehmen vorhanden gewesen seien. Die Rücklagen – soweit tatsächlich vorhanden – seien verfrüht aufgelöst und pflichtwidrig für die Begleichung anderer Verbindlichkeiten verwendet worden. Die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen könnten die rechtliche Beurteilung nicht ändern.
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 29. September 2015 wurde das Konto des Antragstellers mit einer Pfändung in Höhe von 17.669,86 € belastet.
Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (W 2 K 15.978) gegen den Haftungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids an und verpflichtete den Antragsgegner, bis zu einer Hauptsacheentscheidung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss keine Rechte herzuleiten. Zur Begründung verwies es auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids, weil der Antragsgegner nicht hinreichend festgestellt habe, dass zum Zeitpunkt der Festsetzung der Gewerbesteuererhöhungen eine Rücklagenbildung noch möglich war. Dem Gericht seien trotz schriftlicher Aufforderungen die Akten des Widerspruchsverfahrens nicht vorgelegt worden.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Er macht Verfahrensfehler des Gerichts sowie eine unzutreffende Beweislastverteilung geltend. Der Antragsteller behaupte selbst nicht, dass anfänglich keine ausreichenden Vermögenswerte für die Bildung von Rücklagen zur Verfügung gestanden hätten. Auch sei zunächst kein Insolvenzantrag gestellt worden. Das Insolvenzgutachten attestiere der GmbH eine Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit erst für das Jahr 2011. Daraus könne der Rückschluss gezogen werden, dass eine solche in den Jahren 2006 und 2008 nicht bestanden habe.
Der Antragsteller tritt dem Vorbringen des Antragsgegners entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. Oktober 2015, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Sätze 6 und 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (W 2 K 15.978) gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners vom 21. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2015 angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, bis zu einer Entscheidung der Hauptsache aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 29. September 2015 keine Rechte herzuleiten. Das Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren und das weitere Geschehen nach Erlass des erstinstanzlichen Eilbeschlusses, insbesondere die nachträglich vorgelegten Widerspruchsakten, führen zu keiner anderen Beurteilung. Es verbleibt bei der zutreffenden Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestehen, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht konnte zu Recht keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Antragstellers feststellen, die seine ermessensgerechte Inanspruchnahme im Wege des Haftungsbescheids rechtfertigen könnte (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 1, § 34, § 69 AO). Dies gilt unabhängig davon, auf welchen Anknüpfungspunkt bzw. welche Pflichtverletzung die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner gestützt werden soll.
a) Der Antragsgegner knüpft im Haftungsbescheid vom 21. August 2013 zunächst an eine angebliche Pflichtverletzung betreffend die Steuerentrichtungspflicht der GmbH nach § 34 Abs. 1 AO an (vgl. auch das Anhörungsschreiben vom 2.7.2013). Eine diesbezügliche Haftung des Geschäftsführers setzt die Feststellung des Antragsgegners voraus, dass die Gesellschaft ungeachtet sonstiger Verbindlichkeiten bei Fälligkeit der Steuerschulden oder später über hinreichende Mittel zur Begleichung der Verbindlichkeiten verfügte (vgl. BayVGH, B. v. 26.6.2000 – 4 CS 00.379 – juris Rn. 13). Eine solche Feststellung hat hier weder in hinreichender Weise der Antragsgegner getroffen noch ergibt sie sich aus dem Akteninhalt. Die Gewerbesteuererhöhungen für die Veranlagungsjahre 2000, 2001, 2002 und 2004 wurden zwar mit Bescheiden vom 13. Oktober 2006 und vom 25. März 2008 festgesetzt, anschließend aber außer Vollzug gesetzt. Ihre Fälligkeit trat erst mit Beendigung der Aussetzung der Vollziehung durch die Aufhebungsverfügung des Antragsgegners vom 25. August 2011 ein. Ausweislich des auszugsweise in den Akten befindlichen, vom Antragsgegner nicht in Zweifel gezogenen Gutachtens des Insolvenzverwalters war die H.-GmbH aber bereits im Juli 2011 zahlungsfähig. Die Steuerentrichtungspflicht als solche scheidet daher als Anknüpfungspunkt für die Pflichtverletzung aus; sie wurde auch im Widerspruchsbescheid vom 24. September 2015 nicht mehr aufgegriffen.
b) Den Schwerpunkt der Ausführungen im Haftungsbescheid und den alleinigen Anknüpfungspunkt für den Widerspruchsbescheid bildet der dem Antragsteller vorgeworfene Verstoß gegen die Vermögensvorsorgepflicht. Auch insoweit hat es der – hierzu primär berufene – Antragsgegner jedoch nicht vermocht, eine schuldhafte Pflichtverletzung substantiiert darzulegen. Es ist derzeit nicht hinreichend geklärt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die H.-GmbH zum maßgeblichen Zeitpunkt bzw. im maßgeblichen Zeitraum zur Rücklagenbildung in der Lage war. Eine nähere Aufklärung der Umstände muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Wenn die Beschwerde dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang Verfahrensfehler in Bezug auf die Sachaufklärung vorwirft, verkennt sie zum einen, dass es maßgeblich auf den behördlichen Haftungsbescheid ankommt, und zum anderen, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur präsente Beweismittel Berücksichtigung finden (vgl. BayVGH, B. v. 5.6.2015 – 4 CS 15.602 – juris Rn. 3).
aa) Die Pflicht zur Bildung von Rücklagen ist Bestandteil der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen entrichtet werden (vgl. hierzu und zum Folgenden OVG NRW, B. v. 28.10.2013 – 14 B 535/13 – juris Rn. 9 ff.; BFH, U. v. 11.3.2004 – VII R 19/02 – BFHE 205, 335/339 ff.). Rücklagen sind auch dann zu bilden, wenn Steuerforderungen entstanden, aber streitbefangen sind. Diesbezügliche Pflichtverletzungen sind in der Regel grob fahrlässig. Sind allerdings keine verwalteten Mittel (mehr) vorhanden, trifft den gesetzlichen Vertreter der juristischen Person auch nicht die Pflicht, die Steuern bzw. steuerlichen Nebenleistungen zu entrichten. Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheids hat grundsätzlich der Steuergläubiger zu belegen. Dem potentiellen Haftungsschuldner kommt hierbei nach § 90 Abs. 1, § 93 Abs. 1 Satz 1 AO eine Mitwirkungs- und Auskunftspflicht zu, deren Verletzung zu einer Beweismaßverringerung führen kann. Die objektive Beweis- bzw. Feststellungslast für das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Rücklagenbildung trägt jedoch der Steuergläubiger, hier also der Antragsgegner.
bb) Hieran gemessen bestehen nach summarischer Prüfung bisher keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Antragstellers. Maßgeblicher zeitlicher Bezugspunkt ist nicht der jeweilige Entstehungszeitpunkt der Gewerbesteuer mit Ablauf der Veranlagungsjahre 2000, 2001 etc. (vgl. § 18 GewStG), sondern die Festsetzung der Gewerbesteuererhöhungen mit Bescheiden vom 13. Oktober 2006 und 25. März 2008. Die zwischenzeitliche Aussetzung der Vollziehung, die bis ins Jahr 2011 andauerte, änderte an der Pflicht zur Rücklagenbildung nichts. Dass in den Jahren 2006/2008 bis 2011 eine Rücklagenbildung noch möglich war, hat der Antragsgegner im Haftungsbescheid bzw. im Verwaltungsverfahren jedoch nicht hinreichend festgestellt. Im Widerspruchsverfahren hat der Antragsteller mit Schreiben vom 2. März 2015 in Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht die Bilanzen der GmbH betreffend die Jahre 2006 bis 2009 vorgelegt und hierzu vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum keine Vermögenswerte zur Rücklagenbildung im Unternehmen vorhanden gewesen seien. Im Kontennachweis zur Bilanz zum 31. Dezember 2006 sind (Gewerbe-)Steuerrückstellungen sowie sonstige Rückstellungen enthalten, deren Höhe sich in den folgenden Geschäftsjahren verändert hat. Die Gewerbesteuerrückstellungen wurden offenbar aufgelöst, während die sonstigen Rückstellungen signifikant erhöht wurden. Um welche Rückstellungen es sich dabei handelt bzw. für welche Verwendungszwecke sie gebildet wurden, lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen.
Mit den vorgelegten Nachweisen zur Geschäftsentwicklung hat sich weder die Widerspruchsbehörde hinreichend auseinandergesetzt noch der anwaltlich vertretene Antragsgegner selbst, obwohl er hierzu mehrfach Gelegenheit und – nicht zuletzt durch Akteneinsicht im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens – auch Zugang zu den entsprechenden Unterlagen hatte. Konkrete Feststellungen, die den Vortrag des Antragstellers hätten widerlegen können, wurden nicht getroffen. Auch eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Geschäftslage des Unternehmens erfolgte nicht. Die Ausführungen der Widerspruchsbehörde erschöpfen sich in der Mutmaßung, dass Rücklagen entweder nicht ordnungsgemäß gebildet oder verfrüht aufgelöst und pflichtwidrig für die Begleichung anderer Verbindlichkeiten verwendet worden seien. Warum bzw. zur Begleichung welcher Forderungen die Rückstellungen für die Gewerbesteuer aufgelöst wurden und was es mit den übrigen Rückstellungen auf sich hat, wurde nicht näher hinterfragt. Es ist daher derzeit nicht hinreichend aufgeklärt, ob überhaupt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Antragstellers vorliegt, geschweige denn, auf welche konkrete Haftungssumme sie sich beziehen könnte.
Die Feststellungslast des Antragsgegners entfällt schließlich nicht deshalb, weil der Antragsteller im Fall der Zahlungsunfähigkeit der Steuerschuldnerin einen Insolvenzantrag hätte stellen müssen und fehlende Aufzeichnungen eine Beweisführung unmöglich machen würden (vgl. BayVGH, B. v. 28.7.2000 – 4 ZB 00.1416 – juris Rn. 4). Zwar wurde – nach Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Juli 2011 – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse erst Ende 2012 abgelehnt. Die aus den genannten Umständen zu gewinnende Vermutung, die Steuerschuldnerin habe zuvor noch über ausreichende Mittel verfügt, ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Haftungsschuldner das Fehlen von Mitteln lediglich behauptet, ohne dies näher darzulegen. So liegt es hier angesichts der Erfüllung der Mitwirkungspflicht seitens des Antragstellers gerade nicht.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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