Steuerrecht

Gewerbeuntersagung wegen Steuerschulden

Aktenzeichen  M 16 K 15.1418

Datum:
3.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Ein Gewerbetreibender ist dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (so ua BVerwG BeckRS 9998, 44552). (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gem. § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung steht im Rahmen der gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsprognose einer aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen resultierenden Steuerfestsetzung gleich (vgl. auch VG München BeckRS 2016, 49611; BeckRS 2016, 52480; BeckRS 2016, 52980; VG Regensburg BeckRS 2016, 42315). (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München
Aktenzeichen: M 16 K 15.1418
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 3. Februar 2016
16. Kammer
Sachgebiets-Nr. 421
Hauptpunkte:
Gewerbeuntersagung;
Unzuverlässigkeit;
Steuerrückstände;
Wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache

– Klägerin –
gegen
Landeshauptstadt München KVR HA I, Sicherheit und Ordnung vertreten durch den Oberbürgermeister Ruppertstr. 19, 80337 München
– Beklagte –
wegen Gewerbeuntersagung
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 16. Kammer,
durch die Richterin am Verwaltungsgericht … als Einzelrichterin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2016 am 3. Februar 2016 folgendes Urteil:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Gewerbeuntersagung.
Mit Bescheid der Beklagten vom … März 2015, zugestellt am 19. März 2015, wurde der Klägerin nach vorheriger Anhörung die Ausübung des Gewerbes „…“ als selbstständiger Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe untersagt (Nr. 1 des Bescheids). Die Klägerin wurde unter Androhung unmittelbaren Zwangs aufgefordert, die genannte Tätigkeit spätestens mit Ablauf des zehnten Tages nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids einzustellen (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Finanzamt … – Abteilung Erhebung – (im Folgenden: Finanzamt) habe am 9. März 2015 informiert, dass der Steuerrückstand weiterhin 16.786,69 Euro betrage. Die Steuerrückstände seien sowohl in der absoluten Höhe wie auch im Verhältnis zur steuerlichen Gesamtbelastung von einigem Gewicht. Die Klägerin habe keine ausreichenden Bemühungen zur Regulierung ihrer Steuerschulden unternommen. Die bisherigen Zahlungen, die überdies zum großen Teil über Vollziehereinsätze vereinnahmt worden seien, hätten nicht zur erforderlichen, deutlichen Reduzierung der Gesamtsteuerschuld ausgereicht. Eine Ratenzahlungsvereinbarung sei nicht getroffen worden. Es seien auch nach der zweiten Einleitung des Untersagungsverfahrens mit Schreiben vom 27. November 2014 wieder laufende Steuerverbindlichkeiten zur Steuerschuld dazu gekommen. Die bisherigen Vollstreckungsversuche seien weitgehend erfolglos verlaufen. Der Vollstreckungsbeamte des Finanzamts habe am 29. Januar 2015 und am 12. Februar 2015 eine fruchtlose Pfändung in das bewegliche Vermögen unternommen. Nach Auskunft der Berufsgenossenschaft … (im Folgenden: Berufsgenossenschaft) vom 13. März 2015 belaufe sich der Beitragsrückstand auf 5.964,03 Euro. Dies seien die Beiträge für 2011 mit 2013 sowie die Abschlagszahlung für 2014. Beitragszahlungen seien bisher ausschließlich über den Gerichtsvollzieher geleistet worden. Es seien nach wie vor drei Arbeitnehmer gemeldet. Nach den Feststellungen der Beklagten besitze die Klägerin die zur selbstständigen Ausübung ihres Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht. Die Unzuverlässigkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Finanzamt nicht ordnungsgemäß nachkomme. Die seit Jahren fortlaufende, für sie erkennbare Erhöhung ihrer laufenden Steuer- und Beitragsschulden habe die Klägerin in Kauf genommen und diese habe sie nicht zu wirkungsvollen, ausreichenden Sanierungsmaßnahmen veranlassen können. Es werde nicht verkannt, dass die Gewerbeuntersagung eine Härte für die Klägerin bedeute. Dies könne jedoch nicht dazu führen, von der Gewerbeuntersagung abzusehen, zumal seit dem erstmaligen Einleiten des Untersagungsverfahrens bereits 17 Monate vergangen seien und damit der Klägerin ein sehr langer Zeitraum zur Sanierung ihrer gewerberechtlich relevanten Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden sei. Auch durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für 2013 könne auf die Unzuverlässigkeit der Klägerin geschlossen werden, da sie diesbezüglich eine Bringpflicht gegenüber dem Finanzamt habe. Bei Würdigung aller bekannten Tatsachen könne, auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit nur durch eine Untersagung der Ausübung des Gewerbes Rechnung getragen werden.
Am 14. April 2015 hat der frühere Bevollmächtigte der Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Steuerrückstand betrage allenfalls 4.000,- Euro und werde auch noch laufend getilgt. Die Klägerin habe bei ihren Zahlungen jeweils Zeitraum und Steuer angegeben. Das Finanzamt habe gleichwohl rechtswidrig Verrechnungen und Umbuchungen vorgenommen und habe dadurch die Sache verkompliziert. Es handele sich um einen kleinen Familienbetrieb. Die steuerlichen Vorschriften seien zu kompliziert, würden jährlich auch noch geändert und seien für den Laien kaum verständlich. Die Klägerin leide an Multipler Sklerose, gleichwohl sei sie sehr tapfer, alle Tätigkeiten im Büro ordnungsgemäß und sachgerecht zu erledigen. Die Klägerin habe dem Finanzamt mehrfach ihre Quittungen und Zahlungsbelege geschickt. Ihr Vorbringen werde dort ignoriert. Da das Finanzamt eine Ratenzahlung abgelehnt habe, zahle die Klägerin an den Vollziehungsbeamten in wöchentlichen Raten von 400,- Euro den vermeintlichen Rückstand ab. Derzeit zahle sie wöchentlich 200,- Euro. Der Rückstand von 4.000,- Euro sei somit in maximal fünf Monaten abbezahlt. Die Umsatzsteuer für Dezember 2013 sei vom Finanzamt in unerklärlicher Weise doppelt in Rechnung gestellt worden. Die Prognose sei daher nicht negativ, weil die Klägerin ihren steuerlichen Pflichten im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr wohl nachkomme und sich sehr bemühe. Die Klägerin habe sich auch um eine Ratenzahlungsvereinbarung bemüht, diese sei jedoch vom zuständigen Sachbearbeiter pflichtwidrig abgelehnt worden. Eine Stundungsvereinbarung dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, dass die laufenden Steuerverbindlichkeiten getilgt seien. Die Beklagte hätte zumindest ansatzweise aufklären müssen, ob die Sachverhaltsdarstellung der Klägerin oder die des Finanzamts zutreffend sei und ob der wirkliche oder vermeintliche Rückstand von der Klägerin oder nicht eher vom Finanzamt zu vertreten sei. Die Klägerin habe einen Steuerberater beauftragt. Somit würden auch die übrigen steuerlichen Fragen geklärt werden und ein Tilgungsplan erstellt. Außerdem sei ein Betriebswirt eingeschaltet worden, der die betriebswirtschaftlichen Dinge überwache. Der Rückstand bei der Berufsgenossenschaft belaufe sich nicht auf 3.183,- Euro, sondern auf etwa 2.800,- Euro. Dabei seien auch in beträchtlichem Umfang (mehr als die Hälfte) Säumniszuschläge enthalten sowie Vollstreckungskosten. Im Übrigen leiste der Ehemann der Klägerin laufend Teilzahlungen, es handle sich um eine faktische Ratenzahlung. Das Jahr 2012 sei vollständig getilgt. Die weiteren Jahre würden ebenfalls abbezahlt. Es sei auch formell eine Stundung mit Ratenzahlung beantragt worden. Es werde bestritten, dass die Steuererklärung 2013 nicht eingereicht worden sei. Der Bescheid verstoße auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere gegen das Grundrecht auf Existenzminimum und Berufsfreiheit. Die Familie beziehe ihr Einkommen aus dem Betrieb und fiele ohne Betrieb der Sozialhilfe zur Last. Auch hätten sich anstatt des Totalentzugs Auflagen für die Erlaubnis angeboten, wie etwa der Nachweis einer monatlichen Abführung eines bestimmten Prozentsatzes aus dem Nettoeinkommen an das Finanzamt.
Die Klägerin beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom … März 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hierzu wurde im Wesentlichen vorgetragen, laut Mitteilung des Finanzamts und Rückstandsaufstellung vom 26. Juni 2015 bestehe weiterhin ein Steuerrückstand in Höhe von 19.764,30 Euro. Die bisherigen Zahlungen seien ausschließlich über den Vollzieher vereinnahmt worden, was keiner ordnungsgemäßen Erfüllung der Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Finanzamt entspreche. Im Jahr 2015 seien die bisherigen Zahlungen zum Großteil auf die laufende Umsatzsteuer gebucht worden, die auch vom Gewerbetreibenden zeitnah beglichen werden solle. Die Steuererklärung für das Jahr 2013 sei auch bis heute nicht eingereicht worden, so dass das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen habe schätzen müssen. Der Schätzbetrag sei bis heute nicht beglichen. Der Vollstreckungsaufschub sei vom Sachbearbeiter abgelehnt worden, da hierfür die Begleichung der laufenden Steuerverbindlichkeiten Voraussetzung sei. Dies sei weder zum Vorsprachetermin am 6. November 2014 erkennbar gewesen noch seien heute die laufenden Steuerverbindlichkeiten getilgt. Auch eine Sicherstellung der Tilgung innerhalb der nächsten sechs Monate mittels Nachweise habe nicht erbracht werden können. Die Umsatzsteuer für Dezember 2013 sei nicht doppelt veranlagt worden, sondern sei mit Fälligkeit 21. Februar 2014 automatisch veranlagt, mit Fälligkeit 23. Oktober 2014 durch einen geänderten Bescheid des Finanzamts neu bearbeitet und die errechnete Erhöhung, d. h. Differenz zur ursprünglichen Forderung nachveranlagt worden. Die Ermittlungspflicht sei erfüllt worden, indem seit November 2014 bis heute insgesamt 11 Protokolle der fruchtlosen Pfändung durch den Vollzieher erstellt und vom Sachbearbeiter des Finanzamts bearbeitet worden seien. Pfändbares bewegliches Vermögen sei nicht vorhanden gewesen. Aufgrund der gesundheitlichen Situation der Klägerin sei auf eine Abgabe der eidesstattlichen Versicherung von Seiten des Finanzamts verzichtet worden. Gleichwohl würden nun vom Finanzamt wieder Vollstreckungsmaßnahmen veranlasst. Nach telefonischer Auskunft der Berufsgenossenschaft vom 29. Juni 2015 belaufe sich der Beitragsrückstand für drei Arbeitnehmer derzeit auf 3.183,18 Euro. Zahlungen würden nur an den Vollstreckungsbeamten entrichtet. Der Antrag auf Ratenzahlung sei am 17. Juni 2015 abgelehnt worden, da in der Vergangenheit nur auf Druck und niemals freiwillig Beiträge entrichtet worden seien. An dem von der Klägerin bisher gewonnenen Gesamtbild hätten sich daher keine Veränderungen ergeben.
Mit Beschluss der Kammer vom 2. Oktober 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom … März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen.
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B. v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B. v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B. v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B. v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B. v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BayVGH, B. v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris).
Auch auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft oder ihm diesbezüglich ggf. „mildernde Umstände“ zur Seite stehen (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 20). Auch kommt es nicht darauf an, ob der Gewerbetreibende seine öffentlich-rechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten nicht erfüllen konnte oder nicht erfüllen wollte (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 4.6.2014 – 22 C 14.1029 – juris Rn. 14 m. w. N.).
Nicht maßgeblich ist auch, ob aufgelaufene Steuerschulden auf Schätzbescheiden beruhen. Dies folgt zum einen daraus, dass der Erlass von Schätzbescheiden die von der Rechtsordnung zwingend (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 1 AO) vorgesehene Folge der Nichterfüllung der Steuererklärungspflicht darstellt; eine Person, die diese Pflicht missachtet, kann nicht verlangen, von den rechtlichen Konsequenzen verschont zu bleiben, die die Gesetze an ein solches Fehlverhalten knüpfen. Zum anderen kommt auf Schätzungen beruhenden Steuerbescheiden, was die Verbindlichkeit der in ihnen enthaltenen feststellenden Regelungen (insbesondere über das Bestehen und die Höhe einer Steuerschuld) anbetrifft, grundsätzlich die gleiche rechtliche Wirkung wie solchen Steuerbescheiden zu, die auf einer Steuererklärung oder auf einer von Amts wegen erfolgten Ermittlung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen beruhen. Denn auch Schätzbescheide bilden nach § 218 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AO die Grundlage für die Verwirklichung der Steuerschuld; auch sie sind so lange den Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner zugrunde zu legen, als sie nicht aufgehoben wurden oder ihre kraft Gesetzes bestehende Vollziehbarkeit (vgl. § 361 Abs. 1 Satz 1 AO) ausgesetzt ist (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 19).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Die Beklagte hat die negative Prognose über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit der Klägerin in nachvollziehbarer Weise mit deren erheblichen Zahlungsrückständen beim Finanzamt und der Berufsgenossenschaft sowie wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit begründet. Sie durfte sich diesbezüglich auf die erfolgten Mitteilungen des Finanzamts und der Berufsgenossenschaft stützen. Die Klägerin hat die Richtigkeit der Angaben auch nicht substantiiert bestritten und auch keinerlei Belege vorgelegt, aus denen sich Zweifel an den Darlegungen des Finanzamts und der Berufsgenossenschaft ergeben würden.
Da für die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit die Nichterfüllung von öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten aller Art von Bedeutung ist, ist es auch unbeachtlich, dass sich ein nicht unerheblicher Anteil an den Steuerschulden (16.786,69 Euro zum Stand 27. Februar 2015, im Wesentlichen Umsatzsteuerrückstände) aus den angefallenen Säumniszuschlägen (3.712,50 Euro zum Stand 27. Februar 2015) ergibt (vgl. z. B. BayVHG, B. v. 17.10.2008 – 22 ZB 08.2592 – juris Rn. 2). Die Zahlungsrückstände bestanden auch bereits über einen längeren Zeitraum. Das Finanzamt hatte bereits mit Schreiben vom 24. Juni 2013 bei der Beklagten die Gewerbeuntersagung angeregt (bei einem damaligen Rückstand in Höhe von 11.467,92 Euro). Zum damaligen Zeitpunkt standen nach Mitteilung des Finanzamts auch die Steuererklärungen für 2010, 2011 und 2012 noch aus. Die Klägerin war mit Schreiben vom 16. September 2013 hierzu angehört worden. Aufgrund der Einlassungen der Klägerin setzte die Beklagte das Untersagungsverfahren zunächst intern aus. Zwar reichte die Klägerin im Folgenden ausstehende Steuererklärungen ein und leistete einzelne Zahlungen, der Rückstand bei dem Finanzamt stieg jedoch zum 12. Dezember 2013 auf 24.711,47 Euro an. Eine weitere Anhörung zur Gewerbeuntersagung erfolgte daher mit Schreiben der Beklagten vom … März 2014. Hierauf kam es zu weiteren Zahlungen der Klägerin an das Finanzamt. Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 bat auch die Berufsgenossenschaft um Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens, da dort Rückstände in Höhe von 9.585,48 Euro (darunter die Beiträge betreffend die Jahre 2009 bis 2012) bestünden. Daraufhin erfolgten auch diesbezüglich Zahlungen der Klägerin. Von der Beklagten wurde die Klägerin mit weiterem Schreiben vom 27. November 2014 zur Gewerbeuntersagung angehört. Der Rückstand bestand zu diesem Zeitpunkt bei dem Finanzamt in Höhe von 19.174,72 Euro, bei der Berufsgenossenschaft in Höhe von 7.507,98 Euro. Somit haben sich die Rückstände der Klägerin während des bei der Beklagten über einen längeren Zeitraum laufenden Gewerbeuntersagungsverfahrens – trotz der von ihr geleisteten Zahlungen und gegenüber der Beklagten geltend gemachten Bemühungen – nicht nachhaltig verringert, vielmehr sind die Steuerrückstände insgesamt sogar nicht unerheblich weiter angestiegen. Die Vollstreckungsmöglichkeiten waren bereits ausgeschöpft. Ein tragfähiges Sanierungskonzept der Klägerin, das die geordnete Rückführung der Steuer- und Beitragsschulden in einem überschaubaren Zeitraum hätte erwarten lassen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris Rn. 15; BayVGH, B. v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris Rn. 17 f.), lag nicht vor. Auch eine Ratenzahlungsvereinbarung bestand nicht. Die Klägerin war zudem einigen steuerlichen Erklärungspflichten allenfalls nur sehr schleppend nachgekommen.
Auf die von Seiten der Klägerin dargestellten Ursachen für die entstandenen Zahlungsrückstände kommt es nicht entscheidungserheblich an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit – wie ausgeführt – ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt. Da es grundsätzlich unerheblich ist, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft, war auch nicht entscheidungsrelevant und daher auch nicht weiter aufzuklären, aus welchen – der Klägerin ggf. nicht zurechenbaren – Gründen die angestrebte Einigung mit dem Finanzamt nicht erfolgt ist. Auch ist es nicht maßgeblich, dass die Klägerin bemüht war, ihren Zahlungspflichten nachzukommen, da sie hierzu jedenfalls wirtschaftlich nicht in der Lage war.
Insgesamt war damit zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Prognose über die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Klägerin gerechtfertigt, da sie nach dem Gesamteindruck ihres Verhaltens nicht die Gewähr dafür bot, dass sie ihr Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben werde. Auch nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses hat sich die Sachlage im Übrigen nicht wesentlich zugunsten der Klägerin verändert. Trotz der in Aussicht gestellten vollständigen Tilgung der Rückstände bei dem Finanzamt bestanden diese zuletzt weiterhin in einer Höhe von 19.378,28 Euro. Eine Reduzierung der Rückstände konnte die Klägerin daher dort nicht erreichen. Zudem stand nach wie vor die Abgabe steuerlicher Erklärungen aus.
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen, ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der erheblichen Zahlungsrückstände und der fortlaufenden Nichtbegleichung der aufgelaufenen öffentlich-rechtlichen Forderungen war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich. Eine mildere, gleichermaßen geeignete Maßnahme war nicht erkennbar. Insbesondere wäre eine Auflage, wie der von Seiten der Klägerin genannte Nachweis einer monatlichen Abführung eines bestimmten Prozentsatzes aus dem Nettoeinkommen an das Finanzamt, nicht ausreichend gewesen, da auch damit eine zuverlässige Abtragung (auch) der aufgelaufenen Rückstände neben den laufenden Steuerschulden nicht sichergestellt wäre.
Die Gewerbeuntersagung ist vorliegend auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verstoßen kann (BVerwG, B. v. 9.3.1994 – 1 B 33.94 – juris; BVerwG, B. v. 1.2.1994 – 1 B 211.93 -juris; BayVGH, z. B. B. v. 4.6.2014 – 22 C 14.1029 – juris Rn. 19). Die Voraussetzungen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im Fall der Klägerin jedoch nicht gegeben. Geringe oder fehlende Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigen nicht, von einer Gewerbeuntersagung wegen fortgesetzter Pflichtverletzung abzusehen (vgl. BayVGH, B. v. 4.6.2014 a. a. O.). Eine zeitliche Befristung der Gewerbeuntersagung war bereits deshalb nicht veranlasst, weil bei Wegfall der Unzuverlässigkeit gemäß § 35 Abs. 6 GewO ein Anspruch auf Wiedergestattung der Ausübung des Gewerbes besteht. Im Übrigen wären auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen, dass nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums die Gründe für die Prognose der fehlenden Zuverlässigkeit der Klägerin entfallen würden. Eine (zeitlich zu befristende) „Strafsanktion“ stellt die Gewerbeuntersagung nicht dar.
Gegen die weiteren Verfügungen des streitgegenständlichen Bescheids hat die Klägerin rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Die Klage waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 15.000,- Euro festgesetzt
(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz i. V. m. Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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