Steuerrecht

Keine Wohngeldbewilligung aufgrund von erhaltener Abfindung

Aktenzeichen  B 4 K 16.918

Datum:
24.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15618
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG § 13, § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 6, § 15 Abs. 2, Abs. 3, § 19
EStG § 11 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1b, § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1a
SGB II § 11

 

Leitsatz

1 Nach der Sondervorschrift des § 15 Abs. 2 Sä. 2 und 3 WoGG ist ein einmaliges Einkommen, zu dem auch eine Abfindung zählt (BT-Drs. 18/4897, S. 91), bei Zufluss innerhalb von drei Jahren vor Stellung des Wohngeldantrages den dem Zufluss folgenden drei Jahren zuzurechnen, wenn kein anderer Zurechnungszeitraum festgelegt oder vereinbart worden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die anteilige Anrechnung der Abfindung ist es unerheblich, ob diese bereits durch Pfändungen vollständig aufgebraucht worden ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 31.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 22.11.2016 ist größtenteils rechtmäßig. Soweit er rechtswidrig ist, wird der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt, da ihm für den maßgeblichen Zeitraum kein Anspruch auf Wohngeld zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Beklagte hat den Antrag zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 4 WoGG richtet sich das Wohngeld nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder (§§ 5 bis 8 WoGG), der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung (§§ 9 bis 12 WoGG) und dem Gesamteinkommen (§§ 13 bis 18 WoGG) und ist nach § 19 WoGG zu berechnen.
1.1 Die nach § 9 Abs. 1 und 2 WoGG zu ermittelnde monatliche Miete beträgt weder, wie im Bescheid des Beklagten vom 31.08.2016 angegeben, 416,87 €, noch wie im Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 22.11.2016 ausgeführt, 408,74 €. Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Betriebskostenabrechnung des Vermieters vom 28.06.2016 (Seite 49) hatte der Kläger ab dem 01.08.2016 eine monatliche Betriebskostenvorauszahlung von 111,00 € zu bezahlen. Addiert man dazu die im Mietvertrag vereinbarte Grundmiete von 300,74 € beträgt die nach § 11 WoGG zu berücksichtigende Miete 411,74 €.
1.2 Trotz der insoweit geringfügig fehlerhaften Berechnung der zu berücksichtigenden Miete liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wohngeld nicht vor. Der Beklagte hat bei der Berechnung des Gesamteinkommens die dem Kläger im Juni 2016 ausgezahlte Abfindung seines früheren Arbeitgebers in Höhe von 30.512,00 € zutreffend anteilig mit monatlich 847,56 € berücksichtigt.
Für die Bewilligung und Bemessung des Wohngeldes ist das Familieneinkommen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WoGG) maßgebend, d. h. das gesamte Jahreseinkommen im Sinne des § 14 WoGG aller zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder abzüglich der Frei- und Abzugsbeträge nach §§ 17 f. WoGG. Der dem Kläger gewährte Abfindungsbetrag ist Teil der gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 WoGG, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 19 Satz 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1b Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Berechnung des Jahreseinkommens zu berücksichtigenden Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (OVG Münster, U.v. 23.04.2012 – 12 A 2494/11 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 08.03.2012 – W 3 K 11.960 – juris Rn. 24 ff.).
Bei der Ermittlung des Jahreseinkommens sind nach §§ 15 Abs. 1, 25 WoGG grundsätzlich die Einkünfte zu Grunde zu legen, die im Zeitpunkt der Antragstellung – als dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt – im Bewilligungszeitraum zu erwarten sind. Nach der Sondervorschrift des § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 WoGG ist jedoch abweichend davon ein einmaliges Einkommen, zu dem auch eine Abfindung zählt (BT-Drs. 18/4897, S. 91), bei Zufluss innerhalb von drei Jahren vor Stellung des Wohngeldantrages den dem Zufluss folgenden drei Jahren zuzurechnen, wenn kein anderer Zurechnungszeitraum festgelegt oder vereinbart worden ist. Bei § 15 Abs. 2 WoGG handelt es sich um eine bloße Vorschrift über die Zurechnung von einmaligen Einkommen zu bestimmten Zeiträumen (VG Ansbach, U.v. 04.04.2013 – AN 14 K 12.02084 – juris Rn. 27 m.w.N.). Eine nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung ist daher auf drei Jahre nach dem Zuflussmonat zu verteilen. Mit dieser Zurechnungsregelung wird gewährleistet, dass solche zumeist erheblichen Geldbeträge nicht als Vermögenszuwachs zu behandeln sind, sondern als Einkommen über einen angemessenen Zeitraum verteilt anzurechnen sind (VG München, U.v. 27.04.2017 – M 22 K 16.1653 – juris Rn. 22).
Der Kläger hat mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses (30.06.2016) eine Abfindung in Höhe von 30.512,00 € brutto erhalten. Diese Abfindung ist ihm innerhalb von drei Jahren vor der Antragstellung am 03.08.2016 zugeflossen. Eine Vereinbarung, wonach ein anderer Zurechnungszeitraum bestimmt wird, wurde nicht vorgelegt. Daher hat der Beklagte im Ergebnis zu Recht den Bruttobetrag der Abfindung in Höhe von 847,56 € bei der Berechnung des Wohngelds im Bewilligungszeitraum ab dem 01.08.2016 berücksichtigt.
Bei der anteiligen Anrechnung der Abfindung muss zu Recht unberücksichtigt bleiben, dass diese laut Vortrag des Klägers bereits durch Pfändungen wohl vollständig aufgebraucht worden ist. Das Wohngeldgesetz sieht diesbezüglich keinen Ausnahmetatbestand vor. Maßgeblich ist nach § 15 Abs. 2 Satz 3 WoGG allein, dass dem Kläger die Abfindung innerhalb von drei Jahren vor der Antragstellung zugeflossen ist. Daher hätte die Abfindung unproblematisch bei der Berechnung des Wohngelds berücksichtigt werden müssen, wenn sie dem Kläger tatsächlich ausbezahlt worden wäre und er mit dem Geld anschließend selbst seine Schulden getilgt hätte. Eine Verwendung einmal zugeflossener Mittel ist wohngeldrechtlich nicht relevant (VG Ansbach, U.v. 04.04.2013 – AN 14 K 12.02084 – juris Rn. 38; VG München, U.v. 27.04.2017 – M 22 K 16.1653 – juris Rn. 25; OVG Lüneburg, B.v. 03.05.2011 – 4 LC 191/10 – juris Rn. 32). Dass die Abfindung aufgrund von Lohnpfändungen aufgezehrt wurde, kann wohngeldrechtlich keinerlei Auswirkungen haben. Wegen der engen Verknüpfung der Einkommensermittlung des Wohngeldrechts mit dem Einkommensteuerrecht (vgl. § 14 EStG) ist bei der Frage des Zuflusses grundsätzlich § 11 Abs. 1 EStG entsprechend anwendbar. Einnahmen fließen dem Steuerpflichtigen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu, sobald er über sie wirtschaftlich verfügen kann und infolgedessen bei ihm eine Vermögensmehrung eingetreten ist (vgl. auch Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG – Kommentar, Stand: 04/2016, § 15 Rn. 37, § 14 Rn. 42). Die Form des Übergangs der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ist unerheblich. Der Steuerpflichtige erlangt diese auch dann, wenn der Geld- oder Sachwert im abgekürzten Zahlungsweg an einen Dritten für Rechnung des Steuerpflichtigen geleistet wird (BFH, U.v. 15.11.2007 – VI R 66/03 – juris Rn. 11 m.w.N.). Daher schließen auch bereits im Leistungszeitpunkt bestehende gesetzliche oder obligatorische Verfügungsbeschränkungen die für den Zufluss erforderliche Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht grundsätzlich nicht aus. Bei einer Pfändung fließt der gepfändete Betrag dem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in dem die Zahlung beim Gläubiger eingeht (BFH, U.v. 15.11.2007 – VI R 66/03 – juris Rn. 13; im Falle eines Wohngeldanspruchs vgl. OVG Lüneburg, U.v. 07.02.1991 – 14 L 151/89 – unveröffentlicht). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger durch die Lohnpfändungen im Juni 2016 eine Befreiung von seinen Verbindlichkeiten erlangt. Damit ist eine Vermögensmehrung eingetreten und die gepfändeten Beträge sind ihm im Juni 2016 i. S. v. § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 WoGG zugeflossen. Auf das Ausstellungsdatum der der Pfändung zugrundeliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse kommt es damit nicht an.
Anders als der Kläger meint, rechtfertigt auch ein Vergleich mit § 11 SGB II keine andere rechtliche Einschätzung. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende gepfändete Teile des Arbeitslohns grundsätzlich als Einkommen i. S. v. § 11 Abs. 1 SGB II berücksichtigt werden (BSG, U.v. 10.05.2011 – B 4 KG 1/10 R – juris Rn. 17 f.; Schmidt, in: Eicher/Luik [Hrsg.], SGB II, 4. Aufl. 2017, § 11 Rn. 26). Eine Ausnahme kommt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte die Rückgängigmachung der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne weiteres realisieren kann, weil ihm dann bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung stehen (BSG, U.v. 10.05.2011 – B 4 KG 1/10 R – juris Rn. 19). Das Gericht kann die Frage offenlassen, ob der Kläger die Pfändung hätte rückgängig machen können. Die Rechtsprechung des BSG kann nicht uneingeschränkt auf den Bereich des Wohngelds übertragen werden. Dies folgt aus dem an der Beseitigung von Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) orientierten existenzsichernden Charakters der SGB II-Leistungen. Im Bereich der Versorgung sozial Bedürftiger mit Wohnraum durch die staatliche Gewähr von Wohngeld werden dagegen primär wohnungsbaupolitische Ziele verfolgt (BayVGH, B.v. 19.08.2013 – 12 C 13.1519 – juris Rn. 13; OVG Lüneburg, B.v. 03.08.2007 – 4 OA 12/06 – juris Rn. 13). Dem Kläger hätte daher, wenn er ohne Wohngeld seine Existenz nicht mehr hätte sichern können – sozusagen als Notauffang – ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zugestanden, die – zumindest vom Grundsatz her – auch Kosten einer angemessenen Wohnung (§ 22 SGB II) umfasst hätten (so auch OVG Lüneburg, U.v. 07.02.1991 – 14 L 151/89 – unveröffentlicht).
Bei Berücksichtigung der Abfindung als Bestandteil des Jahreseinkommens zuzüglich des dem Kläger im Bewilligungszeitraum als Einkommensersatzleistung (§ 14 Abs. 2 Nr. 6 WoGG, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a) EStG) zugeflossenen Arbeitslosengelds ergibt sich aus § 19 WoGG kein Wohngeldanspruch.
2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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