Steuerrecht

Klage gegen das Finanzamt wegen Veranlagung der Erbschaftssteuer

Aktenzeichen  4 K 635/20

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45358
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 52a Abs. 7, § 53, § 65 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 79b Abs. 1, § 135 Abs. 1, § 155 S. 1
ZPO § 130a, § 130b S. 1, § 166, § 169 Abs. 5, § 189, § 298 Abs. 2 S. 3 u. 4
ErbStG § 13d

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

Die Klage ist unzulässig, da das Klagebegehren nicht innerhalb der Frist des § 65 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO bezeichnet wurde.
1. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss eine Klage unter anderem den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Genügt die Klage diesen Erfordernissen nicht, so kann der Senatsvorsitzende oder der Berichterstatter des Finanzgerichts dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Wird diese Frist versäumt, so ist die Klage – vorbehaltlich der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – endgültig unzulässig.
Wie weit das Klagebegehren einer Klage im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben der Klägerin in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die die Klägerin treffende Rechtsverletzung nach deren Ansicht liegt (BFH-Beschlüsse vom 30.04.2001 VII B 325/00, BFH/NV 2001, 1227; vom 17.01.2002 VI B 114/01, BStBl II 2002, 306). Der Gegenstand des Klagebegehrens kann auch im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festgestellt werden (BFH-Beschluss vom 20.09.2002 IV B 198/01, BFH/NV 2003, 190, m.w.N.). Bei der Auslegung einer Klage sind sämtliche dem Finanzgericht und der Finanzbehörde erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art einschließlich der dem Gericht vorliegenden Akten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 14.06.2000 X R 18/99, BFH/NV 2001, 170, m.w.N.).
Grundsätzlich nicht ausreichend sind die Ankündigung eines Sachvortrags, die Ankündigung einer nachzureichenden Steuererklärung, der allgemeine Hinweis, die Besteuerungsgrundlagen seien zu hoch geschätzt worden, oder der Antrag auf „Aufhebung“ eines Schätzungsbescheides, wenn der Sache nach erkennbar und typischerweise eine Herabsetzung der Steuer nach Maßgabe von noch abzugebenden Steuererklärungen begehrt wird (BFH-Urteil vom 08.07.1998 I R 23/97, BStBl II 1998, 628). Das Klagebegehren ist auch dann nicht ausreichend bezeichnet, wenn vorgetragen wird, dass der Steuerbescheid in verschiedenen (nicht näher bezeichneten) Positionen unrichtig sei (BFH-Beschluss vom 23.10.2008 X B 138/08, n.v.).
Sinn und Zweck des § 65 Abs. 1 FGO und die Fassung dieser Vorschrift schließen es allerdings aus, vom Finanzgericht zu verlangen, den Gegenstand des Klagebegehrens anhand einer Vielzahl ihm vorgelegter Unterlagen selbst zu ermitteln, und die Anforderungen des § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO als erfüllt anzusehen, wenn die vorgelegten Unterlagen dies mehr oder weniger leicht und zuverlässig ermöglichen (BFH-Urteil vom 13.06.1996 III R 93/95, BStBl II 1996, 483).
2. Die erhobene Klage lässt nicht erkennen, ob und in welchem Umfang der angefochtene Bescheid korrigiert werden soll.
Der von der Klägerin angegebene Klagegegenstand ist zu unpräzise, um das Klagebegehren ausreichend genau einzugrenzen. Unklar bleibt, ob die Klägerin mit dieser Angabe wirklich die Veranlagung entsprechend der eingereichten Erklärung begehrt oder nur die Übernahme der in der Erklärung genannten Werte zu den einzeln benannten Punkten. Auch ist die pauschale Angabe „Veranlagung gemäß der übermittelten Erbschaftsteuererklärung“ angesichts des erreichten Ermittlungsstandes und der Korrespondenz zwischen Klägerin und Finanzamt uneindeutig, da in Abweichung von der Erklärung u.a. auch Abzugsposten zugunsten der Klägerin (Steuerschulden) oder Besitzposten nach Angabe der Klägerin (Zinsansprüche) angesetzt wurden und ein Wunsch der Klägerin hinter diesen Stand zurückzufallen nicht ernstlich angenommen werden kann. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die pauschale Angabe „Veranlagung wie erklärt“ das Gericht am letzten Tag der gesetzten Frist gegen Büroschluss per Telefax erreichte, erscheint naheliegend, dass sich die – hierbei durch einen Berufsvertreter vertretene Klägerin – nicht inhaltlich mit der Frage auseinandergesetzt hat, was Gegenstand der Klage sein soll. Aus einer derartigen Erklärung lässt sich eine präzise Eingrenzung der richterlichen Entscheidungsbefugnis nicht ableiten. Nachträglich lässt sich eine solche Unklarheit nicht beseitigen. Die Annahme der Klägerin, durch die detaillierte Einspruchsentscheidung ergebe sich eine hinreichende Bezeichnung ihres Klagebegehrens geht fehl, weil die Klägerin diesen Rückgriff durch ihren Antrag „erklärungsgemäß“ veranlagt zu werden, unmöglich gemacht hat.
3. Dass das der Klägerin übermittelte Schreiben eine Abschrift ohne Beglaubigungsvermerk war, hindert die Wirksamkeit der Ausschlussfristsetzung nicht.
a) Die Rechtsprechung verlangt für die Wirksamkeit einer Ausschlussfristsetzung nach §§ 65 Abs. 2, 79b Abs. 1 FGO eine richterliche Unterschrift und die Zustellung der Fristsetzung (vgl. z.B. zur früheren Rechtslage BFH, Urteil vom 24. Juni 1993 – VII R 135/92 -, Rn. 16, BFH/NV 1994, 393).
b) Bereits das Erfordernis einer Unterschrift ergibt sich allerdings nicht aus der Finanzgerichtsordnung oder der Zivilprozessordnung, sondern wird allgemein aus der Erfordernis abgeleitet, dass eine gerichtliche Willensäußerung, die Rechtswirkungen für die Prozessbeteiligten habe, ihren Urheber erkennen lassen müsse (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26. August 1982 – IV R 31/82 -, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23, Rn. 9). Während dies bei papierenen Schriftstücken nur über einen handschriftlichen Namenszug gewährleistet werden konnte (mit der durch die individuelle Handschrift verbürgten Urheberschaft), sind Zweifel angebracht, ob dies auch hinsichtlich elektronisch erzeugter Dokumente gilt, bei denen bereits auf Systemebene die Urheberschaft von Dokumenten über die mit dem Dokument untrennbar verbundenen Metadaten zwingend erfasst wird. Auch scheint der Einwand von Manipulationsmöglichkeiten und ggf. fahrlässiger Datenbeeinträchtigung nicht weit zu tragen, denn das bewährte System der Führung von Papierakten beruht auf der Grundannahme, dass solche Fehler innerhalb des Gerichts vernachlässigbar sind.
Die Fristsetzung vom 25.05.2020 wurde am selben Tag vom zuständigen Berichterstatter ordnungsgemäß mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur unterschrieben (§ 52a Abs. 7 FGO; vgl. auch Stalbold in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 155. Lieferung, § 79b (Fristensetzung), Rn. 38).
c) Nach dem herkömmlichen Verständnis von 169 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) – nach § 155 Satz 1 FGO verbindlich für das finanzgerichtliche Verfahren – erfordert die Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks in Abschrift die Beglaubigung durch die Geschäftsstelle, mit der diese die Gewähr für die inhaltliche Übereinstimmung von Original und Abschrift übernimmt (vgl. z.B. Diehm in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 169 ZPO Rn. 5; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 169 ZPO, Rn. 9).
Hingegen verzichtet das Gesetz bei der elektronischen Zustellung eines elektronischen Dokuments auf diese Beglaubigung unter bestimmten Voraussetzungen (§ 169 Abs. 5 ZPO), nämlich, wenn es
1.nach § 130a oder § 130b Satz 1 mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Personen versehen ist,
2.nach § 130a auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurde und mit einem Authentizitäts- und Integritätsnachweis versehen ist oder
3.nach Maßgabe des § 298a errichtet wurde und mit einem Übertragungsnachweis nach § 298a Absatz 2 Satz 3 oder 4 versehen ist.
Damit genügt nach § 169 Abs. 5 ZPO für gerichtseigene elektronische Dokumente die elektronische Zustellung ohne Beglaubigungsvermerk.
Seinem Wortlaut nach bestimmt § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur, wie die Beglaubigung von zuzustellenden Schriftstücken zu erfolgen hat und setzt ein Beglaubigungsbedürfnis voraus. Eine Pflicht zur Beglaubigung jedes zuzustellenden Schriftstücks lässt sich dieser Vorschrift hingegen schon grammatikalisch nicht entnehmen (aA wohl BGH, Teilversäumnisurteil vom 22. Dezember 2015 – VI ZR 79/15 -, BGHZ 208, 255).
Elektronische Dokumente werden nicht in Abschrift, also aufgrund eines menschlichen und fehlerträchtigen Abschreibeprozesses der – außer der menschlichen Überprüfung – keinerlei Gewähr für die Übereinstimmung von Original und Abschrift bietet, an die Beteiligten weitergegeben, sondern – bei der herkömmlichen Zustellung – als (ggf. Fax-)Ausdruck oder – bei der elektronischen Zustellung – im Original. In beiden Fällen sind Zweifel an der inhaltlichen Übereinstimmung von Original in der Gerichtsakte und versendetem Ausdruck oder Original nicht angezeigt. In diesen Fällen ist ein Erklärungsinhalt der Beglaubigung nicht erkennbar. Auch eine Bestätigung des Inhalts, dass das versendete Dokument genau das Dokument ist, welches der betreffende Beteiligte nach der Intention des Verantwortenden empfangen sollte, scheidet aus, da nach den üblichen Abläufen in der Gerichtsverwaltung der Beglaubigende nicht personenidentisch mit dem Versendenden ist.
d) Die Ausschlussfristsetzung wurde der Klägerin wirksam zugestellt.
aa) Die Zustellung eines elektronisch erstellten gerichtlichen Dokuments als Ausdruck ohne Beglaubigungsvermerk verstößt nicht gegen § 169 ZPO.
Ohne ein Bedürfnis zur Beglaubigung der inhaltlichen Übereinstimmung des dem Beteiligten übermittelten Dokuments mit dem im Gericht verbleibenden Original (s. c.) ergibt sich keine durch die Zustellungsvorschriften geschützte Rechtsposition der Beteiligten.
Die Förmlichkeiten der Verfahren des gerichtlichen Rechtsschutzes sind entsprechend ihrem Zweck, nämlich die materiellen Rechte der Beteiligten zu wahren, auszulegen (vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 05. November 1973 – GrS 2/72 -, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Sie sollen die einwandfreie Durchführung eines Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April 1979 – GmS-OGB 1/78 -, BGHZ 75, 340-352, BVerwGE 58, 359-368, Rn. 31). Die Rechtsprechung hat sich dabei schon früh von den „Praktikabilitätsbedürfnissen eines modernen Schriftverkehrs“ leiten lassen und allzu strengen Auslegungen widersprochen (so Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April 1979 – GmS-OGB 1/78 -, BGHZ 75, 340-352, BVerwGE 58, 359-368, Rn. 35).
Diese Rechtsprechung ist zwar geprägt von der Verteidigung der Rechte der Beteiligten gegen eine übertriebene Formstrenge der Gerichte (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1963 – 1 BvR 610/62 -, BVerfGE 15, 288-298, Rn. 10), der Ausgangspunkt, Formerfordernisse entsprechend ihrer Hilfsfunktion für die Wahrung von Beteiligtenrechten auszulegen, muss aber auch für die Anforderungen an die durch das Gericht zu wahrende Form gelten.
Im Fall der – nicht elektronischen – Zustellung von im Gericht elektronisch erstellten Dokumenten ist eine Verfälschung des Inhalts des bekanntzugebenden Dokuments im ordentlichen Geschäftsgang nicht denkbar, für einen Nachweis des Inhalts des Wortlauts des bei den Akten verbleibenden Originals im Wege der öffentlichen Urkunde (vgl. Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 166 ZPO, Rn. 9) besteht kein Bedürfnis (vgl. auch Finster in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 53 FGO (Stand: 01.11.2020)).
bb) Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird bestätigt durch die Regeln zur Heilung von Zustellungsmängeln.
Nach § 189 ZPO bleiben Zustellungsmängel unbeachtlich, wenn der Zustellungszweck erreicht ist. Damit will das Gesetz verhindern, die förmlichen Zustellungsvorschriften zum Selbstzweck erstarren zu lassen (BGH, Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 11/16 -, BGHZ 214, 294-314, Rn. 38). Daraus lässt sich ableiten, dass bereits auf der Ebene der Auslegung der Formvorschriften der Zustellungszweck als einer übermäßigen Förmlichkeit entgegenwirkend beachtet werden muss. Für eine Heilung eines durch eine nicht an den Zustellungszwecken orientierten Auslegung von § 169 ZPO erzwungenen Ergebnisses besteht dann kein Bedürfnis.
cc) Auch wenn man voraussetzte, dass § 169 ZPO auch bei elektronisch erstellten gerichtlichen Dokumenten einen Beglaubigungsvermerk erforderte, wäre hier davon auszugehen, dass eine Heilung nach § 189 ZPO eingetreten wäre. Die Klägerin hat unbestritten die Ausschlussfristsetzung (durch ihren Prozessvertreter) erhalten (vgl. z.B. BGH, Teilversäumnisurteil vom 22. Dezember 2015 – VI ZR 79/15 -, BGHZ 208, 255; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 189 ZPO, Rn. 9; Leipold in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 259. Lieferung 08.2020, § 53 FGO, Rn. 167; Neumann in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 155. Lieferung, § 53 (Zustellung), Rn. 49; Finster in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 53 FGO (Stand: 01.11.2020), Rn. 29).
Die Kosten des Verfahrens sind der Klägerin aufzuerlegen, da sie unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO).


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