Steuerrecht

Klagerücknahmefiktion, Nichtbetreiben des Verfahrens

Aktenzeichen  Au 9 K 21.792

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1798
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gilt.
II. Das Verfahren wird eingestellt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Nach den Feststellungen des zuständigen Landratsamts betrieb der Kläger auf den Grundstücken FlNr. … und … der Gemarkung … eine nicht genehmigte Anlage zur Lagerung und Behandlung von Altfahrzeugen und Altfahrzeugteilen. Nach vorheriger Anhörung des Klägers untersagte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2021 den Weiterbetrieb der auf den Grundstücken FlNr. … und … der Gemarkung … festgestellten Anlage (Ziffer I. des Bescheids), verpflichtete den Kläger zur ordnungsgemäßen und schadlosen Beseitigung aller auf dem Grundstück vorhandenen Abfälle unter vorheriger Erstellung eines durch einen Entsorgungsfachbetrieb zu erstellenden Entsorgungskonzepts (Ziffer II.), wobei die Räumung des Grundstücks erst nach erfolgter Zustimmung des Landratsamts zum Entsorgungskonzept erfolgen dürfe und spätestens drei Monate nach der Zustimmung abgeschlossen sein müsse (Ziffer III.). Zudem seien die entsprechenden Entsorgungsnachweise vorzulegen (Ziffer IV.). Für den Fall nicht fristgerechter Erfüllung der Verpflichtungen nach Ziffer I. bis IV. wurden im einzelnen bezifferte Zwangsgelder angedroht (Ziffer V.). Die sofortige Vollziehung des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer VI.). Der Bescheid wurde dem Kläger am 2. März 2021 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt.
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger über seinen Bevollmächtigten am 1. April 2021 Klage erheben mit dem Antrag,
Der Bescheid des Landratsamts … vom 24. Februar 2021 (Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes; Anordnung der Stilllegung eines nicht genehmigten Anlagebetriebs gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG), zugestellt am 2. März 2021 wird aufgehoben.
Weiterhin wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung beantragt. Zur Begründung der Klage wurde um Akteneinsicht gebeten.
Mit Schreiben vom 28. April 2021 wurden dem Bevollmächtigten die Akten für eine Woche zur Einsichtnahme übersandt. Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 bat der Bevollmächtigte des Klägers um Verlängerung der Rückgabefrist der Akten bis zum 14. Mai 2021. Am 11. Mai 2021 wurden die überlassenen Behördenakten zurückgesandt, eine Äußerung zu Sache erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2021 bat der Bevollmächtigte des Klägers um Verlängerung der Äußerungsfrist bis 30. Juni 2021, da sich der alleinige Sachbearbeiter im Krankenstand befinde und erst am nächsten Tag in die Kanzlei zurückkehren werde. Unter Bezugnahme auf fehlende Informationen wurde mit Schreiben vom 30. Juni 2021 erneut eine Fristverlängerung bis zum 30. Juli 2021 beantragt. Mit Schreiben vom 30. Juli 2021 wurde unter Bezugnahme auf vom Kläger vorgelegter Unterlagen um weitere Fristverlängerung bis zum 17. August 2021 gebeten. Mit weiterem Schreiben vom 17. August 2021 bat der Bevollmächtigte unter Hinweis auf urlaubs- und krankheitsbedingter Gründe um weitere Fristverlängerung bis zum 31. August 2021. Ein weiterer Antrag auf Fristverlängerung bis zum 17. September 2021 erfolgte mit Schreiben vom 31. August 2021. Am 17. September 2021 beantragte der Bevollmächtigte erneut die Verlängerung der Frist bis zum 7. Oktober 2021, mit dem Hinweis, dass eine Zuordnung der Fahrzeuge zu den jeweiligen Eigentümern ausstehe.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 22. September 2021 wurde dem Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass die Frist letztmalig antragsgemäß verlängert werde. Weiterhin wurde der Bevollmächtigte des Klägers aufgefordert, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vorzulegen. Andernfalls müsse der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt werden. Die entsprechenden Formulare wurden mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 vorgelegt, eine Äußerung zur Sache erfolgte weiterhin nicht. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, es seien Umständen eingetreten, die bedingen würden, dass die Klagebegründung nicht erfolgen könne. Das Anwesen sei vom Nachlassinsolvenzverwalter verkauft worden. Um weitere Verlängerung der Frist bis 30. November 2021 werde gebeten.
Mit Schreiben vom 2. November 2021 forderte das Gericht den Bevollmächtigten des Klägers gemäß § 92 Abs. 2 VwGO auf, innerhalb von 2 Monaten ab Zustellung des Schreibens die Klage vom 1. April 2021 zu begründen. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass die Klage für den Fall, dass dieser Aufforderung nicht fristgemäß nachgekommen werde, gemäß § 92 Abs. 2 VwGO als zurückgenommen gilt. In diesem Fall habe die Klagepartei die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dieses Schreiben wurde dem Bevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 4. November 2021 zugestellt.
Mit Schreiben vom 4. Januar 2021 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger zwischenzeitlich den ihm mit dem streitgegenständlichen Bescheid untersagten Betrieb eingestellt habe. Es habe sich eine neue Situation ergeben. Es stehe im Raum, dass die Klage umgestellt werden müsse, auch sei eine Erledigungserklärung denkbar. Um weitere Verlängerung der Frist bis zum 4. Februar 2021 werde gebeten.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Klage gilt aufgrund der Rücknahmefiktion des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO als zurückgenommen, weil der Bevollmächtigte des Klägers das Klageverfahren trotz der Betreibensaufforderung durch das Gericht nicht innerhalb der Betreibensfrist nicht weitergeführt hat.
Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger den Prozess unzureichend betrieben hat, er unter entsprechender Belehrung im Sinn von § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert wurde und der Kläger den Prozess weitere zwei Monate nicht betrieben hat. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, spricht das Gericht diese Rechtsfolge durch Beschluss aus und stellt das Verfahren ein (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 16).
Anknüpfungspunkt für die in § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelte Klagerücknahmefiktion ist der vermutete Wegfall des Rechtsschutzinteresses, wobei konkrete Anhaltspunkte für ein fehlendes Interesse an der Verfahrensfortsetzung vorliegen müssen. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung mangels Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist, eine Gewissheit über das Fehlen des Rechtsschutzinteresses ist nicht erforderlich (BVerfG, B.v. 17.9.2012 – 1 BvR 2254/11 – NVwZ 2013, 136 = juris Rn. 27; BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1.05 – juris Rn. 4). Der Kläger kann diese Vermutung jedoch widerlegen, indem er das Verfahren weiter betreibt. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.1985 – 9 C 48.84 – BVerwGE 71, 213; zu den einzelnen Voraussetzungen s.a. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Feb. 2019, § 92 Rn. 38 ff.; Wolff in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 92 Rn. 15 ff.) sind die Voraussetzungen für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO (1.) ein Verhalten des Klägers, das die Vermutung begründet, sein Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, (2.) eine Betreibensaufforderung, in der der Kläger gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Rechtsfolgen der Aufforderung hinzuweisen ist und (3.) das Nichtbetreiben durch den Kläger innerhalb der nächsten zwei Monate. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
1. Die Prozessführung seitens der Klagepartei begründete die Vermutung, dass das Interesse an der Fortführung des Verfahrens entfallen ist. Am 1. April 2021 wurde gegen den Bescheid vom 24. Februar 2021 Klage erhoben. Die Begründung der Klage wurde einem späteren Schriftsatz vorbehalten. Trotz zahlreicher gewährter Verlängerungen erfolgte in der Folgezeit weiterhin keine Klagebegründung, so dass das Gericht mit Schreiben vom 22. September 2021 dem Bevollmächtigten mitteilte, dass die Klagebegründungsfrist letztmalig verlängert werde. Bis zum Ablauf der Frist erfolgte allerdings weiterhin keine Begründung. Eine Aufforderung nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn der Kläger – wie im vorliegenden Fall – die Vorlage einer Klagebegründung selbst ankündigt, sich aber trotz gerichtlicher Aufforderung über längere Zeit nicht zur Sache äußert (BVerwG, U.v. 15.1.1991 – 9 C 96.89 – juris Rn. 11 zum insoweit regelungsgleichen § 33 AsylVfG). Denn Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses können auch daraus folgen, dass der Kläger den von ihm zu erwartenden prozessualen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (BVerwG, U.v. 23.4.1985 – 9 C 48.84 – BVerwGE 71, 213 = juris Rn. 23). Ein sicherer Schluss auf das Nichtbestehen des Rechtsschutzinteresses ist nicht erforderlich (BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1.05 – juris Rn. 4). Da das Verfahren somit unzureichend betrieben wurde, bestand Anlass für eine Betreibensaufforderung nach § 92 Abs. 2 VwGO.
2. Mit Schreiben vom 2. November 2021 wurde die Klagepartei daher aufgefordert, die Klage innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Schreibens zu begründen. Zugleich wurde sie gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO über die Folgen der Nichtbeachtung der Betreibensaufforderung belehrt. Dieses Schreiben wurde der Klagepartei ausweislich des unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 4. November 2021 zugestellt, so dass die gesetzliche Frist des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO gemäß § 57 VwGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am Montag, den 4. Januar 2021, 24 Uhr, endete.
3. Da bis zum Ablauf der Betreibensfrist die geforderte Handlung nicht vorgenommen wurde, gilt die Klage mit Ablauf des 4. Januar 2021 als zurückgenommen (§ 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Antrag auf Verlängerung der Klagebegründungsfrist, der dem Verwaltungsgericht am gleichen Tag zugeleitet wurde, ändert an dieser gesetzlichen Folge nichts. Die Betreibensfrist wird zwar durch richterliche Verfügung veranlasst, ihre Dauer ist aber normativ festgelegt. Es handelt sich somit um eine gesetzliche Frist, die als solche weder verkürzt noch verlängert werden kann. Der Antrag auf Fristverlängerung ist daher gegenstandslos und kann die gesetzliche Vermutung des Entfallens des Rechtsschutzinteresses nicht ausräumen (Clausing in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019 § 92 Rn. 56).
Nach Zustellung der Betreibensaufforderung gemäß § 92 Abs. 2 VwGO ist es Aufgabe des Bevollmächtigten des Klägers, die dieser Vorschrift zugrunde liegende tatsächliche Vermutung des entfallenen Rechtsschutzinteresses dadurch zu entkräften, dass das Verfahren innerhalb von zwei Monaten betrieben und die geforderte Handlung vorgenommen wird. Während der zweimonatigen Dauer der Frist hat jedoch die bevollmächtigte Kanzlei die geforderte Klagebegründung nicht vorgenommen. Die Übersendung der Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht geeignet, den Eintritt der gesetzlichen Folge der Betreibensaufforderung gemäß § 92 Abs. 2 VwGO zu verhindern. Wird der Kläger zur Vornahme konkreter Verfahrenshandlungen aufgefordert, so betreibt er das Verfahren nur dann weiter, wenn er die erbetene Verfahrenshandlung fristgerecht vornimmt. Die Übersendung eines Formblatts über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ersetzt die geforderte Klagebegründung nicht. Die Mitteilung im Schriftsatz vom 4. Januar 2022, der Betrieb des Klägers sei stillgelegt worden und es stehe die Abgabe einer Erledigungserklärung im Raum, bestätigt letztlich das gesetzlich vermutete Fehlen des Rechtsschutzinteresses.
Daher ist mit Ablauf der Frist des § 92 Abs. 2 VwGO die Klagerücknahmefiktion eingetreten. Diese gesetzliche Frist ist nicht verlängerbar, auch ist eine Wiedereinsetzung gemäß § 60 VwGO – außer bei höherer Gewalt – nicht möglich (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 19 m.w.N.). Für ein Vorliegen höherer Gewalt gibt es keine Anhaltspunkte.
Nachdem die Klagepartei der Aufforderung zur Klagebegründung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist nachkam, gilt die Klage mit Ablauf des 4. Januar 2022 als zurückgenommen (§ 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Gemäß § 92 Abs. 3 VwGO ist daher das Verfahren mit der Kostenfolge nach § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).


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