Steuerrecht

(Korrektur von Steuerbescheiden – Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen – Sinn und Zweck des § 173 AO)

Aktenzeichen  VI R 27/08

Datum:
22.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 173 Abs 1 Nr 2 AO
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. NV: Ein Steuerbescheid darf wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nicht aufgehoben oder geändert werden, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anders entschieden hätte.
2. NV: Maßgebend für diese Kausalitätsprüfung ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem das FA die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen hat.
3. NV: Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen.
4. NV: Liegen unmittelbar zu der umstrittenen Rechtslage weder Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vor, so ist aufgrund anderer objektiver Umstände abzuschätzen, wie das FA in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts entschieden hätte. Dabei sind das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse ohne Bedeutung.

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 5. Mai 2008, Az: 17 K 692/07 E, Urteil

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern sind.
2
Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2001 bis 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger, der bei der Stadtsparkasse A beschäftigt war, erwarb im Rahmen dieser Tätigkeit auch Ansprüche auf eine betriebliche Altersvorsorge. Bedingt durch die Auflösung der Zusatzversorgungskasse der Landeshauptstadt A wechselte die Stadtsparkasse zur Durchführung ihrer betrieblichen Altersvorsorge zur Y-Zusatzversorgungskasse in B. Zum Ausgleich hierfür hat sie an die übernehmende Versorgungskasse neben einer allgemeinen Umlage einen jährlichen Nachteilsausgleich geleistet, diese Zahlungen –anteilig– als Arbeitslohn des Klägers behandelt und dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Dementsprechend sind auch die auf den Kläger entfallenden Nachteilsausgleichszahlungen in den auf den Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen Bruttoarbeitslöhne enthalten und in die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre eingegangen.
3
Von diesem Umstand erfuhr der Kläger erstmals auf Grund einer “Allgemeinen Information” der Stadtparkasse A vom 15. März 2006. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, dass die Versteuerung fehlerhaft gewesen sei, wie sich aus dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. September 2005 VI R 148/98 (BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532) ergebe. Daraufhin beantragten die Kläger beim Beklagten, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) erfolglos, die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahingehend zu ändern, dass die zu Unrecht erfolgte Besteuerung des Nachteilsausgleichs als Arbeitslohn rückgängig gemacht werde. Auch die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg. Der fristgerecht erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) für die Streitjahre 2001 und 2002 mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1346 veröffentlichten Gründen statt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
4
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
5
Das FA beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 5. Mai 2008  17 K 692/07 E aufzuheben, soweit das FA verpflichtet worden ist, die Einkommensteuerbescheide für 2001 vom 23. September 2002 und für 2002 vom 5. Dezember 2003 dahin zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 2.013,67 DM (2001) und 1.053,78 € (2002) niedriger festgesetzt werden, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
6
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
7
Die Kläger haben wegen der Streitjahre 2003 und 2004 ebenfalls Revision eingelegt.
8
Die Kläger beantragen insoweit,
unter Abänderung des Urteils des FG Düsseldorf vom 5. Mai 2008  17 K 692/07 E und Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 16. Januar 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2007 das FA auch zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 2003 vom 12. Januar 2005 und für 2004 vom 1. August 2005 dahin zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 1.111,56 € (2003) und 1.169,15 € (2004) niedriger festgesetzt werden.
9
Das FA beantragt,
die Revision der Kläger wegen Einkommensteuer 2003 und 2004 zurückzuweisen.


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