Steuerrecht

Missbrauch des Ablehnungsrechts und erfolglose Anhörungsrüge

Aktenzeichen  9 C 20.73

Datum:
10.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3086
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZPO § 42, § 44 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Indizien für einen Missbrauch des Ablehnungsrechts können sein, dass die Begründung des Gesuchs nicht hinreichend konkret auf den bzw. die abgelehnten Richter bezogen ist, dass der Inhalt der Begründung von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen oder dass verfahrensfremde Zwecke, wie etwa das Ziel, den Prozess zu verschleppen, verfolgt werden. Solche Indizien ermöglichen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs, wenn zur Begründung des Rechtsmissbrauchs nicht auf den Verfahrensgegenstand selbst eingegangen werden muss (Anschluss an BVerwG BeckRS 2018, 10567). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vorbringen im Rahmen der Anhörungsrüge, welches die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung geltend macht, verkennt den Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO und den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG, der weder die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung garantiert (st Rspr. BVerfG BeckRS 2010, 51387). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 C 19.2202 2019-12-20 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit gegen die Mitglieder des 9. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der Besetzung des mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschlusses vom 20. Dezember 2019 (9 C 19.2202) wird verworfen.
II. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens der Anhörungsrüge zu tragen.

Gründe

I.
Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 13. Januar 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen am selben Tag, Anhörungsrüge gegen den Beschluss des 9. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Dezember 2019 betreffend ihre Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. September 2019, mit dem ihr (erneuter) Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für ihre Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines „Bienenhauses in Holzbauweise“ auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … in … abgelehnt wurde. Mit gleichem Schriftsatz lehnte die Klägerin den entscheidenden Senat wegen der Besorgnis der Befangenheit wegen der im Einzelnen geltend gemachten Rügen und der damit aus Sicht der Klägerin verbundenen schweren Beeinträchtigung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör ab. Der Senat habe das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin auf der Basis von Spekulationen beurteilt.
II.
Das Rechtsschutzbegehren hat insgesamt keinen Erfolg.
1. Das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Zulässigkeit einer Richterablehnung bereits entgegensteht, dass dieses Gesuch erstmals im Rahmen eines Verfahrens der Anhörungsrüge vorgebracht wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2018 – 10 ZB 18.406 – juris Rn. 2, vgl. zum Meinungsstand aber auch: BVerwG, B.v. 29.11.2018 – 9 B 26.18 – juris Rn. 3 ff. m.w.N.). Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist jedenfalls deshalb unzulässig und durch die am mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss vom 20. Dezember 2019 mitwirkenden Richter zu verwerfen, weil es offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist.
Ein Ablehnungsgesuch kann ausnahmsweise dann unter Mitwirkung abgelehnter Richter als unzulässig verworfen werden oder überhaupt unberücksichtigt bleiben, wenn es sich als offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts und deshalb als reine Formalentscheidung darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 9 B 6.19 – juris Rn. 5 m.w.N.). Es bedarf dann auch keiner vorherigen dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 54 Rn. 24). Indizien für einen Missbrauch des Ablehnungsrechts können sein, dass die Begründung des Gesuchs nicht hinreichend konkret auf den bzw. die abgelehnten Richter bezogen ist, dass der Inhalt der Begründung von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen oder dass verfahrensfremde Zwecke, wie etwa das Ziel, den Prozess zu verschleppen, verfolgt werden. Solche Indizien ermöglichen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs, wenn zur Begründung des Rechtsmissbrauchs nicht auf den Verfahrensgegenstand selbst eingegangen werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2018 – 6 B 118.18 – juris Rn. 3 m.w.N.)
Nach diesen Maßstäben stellt sich das Ablehnungsgesuch der Klägerin als rechtsmissbräuchlich dar. Sie hat ihr Ablehnungsgesuch lediglich pauschal auf den Senat bezogen, der über den Beschluss vom 20. Dezember 2019 entschieden hat. Zur Begründung in der Sache erschöpft sich ihr Vorbringen darin, dass der Senat wegen der Summe der geltend gemachten Rügen das Grundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör schwer beeinträchtigt habe. Der Senat habe ihr Prozesskostenhilfegesuch „mit Spekulationen“ beurteilt. Dieser Vortrag enthält nur Vorbringen, das eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen vermag. Er enthält keine individuellen bzw. auf die Person der einzelnen Richter bezogene Gründe, sondern eine Ablehnung des gesamten Spruchkörpers aus Gründen, die nicht über diejenigen für die Anhörungsrüge hinausgehen (vgl. BVerwG, B.v. 14.8.2007 – 8 B 18.07 – juris Rn. 2; B.v. 16.7.2015 – 9 B 31.15 – juris Rn. 3). Mit der bloßen Behauptung, ein Gericht habe falsch entschieden oder den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, kann ein Ablehnungsgesuch aber nicht begründet werden, wie sich in Bezug auf Letzteres aus der Wertung des § 152a VwGO, wonach über Gehörsverstöße der bisher zuständige Spruchkörper entscheidet, ersehen lässt (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2015 a.a.O.; VerfGH BW, B.v. 12.10.2017 – 1 VB 111/16 – juris Rn. 4).
2. Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
Der Senat geht davon aus, dass eine Anhörungsrüge auch gegen einen ablehnenden Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe statthaft ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 10 C 19.614 – juris Rn. 2 m.w.N.) und die Klägerin nicht auf die erneute Beantragung von Prozesskostenhilfe verwiesen werden kann.
Die Anhörungsrüge ist ungeachtet der trotz des Akteneinsichtsgesuchs vom 9. Januar 2020 möglicher Weise bereits verstrichenen Frist nach § 152a Abs. 2 VwGO jedenfalls unbegründet, weil der Senat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör bei seiner Entscheidung über den Beschluss vom 20. Dezember 2019 (Az. 9 C 19.2202) nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gibt den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren das Recht, sich vor der Entscheidung zu allen dafür erheblichen Fragen zu äußern. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens zur Sprache gebracht worden sind. Nur wenn es auf den wesentlichen Kern des Sachvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die nach seiner eigenen Einschätzung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt das darauf schließen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat (BVerwG, B.v. 8.6.2016 – 8 B 14.15 – juris Rn. 2 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – juris Rn. 45).
Zur Begründung ihrer Anhörungsrüge bringt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass der beabsichtigte Rechtsstreit nicht ohne Beweisaufnahme entschieden werden könne. Dies gelte hinsichtlich des Einfügens des Bienenhauses in die Landschaft, der Tauglichkeit des Gebäudes zur Bienenhaltung, der Lage des Wohngebäudes der Klägerin zu den Nachbargebäuden, zum Friedhof und zum Ort und hinsichtlich der Behauptung des Beklagten, es sei Wald vorgesehen oder vorhanden. Der Senat verwehre der Klägerin rechtliches Gehör, in dem er das Bauvorhaben der Klägerin für die Bienenhaltung für ungeeignet erachte, ohne erkennen zu lassen, dass er über die erforderlichen Fachkenntnisse verfüge. Der diesbezügliche Beweisantritt der Klägerin werde übergangen; letzteres gelte auch im Hinblick auf die Verneinung der Privilegierung der beabsichtigten nebenberuflichen Bienenhaltung.
Damit hat die Klägerin jedoch nicht aufgezeigt, dass der Senat bei seiner Entscheidung über die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren entscheidungserheblichen Vortrag in der Beschwerdebegründung nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Wie dem Beschluss vom 20. Dezember 2019 entnommen werden kann, hat sich der Senat mit dem Vorbringen der Klägerin befasst und dargelegt, aus welchen Gründen er die hinreichenden Erfolgsaussichten der auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Bienenhauses gerichteten Klage auch in Ansehung der Beschwerdebegründung verneint. Indem die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Rahmen der Anhörungsrüge die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren geltend macht, verkennt sie den Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO und den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Beteiligten inhaltlich zu folgen. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert weder die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung. Dementsprechend ist die Anhörungsrüge auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (stRspr des BVerfG, vgl. B.v. 4.9.2008 – 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 10 C 19.614 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 22.7.2016 – 9 CS 16.905 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Soweit die Klägerin „betreffend die Ausweisung der Flächen als Wald“ mutmaßt, dass der Senat über Verwaltungsakten verfüge, die die Klägerin nicht kenne, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht bereits in seinem ablehnenden Beschluss vom 7. Mai 2019 (Az. 5 W K 18.1589), gestützt auf von der Klägerin nicht in Abrede gestellte Angaben des Landratsamts und der Gemeinde, davon ausging, dass der Flächennutzungsplan am Standort des Bauvorhabens eine Fläche für Wald vorsieht. Im mit Schriftsatz vom 19. Juni 2019 eingeleiteten Beschwerdeverfahren (Az. 9 C 19.1284) hat die Klägerin die Frage, ob „wirklich eine Ausweisung als Wald vorgesehen ist “, dahingestellt gelassen und wie auch in dem dieser Anhörungsrüge zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren 9 C 19.2202 lediglich bestritten, dass es am Standort des Bauvorhabens tatsächlich Wald gibt. Es fehlt somit an einer nachvollziehbaren Darlegung, weshalb die Klägerin sich in Bezug auf die Darstellungen im Flächennutzungsplan im gerichtlichen Verfahren nicht zu allen erheblichen Fragen hätte äußern können oder Äußerungen von ihrer Seite nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen worden wären, die zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts im noch anhängigen Klageverfahren führen könnten.
Abgesehen davon war die Frage, ob der Flächennutzungsplan den Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks als Fläche für Wald darstellt, auch nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss vom 26. September 2019, auf den der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2019 gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO u.a. Bezug genommen hat, insbesondere von einer Beeinträchtigung der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB genannten Belange ausgegangen. Die fehlende Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit Belangen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 7 BauGB hat es daneben in Erwägung gezogen, jedoch nicht als entscheidungserheblich angesehen. Dass der öffentliche Belang, dass ein Außenbereichsvorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht widersprechen darf (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB), im Beschluss vom 20. Dezember 2019 explizit Erwähnung fand, war dem zumindest dem Anschein nach darauf gerichteten Beschwerdevorbringen geschuldet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 60,- Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben