Steuerrecht

Notwendiger Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung (hier: fehlende Belehrung über den Nichtzugangsfall

Aktenzeichen  X B 95/15

Datum:
2.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 196 AO
§ 122 Abs 2 Nr 1 AO
§ 355 Abs 1 S 1 AO
§ 356 Abs 2 S 1 AO
§ 15 EStG
§ 55 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 2 FGO
§ 116 Abs 3 S 3 FGO
§ 116 Abs 5 S 2 FGO
§ 135 Abs 2 FGO
Art 2 Abs 1 GG
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. NV: Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss keine Angaben darüber enthalten, dass die Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen einen nicht zugegangenen Verwaltungsakt nicht beginnt (BFH-Rechtsprechung; Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 22. Januar 1964 VI 94/62 S, BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201, insoweit keine Divergenz.
2. NV: Eine Verpflichtung des FA, den Gesetzestext in einer Rechtsbehelfsbelehrung im Wortlaut zu zitieren, besteht nicht.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 29. April 2015, Az: 4 K 1753/14, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 29. April 2015  4 K 1753/14 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1
I. Gegenstand des Finanzrechtsstreits ist die Rechtmäßigkeit bzw. Wirksamkeit einer Prüfungsanordnung (§ 196 der Abgabenordnung –AO–) des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt –FA–) vom 18. Juni 2013.
2
Die in der Rechtsform eines Einzelunternehmens (Handel mit …) gewerblich tätige (§ 15 des Einkommensteuergesetzes) Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wandte sich nach Abschluss der steuerlichen Außenprüfung (4. September 2013; das Prüfungsergebnis teilt die Vorinstanz nicht mit) am 27. Dezember 2013 mittels Einspruch gegen die vorgenannte Prüfungsanordnung und rügte die fehlende örtliche Zuständigkeit des FA. Die Einspruchsfrist sei eingehalten. Im Streitfall gelte u.a. deshalb nicht die Monatsfrist aus § 355 Abs. 1 Satz 1 AO, sondern es sei gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO von einer Jahresfrist auszugehen, weil die der Prüfungsanordnung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig und damit “unrichtig” im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei. Bei der Belehrung über den Beginn der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO)
“Sie beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem Ihnen diese Verfügung bekanntgegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass die Verfügung zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (…).” (Hervorhebung durch den Senat)
fehle es im zweiten Satz nach dem Wort “Verfügung” an dem im Gesetzestext (§ 122 Abs. 2 AO) enthaltenen Zusatz “nicht oder”. Korrekt hätte die Rechtsbehelfsbelehrung demgemäß an dieser Stelle lauten müssen “außer wenn er (d.h. hier: die Prüfungsanordnung) nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist” (Hervorhebung durch den Senat). Zum Beleg für ihre Rechtsauffassung berief sich die Klägerin auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Januar 1964 VI 94/62 S (BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201).
3
Dem folgte das FA nicht und wies den Einspruch wegen Nichteinhaltung der Monatsfrist als unzulässig zurück. Im anschließenden Klageverfahren brachte die Klägerin weitere Einwendungen gegen die –von ihr inzwischen nicht mehr nur für rechtswidrig, sondern für nichtig gehaltene– Prüfungsanordnung vor und stellte ihren zuerst eingereichten Anfechtungsantrag angesichts der mit Abschluss der Außenprüfung eingetretenen Erledigung der Prüfungsanordnung in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag um. Ihre Rechtsauffassung hinsichtlich der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung behielt sie bei.
4
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1415 veröffentlichtem Urteil vom 29. April 2015 teilweise als unzulässig, im Wesentlichen aber als unbegründet ab, wobei es die Auffassung des FA zur Verfristung des Einspruchs teilte. Die Revision ließ es entgegen einem anderslautenden Hilfsantrag der Klägerin nicht zu.
5
Ihre dagegen angestrengte –inhaltlich allein auf die Behandlung des Einspruchs als verfristet abzielende– Nichtzulassungsbeschwerde stützt sie auf die Grundsatz- und die Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
6
Das FA hat beantragt, die Beschwerde “kostenpflichtig abzuweisen”.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
8
Sie ist unzulässig, weil es an einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Darlegung eines der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend genannten Revisionszulassungsgründe fehlt.
9
1. Für die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/ oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt, also ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage –wie hier– bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2015 X B 29/15, www.bundesfinanzhof.de/entscheidungen, Datum der Veröffentlichung: 20. Januar 2016, unter II.1., m.w.N.).
10
a) Der BFH hat zu der von der Klägerin aufgeworfenen Frage,
“ob derjenige Wortlaut, den der BFH in seinem Urteil aus 1964 in Anführungszeichen vorgeschrieben hat, so und in vollem Umfange erforderlich ist, um eine Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß sein zu lassen”
in den auf Seite 15 des FG-Urteils genannten Beschlüssen vom 30. August 1995 V B 72/95 (BFH/NV 1996, 106, unter 2.b, zu § 55 FGO) und vom 9. Mai 1996 IV B 58/95 (BFH/NV 1996, 871, unter 1.) bereits ausgeführt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung keine Angaben darüber zu enthalten braucht, dass die Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen einen nicht zugegangenen Verwaltungsakt nicht beginnt. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsbehelfsfrist reicht es aus, dass die Beteiligten verständlich über den Beginn der Einspruchsfrist unterrichtet werden, um deren verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes –GG–; Art. 19 Abs. 4 GG) hinreichend Rechnung zu tragen (dazu im Einzelnen Senatsurteile vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455, unter II.2., und vom 20. November 2013 X R 2/12, BFHE 243, 158, BStBl II 2014, 236, unter II.3.). Zur Erreichung dieses Ziels ist hinsichtlich des Beginns der Einspruchsfrist indes keine explizite Belehrung darüber erforderlich, unter welchen Voraussetzungen der Lauf der Rechtsbehelfsfrist gerade nicht beginnt, sondern –umgekehrt– nur darüber, wann dies der Fall ist. Ohnehin liegt es auf der Hand, dass die Frist zur Einlegung eines Einspruchs nicht in Gang gesetzt wird, wenn die in Streit stehende Verwaltungsentscheidung dem Empfänger überhaupt nicht zugegangen ist (so bereits BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 871, unter 1.; im Streitfall ergab sich dies zusätzlich aus der in die Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommenen Wendung “es sei denn, dass die Verfügung zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist” –Hervorhebung durch den Senat–).
11
b) Soweit diese Frage (fehlende Belehrung über den Nichtzugangsfall) in der Kommentarliteratur überhaupt thematisiert wird, sind sämtliche Autoren der Auffassung des BFH beigetreten (vgl. Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 55 Rz 21; Koenig/ Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 356 Rz 13; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 55 Rz 18; Keß in Schwarz/Pahlke, AO, § 356 Rz 16; Spindler in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 55 FGO Rz 30; Werth in Beermann/Gosch, AO § 356 Rz 17). Die weiteren von der Klägerin angeführten Fundstellen (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 55 FGO Rz 11, und Hardtke in: Kühn/ v. Wedelstädt, 21. Aufl., AO, § 356 Rz 7) verweisen demgegenüber pauschal auf das BFH-Urteil in BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201, ohne eine weitergehende Differenzierung (Belehrung allein im Hinblick auf den Nichtzugangsfall nicht erfolgt) vorzunehmen. Es kann mithin nicht die Rede davon sein, dass “offenbar bis heute ungeklärt” sei, “ob der Gesetzeswortlaut, wie im BFH-Urteil aus 1964 verlangt, in vollem Umfange erforderlich ist oder nicht”.
12
Das betrifft insbesondere auch die von der Klägerin vermisste Abgrenzung zum BFH-Urteil in BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201, die bereits der IV. Senat des BFH im Beschluss in BFH/NV 1996, 871 (unter 1.) vorgenommen hat (s. dazu Seite 16 des FG-Urteils, sowie das Senatsurteil in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455, unter II.2.f; zustimmend Kühnen, EFG 2015, 1417, 1418). Anders als im Fall in BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201 fehlte dort wie auch im Streitfall nicht jeglicher Hinweis auf etwaige Ausnahmen von der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, sondern lediglich eine Belehrung hinsichtlich des Nichtzugangsfalls. Dies ist aber, zumal aus der Perspektive Rechtsschutz suchender Beteiligter, eine gänzlich andere Situation.
13
c) Soweit die Klägerin unter Berufung auf die Senatsurteile in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 und in BFHE 243, 158, BStBl II 2014, 236 darüber hinaus einwendet, es sei einerseits ausreichend, andererseits –dann– aber auch zwingend erforderlich, dass der Gesetzestext vollständig wiedergegeben werde (so versteht der Senat das Beschwerdevorbringen), trifft dies nicht zu. Der Senat hat im Urteil in BFHE 243, 158, BStBl II 2014, 236 (unter II.3.c aa) lediglich ausgesprochen, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen muss. Vorliegend standen aber Angaben (zum Nichtzugangsfall) in Streit, die –wie dargestellt– nicht zwingend erforderlich waren und demgemäß vom FA erst gar nicht in die Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommen wurden. Eine Verpflichtung des FA, den Gesetzestext in der Rechtsbehelfsbelehrung im Wortlaut zu zitieren, besteht offenkundig nicht.
14
d) Nach alledem ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, warum bzw. unter welchem Gesichtspunkt es im Streitfall einer neuerlichen Entscheidung des BFH zu der von der Klägerin gestellten Rechtsfrage bedarf. Es fehlt schon an einer nachvollziehbaren Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Vielmehr ist diese, soweit sie von der Klägerin erneut aufgeworfen worden ist, bereits geklärt.
15
2. Aus den genannten Gründen ist auch eine –selbst von der Klägerin nur “möglicherweise” befürchtete– Rechtsprechungsdivergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht schlüssig dargetan.
16
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
17
4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung hat der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.


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