Steuerrecht

Rentenversicherung: Keine Anrechnung eines nur fiktiven steuerlichen Gewinns aus aufgelöster Schiffsbeteiligung als hinzuverdienstschädliches Einkommen

Aktenzeichen  L 19 R 271/17

Datum:
13.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2966
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
SGB IV § 15 Abs. 1
EStG § 5a Abs. 4
SGB VI § 34 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Es besteht kein Automatismus, dass eine steuerrechtliche Feststellung eines Gewinns aus selbständiger Tätigkeit automatisch als Zufluss von Einkommen und Hinzuverdienst nach § 34 Abs. 2 SGB VI zu werten ist, vielmehr ist eine Einkommensanrechnung auf vorzeitige Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten nur möglich, wenn ein Zufluss von Einkommen tatsächlich erfolgt und ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem während des Rentenbezuges noch ausgeübten bzw. bestehenden Arbeitsverhältnis oder der selbständigen Tätigkeit besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Entsteht ein fiktiver Gewinn aus Gewerbebetrieb aufgrund einer besonderen steuerrechtlichen Regelung zur Förderung der Schifffahrtindustrie im Zeitpunkt des Verkaufs oder anderweitigen Untergangs eines Schiffes und geht dieser steuerliche fiktive Gewinn vorliegend nicht mit einem tatsächlichen Zufluss an Geld oder Geldeswert einher bzw. ist er im Gegenteil mit erheblichem Verlust verbunden, ist es notwendig, für die sozialrechtliche Frage der Anrechnung von Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI zu prüfen, ob tatsächlich ein entsprechender Einkommenszufluss vorliegt, entweder in Geld oder Geldeswert, ob dieser Einkommenszufluss während des Rentenbezugszeitraumes erfolgt und gleichzeitig aus der gewerblichen Tätigkeit resultiert (Parallelität zwischen Einkommenszufluss und Rentenleistung). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 20 R 87/14 2017-02-22 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.01.2014 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Sie ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht mit Urteil vom 22.02.2017 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.01.2014 als unbegründet abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X zur Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheids vom 13.10.2009 wegen Erzielung von Einkommen liegen nicht vor. Der im Jahr 2011 im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 71.081,00 EUR (aus der Differenz zwischen 74.794 EUR laut gesonderter und einheitlicher Feststellung und dem Verlust aus der selbständigen Tätigkeit der Haushüter-Gesellschaft mit./. 3.713,00 EUR) stellt kein anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI dar. Auch auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X kann eine Aufhebung des Rentenbescheides nicht gestützt werden. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X ist ein rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung ab Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, nämlich soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Der Bescheid der Beklagten vom 13.10.2009, mit dem die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.10.2009 bewilligte, war ein rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 SGB X.
Anspruch auf diese vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit besteht nur dann, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Nach § 34 Abs. 2 SGB VI in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung wird die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Abs. 3 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 3 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 SGB VI betrug in der Zeit ab 01.01.2008 bis 31.12.2012 400,00 EUR monatlich, ab dem 01.01.2013 450,00 EUR monatlich in Bezug auf die volle vorzeitige Altersrente.
Unstreitig überschreitet der Betrag von 74.794,00 EUR jegliche Hinzuverdienstgrenze. Eine Auswirkung auf den Rentenanspruch des Klägers setzt aber voraus, dass Einkommen zugeflossen ist, das als Arbeitsentgelt aus Beschäftigung oder Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des § 14 SGB IV zu qualifizieren ist. Kein rentenschädlicher Hinzuverdienst ist demgegenüber in Geldzuflüssen aus Kapitalanlagen, Vermietung und Verpachtung oder sonstigen Einkünften im Sinne des Einkommensteuerrechts zu sehen.
Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass unter den Begriff des Arbeitseinkommens im Sinne des § 34 SGB VI und § 14 SGB IV nicht nur Einkommen aus einer selbständigen, etwa freiberuflichen Tätigkeit gerechnet werden, sondern auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Das SG hat weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Qualifizierung des Einkommens die steuerrechtliche Wertung zugrunde zu legen ist und insoweit eine Stringenz zwischen Steuerrecht und Sozialrecht besteht. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Der Kläger hat vorliegend eine Kapitalanlage getätigt und sich am Betrieb eines Containerschiffes beteiligt. Aufgrund der im konkreten, auf der vertraglichen Ausgestaltung der Beteiligung beruhenden, damit einhergehenden gesellschaftsrechtlichen Stellung des Klägers als Kommanditist der GmbH Co KG sind die Einkünfte aus dem Betrieb des Schiffes unzweifelhaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist auch nicht entscheidend, ob der Kläger zur Erzielung dieser Einkünfte tatsächlich tätig geworden und seine Arbeitskraft tatsächlich einsetzen musste, für die Anrechnung von Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI genügt vielmehr grundsätzlich ein Gewinnzufluss aus der gewerblichen Tätigkeit während des Leistungsbezuges der vorzeitigen Altersrente. Es kommt des Weiteren nicht darauf an, ob der Kläger mit dem Zufluss des Gewinns aus gewerblicher Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt rechnen musste, oder – wie vorliegend – eine längerfristige Geldanlage oder Gesellschaftsbeteiligung beabsichtigt hatte, die erst zu einem Zeitpunkt nach Vollendung der Regelaltersgrenze dann hätte anrechnungsfrei zufließen können. Die Tragung dieses allgemeinen wirtschaftlichen Risikos, das der Kläger mit dieser Schiffsbeteiligung zweifellos eingegangen ist, ist sicherlich nicht Aufgabe der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung. Gleichwohl ist im hier vorliegenden Fall eine Anrechnung von Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI nicht vorzunehmen, weil der Kläger tatsächlich während des Rentenbezuges keinerlei Einkommenszufluss hatte, zumindest keinen Zufluss, der oberhalb der Hinzuverdienstgrenze gewesen wäre:
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 angegeben, dass er die Schiffsbeteiligung seit dem Jahr 1999 gehalten hatte und in den ersten Jahren bis 2007 auch Gewinne aus dem laufenden Geschäftsbetrieb des Schiffes gehabt hatte. Diese Gewinne waren für den Kläger wegen § 5a EStG steuerfrei. Gewinne aus dem laufenden Betrieb des Schiffes wären als Hinzuverdienst zu berücksichtigen gewesen, wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits vorzeitige Altersrente bezogen hätte. Dies war aber nicht der Fall.
Der im Jahr 2011 zu versteuernde „Gewinn“ aus Gewerbebetrieb hat mit den dem Kläger bis 2007 zugeflossenen steuerfreien Gewinnen nichts zu tun und kann deshalb auch nicht als Zufluss von Einkommen quasi nachgelagert – wie etwa nachfolgende Zahlungen aus einem Arbeitsverhältnis – zugerechnet werden. Es handelt sich – wie das SG dies bereits zutreffend erkannt hat – um einen fiktiven Gewinn, ohne Zufluss von Geld oder Geldeswert parallel zum Rentenbezug. Der letzte bescheinigte Gewinn für das Jahr 2010 (176,00 EUR) lag unterhalb der Hinzuverdienstgrenze. Aus dem Verkauf des Schiffes im Jahr 2011 hat der Kläger kein Geld erhalten. Er hat angegeben, dass das Schiff seit 2008 auf Reede gelegen habe, wegen der weltweiten Krise im Containerhandel nicht mehr wirtschaftlich habe betrieben werden könne und völlig überschuldet gewesen sei. Die Abwrackprämie sei in vollem Umfang an die Banken zur Abgeltung der Kredite und der Überschuldung des Schiffes gegangen. Die Treuhandgesellschaft MS „M.“ mbH Co KG sei in Insolvenz gegangen. Mangels Zufluss eines Verkaufserlöses ist auch insoweit kein anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI vorhanden. Der zu versteuernde Unterschiedsbetrag nach § 5a EStG resultiert aus einer steuerrechtlichen Besonderheit durch die mit Wirkung zum 01.01.1999 vom Gesetzgeber geschaffene sog. Tonnagensteuer nach § 5a Abs. 4 EStG, die zur Förderung der deutschen und europäischen Schifffahrtsindustrie zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit im Containerschiffsbau und -handel geschaffen wurde. Eine Besteuerung der Gewinne aus dem Betrieb von Containerschiffen war nach dieser Vorschrift nicht mehr anhand der Gewinne aus dem tatsächlichen Warenverkehr vorzunehmen, sondern pauschal nach der vorhandenen Tonnage des Schiffes, d. h. entsprechend der Ladekapazität des jeweiligen Schiffes. Bereits im Zeitpunkt der Erklärung des Betreibers gegenüber den Finanzbehörden, dass nach § 5a EStG die Tonnagenbesteuerung durchgeführt werden soll, wird der sog. Unterschiedsbetrag pauschal gebildet, in gesonderte Verzeichnisse übernommen und fortgeschrieben und ist steuerlich erst aufzulösen – und dem Kommanditisten zur individuellen Besteuerung zuzuweisen – wenn das Betriebsobjekt nicht mehr vorhanden ist (vgl. § 5a Abs. 4 S. 3 EStG). Der Unterschiedsbetrag bestimmt sich dabei immer nach dem Verhältnis zwischen Buchwert und dem tatsächlichen Wert des Schiffes, dem sog. Teilwert im Zeitpunkt der Wahl der Tonnagebesteuerung. Dies ist im Fall des Klägers bereits im Jahr 1999 erfolgt, der Anteil am Unterschiedsbetrag entsprechend seiner Kapitalbeteiligung am Schiff wurde entsprechend ermittelt, im Verzeichnis fortgeführt und war bei Verkauf oder Untergang des Schiffes zu versteuern. Die Steuerpflicht tritt aber unabhängig davon ein, ob das Schiff mit Gewinn oder Verlust verkauft, eine Abwrackprämie erzielt wird oder ob zuvor Gewinnanteile aus dem laufenden Betrieb des Schiffes erwirtschaftet werden konnten oder nicht. Wie dem Urteil des BFH vom 19.07.2011 (Az.: IV R 42/10, veröffentlicht bei juris) zu entnehmen ist, ist die Betriebsaufgabe oder -veräußerung oder auch eine Anteilsveräußerung lediglich Anlass für die Besteuerung. Gegenstand der Besteuerung sind aber nicht die im Aufgabe- oder Veräußerungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven der entsprechenden Wirtschaftsgüter, sondern „historische“, im Zeitpunkt des Übergangs zur Tonnagenbesteuerung festgestellten stille Reserven (BFH, a.a.O., Rdnr 27 m. w. N.). Der BFH hat in diesem Urteil auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Steuerbegünstigung für einen Verkaufserlös eines solchen Anteils nicht auch auf den Unterschiedsbetrag im Sinne des § 5a Abs. 4 EStG zu erstrecken sei, weil es sich hierbei um zwei voneinander unabhängige steuerliche Sachverhalte handele (BFH, a.a.O., Rdnrn 29 ff.).
Aufgrund dieser Besonderheit, dass vorliegend ein fiktiver Gewinn aus Gewerbebetrieb aufgrund einer besonderen steuerrechtlichen Regelung zur Förderung der Schifffahrtindustrie im Zeitpunkt des Verkaufs oder anderweitigen Untergangs des Schiffes im Jahr 2011 automatisch entsteht und dieser steuerliche fiktive Gewinn vorliegend nicht mit einem tatsächlichen Zufluss an Geld oder Geldeswert einhergeht bzw. – wie hier – im Gegenteil mit erheblichem Verlust verbunden ist, ist es notwendig, für die sozialrechtliche Frage der Anrechnung von Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI zu prüfen, ob tatsächlich ein entsprechender Einkommenszufluss vorliegt, entweder in Geld oder Geldeswert, ob dieser Einkommenszufluss während des Rentenbezugszeitraumes erfolgt und gleichzeitig aus der gewerblichen Tätigkeit resultiert (Parallelität zwischen Einkommenszufluss und Rentenleistung). Insoweit besteht auch nach der ständigen Rechtsprechung des BSG – etwa bei der Anrechnung von Einkommen bei Erwerbsminderungsrenten nach § 96a SGB VI – eine entsprechende Prüfungspflicht der Beklagten und auch der Gerichte. Einen Automatismus, dass eine steuerrechtliche Feststellung eines Gewinnes aus selbständiger Tätigkeit automatisch als Zufluss von Einkommen und Hinzuverdienst nach § 34 Abs. 2 SGB VI zu werten ist, besteht in diesem Sinne nicht. Vielmehr ist auch der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Frage der Einkommensanrechnung auf vorzeitige Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten zu entnehmen, dass eine Anrechnung nur erfolgen kann, wenn ein Zufluss von Einkommen tatsächlich erfolgt und ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem während des Rentenbezuges noch ausgeübten bzw. bestehenden Arbeitsverhältnis oder der selbständigen Tätigkeit besteht (Gürtner, in: Kasseler Kommentar, Stand 09/2018, § 34 SGB VI Rdnr 17). Daran fehlt es vorliegend. Der Kläger hat aus dem Gewerbebetrieb des Schiffes in 2011 keinen tatsächlichen Einkommenszufluss, weder in Geld noch in Geldeswert, auch nicht in Form eines Zuflusses bei Auflösung stiller Reserven.
Sinn und Zweck der Regelung des § 34 Abs. 2 SGB VI ist, die unterhaltssichernde Funktion der vorzeitigen Altersrente bei Arbeitslosigkeit zu sichern, die nicht mehr notwendig ist, wenn der Versicherte noch über körperliche und geistige Fähigkeiten verfügt, die er zur Lebensunterhaltssicherung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann. § 34 SGB VI staffelt demgemäß – konsequent – die Rentenhöhe entsprechend dem erzielten Hinzuverdienst, so dass ggf. nur noch eine Rente in Höhe von 1/3 der Vollrente gezahlt wird, wenn die Verwertung der Arbeitskraft noch entsprechend hohe Einkünfte ermöglicht, vorliegend beim Kläger einen maximalen Hinzuverdienst von monatlich 1.916,25 EUR im Jahr 2011. Durch den Wegfall des Rentenstammrechts bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen nach § 34 Abs. 3 SGB VI soll gleichzeitig ein Anreiz vermieden werden, dass der Versicherte auf Kosten seiner Gesundheit tätig ist oder Arbeitsgelegenheiten neben dem Bezug der vorzeitigen Altersrente nutzt, die ihn wirtschaftlich besser stellen als er im aktiven Erwerbsleben gestanden hat (BSG, Urteil vom 04.05.1999 – B 4 RA 55/98; BSG, Urteil vom 23.02.2000 – SozR 3-2600 § 34 Nr. 3; Dankelmann, in: Kreikeboom, Kommentar zum SGB VI, 4. Aufl., 2013, § 34 Rdnr 6). Dies würde dem Sicherungszweck der vorzeitigen Altersrenten widersprechen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI nur Einkommen aus der Verwertung eigener Arbeitskraft ist, nicht Zuflüsse aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung oder sonstige Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts. Auch dies spricht für den aufgezeigten sozialpolitisch gewünschten Sicherungszweck vorzeitiger Altersrenten. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 34 Abs. 2 und 3 SGB VI nicht nur zu einer Anrechnung von Einkommen wie bei § 96a SGB VI bei den Erwerbsminderungsrenten führt, sondern bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen zu einem kompletten Wegfall des Rentenstammrechts. Dies führt beim Kläger dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der vorzeitigen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit auch nach dem 31.12.2011 nicht mehr gegeben wären, wenn ein fiktiver steuerlicher Gewinn – ohne entsprechenden Zufluss in Geld oder Geldeswert beim Kläger – tatsächlich anzurechnen wäre. Dass der Kläger vorliegend gegebenenfalls eine andere vorzeitige Rente wegen langjähriger Versicherung beanspruchen könnte, kann nicht als Argument für die Anrechnung fiktiven Einkommens gewertet werden. Wäre der Kläger in der Lage durch Ausnutzung der Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und seiner persönlichen Kenntnisse und Fertigkeiten entsprechendes Arbeitsentgelt oder -einkommen oberhalb der Hinzuverdienstgrenze zu erwirtschaften, würde er die Absicherung durch die vorzeitige Altersrente bei Arbeitslosigkeit nicht benötigen und wäre in der Lage weiterhin für seine Alterssicherung und den laufenden Lebensunterhalt vorzusorgen. Dann ist es sicherlich auch vertretbar, ihm das erworbene Rentenstammrecht – vorliegend auf eine vorzeitige Altersrente – zu entziehen und ihn auf spätere Anwartschaften zu verweisen. Dies ist aber bei einem nur fiktiven steuerlichen Gewinn aufgrund einer speziellen steuerrechtlichen Regelung nicht gerechtfertigt.
Die Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheids vom 13.10.2009 kann auch nicht auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X gestützt werden. Der Bescheid vom 13.10.2009 wird – wie oben ausgeführt – durch den fiktiven steuerlichen Gewinn im Jahr 2011 nicht rechtswidrig. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheids hätte erkennen müssen, nur, weil die Beklagte in der Vergangenheit zur Klärung von Hinzuverdienst von ihm Steuerbescheide angefordert hat. Allerdings zeigt nach Ansicht des Senats das in der Akte dokumentierte Verhalten des Klägers, dass er die Frage des Hinzuverdienstes bei den laufenden Einkünften bzw. Verlust aus seiner Haushüter-Gesellschaft gegenüber der Beklagten von sich aus offengelegt und entsprechende steuerrechtliche Unterlagen jeweils zeitnah zur Vorlage gebracht hat. Er musste sicherlich nicht wissen, ob überhaupt und in welchem Umfang fiktiver Gewinn aus einer Schiffsbeteiligung mit Kommanditistenstellung auf eine laufende vorzeitige Altersrente anzurechnen sein könnte. Die Hinweise der Beklagten hinsichtlich des Hinzuverdienstes im Rentenbescheid vom 13.10.2009 haben diesen Fall jedenfalls nicht erfasst. Im Übrigen ging die Beklagte wohl selbst davon aus, dass es sich bei dem „Gewinn“ aus Gewerbebetrieb um den Verkaufserlös des Schiffes handeln würde, was aber – wie oben aufgezeigt – nicht zutreffend ist. Nach alledem waren auf die Berufung des Klägers hin das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.01.2014 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat in diesem besonderen Einzelfall nicht von den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Hinzuverdienst bei vorzeitigen Altersrenten nach § 34 Abs. 2 SGB VI ab.


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