Steuerrecht

Rückforderung von beamtenrechtlicher Beihilfe

Aktenzeichen  M 17 K 16.3883

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG BayBG Art. 96 Abs. 1
BayBhV BayBhV § 7 Abs. 4 Nr. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, Abs. 4
BayBesG BayBesG Art. 15

 

Leitsatz

1. Der Ausschluss des Vertrauensschutzes in Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BayVwVfG ist verschuldensunabhängig, da die Vorschrift davon ausgeht, dass es im Verantwortungsbereich des Betroffenen liegt, richtige und vollständige Angaben zu machen und dass seine Schutzwürdigkeit entfällt, wenn der Fehler des Verwaltungsakts in seinem Verantwortungsbereich liegt . (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein “Erwirken” iSd Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BayVwVfG ist gegeben, wenn ein zweck- und zielgerichtetes Handeln vorliegt und die Angaben in diesem Sinne entscheidungserheblich gewesen sind, wobei sich die Kausalität auf die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts, nicht auf den Erlass als solchen beziehen muss. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG beginnt erst zu laufen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung für die Rücknahme zuständige Amtsträger positive und vollständige Kenntnis aller die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und keine Notwendigkeit mehr für eine weitere Aufklärung oder für irgendwelche Überlegungen hinsichtlich der Rücknahme bestand. (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus der Formulierung der Verwaltungsvorschrift Nr. 15.2.7.1 zu Art. 15 BayBesG („jeweiliger Monat“, „zustehender Betrag“) ergibt sich, dass sich diese nur auf Besoldung ieS (regelmäßige Gehaltszahlungen u.ä.) und nicht auf sonstige Leistungen, wie Beihilfezahlungen, bezieht. (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Beihilfestelle kann sich grundsätzlich auf die Angaben des Beihilfeberechtigten verlassen, deren Richtigkeit dieser mit seiner Unterschrift bestätigt. Liegen keine Anhaltspunkte vor, dass diese Angaben unzutreffend sind, besteht auch keine Verpflichtung der Beihilfestelle, vom jeweiligen Berechtigten Nachweise zu den Einkünften des Ehegatten/der Ehegattin zu verlangen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtenen Bescheid vom 29. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme der Beihilfebescheide vom 8. März 2006, 23. März 2006, 17 Mai 2006, 19. Juli 2006, 14. April 2008, 25. Juni 2008, 9. Dezember 2008, 24. April 2009, 16. Juli 2009, 4. November 2009, 14. Dezember 2009, 17. Februar 2010, 3. Mai 2010, 1. Juli 2010, 25. August 2010, 10. November 2010, 19. November 2010, 23. November 2010, 7. Dezember 2010 und 4. Januar 2011 sind vorliegend gegeben:
1. Gemäß Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG, der ergänzend neben Art. 13, 5 Abs. 2 BayBG i.V.m. Art. 15 BayBesG anwendbar ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 48 Rn. 43), kann ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Die Gewährung von Beihilfe für die Aufwendungen der Ehefrau des Klägers war vorliegend rechtswidrig:
1.1 Gemäß Art. 96 Abs. 1 BayBG und § 7 Abs. 4 Nr. 2 BayBhV sind Aufwendungen, die u.a. für den Ehegatten entstanden sind, nicht beihilfefähig, soweit dessen Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) im zweiten Kalenderjahr vor der Stellung des Beihilfeantrags den Höchstbetrag von 18.000,- € übersteigt, es sei denn, dass dem Ehegatten oder dem Lebenspartner trotz ausreichender und rechtzeitiger Krankenversicherung wegen angeborener Leiden oder bestimmter Krankheiten auf Grund eines individuellen Ausschlusses keine Versicherungsleistungen gewährt werden oder dass die Leistungen hierfür auf Dauer eingestellt worden sind (Aussteuerung). Wird der Höchstbetrag unterschritten, ist dies auf Verlangen der Beihilfefestsetzungsstelle durch den Einkommensteuerbescheid des Bezugsjahres zu belegen. Hat der berücksichtigungsfähige Ehegatte bzw. Lebenspartner im laufenden Kalenderjahr keine Einkünfte mehr, die den Höchstbetrag von 18.000,- € übersteigen und erklärt der Beihilfeberechtigte, dass im laufenden Kalenderjahr dieser Höchstbetrag auch nicht überschritten wird, kann unter dem Vorbehalt des Widerrufs eine Beihilfe bereits im laufenden Kalenderjahr gewährt werden; dem Beihilfeberechtigten ist aufzugeben, zu Beginn des folgenden Kalenderjahres zu erklären, ob die Einkünfte des berücksichtigungsfähigen Ehegatten bzw. Lebenspartners im abgelaufenen Kalenderjahr den Höchstbetrag überschritten haben. Die oberste Dienstbehörde – im staatlichen Bereich das Staatsministerium – kann in anderen besonderen Ausnahmefällen, die nur bei Anlegung des strengsten Maßstabes anzunehmen sind, die Gewährung von Beihilfen zulassen. Entsprechendes galt nach dem bis zum 31. Dezember 2006 auch in Bayern anwendbaren § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BhV.
1.2 Unstrittig hat die Ehefrau des Klägers hier in den maßgeblichen Kalenderjahren diese Einkommensgrenze, die im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl. VG München, U.v. 8.12.2016 – M 17 K 15.2634 zum vergleichbaren § 4 Abs. 1 BBhV), überschritten. Ein besonderer Ausnahmefall wurde weder geltend gemacht noch ist ein solcher sonst ersichtlich.
2. Der Kläger kann der Rücknahme der – rechtswidrigen (s.o. 1.) – Beihilfebescheide auch kein schutzwürdiges Vertrauen entgegenhalten.
2.1 Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie die streitgegenständlichen Bescheide – eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt, darf zwar gemäß Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte aber unter anderem dann nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG).
2.2 Die Angaben des Klägers in den jeweiligen Beihilfeanträgen waren objektiv unrichtig, da er die Frage in den Formblättern, ob die Einkünfte seiner Ehefrau den Betrag von 18.000,- € übersteigen, jeweils mit „nein“ beantwortete, obwohl diese Einkommensgrenze überschritten war (s.o. 1.2). Mit seiner Unterschrift versicherte er die Richtigkeit seiner Angaben.
Ob der Kläger insoweit vorsätzlich oder (grob) fahrlässig handelte, kann dabei dahingestellt bleiben, da der Ausschluss des Vertrauensschutzes in Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG verschuldensunabhängig ist. Die Vorschrift geht vielmehr davon aus, dass es im Verantwortungsbereich des Betroffenen liegt, richtige und vollständige Angaben zu machen und dass seine Schutzwürdigkeit entfällt, wenn der Fehler des Verwaltungsakts in seinem Verantwortungsbereich liegt (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2016 – 14 ZB 16.183 – UA Rn. 11; VGH BW, U.v. 14.8.2015 – 2 S 384/14 – juris Rn. 30; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 48 Rn. 119). Der Vertrauensschutz entfällt somit auch dann, wenn der Kläger die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Angaben weder kannte noch hätte kennen müssen.
2.3 Diese Angaben des Klägers waren auch „wesentlich“ im Sinne von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG, da die Aufwendungen der Ehefrau des Klägers aufgrund der Überschreitung der Einkommensgrenze unstrittig nicht beihilfefähig waren.
2.4 Schließlich wurde die Beihilfegewährung durch die unrichtigen Angaben auch „erwirkt“. Voraussetzung hierfür ist, dass ein zweck- und zielgerichtetes Handeln vorliegt und die Angaben in diesem Sinne entscheidungserheblich gewesen sind. Dabei muss sich die Kausalität auf die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts, nicht auf den Erlass als solchen beziehen. Die Angaben oder das Unterlassen von Angaben müssen deshalb ursächlich dafür sein, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wobei es ausreicht, dass das Handeln oder Unterlassen für den Mangel mitursächlich war (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2001 – 7 B 00.107 – juris Rn. 21). Dies ist hier der Fall, da der Beklagte bei korrekten Angaben des Klägers keine Beihilfe gewährt hätte, so dass die falschen Angaben für die Teilrechtswidrigkeit der Bescheide kausal waren. Auf ein Verschulden des Klägers kommt es dagegen, wie bereits ausgeführt (s.o. 2.2), nicht an.
3. Die Rücknahme der Beihilfebewilligung scheidet auch nicht aufgrund Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG aus, wonach die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt, zu dem die Behörde von den Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, zulässig ist. Die Jahresfrist beginnt dabei erst zu laufen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung für die Rücknahme zuständige Amtsträger (vgl. BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1/84 u.a. – juris Rn. 22; VGH BW, U.v. 17.10.2013 – 9 S 123/12 – juris Rn. 76; VG Schleswig-Holstein, U.v. 13.03.2014 – 12 A 137/2014 – juris Rn. 38; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 48 Rn. 158) positive und vollständige Kenntnis aller die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und keine Notwendigkeit mehr für eine weitere Aufklärung oder für irgendwelche Überlegungen hinsichtlich der Rücknahme bestand (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 48 Rn. 152f., 156).
Eine derartige Kenntnis kann hier jedoch frühestens mit der Übermittlung der Nachweise über die Höhe der Einkünfte der Ehegattin mit Schreiben vom 19. Mai 2016 angenommen werden. Die Rücknahme der Beihilfebewilligungen mit Bescheid vom 29. Juli 2016 erfolgte somit fristgerecht.
4. Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. In den Fällen, in denen – wie hier – das Vertrauen nicht schutzwürdig ist, hat die Behörde in der Regel ihr Ermessen dahingehend auszuüben, dass der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (sog. intendiertes Ermessen; vgl. VGH BW, U.v. 14.8.2015 – 2 S 384/14 – juris Rn. 32; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 48 Rn. 127ff. m.w.N.). Anhaltspunkte für einen besonderen, vom Regelfall abweichenden Ausnahmefall sind nicht ersichtlich.
II. Der Beklagte konnte die überzahlten 22.124,74 € auch vom Kläger zurückfordern.
Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayBesG i.V.m. Art. 13 und Art. 5 Abs. 2 BayBG richtet sich die Rückforderung zu viel gezahlter Beihilfe nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, also nach den §§ 812ff. BGB.
1. Nachdem die Bescheide vom 8. März 2006, 23. März 2006, 17 Mai 2006, 19. Juli 2006, 14. April 2008, 25. Juni 2008, 9. Dezember 2008, 24. April 2009, 16. Juli 2009, 4. November 2009, 14. Dezember 2009, 17. Februar 2010, 3. Mai 2010, 1. Juli 2010, 25. August 2010, 10. November 2010, 19. November 2010, 23. November 2010, 7. Dezember 2010 und 4. Januar 2011 bezüglich der Gewährung einer Beihilfe in Höhe von insgesamt 22.124,74 € in rechtmäßiger Weise (s.o. I.) zurückgenommen wurden, ist der rechtliche Grund für die Leistung weggefallen, so dass der Kläger gemäß § 812 Abs. 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet ist.
2. Der Kläger kann sich vorliegend auch nicht auf Entreicherung berufen.
2.1 Nach § 819 Abs. 1 BGB greift eine verschärfte Haftung, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang kannte oder ihn später erfährt. Eine derartige positive Kenntnis des Klägers von der Unrichtigkeit seiner Angaben und der damit verbundenen Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide ist hier zwar nicht nachweisbar, gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG steht es der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung aber gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen. Nach Auffassung des Gerichts ist dies hier der Fall. Nachdem in den Formblättern des Beklagten darauf hingewiesen wird, dass auch Kapitaleinkünfte zu berücksichtigen sind, muss sich dem jeweiligen Beihilfeberechtigten geradezu aufdrängen, dass andere Einkünfte ebenfalls relevant sind. Andernfalls hätte der Beklagte nicht das Wort „auch“, sondern z.B. das Wort „nur“ verwendet. Auch dem Kläger, der nicht nur Deutscher, sondern auch promovierter und habilitierter Akademiker ist, hätte dies beim Lesen des Formblatts klar sein müssen. Damit ist zumindest von grob fahrlässiger Nichtkenntnis des Klägers in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Beihilfezahlungen für seine Ehefrau auszugehen.
2.2 Im Übrigen könnte von Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) nur dann gesprochen werden, wenn das ursprünglich Erlangte nicht mehr vorhanden ist (s. Palandt, BGB, 66. Aufl., § 818 Rn. 34). Der Begriff „Wegfall der Bereicherung“ ist dabei nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten durch einen saldenmäßigen Vergleich des Aktiv- und des Passivvermögens zu beurteilen. Verbraucht ist die Leistung dann, wenn der zu Unrecht gezahlte Betrag für eine verhältnismäßig geringfügige Verbesserung der Lebensführung ausgegeben wurde, nicht aber, wenn er zur Schuldentilgung oder für Anschaffungen verwendet wurde, die wertmäßig noch im Vermögen des Begünstigten vorhanden sind (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 15/91 – juris Rn. 11f.; VG München, U.v. 17.12.2015 – M 17 K 15.2785, U.v. 13.8.2013 – M 17 K 12.3724; U.v. 9.9.2010 – M 17 K 10.1930 – juris Rn. 23; Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 818 Rn. 38).
Der Kläger kann somit nicht geltend machen, dass die Beihilfeleistungen zur Begleichung der streitgegenständlichen Rechnungen und damit zur Tilgung einer Schuld verwendet wurden, da er sich dadurch Aufwendungen erspart hätte. Nach dem oben Gesagten liegt damit aber kein Wegfall der Bereicherung vor (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2016 – 14 ZB 16.183 – UA Rn. 13). Gleiches gilt für etwaige Ausgaben im Rahmen der allgemeinen Lebensführung. Eine Verbesserung seiner Lebensführung durch die Beihilfezahlungen wurde weder (substantiiert) vorgetragen noch ist diese sonst ersichtlich.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich insoweit auch nicht aus Nr. 15.2.7.1 der Verwaltungsvorschrift zu Art. 15 BayBesG, wonach unabhängig von der absoluten Besoldungshöhe ohne nähere Prüfung der Wegfall der Bereicherung unterstellt werden kann, wenn die im jeweiligen Monat zuviel gezahlten Bezüge 10 v.H. des insgesamt zustehenden Betrags, höchstens 150,- €, nicht übersteigen. Denn aus der Formulierung dieser Verwaltungsvorschrift („jeweiliger Monat“, „zustehender Betrag“) ergibt sich, dass sich diese nur auf Besoldung im engeren Sinn (regelmäßige Gehaltszahlungen u.ä.) und nicht auf sonstige Leistungen, wie Beihilfezahlungen, bezieht (vgl. Art. 5 Abs. 1 BayBG). Selbst wenn man aber diese Verwaltungsvorschrift hier für anwendbar erachten würde, handelt es sich insofern um eine Ermessensvorschrift, die vom Beklagten – wie dem Gericht aus zahlreichen vergleichbaren Fällen bekannt ist – auf Beihilfezahlungen gerade nicht angewendet wird (vgl. a. BayVGH, B.v. 24.10.2016 – 14 ZB 16.183). Eine Selbstbindung des Beklagten (Art. 3 Abs. 1 GG) ist daher nicht eingetreten.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerseite greift auch der Einwand der Verjährung nicht.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob sich die Verjährung nach Art. 13 BayBesG – wie die Klägerseite meint – oder nach Art. 12 BayBG i.V.m. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB (bzw. für die Übergangszeit bis 31.10.2011 nach Art. 71 AGBGB) richtet. Denn im letzteren Fall beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst mit Kenntnis des Berechtigten, hier also frühestens 2016, so dass keine Verjährung eingetreten ist (vgl. zur kenntnisabhängigen Verjährung im Beihilferecht VG Aachen, U.v. 25.8.2016 – 1 K 23715 – juris Rn. 31, OVG Lüneburg, U.v. 28.4.2015 – 5 LB 141/14 – juris Rn. 89). Aber auch nach Art. 13 BayBesG wäre der Anspruch des Beklagten noch nicht verjährt. Nach dieser Vorschrift beginnt die Verjährung zwar mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Rückforderungsanspruch entsteht aber erst mit der Aufhebung der Bewilligungsbescheide, weil dieser Anspruch das Vorliegen einer rechtsgrundlosen Zahlung voraussetzt (VGH BW, U.v. 14.8.2015 – 2 S 384/14 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 26.11.2008 – 3 BV 07.1268 – juris Rn. 17; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2015 – 13 K 7737/14 – juris Rn. 48). Da die Ausgangsbescheide erst mit dem angegriffenen Bescheid vom 29. Juli 2016 aufgehoben wurden, wäre auch insoweit zweifellos noch keine Verjährung eingetreten.
4. Es kann hier auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung verwirkt wäre.
4.1 Die Verwirkung von Rechten ist eine besondere Ausprägung des auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB). Danach darf ein (prozessuales oder materielles) Recht nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment). Erforderlich für die Erfüllung des Umstandsmoments ist, dass der Rechtsinhaber innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.12.2015 – 2 B 40.14 – juris Rn. 21).
4.2 Es kann hier letztendlich dahingestellt bleiben, ob das erforderliche Zeitmoment gegeben ist, obwohl das Institut der Verwirkung nicht dazu führen darf, dass eine gesetzliche Verjährungsregelung in weitem Maße unterlaufen wird (vgl. BVerfG, B.v. 14.12.2005 – 1 BvR 2874/04 – juris Rn. 27).
Denn zumindest fehlt es an einem Umstandsmoment, d.h. an einem Verhalten des Beklagten, das geeignet ist, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, der Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht (vgl. u.a. VG Aachen, U.v. 25.8.2016 – 1 K 23715 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die Beihilfegewährung beruhte hier allein auf den falschen Angaben des Klägers und dem Beklagten waren die Unrichtigkeit dieser Angaben und damit die Rechtswidrigkeit der Beihilfegewährung ursprünglich nicht bekannt. Ein Verhalten bzw. Untätigbleiben, das beim Kläger die Annahme begründen würde, der Beklagte werde seinen Rückforderungsanspruch auch bei Kenntnis der Umstände nicht geltend machen, liegt damit nicht vor.
5. Schließlich ist der Beklagte auch zu Recht davon ausgegangen, dass nicht aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung abgesehen werden kann (vgl. Art. 13 BayBG i.V.m. Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG). Insbesondere liegt kein Fall des Mitverschuldens des Beklagten vor, da der Grund für die Überzahlung nicht überwiegend seinem Verantwortungsbereich zuzuordnen ist, sondern demjenigen des Klägers (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – juris Rn. 25f. zum gleichlautenden Bundesrecht). Die Ursache der Überzahlung beruht allein auf seinen fehlerhaften Angaben in den Formblättern zur Beantragung von Beihilfezahlungen. Aus der dortigen Formulierung, wonach zu den Einkünften „auch“ Einkünfte aus Kapitalvermögen zählen, ergibt sich eindeutig, dass sonstige Einkünfte ebenfalls zu berücksichtigen sind. Gegebenenfalls hätte sich der Kläger beim Beklagten diesbezüglich auch kundig machen können. Der Beihilfeberechtigte ist grundsätzlich verpflichtet, sich über die sich aus dem Dienstverhältnis ergebenden Rechtsfragen selbst zu informieren und etwaige Zweifel durch Rückfrage bei der zuständigen Stelle zu klären (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2016 – 14 ZB 16.183 – UA Rn. 10 m.w.N.). Der Beklagte kann sich grundsätzlich auf die Angaben des Beihilfeberechtigten verlassen, deren Richtigkeit dieser mit seiner Unterschrift bestätigt. Wenn keine Anhaltspunkte vorliegen, dass diese Angaben unzutreffend sind, besteht auch keine Verpflichtung der Beihilfestelle, vom jeweiligen Berechtigten Nachweise zu den Einkünften des Ehegatten/der Ehegattin zu verlangen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben