Steuerrecht

Staats- und Verfassungsrecht; Verfassungsbeschwerde

Aktenzeichen  22/20, 24/20 – 97/20, 100/20, 25/20, 26/20

Datum:
15.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
… mehr
ECLI:
ECLI:DE:VERFGHT:2022:0615.VERFGH22.20.00
Normen:
§ 14 Abs 1 VerfGHG TH
§ 14 Abs 1 VGHG TH
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Einzelfall eines unbeachtlichen Ablehnungsantrags und einer unzulässigen Anhörungsrüge.

Verfahrensgang

vorgehend VG Gera, 13. Mai 2020, 3 K 990/19 Ge u.a., Beschlussvorgehend VG Gera, 9. Oktober 2020, 3 K 990/19 Ge u.a., Beschlussvorgehend VG Gera, 8. Juni 2021, 3 K 792/20 Ge u.a., Beschlussvorgehend VG Gera, 27. Oktober 2021, 3 K 792/20 Ge u.a., Beschluss

Tenor

1. Die Verfahren VerfGH 22/20, VerfGH 24/20 bis 97/20 und VerfGH 100/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Ablehnungsgesuche gegen den Präsidenten Dr. v. d. W… und das Mitglied Prof. Dr. B… werden als unzulässig verworfen.
3. Die Anhörungsrügen werden verworfen.

Gründe

A.
1. Mit Beschluss vom 6. April 2022 hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof die Verfahren VerfGH 22/20, VerfGH 24/20 bis 97/20 und VerfGH 100/20 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die von den Beschwerdeführenden erhobenen Verfassungsbeschwerden verworfen.
2. Mit Schriftsatz vom 25. April 2022 haben die Beschwerdeführenden die Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… erneut wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Es bestehe der Verdacht, dass sie an dem Beschluss über die Verwerfung der Verfassungsbeschwerden vom 6. April 2022 unzulässig mitgewirkt hätten, da der 51-seitige Beschluss am selben Tag wie der Beschluss über die erstmalige Ablehnung der beiden Mitglieder ergangen sei. Es erscheine ausgeschlossen, dass der Beschluss über die Verfassungsbeschwerden erst am 6. April 2022 und nach dem Beschluss über die Ablehnung beraten und beschlossen worden sei. Wenn dies hingegen tatsächlich geschehen sei, sei dies nur möglich gewesen, weil der Beschluss durch einen Vorberichterstatter erarbeitet worden sei. In beiden Fällen ergäben sich schwere und vertiefte Rechtsverstöße, welche die Besorgnis der Befangenheit trügen. In diesem Fall hätten die Mitglieder das Tätigkeitsverbot nach § 47 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 14 Abs. 1 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG) verletzt, was die Besorgnis ihrer Befangenheit zusätzlich vertiefe. Wenn hingegen tatsächlich beide Beschlüsse am 6. April 2022 nacheinander gefasst worden seien, dann sei dies nur möglich gewesen, weil der Beschluss über die Verfassungsbeschwerde durch einen Vorberichterstatter erarbeitet worden sei. Auch in diesem Fall lägen schwere und vertiefte Rechtsverstöße vor, welche die Besorgnis der Befangenheit trügen.
3. Mit Schriftsatz ebenfalls vom 25. April 2022 haben die Beschwerdeführenden Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 6. April 2022 erhoben.
a) Der Beschluss vom 6. April 2022 verletze das Recht der Beschwerdeführenden auf rechtliches Gehör dadurch, dass in der Entscheidung der Vortrag der Beschwerdeführenden zum „System Dr. K.“ keinen Niederschlag finde. Angesichts der besonderen Bedeutung des Vortrags der Beschwerdeführenden, der die interne Organisation des Thüringer Verfassungsgerichtshofs und dessen Funktion betreffe, hätte eine Auseinandersetzung hiermit erfolgen müssen. Zudem verletze der Beschluss das Recht der Beschwerdeführenden auch dadurch, dass der Berichterstatter zum Schriftsatz vom 8. März 2022, in dem die Beschwerdeführenden nochmals zu den Gründen der Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters Ausführungen gemacht hätten, keine Stellungnahme abgegeben habe.
b) Der Beschluss vom 6. April 2022 verletze das Recht der Beschwerdeführenden auf rechtliches Gehör weiter dadurch, dass die Verbindung der Verfassungsbeschwerdeverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführenden erfolgt sei, die im Rubrum mit vollem Namen und Adresse aufgeführt seien. Es sei wahrscheinlich, dass sich einige der Beschwerdeführenden gegen eine solche Verfahrensverbindung und Preisgabe ihrer persönlichen Daten ausgesprochen hätten.
c) Der Beschluss vom 6. April 2022 verletze das Recht der Beschwerdeführenden auf rechtliches Gehör schließlich dadurch, dass dieser ohne Anhörung der Anhörungsberechtigten ergangen sei. Anhörungsberechtigt seien die Stadt Wurzbach und der Thüringer Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Anhörungsberechtigten im Rahmen einer Anhörung für die Beschwerdeführenden günstige und entscheidungsrelevante Gesichtspunkte beigetragen hätten.
B.
I.
Die Verfahren VerfGH 22/20, VerfGH 24/20 bis 97/20 und VerfGH 100/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Über die Ablehnungsgesuche und die Anhörungsrügen entscheidet der Verfassungsgerichtshof in seiner regulären Besetzung. Der Verfassungsgerichtshof ist insbesondere nicht gehindert, in anderer Besetzung als in dem mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss zu entscheiden. Dies entspricht der einhelligen fachgerichtlichen Rechtsprechung, einschließlich derjenigen der obersten Bundesgerichte, zur Besetzung der Richterbank bei Entscheidungen über Anhörungsrügen (BVerwG, Beschluss vom 17. August 2007 – 8 C 5/07 -, juris Rn. 2 f., hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Januar 2009 – 1 BvR 2476/07; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – III ZR 443/04 -, juris Rn. 3; BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvR 1236/11 -, juris Rn. 160). Diese fachgerichtliche Rechtsprechung ist auf der Grundlage der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen ergangen, auf die der Verfassungsgerichtshof gemäß § 12 Satz 1 ThürVerfGHG für das verfassungsgerichtliche Verfahren ergänzend zurückgreift.
Als der von den Beschwerdeführenden angegriffene Beschluss erging, war das Präsidentenamt noch vakant. An die Stelle des Präsidenten in dessen Funktion als Richter trat deshalb das stellvertretende Mitglied Peters. Am 5. Mai 2022 wurde das Mitglied Dr. v. d. W… zum Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshof ernannt. Seitdem ist sein ursprüngliches Amt als berufsrichterliches Mitglied vakant. An seine Stelle für das vorliegende Verfahren betreffend die Anhörungsrüge und das Ablehnungsgesuch tritt deshalb das stellvertretende Mitglied O….
III.
1. Die Ablehnungen der Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… wegen Besorgnis der Befangenheit sind offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung ergeht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung.
Ein Ablehnungsgesuch, das lediglich Ausführungen enthält, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist offensichtlich unzulässig. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters; dieser ist auch von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 2. Mai 2006 – 1 BvR 698/06 – juris Rn. 5 und Nichtannahmebeschluss vom 3. Juli 2013 – 1 BvR 782/12 -, juris Rn. 3).
So liegt es hier.
a) Die Verfassungsbeschwerdeverfahren der Beschwerdeführenden sind mit dem Beschluss vom 6. April 2022 beendet. Deshalb scheidet eine weitere Ablehnung der Mitglieder Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… wegen Besorgnis der Befangenheit in diesen Verfassungsbeschwerdeverfahren von vorneherein aus.
b) Auch soweit die Beschwerdeführenden ihren Befangenheitsantrag, der beim Verfassungsgerichtshof zeitlich vor der ebenfalls eingelegten Anhörungsrüge einging, als Befangenheitsantrag in den später eingeleiteten Anhörungsrügeverfahren verstanden wissen wollen, sind ihre Ausführungen zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit offensichtlich ungeeignet.
aa) So ist gegen Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs kein Rechtsmittel gegeben. Die Bindungswirkung des § 25 ThürVerfGHG schließt aus, dass derselbe Sachverhalt noch einmal einer gerichtlichen oder behördlichen Nachprüfung durch Thüringer Behörden, Gerichte oder Verfassungsorgane unterworfen wird. Das gilt auch für den Thüringer Verfassungsgerichtshof selbst (ThürVerfGH, Beschluss vom 25. März 2015 – VerfGH 12/14 und 13/14 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks). Aus diesem Grund ist eine Mitwirkung an solchen Entscheidungen, die endgültig ein Verfahren abschließen und gegen die unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Rechtsmittel gegeben sind, nicht mehr eine Tätigkeit in derselben Sache. Werden gegen solche Entscheidungen dennoch Rechtsbehelfe eingelegt, gilt für die hierüber zu treffenden Entscheidungen und die hierbei durchzuführenden Verfahren auch kein Mitwirkungsausschluss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 2013 – 1 BvR 2635/12 -, BVerfGE 133, 163 [166] = juris Rn. 8).
bb) Soweit die Beschwerdeführenden den Verdacht eines Verstoßes gegen das Tätigkeitsverbot aus § 47 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 12 Satz 1 ThürVerfGHG äußert, da sie mutmaßen, dass die Mitglieder Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… in den Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits vor dem Beschluss über das Ablehnungsgesuch weiter tätig gewesen seien, sind ihre Ausführungen ebenfalls nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder zu begründen.
Die Beschwerdeführenden haben bereits nicht dargelegt, dass gegen das Tätigkeitsverbot aus § 47 Abs. 1 ZPO verstoßen worden sei. Im Übrigen sind die Beratung und Beschlussfassung in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren erst nach der Zurückweisung des entsprechenden Ablehnungsgesuchs der Beschwerdeführenden erfolgt. Sämtliche Handlungen der Mitglieder Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… erfolgten vor dem Eingang des Ablehnungsgesuchs. Das Ablehnungsgesuch wurde auch erst sehr spät im Verfahren gestellt, nämlich mehr als anderthalb Jahre nach Eingang der Verfassungsbeschwerden. Das Mitglied Prof. Dr. B… war nicht zuletzt deshalb als Berichterstatter umfassend mit dem Verfahren vertraut, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 47 Abs. 1 ZPO oder gar dessen Befangenheit zu besorgen wäre.
Abgesehen davon lässt sich auch ganz allgemein aus einer Verletzung des § 47 Abs. 1 ZPO nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn keine weiteren Umstände hinzutreten (Heinrich, in: Musielak/Voigt, ZPO, 19. Auflage 2022, § 47 Rn. 5). Zudem bewirkt eine Zurückweisung des Ablehnungsersuchens, dass etwaige Verstöße gegen § 47 Abs. 1 ZPO geheilt sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Juli 2005 – 2 BvR 497/03 -, juris Rn. 88; BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2016- 2 B 34/14 -, juris Rn. 16); das Ablehnungsgesuch gegen die Mitglieder Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… ist vorliegend mit unanfechtbarem Beschluss vom 6. April 2022 zurückgewiesen worden.
cc) Auch der von den Beschwerdeführenden hilfsweise vorgebrachte Einwand, dass unzulässigerweise wissenschaftliche Mitarbeiter tätig gewesen seien, vermag offensichtlich keinen Zweifel an der Objektivität der Mitglieder Dr. v. d. W… und Prof. Dr. B… zu begründen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs im Beschluss vom 6. April 2022 wird verwiesen.
IV.
Die Anhörungsrügen sind unzulässig und daher zu verwerfen.
Ob Anhörungsrügen gegen Beschlüsse des Thüringer Verfassungsgerichtshofs überhaupt statthaft sind, kann dahinstehen. Die Anhörungsrügen sind bereits aus anderen Gründen unzulässig.
a) Die Rüge, dass im Beschluss vom 6. April 2022 der Vortrag der Beschwerdeführenden zum „System Dr. K.“ keinen Niederschlag finde und dass der Berichterstatter zum Schriftsatz vom 8. März 2022 keine Stellung abgegeben habe, betrifft nicht den Beschluss vom 6. April 2022 über die Verfassungsbeschwerden, sondern allenfalls den Beschluss vom 6. April 2022 über das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführenden und damit die Frage des gesetzlichen Richters. Sie ist damit unzulässig.
b) Die Rüge, dass die Verbindung der Verfassungsbeschwerdeverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführenden erfolgt sei, die im Rubrum mit vollem Namen und Adresse aufgeführt seien, ist ebenfalls unzulässig. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann ein Verfahrensbeteiligter nur im eigenen Namen geltend machen. Da sich nach den Angaben der Beschwerdeführenden lediglich einige der Beschwerdeführenden gegen die Verfahrensverbindung und Preisgabe ihrer persönlichen Daten ausgesprochen hätten, was nach den Angaben auch nur wahrscheinlich ist, mithin nicht feststeht, hätte es Angaben dazu bedurft, um welche Beschwerdeführenden es sich tatsächlich und sicher handelt. Davon abgesehen hatten sämtliche Beschwerdeführenden als Anlage 2 zur Beschwerdeschrift eine sog. Mandantenliste ihres Prozessbevollmächtigten überreicht, aus der nicht nur Namen und Anschriften sämtlicher Beschwerdeführenden hervorgehen, sondern in der auch notiert ist, wie hoch der Streitwert sowie die Gerichts- und Anwaltsgebühren der einzelnen Beschwerdeführenden sind. Sämtliche Beschwerdeführenden verfügten über diese Angaben daher ohnehin. Es mangelt den Anhörungsrügen daher an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit eines etwaigen Gehörsverstoßes.
c) Das Vorbringen, dass der Beschluss vom 6. April 2022 ohne Anhörung der Anhörungsberechtigten ergangen sei, führt ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Anhörungsrüge. Ein Verfahrensbeteiligter kann nur die Verletzung des eigenen Rechts auf rechtliches Gehör, nicht jedoch die Verletzung eines fremden Rechts auf rechtliches Gehör rügen. Im Übrigen fehlt es an der Darlegung, was die Anhörungsberechtigten zu Gunsten der Beschwerdeführenden vorgetragen hätten und weshalb die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Hinzuweisen ist darauf, dass die Verfassungsbeschwerden mangels hinreichender Substantiierung nach § 18 Abs. 1 Satz 2, § 32, § 33 Abs. 1 Satz 1 ThürVerfGHG als unzulässig verworfen wurden. Die hinreichende Substantiierung war eine Pflicht der Beschwerdeführenden, nicht der Anhörungsberechtigten.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben