Steuerrecht

Statusfeststellung eines Geschäftsführers in einer Gesellschaft mit Beherrschungsvertrag

Aktenzeichen  L 7 R 5189/16

Datum:
16.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20751
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7, § 7a

 

Leitsatz

1. Zur Rechtsmacht eiines Geschäftsführers, der in der beherrschenden Gesellschaft nur über eine Sperrminorität verfügt. (Rn. 20 ff.)
2. Maßgeblich für die Statusbeurteilung eines GmbH-Geschäftsführers ist grundsätzlich die Verteilung der Rechtsmacht in der beschäftigenden Gesellschaft. Eine Sperrminorität in der diese beherrschenden Gesellschaft begründet regelmäßig keine selbstständige Tätigkeit. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 R 483/16 2016-11-08 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 8. November 2016 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2016, geändert durch Bescheid vom 22. Juni 2016, abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 8.11.2016 ist aufzuheben, da der Bescheid der Beklagten vom 8.12.2015 idG des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2016, geändert durch den Bescheid vom 22.6.2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Nach der Gesamtwürdigung der vorliegend maßgeblichen Umstände war der Kläger als Geschäftsführer in der Zeit vom 1.10.2014 bis 2.5.2016 Beschäftigter der Beigeladenen und damit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
1. Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III) der Versicherungspflicht. Der Kläger war in diesem Sinn in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Beigeladenen abhängig beschäftigt.
a) Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl BSG, Urteil vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R – RdNr. 16 mwN).
b) Auf der Grundlage der vorstehenden Maßstäbe sprechen die vorliegend maßgebenden Umstände für eine abhängige Beschäftigung. Der Kläger erhielt für seine Tätigkeit eine monatlich fällige, feste Monatsvergütung iHv 6.500 €, bestehend aus einem garantierten Betrag iHv 2.500 € und einer Vorauszahlung iHv 4.000 € auf die Einnahmen seines Geschäftsbereichs sowie Courtageeinahmen. Von der Vergütung wurde Lohnsteuer abgeführt und sie wurde als Betriebsausgabe der Beigeladenen gebucht. Der Kläger hatte Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Monate. Damit liegen typische Elemente eines Arbeitsverhältnisses iS von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV vor (vgl BSG, Urteil vom 11.11.2015 KR 10/15 R – RdNr. 18 sowie Urteil vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R – RdNr. 23). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger neben dem garantierten Betrag iHv 2.500 € Anspruch auf die Gewährung von erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteilen hatte. Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung zB von Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist, ist deren Gewicht für eine Abgrenzung der Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis gegenüber einem selbstständigen Dienstverhältnis eher gering (BSG, Urteil vom 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R – RdNr. 28) und kann damit vorliegend im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Die Gewährung einer Tantieme begründet auch kein Unternehmerrisiko des Klägers, da die streitige Tätigkeit in jedem Fall mit einem monatlichen Festgehalt von 2.500 € vergütet wurde. Bezogen auf seine Tätigkeit als Geschäftsführer hatte der Kläger gerade kein Unternehmerrisiko zu tragen; denn als Gegenleistung für seine Tätigkeit stand ihm ausweislich des Gesellschaftergeschäftsführervertrages unabhängig vom wirtschaftlichen Ergebnis der Klägerin ein „garantierter Betrag“ iHv 2.500 € zu, wie dies für Beschäftigte typisch ist. Bezogen auf die geschuldeten Dienste hatte der Beigeladene – wie jeder andere Beschäftigte auch – allein das Risiko des Entgeltausfalls in der Insolvenz des Arbeitgebers zu tragen (vgl BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – RdNr. 29). Soweit der Urlaubsanspruch des Klägers nicht beziffert ist, spricht dies nicht gegen die Annahme eines selbstständigen Dienstverhältnisses, da die Dauer des Mindesturlaubs in § 3 Abs. 1 BUrlG gesetzlich geregelt ist.
Ausweislich des Anstellungsvertrages war der Kläger schließlich örtlich (§ 6 Abs. 1), zeitlich (§ 6 Abs. 2) und fachlich weisungsgebunden, nachdem er die Geschäfte nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung und des Anstellungsvertrages zu führen hatte (§ 1 Abs. 2, § 3 und 5 Abs. 1 des Anstellungsvertrages). Dass die Weisungsgebundenheit eingeschränkt ist, hindert die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht.
c) Die Weisungsgebundenheit des Klägers als Geschäftsführer der Beigeladenen ist schließlich nicht aufgrund seiner Sperrminorität bei der M. aufgehoben.
aa) Für die Beurteilung, ob Geschäftsführer einer GmbH beschäftigt oder selbstständig tätig sind, geltend die oben dargelegten Maßstäbe (vgl BSG, Urteil vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R – RdNr. 18 mwN). Dabei ist ein Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung (sog Fremdgeschäftsführer) ausnahmslos abhängig beschäftigt (BSG, aaO, RdNr. 20). Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen über eine Mindestkapitalbeteiligung von 50 vH oder eine „echte“ Sperrminorität verfügen. Dabei muss die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrages (Satzung) bestehende wirtschaftliche Verflechtungen, Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern und/oder der GmbH sind nicht zu berücksichtigen. Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG, aaO, RdNr. 22 mwN).
bb) Dem Kläger stand eine entsprechende gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht in der Beigeladenen nicht zu, so dass er auch nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze im streitigen Zeitraum nicht selbstständig tätig war.
(1.) Der Kläger hatte an der Beigeladenen keine Kapitalbeteiligung und war damit sog Fremdgeschäftsführer. Er konnte auch über seine Sperrminorität in der M. keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Beigeladenen nehmen, da er durch diese ihm nicht genehme Weisungen der Geschäftsführer der M. nicht verhindern konnte.
(2.) Zwar besteht in der GmbH ein Grundsatz der sachlichen Allzuständigkeit der Gesellschafter (Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 12. Aufl 2014, § 46 RdNr. 1 mwN). Die Gesellschafter können (auch) im Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer jederzeit Beschlüsse fassen (Karsten Schmidt, aaO). Von der sachlichen Zuständigkeit ist allerdings die organisatorische Zuständigkeit zu unterscheiden. Der Unterschied zwischen dem Leitungsorgan (Geschäftsführung) und dem Willensbildungsorgan (Gesellschafter) weist beiden bestimmte Zuständigkeiten zu (Karsten Schmidt, aaO). Im Außenverhältnis wird die Gesellschaft grundsätzlich durch die Geschäftsführer (bzw. durch deren Bevollmächtigte) vertreten, nicht durch die Gesellschafter (Karsten Schmidt, aaO, § 45 RdNr. 6). Eine Beschränkung der Befugnis des Geschäftsführers wirkt nur gegenüber der Gesellschaft, nicht gegenüber Dritten (§ 37 GmbHG).
(3.) Auf dieser Grundlage besteht die Rechtsmacht der Geschäftsführer der M., der Beigeladenen und damit dem Kläger als deren Geschäftsführer Weisungen zu erteilen, solange und soweit anderweitige Weisungen der Gesellschafter der M. an den dortigen Geschäftsführer nicht bestehen und keine gesetzliche (Allein-) Zuständigkeit der Gesellschafter (vgl insbesondere §§ 46, 53, 55 ff, 58 GmbHG) betroffen ist. Eine entsprechende Beschränkung der Geschäftsführer der M. ergibt sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag der M. (vgl § 7). Der Beschluss der Gesellschafterversammlung der M. vom 2.10.2014 trifft hierzu bereits keine Regelung. Diese kann eine eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen begründende Rechtsmacht des Klägers auch deshalb nicht begründen, da sie außerhalb des Gesellschaftsvertrags erfolgte (vgl BSG, Urteil vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R – RdNr. 22 mwN).
Die Sperrminorität des Klägers in der M. und damit in der Gesellschaft, die 100% der Gesellschaftsanteile der Beigeladenen hält, begründet folglich keine vergleichbare Situation mit Gesellschafter-Geschäftsführern, die aufgrund ihrer Gesellschafterstellung die Geschicke der Gesellschaft lenken können. Denn letztere können aufgrund ihrer Stellung als Geschäftsführer und als Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung in beiden Organen der Gesellschaft Einfluss nehmen. Beim Kläger war dies, wie dargestellt, für den Bereich, für den gesellschaftsrechtlich/-vertraglich der Geschäftsführer der M. zuständig war, gerade nicht der Fall.
(4.) Diese Situation wird durch das Wirksamwerden des zwischen der Beigeladenen und der M. geschlossenen Beherrschungsvertrags vom 13.11.2014 nicht berührt.
Ausweislich des Handelsregisterauszugs hat die Beigeladene am 13.11.2014 mit der M. als herrschender Gesellschaft einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag geschlossen. Die Gesellschafterversammlung hat mit Beschluss vom 13.11.2014 zugestimmt. Die Eintragung erfolgte am 4.12.2014 (vgl Bl 21 der Akte zum Berufungsverfahren). Dabei handelt es sich um einen gesellschaftsrechtlichen Organisationsvertrag, der satzungsgleich den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändert (vgl BGH, Beschluss vom 24.10.1988 – II ZB 7/88 – RdNr. 20 Bezug nehmend auf seine Entscheidung vom 14.12.1987 – II ZR 170/87). Die Änderung besteht insbesondere darin, dass ua die Weisungskompetenz der Gesellschafterversammlung auf die herrschende Gesellschaft übertragen wird (BGH, aaO, mwN).
Damit bleibt – im Hinblick auf die 100%-Beteiligung der M. an den Gesellschaftsanteilen der Beigeladenen – die Weisungskompetenz der Gesellschafterversammlung der Beigeladenen weiter bei der M. und damit – auch – bei deren Geschäftsführer (vgl hierzu § 308 Abs. 1, § 309 Abs. 1 AktG; Langenbucher in Schmidt, K./Lutter, AktG, 3. Aufl 2015, § 308 RdNr. 11; derselbe, aaO, § 309 RdNr. 6), so dass eine gesellschaftsrechtliche/-vertragliche Rechtsmacht des Klägers in der Beigeladenen über seine Sperrminorität bei der M. weiter nicht begründet war.
cc) Die vorstehende Wertung wird schließlich nicht dadurch berührt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum tatsächlich nicht durch die M., sei es durch deren Gesellschafterversammlung oder deren Geschäftsführer, angewiesen wurde.
Dieser Umstand kann im Hinblick auf die oben dargestellte fehlende Rechtsmacht des Klägers, die Geschicke der Beigeladenen bestimmen zu können, keine Berücksichtigung finden. Denn die Maßgeblichkeit des rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhaltens der Beteiligten ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ lediglich in harmonischen Zeiten, während im Fall eines Zerwürfnisses die rechtlich bestehende Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, ist nicht anzuerkennen (vgl BSG, Urteil vom 18.3.2018 – B 12 KR 13/17 R – RdNr. 20 mwN).
2. Fehlt es aber für den streitigen Zeitraum an der notwendigen Rechtsmacht des Klägers bei der Beigeladenen, da er zumindest den Weisungen des Geschäftsführers der die Gesamtheit der Anteile der Beigeladenen haltenden M. zu fürchten hatte, ist bei den im Übrigen für eine Beschäftigung sprechenden Umständen eine Grundlage für die Beurteilung der streitigen Tätigkeit als selbstständige nicht ersichtlich. Damit sind die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden und ist auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Würzburg entsprechend zu korrigieren.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.


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