Steuerrecht

Überprüfung der vom Finanzamt gewählten Schätzungsmethode

Aktenzeichen  7 V 510/18

Datum:
11.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31697
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 162 Abs. 1
AO 2014 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AO 2015 § 164 Abs. 2
KStG § 27, § 28, § 38

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Vollziehung der Bescheide vom 1. August 2017 zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2013 wird in Höhe von 27.116 € (2011), 54.205 € (2012) und 36.364 € (2013), zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2013 in Höhe von 6.804 € (2011), 12.645 € (2012) und 8.484 € (2013) und zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013 in Höhe von 58.939,71 € (2011), 67.010,72 € (2012) und 48.145,05 € (2013) für die Dauer des Einspruchsverfahrens ausgesetzt. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12. 2013 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 werden für die Dauer des Einspruchsverfahrens mit der Maßgabe von der Vollziehung ausgesetzt, dass von einem verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2011 in Höhe von 129.434 €, zum 31.12.2012 in Höhe von 120.753 €, zum 31.12.2013 in Höhe von 129.070 € sowie von einem vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2011 in Höhe von 115.745 €, auf den 31.12.2012 in Höhe von 107.064 € und auf den 31.12.2013 in Höhe von 115.381 € auszugehen ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner zu 94% und die Antragstellerin zu 6%.

Gründe

I.
Streitig ist im Einspruchsverfahren die Höhe von Zuschätzungen nach Durchführung einer Außenprüfung.
Die Antragstellerin, eine GmbH, betreibt ein italienisches Speiserestaurant. Sie bietet jeweils auf speziellen Speisekarten auch Speisen zum Straßenverkauf sowie an den Werktagen Mittagsgerichte an. Geschäftsführende Gesellschafter waren in den Streitjahren N und G. Das Geschäftsjahr entsprach dem Kalenderjahr.
In den Streitjahren 2011 bis 2013 erzielte sie entsprechend der dem Finanzamt vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnungen unter anderem folgende steuerpflichtige Umsätze:
2011
2012
2013
Umsätze 19%
„Restaurant“
976.058 €
1.019.419 €
975.247 €
Umsätze 7%
„Pizzaverkauf“
193.320 €
226.315 €
231.186 €
Im Rahmen einer für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 durchgeführten Außenprüfung traf das Finanzamt unter anderem folgende Feststellungen:
Ab 16. Januar 2015 nutzte die Antragstellerin eine geleaste Registrierkasse der Firma ABC und die Kassensoftware 123. Für den Prüfungszeitraum konnten ausschließlich die Daten aus dieser Registrierkasse ausgelesen werden. Die vor dem 16. Januar 2015 verwendete Registrierkasse sowie die zugehörigen Bedienerberichte und Programmdokumentationen waren nicht mehr vorhanden. Für den Prüfungszeitraum wurden dem Finanzamt lediglich die so genannten Z-Bons vorgelegt, die als Datum jeweils einen Zeitpunkt vor Beginn des Mittagsgeschäftes auswiesen. Das Finanzamt sah die Buchführung der Antragstellerin daraufhin als nicht ordnungsgemäß an, da keine tagesgenaue Erfassung der Kasseneinnahmen gegeben sei. Da sich die Werte aus den Z-Bons teilweise auf den Vortrag bezogen hätten, läge keine Kassensturzfähigkeit vor. Außerdem stellte das Finanzamt Fehler bei der Vornahme der Inventur fest.
Auf Grundlage der für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 5. Juli 2016 ausgelesenen Daten der Registrierkasse ermittelte der Prüfer für den Getränkeumsatz einen Anteil von 22% am Gesamtumsatz, den er zugunsten der Antragstellerin auf 30% aufrundete. Sodann berechnete er für das Jahr 2012 nach einer im Einzelnen nicht offengelegten Kalkulation die Getränkeerlöse unter Berücksichtigung von Warenentnahmen und nahm eine Hochrechnung zur Ermittlung des Gesamtumsatzes (Getränke und Speisen im Verhältnis 30% zu 70%) vor. Daraus errechnete er einen Rohgewinnaufschlag von rund 326%. Hinsichtlich der Berechnung des geschätzten Umsatzes der Jahre 2011 und 2013 wird auf die Übersicht vom 8. Januar 2018 (Bl. 39 FG-Akte) verwiesen. Die errechneten Zuschätzungen unterwarf der Prüfer insgesamt dem Regelsteuersatz und ermittelte (Brutto-)Zuschätzungen in Höhe von 369.149 € (2011), 419.699 € (2012) und 301.540 € (2013), die er als verdeckte Gewinnausschüttungen ansetzte.
Den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend änderte die Veranlagungsstelle mit Bescheiden vom 1. August 2017 die Körperschaftsteuer, den Gewerbesteuermessbetrag sowie die Umsatzsteuer für die Streitjahre 2011 bis 2013. Gleichzeitig ergingen auch Änderungsbescheide für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011 bis 31.12.2015, zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27, 28 und 38 KStG zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 und 31.12.2015, zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011 bis 31.12.2015.
Für 2014 und 2015 erließ das Finanzamt ebenfalls am 1. August 2017 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (2014) und § 164 Abs. 2 AO (2015) geänderte Bescheide zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag.
Am 7. August 2017 beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung der vorgenannten Bescheide. Mit Verfügung vom 22. September 2017 lehnte das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013, zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 sowie zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2015 ab. Über die ebenfalls eingelegten Einsprüche hat das Finanzamt noch nicht entschieden.
Mit ihrem bei Gericht gestellten Antrag wendet die Antragstellerin im Wesentlichen ein, dass die sogenannten Z-Bons für den gesamten Prüfungszeitraum lückenlos vorgelegt worden seien. Somit sei nachgewiesen, dass keine Manipulationen an der Kasse stattgefunden hätten. Die Tageskasse sei nach Öffnung des Lokals täglich zwischen elf und zwölf Uhr mit den aktuellen Preisen programmiert worden. Die Registrierkassenfirma habe die Richtigkeit des Z-Bons der Nummer 945 vom 20. August 2017, der dem Gericht exemplarisch vorgelegt werde, bestätigt. Da die neue Registrierkasse am 16. Januar 2015 erstmals eingesetzt worden und das Restaurant ganzjährig geöffnet sei, lasse sich problemlos errechnen, dass vom 16. Januar 2015 bis zum 20. August 2017 insgesamt 945 Tage und entsprechend viele Tagesjournale vorlägen. In den Prüfungsjahren 2011 bis 2013 sei eine Vorgängerkasse mit ähnlichem Programm verwendet worden. Die täglich ausgedruckten Journale seien vollständig vorgelegt worden. Die Tagesjournale würden abends nach Schließung des Lokals ausgedruckt, allerdings werde insoweit nicht die Uhrzeit ausgewiesen. Es sei lediglich die Startuhrzeit (beispielsweise 11.20 Uhr am 20. August 2017) vermerkt.
Die vom Finanzamt durchgeführte Schätzung sei fehlerhaft und komme der Wirklichkeit in keiner Weise nahe. Das Finanzamt hätte eine Geldverkehrs- und/oder Vermögenszuwachsrechnung vornehmen können, da diesen Verprobungsmethoden die höchste Beweiskraft zukomme. Insbesondere habe die Betriebsprüfung den Straßenverkauf von Mitnahmegerichten nicht berücksichtigt, bei dem ausweislich der vorgelegten Speisekarten deutlich geringere Einnahmen erzielt worden seien. Zusätzlich seien weitere Abschläge für Küchenabfälle und Personalverzehr vorzunehmen. Außerdem handle es sich bei der Antragstellerin um eine Gaststätte und nicht um eine Pizzeria. Anhand der amtlichen Richtsatzsammlung ergebe sich für Gaststätten ein durchschnittlicher Rohgewinnaufschlag von 257%, der deutlich unter dem von der Prüfung ermittelten Rohgewinnaufschlag von 326% liege.
Die Gaststätte werde von N seit Mai 1986 ununterbrochen geführt. An der Kassenführung habe sich seit Beginn grundsätzlich nichts geändert. Es habe noch nie eine Beanstandung durch die Betriebsprüfung gegeben. Soweit das Finanzamt nunmehr existenzzerstörende Steuernachzahlungen verlange, verstoße es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung der Bescheide jeweils vom 1. August 2017 zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 in Höhe von 27.116 € (2011), 54.205 € (2012), 36.364 € (2013), 171 € (2014) und 3.146 € (2015), zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27, 28 und 38 KStG zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 und 31.12.2015, zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2015 in Höhe von 6.804 € (2011), 12.645 (2012), 8.484 € (2013), 38 € (2014) und 731 € (2015), zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013 in Höhe von 58.939,71 € (2011), 67.010,72 € (2012) und 48.145,05 € (2013), die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12. 2013 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 mit der Maßgabe, dass von einem verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2011 in Höhe von 129.434 €, zum 31.12.2012 in Höhe von 120.753 €, zum 31.12.2013 in Höhe von 129.070 €, zum 31.12.2014 in Höhe von 127.928 €, zum 31.12.2015 in Höhe von 106.951 € sowie von einem vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2011 in Höhe von 115.745 €, auf den 31.12.2012 in Höhe von 107.064 €, auf den 31.12.2013 in Höhe von 115.381 €, auf den 31.12.2014 in Höhe von 114.239 € sowie auf den 31.12.2015 in Höhe von 93.262 € auszugehen ist, sowie die Zinsbescheide zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 und zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013 wegen ernsthafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt es unter anderem vor, dass die alleinige Vorlage der ausgedruckten Tagesberichte nicht den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung entspreche, da sie keine Überprüfung der Einzeldaten ermögliche. Insbesondere seien aus den Z-Bons die vorgenommenen Stornierungen nicht ersichtlich. Ohne die im Streitfall nicht vorhandene zugrundeliegende Dokumentation entspreche der Beweiswert eines Z-Bons einem handschriftlichen Tagesumsatz.
Im Übrigen sei im Rahmen der gewählten Kalkulationsmethode sämtlichen Argumenten der Antragstellerin ausreichend Rechnung getragen worden. Der Getränkeverbrauch sei anhand der verbuchten Eingangsrechnungen ermittelt worden. Die Verkaufspreise im Einzelnen, der Personalverbrauch und etwaige Freigetränke seien nach den Angaben der Antragstellerin angesetzt worden.
Zwar seien die Zuschätzungen nicht zwingend als Zuwendungen an die verantwortlichen Gesellschafter-Geschäftsführer zu beurteilen. Die Gesellschafter seien jedoch ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und hätten die Verwendung der Zuschätzungen nicht nachgewiesen. Aufgrund der Reduzierung des Beweismaßes hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung sei daher davon auszugehen, dass der zusätzliche Gewinn an die Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquote ausgekehrt worden sei.
Zu berücksichtigen sei auch, dass die Antragstellerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Betriebsprüfungsbescheid, die Finanzamtsakten und auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat überwiegend Erfolg.
1. Soweit die Antragstellerin in ihrem Antrag den Solidaritätszuschlag und Zinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer anführt, versteht der Senat dies lediglich als Hinweis auf § 69 Abs. 2 Satz 4 Finanzgerichtsordnung – FGO (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH vom 8. Dezember 2004 I B 125/04, BFH/NV 2005, 1036 und vom 23. August 2004 IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9). Die Festsetzung der Körperschaftsteuer bzw. Umsatzsteuer ist Grundlagenbescheid für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) und des Solidaritätszuschlags. Die Vollziehung der Folgebescheide ist von Amts wegen auszusetzen, wenn die AdV des Grundlagenbescheids angeordnet wird (§ 69 Abs. 2 Satz 4 FGO).
2. Im Streitfall hat das Finanzamt mit Verfügung vom 22. September 2017 lediglich den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013, zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 sowie zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2015 abgelehnt. Über den ebenfalls am 7. August 2017 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011 bis 31.12.2015, zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27, 28 und 38 KStG zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 und 31.12.2015 sowie zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011 bis 31.12.2015 hat es jedoch bislang ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht entschieden, so dass insoweit die Zugangsvoraussetzungen nach § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AO vorliegen.
Allerdings besteht kein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, soweit sie die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27, 28 und 38 KStG zum 31.12.2011 bis 31.12.2013 und 31.12.2015 begehrt. Denn das steuerliche Einlagekonto und das durch Umwandlung von Rücklagen entstandene Nennkapital wurden zum 31. Dezember 2011, 31. Dezember 2012, 31. Dezember 2013 und 31. Dezember 2015 mit Bescheid vom 1. August 2017 nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG jeweils weiterhin mit 0 € – wie von der Antragstellerin in den beim Finanzamt eingereichten Feststellungserklärungen erklärt – festgestellt.
3. Im Übrigen ist der Antrag überwiegend begründet.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10.02.1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 08.04.2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 19.03.2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999).
An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2013, zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2013, über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12. 2013 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 sowie zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013 bestehen bei der gebotenen überschlägigen Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts und der präsenten Beweismittel ernsthafte Zweifel.
3.1. Bei summarischer Prüfung war die Schätzungsbefugnis des Finanzamts zwar gegeben, da die Buchführung der Antragstellerin nicht den Anforderungen der §§ 140 ff Abgabenordnung (AO) entspricht. Es liegen gravierende formelle Mängel der Kassenführung vor, die für sich bereits eine Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO eröffnen, da sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln. Allein die Vorlage der Tagessummenbons (Z-Berichte) genügt nicht den Anforderungen, die im Streitfall an die Aufzeichnung der einzelnen Geschäftsvorfälle (Kassenvorgänge) und die akzessorische Pflicht zur Aufbewahrung der betreffenden Unterlagen zu stellen sind.
Der BFH hat für Kaufleute mit Gewinnermittlung mit Betriebsvermögensvergleich aus den entsprechenden handelsrechtlichen Grundsätzen eine grundsätzliche Einzelaufzeichnungspflicht abgeleitet und klargestellt, dass der nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfall nicht nur der am Ende des Tages insgesamt vereinnahmte Betrag (Tageslosung) ist (BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014 X R 42/13, BStBl II 2015, 519). Grundsätzlich ist jedes Handelsgeschäft – einschließlich der sich hierauf beziehenden Kassenvorgänge – einzeln aufzuzeichnen.
Bei Einsatz einer elektronischen Registrierkasse, die wie im Streitfall Aufzeichnung und Aufbewahrung (Speicherung) von Einzeldaten (insbesondere die in Geld bestehende Gegenleistung und den Inhalt des Geschäfts) ermöglicht, unterliegen die gefertigten Aufzeichnungen – als Grundaufzeichnungen i.S. des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO – der Aufbewahrungspflicht (BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014 X R 47/13, BFH/NV 2015, 793). Diese Aufzeichnungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Unerheblich ist, aus welchen Gründen die erforderlichen Unterlagen bzw. Aufzeichnungen nicht vorgelegt werden können. Eine Schätzungsbefugnis ist selbst bei einem unverschuldeten Verlust der Kassendaten gegeben (BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 X B 44/11, BFH/NV 2012, 168; BFH-Urteile vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28 unter II.3.b ff und vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BStBl II 1972, 819).
Wie das Finanzamt zutreffend ausgeführt hat, bieten die Tagesendsummenbons nicht die Gewähr für die Vollständigkeit der Aufzeichnungen der Umsätze, da die in den Z-Bons aufgeführten Umsätze nachträglich änder- bzw. löschbar waren, ohne dass ursprüngliche Werte noch nachvollzogen werden können. Darüber hinaus fehlt es an einer Dokumentation der Kassenprogrammierung für die in den Jahren 2011 bis 2013 verwendete Kasse. Anweisungen zur Kassenprogrammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle der Kasse, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als „sonstige Organisationsunterlagen“ aufbewahrungspflichtig (vgl. schon BMF-Schreiben vom 9. Januar 1996 IV A 8-S. 0310-5/95, BStBl I 1996, 34, bestätigt durch BFH-Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743). Bei dem Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung handelt es sich um einen gewichtigen formellen Mangel, der zu einer Hinzuschätzung berechtigt (BFH-Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743).
3.2. Bei summarischer Prüfung hat der Antrag jedoch im Hinblick auf die Höhe der Zuschätzung aufgrund der vom Finanzamt gewählten Schätzungsmethode Erfolg. Im Streitfall lässt sich die Kalkulation – nicht einmal in Grundzügen – überprüfen.
Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Ziel der Schätzung ist es, bezogen auf den jeweils festgestellten Sachverhalt die zahlenmäßigen Auswirkungen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln (BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933, unter II.2.b.aa der Gründe, m.w.N.).
Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts, das an die von der Behörde gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden ist und nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis besitzt. Bei dieser Entscheidung kommt der Art der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen, den vorliegenden und verwertbaren Unterlagen und der Mitwirkungsbereitschaft des Steuerpflichtigen wesentliche Bedeutung zu. Schätzungsunschärfen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss vom 1.12.1998 III B 78/97, BFH/NV 1999, 741).
Grundsätzlich trägt das Finanzamt die Feststellungslast für steuererhöhende Tatsachen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 05.11.1970 V R 71/67, BStBl II 1971, 220). Bei einer Schätzung gemäß § 162 AO muss das Finanzamt daher – auch im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes – ausreichende Belege vorlegen, um die vorgenommene Schätzung der Höhe nach durch die Offenlegung einer nachvollziehbaren Kalkulation zu substantiieren, so dass sich das Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ein Bild von dem geltend gemachten Anspruch machen kann (BFH-Beschluss vom 14.02.1984 VIII B 112/83, BStBl II 1984, 443). Dafür müssen sowohl die verwendeten Ausgangszahlen (in der Regel die Buchungskonten), als auch der Kalkulationsweg nachvollziehbar dargestellt werden, damit das Finanzgericht in die Lage versetzt wird, seine eigene Schätzungsbefugnis auszuüben.
Im Streitfall führt das Finanzamt zwar aus, dass anhand der sogenannten Ausbeutekalkulation (vgl. auch FG Nürnberg, Urteil vom 8. Mai 2012 2 K 1122/2009, DStR 2013, 304; FG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2012 6 K 2749/11 K,G,U,F; Niedersächsisches FG, Urteil vom 10. Mai 2016 8 K 175/15, juris zur grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Methode) zunächst eine Teilkalkulation des Getränkeumsatzes für das Jahr 2012 aufgrund des Wareneinsatzes, der Getränkeverkaufspreise sowie des Personalverbrauchs erfolgt sei. Welche Ausgangswerte für den Getränkeumsatz insoweit als Berechnungsgrundlage herangezogen worden sind und in welcher Weise daraus die geschätzten Getränkeerlöse berechnet werden, wird jedoch nicht dargestellt. Ferner fehlen Übersichten über die Ermittlung des Eigenverbrauchs und die Weiterverkäufe von Großhandelsware an andere Gaststätten.
Soweit das Finanzamt anschließend anhand des ermittelten – aufgerundeten – Anteils von 30% des Getränkeumsatzes für das Jahr 2012 eine Hochrechnung der Speiseumsätze für die Jahre 2011 bis 2013 vorgenommen hat, lässt sich diese weder aus den Akten der Betriebsprüfung noch aus der im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegten Übersicht vom 8. Januar 2018 nachvollziehen. So führt das Finanzamt zwar aus, dass die Nachkalkulation anhand einer sogenannten Kalkulation nach Anteilen erfolgt sei. Gleichwohl wird in der Übersicht vom 8. Januar 2018 ein Rohgewinnaufschlagsatz von „326,23 €“ angegeben. Das Finanzgericht kann insoweit nicht überprüfen, welche Ausgangswerte der Berechnung der Getränkeumsätze 2011 und 2013 und der Speisenumsätze 2011 bis 2013 zugrunde gelegt worden sind. Da im Rahmen der sog. Kalkulation nach Anteilen gerade keine eigene Kalkulation der Speisen erfolgt, erschließt sich dem Gericht nicht, warum das Finanzamt bei seiner Zuschätzung überhaupt auf einen Rohgewinnaufschlag zurückgegriffen und wie es ihn bei seiner Berechnung berücksichtigt hat.
Im Übrigen bestehen auch erhebliche Zweifel, ob das Finanzamt die für das Jahr 2012 vorgenommenen Getränkehochrechnung, die für sich schon nicht detailliert dargestellt worden ist und der als Datenmaterial für die Berechnung des Verhältnisses der Speiseumsätze zu den Getränkeumsätzen die im Jahr 2015 verbuchten Umsätze zugrunde gelegt worden sind, wiederum als Grundlage für die Zuschätzungen der Umsätze in den Jahren 2011 und 2013 heranziehen kann. So befinden sich in den Akten der Betriebsprüfung nur Speise- und Getränkekarten, die im Zeitraum der Prüfung verwendet worden sind. Es fehlt eine Übersicht über die im Prüfungszeitraum 2011 bis 2013 verlangten Preise.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin nicht nur Speisen im Restaurant mit feststehenden Preisen im Mittags- und Abendgeschäft, sondern darüber hinaus auch günstigere Mittagsgerichte und Speisen zum Außerhausverkauf anbietet. Es bestehen ernsthafte Zweifel, ob die vom Finanzamt vorgenommene Zuschätzung – abgesehen von den oben dargestellten Mängeln – den Umständen im Streitfall gerecht wird. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung verzehrt ein Gast, der Speisen im Restaurant abholt, keine oder allenfalls in Ausnahmefällen dort auch Getränke. Dementsprechend können aus dem Getränkeumsatz im Restaurant bei summarischer Prüfung nicht unmittelbar Schlussfolgerungen auf die Außerhausverkäufe an Speisen gezogen werden. Die Übertragung des Ergebnisses der Getränkekalkulation auf die Speiseumsätze beruht auf dem Gedanken, dass aufgrund des typischen Getränkeverzehrs in einem Speiserestaurant das Verhältnis zwischen Getränke- und Speiseumsätzen konstant ist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unproblematisch, das Ergebnis ohne Weiteres auf Außerhausumsätze zu übertragen (vgl. Urteil des Finanzgerichts Münster vom 4. Dezember 2015 4 K 2616/14, EFG 2016, 169 mit Anmerkung Kister).
Da im Streitfall eine schlüssige Begründung des Steueranspruchs in ausreichendem Umfang fehlt, ist es dem Gericht – auch im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes – nicht möglich, die aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen zu bewerten (vgl. BFH-Beschluss vom 14.02.1984 VIII B 112/83, BFHE 140, 153, BStBl II 1984, 443). Insbesondere die verwendeten Ausgangszahlen und der Kalkulationsweg sind nicht nachvollziehbar dargestellt worden. Das Finanzgericht kann daher seine eigene Schätzungsbefugnis nicht ausüben, so dass die Bescheide zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2013, zum Gewerbesteuermessbetrag 2011 bis 2013, zum Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und zum vortragsfähigen Gewerbeverlust jeweils auf den 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 sowie zur Umsatzsteuer 2011 bis 2013 in vollem Umfang wegen ernsthafter Zweifel von der Vollziehung auszusetzen sind.
3.3. Im Zusammenhang mit der Festsetzung der Umsatzsteuer bestehen darüber hinaus auch insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geänderten Umsatzsteuerbescheide, da die Antragstellerin aufgrund des Außerhausverkaufs auch Umsätze erwirtschaftet hat, die nicht dem Regelsteuersatz unterliegen. Das Finanzamt hat die Zuschätzungen dahingegen insgesamt dem Regelsteuersatz unterworfen (§ 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz -UStG).
4. Bei summarischer Prüfung bestehen jedoch keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit der für die Veranlagungszeiträume 2014 und 2015 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (2014) und § 164 Abs. 2 AO (2015) geänderten Bescheide vom 1. August 2017. Die Antragstellerin hat insoweit auch keine Einwendungen vorgetragen. Im Übrigen beruht die Änderung der Bescheide nicht aufgrund der im Rahmen der Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 erfolgten Zuschätzungen. Soweit die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2014 und 31.12.2015 sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2014 und 31.12.2015 auf einer Fortschreibung der zum 31.12.2013 festgestellten Verluste beruhen, ist eine Aussetzung der Vollziehung ausgeschlossen, da in diesen lediglich die in einem Grundlagenbescheid verbindlich getroffenen Entscheidungen übernommen werden (Beschluss des FG München vom 2. März 2004 9 V 4504/03, juris).
5. Die Aussetzungsanordnung war trotz der sich wegen des von der Antragstellerin am 4. April 2018 gestellten Insolvenzantrags ergebenden Zweifel an der Realisierung der Steuerforderung nicht von der Leistung einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
In der Regel rechtfertigt eine Gefährdung des Steueranspruchs die Anordnung einer Sicherheitsleistung. Allerdings ist von dieser trotzdem abzusehen, wenn und soweit mit Gewissheit oder doch mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (BFH-Beschluss vom 22.12.1969 V B 115-116/69, BFHE 97, 240, BStBl II 1970, 127). Davon ist für Zwecke des einstweiligen Rechtsschutzes auch auszugehen, wenn der Sachverhalt, aus dem ein Steueranspruch hergeleitet werden soll, vom Finanzamt unvollständig, widersprüchlich oder auch so ungeordnet vorgetragen wird, dass die rechtliche Subsumtion Schwierigkeiten bereitet. Das Finanzamt muss sich, soweit es die Feststellungslast trägt, im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung entgegenhalten lassen, dass der von ihm geltend gemachte Steueranspruch nicht schlüssig aus dem vorgetragenen Sachverhalt hergeleitet werden kann. Es besteht noch weiterer Aufklärungsbedarf (BFH-Beschluss vom 14.02.1984 VIII B 112/83, BFHE 140, 153, BStBl II 1984, 443; BFH-Beschluss vom 30.07.1997 I B 141-142/96, BFH/NV 1998, 84).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.


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