Steuerrecht

Verzicht auf Aussetzungszinsen, Sachliche Unbilligkeit (abgelehnt), Änderung der Gewerbesteuerfestsetzung nach internationalem Verständigungsverfahren

Aktenzeichen  M 10 K 19.4096

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40901
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 237 Abs. 4
AO § 237 Abs. 5
AO § 234 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.   

Gründe

A. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Verzicht der Beklagten auf die festgesetzten Aussetzungszinsen betreffend die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuer 2001 bis 2003 sowie der Aussetzung der insoweit festgesetzten Nachzahlungszinsen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für den begehrten Verzicht wären § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO, die in Bezug auf Billigkeitsmaßnahmen betreffend Aussetzungszinsen speziellere Regelungen gegenüber §§ 163, 277 AO darstellen (vgl. Koenig in ders., AO, 4. Aufl. 2021, § 234 Rn. 18 mit Verweis auf BFH, U.v. 18.4.1996 – V R 55/95 – BeckRS 1996, 22011790; vgl. BFH, U.v. 31.3.2010 – II R 2/09 – juris). Die Voraussetzungen für einen Verzicht liegen jedoch nicht vor, sodass der Beklagten insoweit kein Ermessen eröffnet wurde.
Gemäß § 234 Abs. 2 AO, auf den § 237 Abs. 4 AO verweist, kann auf Zinsen ganz oder zum Teil verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Voraussetzungen der Unbilligkeit decken sich dabei mit den Voraussetzungen der sachlichen und persönlichen Unbilligkeit nach §§ 163, 277 AO (Koenig, a.a.O.; BFH, U.v. 31.3.2010, a.a.O. Rn. 14).
I. Sachliche Unbilligkeitsgründe sind demnach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte, weil die Geltendmachung des dem Gesetzeswortlaut entsprechenden Anspruchs nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist oder dessen Wertungen zuwiderläuft (Klüger in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 227 AO Rn. 13 m.w.N.).
Es ist nicht davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Heranziehung des Klägers zu Aussetzungszinsen dem Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft.
1. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, steht dem die Regelung des § 237 Abs. 5 AO entgegen. Danach ist ein Zinsbescheid nicht aufzuheben oder zu ändern, wenn der Steuerbescheid nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird. Damit hat der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, dass es in den genannten Fällen bei den festgesetzten Aussetzungszinsen verbleiben soll, auch wenn der Steuerpflichtige nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens sein Ziel der Herabsetzung der Steuerfestsetzung ganz oder teilweise erreicht.
Vorliegend wurden sowohl die die Steuerjahre 2001 bis 2003 betreffenden Gewerbesteuermessbeträge als auch die sich daraus ergebende Gewerbesteuer nach Durchführung von internationalen Verständigungsverfahren auf 0 EUR herabgesetzt. Die Pflicht zur Anpassung der Gewerbesteuermessbescheide an das Ergebnis der Verständigung ergab sich dabei aus § 175a AO.
Die Herabsetzung der Gewerbesteuermessbeträge sowie der Gewerbesteuer erfolgte dabei nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens i.S.v. § 237 Abs. 5 AO. Der Kläger hat den eröffneten Rechtsweg in Bezug auf die Gewerbesteuermessbescheide durchlaufen. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts München vom 28. Oktober 2014 wurde durch den Bundesfinanzhof zurückgewiesen. Rechtsbehelfsverfahren i.S.v. § 237 Abs. 1 Satz 2 AO und damit in diesen Fällen auch i.S.v. § 237 Abs. 5 AO ist das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Gewerbesteuermessbescheide (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 156. Lfg, April 2019, § 237 Rn. 5 mit Verweis auf BFH, U.v. 31.8.2011 – X R 49/09 – BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219). Anlass für die erfolgte Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuerbescheide sowie der Nachzahlungszinsbescheide war vorliegend jeweils die durch das Finanzamt erfolgte Aussetzung der Gewerbesteuermessbescheide aufgrund der gegen diese geführten Rechtsbehelfsverfahren (vgl. Begründung der Aussetzungsbescheide der Beklagten vom 19.1.2009 und 10.8.2012). Weil Klage- und Beschwerdeverfahren gegen die Gewerbesteuermessbescheide ohne Erfolg geblieben sind, waren nach § 237 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO auch für die Aussetzung der Gewerbesteuerbescheide sowie der festgesetzten Nachzahlungszinsen Aussetzungszinsen zu erheben. Die erfolgte Herabsetzung der Gewerbesteuermessbeträge aufgrund des durchgeführten Verständigungsverfahrens erfolgte nach der Zurückweisung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof und damit nach Abschluss des maßgeblichen Rechtsbehelfsverfahrens.
Die durchgeführten Verständigungsverfahren stellen dagegen keine Rechtsbehelfsverfahren im Sinne des § 237 Abs. 5 AO dar. Das Verständigungsverfahren und das nationale Rechtsbehelfsverfahren sind nebeneinander möglich (vgl. Nr. B.2.1.5 des Merkblatts des Bundesministeriums für Finanzen zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 9. Oktober 2018; Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. August 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 26. März 2002: „unbeschadet der nach dem innerstaatlichen Recht dieser Staaten vorgesehenen Rechtsmittel“ und die im Wesentlichen wortgleiche Regelung in Art. 25 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung des Protokolls vom 27. Oktober 2010). Zudem ist die Umsetzung der Verständigungslösung durch die für die Steuerfestsetzung zuständige Behörde nicht die zwingende Folge des durchgeführten Verständigungsverfahrens, sondern erfordert eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen (vgl. Nr. B.4.2 des Merkblatts vom 9. Oktober 2018).
2. Eine sachliche Unbilligkeit folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Anträge auf Durchführung des Verständigungsverfahrens mit Österreich und der Schweiz nach Vortrag der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung bereits am 5. Oktober 2011 beim Finanzamt … gestellt wurden. Dass eine schnellere Bearbeitung der Anträge auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens unter Umständen zu einem schnelleren Abschluss des Verständigungsverfahrens und damit zu einer früheren Herabsetzung des Gewerbesteuermessbetrags hätte führen können, begründet keine Unbilligkeit der festgesetzten Aussetzungszinsen.
Mit der Festsetzung von Aussetzungszinsen soll der Vorteil ausgeglichen werden, der dem Steuerpflichtigen dadurch entstanden ist, dass ihm der geschuldete Betrag für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens weiter zur Verfügung stand, obwohl sich die angegriffene Festsetzung zum Zeitpunkt der Entscheidung über den jeweiligen Rechtsbehelf als rechtmäßig erwies (zu Sinn und Zweck der Aussetzungszinsen: BFH, U.v. 20.9.1995 – X R 86/94 – BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53 Rn. 13; U.v. 12.12.2007 – XI R 25/07 – juris Rn. 21). Dieser Vorteil ist auch dem Kläger während des Einspruchs- und Klageverfahrens zweifelsfrei entstanden.
Nach Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besteht auch dann kein Anspruch auf Erlass bzw. Verzicht der Aussetzungszinsen, wenn das Gerichtsverfahren über die streitige Steuerfestsetzung nicht innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen worden ist, denn auch bei einer überlangen Verfahrensdauer bestand der Vorteil für den Steuerpflichtigen während des gesamten Zeitraums (vgl. BFH, U.v. 21.2.1991 – V R 105/84 – BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498; B.v. 13.9.1991 – IV B 105/90 – BFHE 165, 469, 475, BStBl II 1992, 148). Der durch die Verzinsung bezweckte Vorteilsausgleich behält danach auch dann seinen Sinn, wenn staatliche Stellen für Entstehung und Höhe des Zinsanspruchs (mit-)verantwortlich sind (BFH, U.v. 20.9.1995 – X R 86/94 – BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53 Rn. 13).
Gegen eine aus seiner Sicht verzögerte Bearbeitung der Anträge auf Durchführung der Verständigungsverfahren durch das Finanzamt hätte der Kläger zudem Rechtsschutz suchen und so bei Erfolg einen früheren Abschluss des Verständigungsverfahrens herbeiführen können. Ein Ausgleich über die Verpflichtung der Beklagten zum Verzicht auf ihr zustehende Aussetzungszinsen ist auch aus diesem Grund nicht angezeigt (vgl. Oosterkamp in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, 18. Edition, Stand: 5.10.2021, § 237 Rn. 32).
Für den Kläger wäre es zudem möglich gewesen, die Aussetzung der Vollziehung nicht zu beantragen, die festgesetzte Gewerbesteuer sowie die festgesetzten Nachzahlungszinsen zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten zu bezahlen und so das Entstehen von Aussetzungszinsen zu verhindern. Im Hinblick auf Umstände, die im Rahmen des Verständigungsverfahrens zu berücksichtigen sind, jedoch nicht zum Erfolg von Einspruch und Klage führen, hätte sich gerade diese Möglichkeit angeboten.
II. Gründe für eine persönliche Unbilligkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
C. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.


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