Steuerrecht

Vorauszahlung auf Erneuerungsbeitrag für eine Entwässerungs- und Wasserversorgungsanlage

Aktenzeichen  Au 6 K 17.34

Datum:
11.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10217
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WVG § 1, § 6, § 28, § 47
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Im Beitragsrecht ist grds. vom bürgerlich-rechtlichen Begriff des Grundstücks iSd Grundbuchrechts auszugehen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein zusammenfassender Bescheid muss erkennen lassen, für welches einzelne Grundstück welche Abgabe in welcher Höhe festgesetzt wird. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei Normierung eines wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs und Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit im Hinblick auf mehrere Buchgrundstücke kann eine Zusammenveranlagung auch ohne Differenzierung nach den einzelnen Flurnummern der wirtschaftlichen Einheit erfolgen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Festsetzung des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs muss ausdrücklich erfolgen. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
5 Grds. ist ein Beitragsbescheid ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt. Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände kann ihm auch die begünstigende Feststellung zu entnehmen sein, dass mehr als die darin festgesetzte Abgabe vom Schuldner nicht verlangt werde. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten erweist sich sowohl formell als auch materiell als rechtswidrig.
I.
Der Bescheid des Beklagten ist formell rechtswidrig, da er nicht hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) ist.
Die Bestimmtheit des Abgabenbescheids richtet sich nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG i.V.m. Art. 37 BayVwVfG, wonach ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein muss. §§ 119, 157 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sind demgegenüber nicht anwendbar, da das Gesetz über Wasser- und Bodenverbände (WVG) lediglich in Hinblick auf die Verjährungsregelungen auf die Abgabenordnung verweist (vgl. § 31 Abs. 4 WVG).
Ein Abgabenbescheid ist hinreichend bestimmt, wenn er den Adressat in die Lage versetzt, zu erkennen, was von ihm gefordert wird und wenn er geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein könnte (BayVGH, B.v. 22.4.2008 – 19 ZB 08.489 – juris Rn. 20 m.w.N.). Der Verwaltungsakt muss aus sich heraus verständlich sein. Von dem Betroffenen kann deshalb grundsätzlich nicht erwartet werden, dass er unter Heranziehung eines Dritten erforscht, was von ihm im Einzelnen verlangt wird. Zulässig sind allenfalls Bezugnahmen auf gegenüber den Beteiligten früher ergangene Verwaltungsakte oder ihnen bekannte und ihnen vorliegende oder jederzeit zugängliche Unterlagen wie ein dem Bescheid beigefügtes Berechnungsblatt (BayVGH, B.v. 22.4.2008 – 19 ZB 08.489 – juris Rn. 23). Dass die gebotene Bestimmtheit erst durch einen Rückgriff auf Unterlagen oder Akten der den Bescheid erlassenden Behörde hergestellt wird, genügt grundsätzlich nicht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl., § 37 VwVfG, Rn. 12). In Hinblick auf die Bestimmtheit des Verwaltungsakts kommt es nicht darauf an, wie ein außenstehender Dritter, sondern wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des angefochtenen Bescheides unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste (BayVGH, B.v. 22.4.2008 – 19 ZB 08.489 – juris Rn. 24. m.w.N.). In Bezug auf Beitragsbescheide ist erforderlich, dass der Beitragsbescheid hinreichend deutlich erkennen lässt, von wem was für welches Grundstück gefordert wird. Erforderlich sind daher Angaben über den Abgabenschuldner, die abzurechnende Maßnahme, den geschuldeten Betrag, das herangezogene Grundstück sowie die jeweilige Berechnungsgrundlage (BayVGH, B.v. 24.3.2015 – 6 CS 15.389 – juris Rn. 8).
1. Der Bescheid ist schon in Bezug auf die veranlagten Grundstücke nicht hinreichend bestimmt, da er mangels Angabe der Flurnummern und Festsetzung eines eigenen Beitrags für jedes Flurgrundstück nicht erkennen lässt, für welches Flurgrundstück welcher Beitrag geschuldet ist.
Da der Beklagte keinen wirtschaftlichen Grundstücksbegriff gewählt hat (dazu sogleich), ist in Bezug auf die veranlagten Grundstücke vom Buchgrundstücksbegriff auszugehen. Im Interesse der Rechtssicherheit und Eindeutigkeit ist jedoch in der Regel für jedes Buchgrundstück ein eigener Beitrag festzusetzen (Wuttig/ Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Stand September 2017, Teil III, Frage 2 Nr. 1).
a) Im vorliegenden Fall ist allein der Buchgrundstücksbegriff maßgeblich.
Im Beitragsrecht ist grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Begriff des Grundstücks i.S.d. Grundbuchrechts auszugehen (stRspr; vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 10). Zwar ist auch in diesem Fall ein zusammenfassender Bescheid möglich. Jedoch muss ein solcher Bescheid erkennen lassen, für welches einzelne Grundstück welche Abgabe in welcher Höhe festgesetzt wird. Wenn sich diese Informationen nicht aus dem Tenor des Bescheids ergeben, ist es zulässig, ihn unter Heranziehung des sonstigen Textes samt in Bezug genommener Anlagen und der den Betroffenen bekannten Umstände des Einzelfalles unter Beachtung von Treu und Glauben auszulegen. Nicht hinreichend bestimmt ist demgegenüber ein Bescheid, der keine einzelnen Flächenangaben enthält, so dass sich die angesetzten Grundstücks- und Geschossflächen nicht den einzelnen Grundstücken zuordnen lassen. Insbesondere genügt es nicht, lediglich eine Gesamtgrundstücksfläche aller Buchgrundstücke anzugeben (BayVGH, B.v. 15.1.2007 – 23 CS 06.3315 – juris Rn. 28, 30 m.w.N.). Vielmehr muss, soweit – wie hier (dazu sogleich) – kein wirtschaftlicher Grundstücksbegriff gewählt wurde, für jedes Buchgrundstück ein eigener Beitrag festgesetzt werden (BayVGH, B.v. 22.5.2002 – 23 CS 02.906 – juris Rn. 33 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.10.2001 – 23 B 00.3686 – juris Rn. 36).
Im vorliegenden Fall wird der streitgegenständliche Bescheid den Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit nicht gerecht. Der Bescheid nennt lediglich die postalische Anschrift „…straße … + …“ ohne Nennung von Flurnummern.
(1) Damit ist zum einen schon nicht hinreichend bestimmt, auf welche Flurnummern sich der Bescheid überhaupt bezieht. Der Bescheid entzieht sich auch einer Bestimmung durch Auslegung seines Inhalts. Denn möglich ist einerseits, dass nur das Flurgrundstück Nr., Gemarkung, gemeint ist, auf dem sich die beiden der postalischen Anschrift zugehörigen Gebäude befinden. Hierfür spricht, dass die ersten vier Vorauszahlungsbescheide nur diese Gebäude der Flurnummer, Gemarkung, betrafen. Möglich – und vom Beklagten so vorgetragen – ist andererseits auch, dass alle drei Grundstücke mit den Flurnummern, … und, jeweils Gemarkung, erfasst werden sollten. Hierfür spricht, dass eine Addition der Grundstücksflächen (Flurnummer …: 4.106,23 m2, Flurnummer …: 22.382,98 m2, Flurnummer …: 4.113,58 m2) die im Bescheid angegebene Gesamtfläche von 30.603 m2 ergeben. Welche Grundstücke vom Bescheid betroffen sind, ist jedoch aus dem Bescheid heraus nicht eindeutig bestimmbar. Da der Bescheid grundsätzlich aus sich heraus verständlich sein muss und lediglich auf der Klägerin bekannte Unterlagen wie vorherige an sie adressierte Bescheide sowie beiliegende Berechnungsblätter Bezug genommen werden darf, genügt es auch nicht, dass die Klägerin die Berechnung der Gesamtgrundstücksfläche und damit die betroffenen Grundstücke beim Architekten des Beklagten erfragen hätte können. Die Erforschung des Inhalts eines Bescheids durch Nachfragen bei Dritten kann regelmäßig vom Empfänger nicht erwartet werden (s.o.). Im Übrigen begegnet es erheblichen rechtlichen Bedenken, wenn der Beklagte bei der zwangsweisen Festsetzung von Beiträgen die Auslegung seines Bescheids einem privaten Dritten wie seinem Architekten überließe. Auch zur Teilnahme an der Verbandsversammlung oder zur Akteneinsicht beim Beklagten war die Klägerin – vertreten durch die Geschäftsführer ihrer Komplementärin – in Hinblick auf die Bestimmung der vom streitgegenständlichen Bescheid betroffenen Grundstücke nicht verpflichtet. Auch insoweit handelt es sich um unzumutbare Erforschungsmaßnahmen, die nach Treu und Glauben in Hinblick auf die Bestimmbarkeit des Bescheids vom Empfänger nicht erwartet werden können. Ein Berechnungsblatt oder ein Lageplan war dem Bescheid nicht beigefügt, so dass auch insoweit keine Auslegung der vom Bescheid erfassten Buchgrundstücke möglich ist.
(2) Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Bescheid alle drei klägerischen Grundstücke erfassen sollte, so ist der Bescheid auch dahingehend unbestimmt, als dass aus dem Bescheid nicht hervorgeht, auf welches Grundstück welcher Beitrag gezahlt wird. Hierfür wäre zumindest die Angabe der einzelnen Grundstücksgrößen sowie des auf das jeweilige Grundstück anfallenden Vorausleistungsbeitrags erforderlich gewesen. Die bloße Angabe der Gesamtfläche und eines Gesamtbeitrags für sämtliche Grundstücke genügt nicht (vgl. oben). Auch insoweit ist der Bescheid nicht auslegungsfähig und damit unbestimmt.
b) Der Beklagte hat auch keinen wirtschaftlichen Grundstücksbegriff festgesetzt.
Bei Normierung eines wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs und Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit in Hinblick auf mehrere Buchgrundstücke kann ohne Verstoß gegen das Bestimmtheitsverbot eine Zusammenveranlagung auch ohne Differenzierung nach den einzelnen Flurnummern der wirtschaftlichen Einheit erfolgen (BayVGH, U.v. 4.12.2003 – 23 B 03.1838 – BeckRS 2003, 31494; BayVGH, B.v. 4.10.2001 – 23 B 00.3686 – juris Rn. 36).
Indes hat der Beklagte keinen wirtschaftlichen Grundstücksbegriff gewählt. Daher kann auch offenbleiben, ob die Grundstücke der Klägerin überhaupt eine wirtschaftliche Einheit bilden (vgl. zu Campingplatz BayVGH, U.v. 15.6.1994 – 23 B 89.2705 – juris).
Da grundsätzlich im Abgabenrecht vom Buchgrundstücksbegriff ausgegangen wird (vgl. oben), muss der wirtschaftliche Grundstücksbegriff ausdrücklich gewählt werden. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, auf die das Kommunalabgabengesetz (KAG) anwendbar ist, erfolgt die ausdrückliche Wahl des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs durch Festlegung in der jeweiligen Satzung, da das KAG selbst keine Definition des Grundstücksbegriffs enthält. Auch ein Wasser- und Bodenverband nach dem Wasserverbandsgesetz muss den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff ausdrücklich wählen, ansonsten verbleibt es beim Grundsatz der separaten Beitragserhebung für jedes Buchgrundstück.
(1) Im Wasserverbandsgesetz findet sich – wie auch im KAG – keine Normierung des Grundstücksbegriffs.
In § 4 WVG wird lediglich bestimmt, dass die jeweiligen Eigentümer von Grundstücken und Anlagen, die jeweiligen Erbbauberechtigten sowie die Inhaber von Bergwerkseigentum (dingliche Verbandsmitglieder) Verbandsmitglieder sein können. Welche Einheit ein „Grundstück“ ist, ergibt sich aus dem WVG nicht, so dass auch insoweit der Grundsatz gilt, dass unter einem „Grundstück“ das jeweilige Flurgrundstück zu verstehen ist.
(2) Auch in den Satzungen des Beklagten findet sich keine Definition des Grundstücksbegriffs.
In § 2 Abs. 1 VS heißt es lediglich, Mitglieder des Verbandes seien die jeweiligen Eigentümer der im Mitgliederverzeichnis aufgeführten Grundstücke und Anlagen (dingliche Mitglieder). Auch hieraus geht nicht hervor, dass der Beklagte einen vom Buchgrundstücksbegriff abweichenden Grundstücksbegriff gewählt hätte. Auch unter den Begriffsbestimmungen seiner Wasserbezugsordnung findet sich keine Normierung eines wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs (vgl. exemplarisch hierzu den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff in § 2 der Wasserbezugsordnung des Wasserbeschaffungsverbandes Rohr, https://www.wbv-rohr.de/images/ website/dokumente/Wasserbezugsordnung_2014 .pdf, Stand: 12.4.18). Nach § 6 Abs. 2 Nr. 6 WVG muss die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes Grundsätze für die Beitragsbemessung beinhalten. Da die Wahl eines vom Buchgrundstücksbegriff abweichenden wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs zu einer vom Buchgrundstücksbegriff abweichenden Beitragshöhe führen kann (beispielsweise in Hinblick auf die Frage, ob auf dem Grundstück eine Bebauung zulässig bzw. von untergeordneter Bedeutung ist, vgl. § 30 Abs. 2 VS), stellt die Wahl eines anderen Grundstücksbegriffs einen Grundsatz der Beitragsbemessung dar, der mithin eine Regelung durch Satzung erfordert.
(3) Aus diesem Grund kann auch trotz der Aufnahme aller drei Flurgrundstücke in einer Nummer des Mitgliederverzeichnisses nicht von einer (konkludenten) Wahl des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs ausgegangen werden.
Dabei kann offen bleiben, ob die Eintragung in das Mitgliederverzeichnis einen (feststellenden) Verwaltungsakt darstellt oder wegen der ausschließlich dokumentarischen Zwecke keinen Regelungscharakter hat (offen gelassen von OVG SH, B.v. 16.10.2012 – 4 LA 45/12 – juris Rn. 5). Selbst wenn die Festsetzungen des Mitgliederverzeichnisses Verwaltungsakte darstellen sollten, kann der wirtschaftliche Grundstücksbegriff jedoch nicht durch einen feststellenden Verwaltungsakt des Verbandsvorstehers gegenüber einem Mitglied gewählt werden. Dem widerspricht schon, dass es sich bei der Eintragung eines Verbandsmitglieds in das Mitgliederverzeichnis (allenfalls) um eine konkret-individuelle, deklaratorische Regelung gegenüber diesem Mitglied handelt, die jedoch keine unmittelbaren Wirkungen gegenüber den anderen Mitgliedern entfaltet. Der wirtschaftliche Grundstücksbegriff kann jedoch schon aus Gleichheitsgrundsätzen, Art. 3 Abs. 1 GG, nur gegenüber allen Verbandsmitgliedern einheitlich festgesetzt werden. Es ist nicht zulässig, nur hinsichtlich der Klägerin durch Eintragung aller ihrer Grundstücke unter einer Nummer des Mitgliederverzeichnisses einen anderen Grundstücksbegriff zu wählen als gegenüber den anderen Mitgliedern. Des Weiteren muss der wirtschaftliche Grundstücksbegriff ausdrücklich gewählt werden. Hierzu ist auch erforderlich, dass der Beklagte durch eine Definition des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs bestimmt, wann mehrere Buchgrundstücke eine wirtschaftliche Einheit bilden. Nur so genügt er den rechtsstaatlichen Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der Beitragserhebung. Eine Definition des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffes kann nicht durch die Aufnahme dreier Flurnummern unter einer Nummer in das Mitgliederverzeichnis ersetzt werden. Ferner gehört die Wahl des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs zu den Grundsätzen der Beitragserhebung, weswegen grundsätzlich eine Regelung in der Satzung erforderlich ist (vgl. oben). Über Änderungen der Satzung hat indes die Verbandsversammlung zu entscheiden (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 WVG). Erforderlich ist damit zumindest ein konstitutiver Beschluss der Verbandsversammlung. Das Mitgliederverzeichnis wird demgegenüber vom Verbandsvorsteher geführt (§ 2 Abs. 2 VS). Da der Verbandsvorsteher für grundsätzliche Entscheidungen wie die Wahl des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs damit nicht organzuständig ist, konnte auch deswegen eine (konkludente) Festlegung durch Änderung des Mitgliederverzeichnisses nicht erfolgen.
Mangels Festsetzung eines wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs durch den Beklagten konnten die drei Flurgrundstücke der Klägerin damit nicht als wirtschaftliche Einheit betrachtet werden, so dass in Hinblick auf die Bestimmtheit des Bescheids eine Beitragsdifferenzierung nach den einzelnen Flurnummern erforderlich gewesen wäre.
2. Der Bescheid ist auch hinsichtlich der maßgeblichen Berechnungsfaktoren und der abgerechneten Fläche nicht hinreichend bestimmt.
In einem Abgabebescheid muss im Interesse der Rechtsklarheit und Eindeutigkeit in der Regel für jedes Buchgrundstück ein eigener Beitrag festgesetzt und zur Begründung aufgezeigt werden, aufgrund welcher Faktoren sich dieser errechnet, zumindest muss er sich rechnerisch aus dem Bescheid ohne Weiteres bestimmen lassen (BayVGH, B.v. 4.10.2001 – 23 B 00.3686 – juris Rn. 36).
Aus dem Bescheid lässt sich auch mit Auslegung nicht ermitteln, ob der Bescheid Beiträge für die Geschossfläche der Grundstücke oder die Grundstücksfläche der Grundstücke festsetzen sollte.
Insoweit heißt es im Bescheid lediglich: „Berechnungsgrundlage ist ¼ der Geschossfläche nach § 30 Abs. 2 der Verbandssatzung vom 05.06.2013 und die Geschossflächenermittlung von Dipl.Ing. (FH) Architekt (…)“. Nach § 30 Abs. 2 Uabs. 1 VS errechnen sich einmalige Beiträge nach der Grundstücksfläche und der Geschossfläche der vorhandenen Gebäude. Die Grundstücksfläche werde nur bei Verbandsmitgliedern zur Berechnung herangezogen, welche ihr Regenwasser über die verbandseigene Anlage entsorgten. Nach § 30 Abs. 2 Uabs. 4 VS wird bei Grundstücken, für die eine gewerbliche Nutzung ohne Bebauung zulässig ist bzw. die zulässige Bebauung nur von untergeordneter Bedeutung ist, als Geschossfläche ein Viertel der Grundstücksfläche in Ansatz gebracht.
Durch die Abrechnung lediglich eines Viertels der Grundstücksfläche im streitgegenständlichen Bescheid und durch die Anrechnung der bisher auf die Geschossfläche gezahlten Beiträge ist – wovon auch das Gericht zunächst ausging – die Auslegung möglich, dass der Beklagte durch den hier streitgegenständlichen Bescheid wiederum Vorausleistungsbeiträge auf die Geschossfläche (diesmal nicht mehr wie bisher konkret über die tatsächlich vorhandene Geschossfläche, sondern fiktiv über ¼ der Grundstücksfläche) erheben wollte.
Demgegenüber gab der Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, man habe sich innerhalb des Verbandsvorstands (der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin sei zweiter Vorsitzender gewesen) nicht über den Beitragsmaßstab hinsichtlich der Klägerin einigen können. Daher habe man sich darauf geeinigt, zunächst Vorauszahlungen nur auf die Gebäude zu erheben und die Grundstücksflächen bis zur Stellungnahme der Aufsichtsbehörde außen vor zu lassen. Mit den ersten vier (hier nicht streitgegenständlichen) Bescheiden habe man daher die Geschossflächen und mit dem streitgegenständlichen Bescheid die Grundstücksflächen erfassen wollen. Nach diesen Ausführungen sollten mit dem streitgegenständlichen Bescheid damit Beiträge auf die Grundstücksfläche selbst erhoben werden. Anhaltspunkt hierfür ist neben den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung die Aufteilung der Beitragserhebung auf insgesamt fünf Bescheide sowie der Wechsel der Berechnungsart im streitgegenständlichen Bescheid.
Da der streitgegenständliche Bescheid seine Rechtsgrundlage nur ungenau zitiert – insbesondere nennt der Bescheid nicht den der Berechnung zu Grunde liegenden Unterabsatz und Satz des § 30 Abs. 2 VS – und aus dem Wortlaut des Bescheids auch nicht deutlich hervorgeht, ob Beiträge auf die Geschossfläche oder die Grundstücksfläche der klägerischen Grundstücke erhoben werden sollten, ist der Bescheid auch insoweit nicht hinreichend bestimmt.
3. Der Beklagte hat die Bestimmtheit des Verwaltungsakts auch nicht nachträglich hergestellt.
Ein Verwaltungsakt kann grundsätzlich auch noch im gerichtlichen Verfahren ergänzt und präzisiert werden (BVerwG, B.v. 21.6.2006 – 4 B 32/06 – juris Rn. 1). Der Beklagte hat jedoch weder schriftlich noch zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung die Berechnungen des streitgegenständlichen Bescheids konkretisiert, insbesondere nicht durch Differenzierung der Beitragshöhe nach den einzelnen Flurnummern und Angabe der maßgeblichen Berechnungsfaktoren nach den Unterabsätzen des § 30 Abs. 2 VS.
II.
Der Bescheid ist auch materiell rechtswidrig.
1. Die vom Beklagten nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung durch den streitgegenständlichen Bescheid beabsichtigte Erfassung der Grundstücksfläche verstößt gegen § 30 Abs. 2 Uabs. 1 Satz 2 VS.
Danach darf die Grundstücksfläche nur bei Verbandsmitgliedern zur Berechnung als einmaliger Beitrag herangezogen werden, welche ihr Regenwasser über die verbandseigenen Anlagen entsorgen.
Der Beklagte hat sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Klägerin entsorge ihr Niederschlagswasser selbst und damit nicht über verbandseigene Anlagen. In einem solchen Fall darf indes die Grundstücksfläche nicht für Vorausleistungen auf einen Erneuerungsbeitrag herangezogen werden, sondern lediglich die Geschossfläche. Die Geschossfläche wird entweder konkret (§ 30 Abs. 2 Uabs. 2 und 3 VS) oder fiktiv über ein Viertel der Grundstücksfläche (§ 30 Abs. 2 Uabs. 4 und 5 VS) berechnet.
2. Des Weiteren erfolgte die fünfte Beitragserhebung entgegen der Festsetzungen durch die Beschlussfassung der Verbandsversammlung vom 16. Mai 2014. Wenn der Beklagte ein Gesamtfinanzierungskonzept zu den Vorausleistungen auf einen Erneuerungsbeitrag beschließt, hat er sich daran in Hinblick auf die Selbstbindung der Verwaltung als Ausprägung des Vertrauensgrundsatzes i.S.d. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG festhalten zu lassen.
Insoweit ist das weitgehende Recht der Wasser- und Bodenverbände zur Selbstverwaltung zu berücksichtigen. Grundsätzlich entscheidet stets die Gesamtheit der Mitglieder zumindest mittelbar darüber, in welcher Weise die Kosten der verbandlichen Anlagen mit Beiträgen zu decken sind. Die einzelnen Verbandsmitglieder haben über ihr Stimmrecht in der Verbandsversammlung (insbesondere über den Haushaltsplan und über die Wahl des Vorstandes) maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung und sind an der Selbstverwaltung des Verbandes weit stärker beteiligt als beispielsweise die Bürger einer Gemeinde, die Abgaben für die gemeindlichen Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen erhebt (vgl. Rapsch, WVVO, Vor § 78 Rn. 14). Wenn der Verband im Rahmen seines – im Vergleich zum kommunalen Abgabenrecht nach dem KAG sehr weiten – Beitragsveranlagungsspielraums durch seine Verbandsversammlung oder durch seinen Vorstand Regelungen zu einem Finanzierungskonzept beschließt, muss er dieses Finanzierungskonzept dann jedoch auch gegenüber allen Verbandsmitgliedern gleichmäßig anwenden.
Da sich der Vorstand den Beschluss der Verbandsversammlung vom 16. Mai 2014 ausweislich des Sitzungsprotokolls auch zu Eigen gemacht hat, kann offen bleiben, ob die Leistung von Vorauszahlungen durch die Verbandsmitglieder nach § 32 WVG alleinige Angelegenheit des Vorstands ist oder ob in Anbetracht der finanziellen Bedeutung es sich um Grundsätze der Geschäftspolitik nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 WVG und damit um eine Angelegenheit der Verbandsversammlung handelt.
Der Beschluss der Verbandsversammlung vom 16. Mai 2014 sah für Vorauszahlungsbescheide bzgl. des Schmutzwasserkanals und der Wasserversorgungsleitung einen Maßstab von 15,50 EUR pro m3 (gemeint wohl: m2) vor (Anlage B 7 des Beklagten). Weiterhin benötigte der Beklagte nach dem Finanzierungskonzept für einen Baubeginn im Herbst 2014 schon 50% der Baukosten, weswegen 25% der Vorauszahlungen im Juni 2014 und weitere 25% im September 2014 erhoben werden sollten. Die 2. Vorauszahlungsrate (50%) sollte nach dem Beschluss im Mai 2015 erhoben werden.
Die ersten vier Vorausleistungsbescheide stehen mit dem Finanzierungskonzept des Beklagten in Einklang. Nach den ersten beiden Vorauszahlungsbescheiden wurden je 25% der Vorauszahlung im Juni 2014 und im September 2014 fällig. Der dritte und vierte Vorauszahlungsbescheid ergingen im Mai 2015 (Fälligkeit Juni 2015 und September 2015).
Demgegenüber sah das Finanzierungskonzept des Beklagten nicht die Erhebung einer dritten Vorauszahlungsrate im Dezember 2016 vor. Die Erhebung einer dritten Vorauszahlungsrate widerspricht damit dem für ihn bindenden Finanzierungskonzept des Beklagten.
3. Darüber hinaus enthalten die nicht streitgegenständlichen Bescheide nicht nur die Festsetzung der (die Klägerin belastenden) Vorausleistungsbeiträge, sondern durch die Festsetzung einer Vorauszahlung von jeweils 50% der Gesamtsumme zugleich die Feststellung, dass die Erhebung von Vorausleistungen mit dem Erlass zweier Vorauszahlungsbescheide für beide Gebäude von jeweils 50% (und damit insgesamt 100%) abgeschlossen ist.
Von dieser Feststellungswirkung der vorausgegangenen Verwaltungsakte hätte sich der Beklagte nur durch Rücknahme bzw. Widerruf des insoweit feststellenden Teils unter Berücksichtigung eines etwaigen Vertrauensschutzes der Klägerin wieder lösen können.
Grundsätzlich ist ein Beitragsbescheid zwar ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, der keine Regelungswirkung dahingehend enthält, dass mit dem Erlass des Bescheids die Abgabenerhebung abgeschlossen ist und dass der Abgabengläubiger keine weiteren Beiträge mehr erheben wird. Insbesondere die Festsetzung einer zu niedrigen Abgabe kann vorbehaltlich der Verjährungsfristen durch Erlass eines weiteren Abgabenbescheids korrigiert werden (BayVGH, B.v. 3.7.2012 – 20 ZB 12.942 – juris Rn. 16; B.v. 9.8.2010 – 20 ZB 10.1341 – juris Rn. 18; OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.8.2010 – OVG 2 S 10.10 – juris Rn. 27; zuletzt VG Cottbus, B.v. 27.10.2017 – 6 L 158/17 – juris Rn. 19). Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände kann auch ein belastender Bescheid die begünstigende Feststellung enthalten, dass mehr als dies nicht vom Abgabenschuldner verlangt werde (BayVGH, B.v. 17.3.2010 – 22 ZB 09.1047 – juris Rn. 21).
Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Umstände vor.
Da die ersten vier Bescheide nicht in einen Tenor und Gründe untergliedert waren, kann nicht allein auf die Beitragsfestsetzung selbst als einzige Regelung der nicht streitgegenständlichen Bescheide abgestellt werden. Regelmäßig hat zwar nur der Tenor des Bescheids Regelungscharakter, nicht hingegen die Begründung. Im vorliegenden Fall gab es jedoch keine derartige Trennung von Tenor und Begründung. Daher sind auch die jeweiligen Ausführungen zu „50% Vorauszahlung der Gesamtsumme“ bzw. „50% Vorauszahlung“ in den ersten vier Bescheiden von der Festsetzungs- und Regelungswirkung der Bescheide mitumfasst. Des Weiteren enthält ein Vorausleistungsbescheid üblicherweise keine Angaben dazu, wie viel Prozent der Gesamtsumme bereits durch die Vorauszahlungen abgegolten sind. Daher können in der Regel – vorbehaltlich des Deckungsprinzips – auch mehrere Vorauszahlungen von den Beitragsschuldnern gefordert werden, wenn sich der Finanzierungsbedarf geändert hat. Hier hingegen hat der Beklagte durch die zweimalige Festsetzung einer Abgabe zu 50% selbst festgestellt, dass er bereits 100% der Vorausleistungen – zumindest in Hinblick auf das Grundstück mit der Flurnummer, Gemarkung, erhoben hat. In einem derartigen Fall sind weitere Vorausleistungen über die schon erhobenen 100% hinaus nicht möglich, ohne zuvor bzw. gleichzeitig die bisherigen Festsetzungen zu je 50% zurückzunehmen oder zu widerrufen. Eine Rücknahme oder ein Widerruf sind indes nicht erfolgt, insbesondere nicht durch die bloße Verrechnung der bisherigen tatsächlichen Zahlungen durch die Klägerin.
4. Der Vorausleistungsbescheid vom 11. Dezember 2016 auf den Erneuerungsbeitrag ist mithin formell und materiell rechtswidrig und verletzt die Klägerin als Abgabenschuldnerin auch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Erhebung eines Erneuerungsbeitrags selbst nach Abschluss der Baumaßnahmen und nach Ermittlung der endgültigen Kostenkalkulation für die Erneuerungsmaßnahmen bleibt hiervon unberührt. Einer Entscheidung über die übrigen von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen bedarf es angesichts der festgestellten Mängel des Vorausleistungsbescheids nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


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