Steuerrecht

Widerruf der Reisegewerbekarte, erweiterte Gewerbeuntersagung, gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Steuerschulden, keine Kombination aus Widerruf einer Reisegewerbekarte und einer erweiterten Gewerbeuntersagung

Aktenzeichen  B 10 K 20.705

Datum:
19.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30926
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 57 Abs. 1
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
GewO § 60 d
GewO § 35 Abs. 8 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Ziffern 4, 5, 6 und 9 des Bescheids des Beklagten vom 7.7.2020 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 7/10 und der Beklagte zu 3/10.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden werden, weil die Beteiligten auf die Durchführung derselben verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Das Klagebegehren ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Aufhebung (nur) der Ziffern 1 bis 6 sowie 8 und 9 des Bescheids vom 7.7.2020, nicht jedoch auch der Ziffer 7 erreichen möchte. Zwar beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, in seiner Klageschrift ausdrücklich, den Widerrufsbescheid vom 7.7.2020 aufzuheben, ohne eine Einschränkung im Hinblick auf einzelne Teile dieses Bescheids vorzunehmen. Allerdings hieß es an anderer Stelle der Klageschrift auch, im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge ein gesonderter Antrag – gemeint war offensichtlich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Schon dies zeigt, dass dem Klägerbevollmächtigten bewusst war, dass er die Anordnung des Sofortvollzugs nicht in zulässiger Weise im Wege der Anfechtungsklage angreifen kann, sondern hierfür ein gesonderter Antrag statthaft ist, den er auch stellte. Zudem hob der Beklagte die Ziffer 7 des Bescheids vom 7.7.2020 mit Bescheid vom 19.8.2020 auf, ohne dass der Klägerbevollmächtigte eine Veranlassung gesehen hätte, insoweit eine Erledigungserklärung abzugeben, was wiederum zeigt, dass eine Anfechtung auch der Ziffer 7 seinerseits mit der Klage nie bezweckt war. Aus diesem Grund fasst das Gericht die Klage so auf, dass die Ziffer 7 des angefochtenen Bescheids von der Anfechtungsklage nicht umfasst sein soll (vgl. § 88 VwGO).
Die so verstandene Klage ist zulässig, hat jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere wurde die einmonatige Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingehalten. Der streitgegenständliche Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 9.7.2020 zugestellt, sodass die Frist am 10.7.2020 zu laufen begann (§ 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB) und gemäß § 188 Abs. 2 BGB eigentlich mit Ablauf des 9.8.2020 geendet hätte. Da dieser Tag jedoch ein Sonntag war, endete die Klagefrist erst mit Ablauf des darauffolgenden Werktages (§ 222 Abs. 2 ZPO), dem 10.8.2020. Die Klageerhebung am 10.8.2020 erfolgte daher noch fristgerecht.
B.
Ziffern 1, 2 und 3 des Bescheids des Beklagten vom 7.7.2020 sind rechtmäßig, weshalb die Klage insoweit abzuweisen war. Die Ziffern 4, 5, 6 und 9 sind jedoch rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, weshalb der Bescheid vom 7.7.2020 insoweit aufzuheben war (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Widerruf der dem Kläger am 12.9.2006 erteilten Reisegewerbekarte in Ziffer 1 des Bescheids vom 7.7.2020 ist rechtmäßig. Der Beklagte stützt den Widerruf der Reisegewerbekarte zu Recht (primär) auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 57 Abs. 1 GewO.
1.1 Das Landratsamt … war für den Widerruf der Reisegewerbekarte des Klägers gemäß § 155 Abs. 2 GewO, § 37 Abs. 1 Nr. 1 Zuständigkeitsverordnung – ZustV sachlich, und gemäß § 61 Satz 1 GewO örtlich zuständig, da der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in …, im Landkreis …, hat.
Die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung des Klägers erfolgte mit Schreiben des Beklagten vom 4.9.2019. Zwar vergingen anschließend bis zum Erlass des Widerrufsbescheids am 7.7.2020 zehn Monate, in denen der Beklagte zunächst nicht tätig wurde. Nachdem sich die für den Widerruf der Reisegewerbekarte maßgeblichen Tatsachen in diesem Zeitraum jedoch nicht wesentlich veränderten, bestand keine Veranlassung für den Beklagten, den Kläger erneut anzuhören.
1.2 Nach § 57 Abs. 1 GewO ist die Reisegewerbekarte zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die beabsichtigte Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Im Falle des nachträglichen Eintretens von Tatsachen, die auf Unzuverlässigkeit schließen lassen, kann der Beklagte die Reisegewerbeerlaubnis widerrufen, wenn ohne diesen Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG).
Der Begriff der Unzuverlässigkeit in § 57 Abs. 1 GewO deckt sich mit demjenigen in § 35 GewO (vgl. BVerfG, B.v. 27.11.1992 – 1 B 204 – juris Rn. 3). Demnach gilt auch insoweit als unzuverlässig, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris). Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen.
Steuerverbindlichkeiten sind nur dann geeignet, einen Gewebetreibenden als unzuverlässig zu erweisen, wenn sie sowohl nach absoluter Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von einigem Gewicht sind, und auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (BVerwG, U.v. 29.11.1988 – 1 B 164/87; BVerwG, U.v. 19.1.1994 – 1 ZB 5/94 – jeweils juris). Nicht nur Steuerrückstände, auch sonstige steuerrechtliche Pflichtverstöße können zur Annahme der Unzuverlässigkeit führen. Dies gilt etwa für die beharrliche Missachtung steuerrechtlicher Erklärungspflichten. Dem steht auch nicht die Möglichkeit der Finanzbehörden entgegen, fehlende Erklärungen durch Schätzungen zu ersetzen (Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, Gewerbeordnung, 9. Aufl. 2020, § 35 GewO Rn. 56 m.w.N.).
Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt. Ein Verschulden im Sinne eines moralischen oder ethischen Vorwurfs oder ein Charaktermangel auf Seiten des Gewerbetreibenden sind daher nicht Voraussetzung einer Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (ständige Rechtsprechung seit BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris). Unerheblich ist auch, ob sich die Steuerschulden gemäß § 162 Abgabenordnung – AO aus geschätzten oder exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergeben (BVerwG, U.v. 29.1.1988 – 1 B 164/87 – juris). Vielmehr muss im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese – durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete – Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden an einem sinnvollen und erfolgsversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris Rn. 15). Ein erfolgsversprechendes Sanierungskonzept setzt grundsätzlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und ein Tilgungsplan auch effektiv eingehalten wird (BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 22 C 13.1163 – juris Rn. 10).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist der Beklagte zutreffend zu der Überzeugung gelangt, der Kläger sei gewerberechtlich unzuverlässig. Zum für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids hatte er Steuerrückstände in Höhe von 22.453,68 EUR, die über einen längeren Zeitraum hin angewachsen waren und sowohl nach ihrem absoluten Betrag, wie auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes erheblich sind. Der Kläger arbeitete auch nicht an einem sinnvollen und erfolgsversprechenden Sanierungskonzept, denn eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt, die der Kläger eingehalten hätte, gab es nach Aktenlage nicht. Auch die Tatsache, dass der Kläger seit längerer Zeit keine Steuererklärungen und keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen mehr abgegeben hatte, spricht gegen seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit. Dabei kann ihn nicht entlasten, dass er, wie er schriftsätzlich vortrug, wegen des unerwarteten Todes seines Bruders an Depressionen litt und durch die Corona-Krise praktisch keine Aufträge generieren konnte. Denn auf die Ursachen der Nichterfüllung der steuerlichen Verpflichtungen kommt es – wie bereits ausgeführt – nicht an. Zudem hätte schon damals die Möglichkeit bestanden, sich hilfesuchend an einen Steuerberater oder dergleichen zu wenden, um Angelegenheiten, die das Gewerbe betreffen, so gut als möglich geordnet zu halten, oder das Gewerbe krankheitsbedingt vorübergehend aufzugeben, zumal sich die Probleme offensichtlich über einen längeren Zeitraum hinzogen, es sich also nicht nur um einen kurzzeitigen Ausfall des Klägers handelte. Im Hinblick auf die Corona-Krise ist festzuhalten, dass diese erst im Frühjahr 2020 begann, also nicht mitursächlich für die Steuerschulden des Klägers aus den Jahren zuvor gewesen sein kann. Auch deuten die mehrfachen Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis sowie seine – wenn auch nur relativ geringen – Schulden bei der Industrie- und Handelskammer darauf hin, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses schon seit längerem insgesamt wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähig war, was ihn jedoch nicht dazu bewog, sein Gewerbe aufzugeben, oder anderweitige Maßnahmen zu treffen. Für die Unzuverlässigkeit des Klägers spricht auch – ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme – dass er auf die Anhörung des Beklagten zum Widerruf der Reisegewerbekarte weder antwortete, noch sich hierdurch veranlasst gesehen hätte, nunmehr konkrete Schritte zur Tilgung seiner Schulden beim Finanzamt einzuleiten. In der Gesamtschau war daher zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Bescheiderlasses die Prognose des Beklagten gerechtfertigt, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, er werde sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben.
Dass der Kläger seine Schulden zwischenzeitlich nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides womöglich, wie er vortragen ließ, teilweise getilgt hat, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs seiner gewerberechtlichen Erlaubnis unerheblich. Denn der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die letzte Behördenentscheidung. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 35 Abs. 6 GewO am 1.5.1974 eine deutliche Trennung zwischen dem Untersagungsverfahren einerseits und dem Wiedergestattungsverfahren andererseits besteht. Ist ein Gewerbe wirksam untersagt worden, hat die Behörde nicht mehr zu prüfen, ob die Untersagungsgründe die ergangene Gewerbeuntersagung weiterhin tragen. Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss die Initiative vom Gewerbetreibenden ausgehen (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Ohne den Widerruf der Reisegewerbekarte des Klägers wäre das öffentliche Interesse konkret gefährdet (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG). Eine konkrete Gefährdung des öffentlichen Interesses bei Untätigbleiben des Beklagten trotz manifester gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit des Klägers liegt hier insbesondere darin, dass die vom Kläger ohne vorhergehende Bestellung aufgesuchten Kunden aufgrund seiner Unzuverlässigkeit der konkreten Gefahr ausgesetzt sind, mit einem zahlungsunfähigen und überschuldeten Vertragspartner in geschäftliche Beziehungen zu treten. Die Kunden eines Reisegewerbetreibenden sind gegenüber dem stehenden Gewerbe erhöht schutzbedürftig (Schönleiter in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand: September 2020, § 55 Rn. 2; Rossi in Pielow, BeckOK GewO, 53. Edition, Stand: 1.3.2021, § 55 Rn. 1) da hier die geschäftliche Initiative nicht von den Kunden, sondern vom Gewerbetreibenden ausgeht und seine Identität aufgrund des – vielfach zudem flüchtigen – Kontaktes zu den Kunden außerhalb einer Niederlassung schwieriger festzustellen ist. Der Widerruf der Reisegewerbekarte ist notwendig, um die Verbraucher, deren Schutz die Vorschriften über das Reisegewerbe bezwecken und die der Kläger als Reisegewerbetreibender aufsucht, um mit ihnen Geschäfte abzuschließen, vor den damit zusammenhängenden Gefahren zu schützen.
Die Jahresfrist nach Kenntniserlangung der für den Widerruf maßgeblichen Tatsachen durch die Behörde gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG wurde eingehalten. Denn erst frühestens nach der Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 4.9.2019 waren dem Beklagten alle maßgeblichen Tatsachen im Hinblick auf die Gewerbeuntersagung des Klägers bekannt; insbesondere konnte der Beklagte erst ab diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass der Kläger bisher noch keinen Schuldentilgungsplan erarbeitet hatte, da der Kläger dies andernfalls sicherlich geltend gemacht hätte. Nach der Anhörung erging bis zum Erlass des Widerrufsbescheids am 7.7.2020 weniger als ein Jahr. Zudem erfuhr der Beklagte am 1.7.2020, dass die Steuerschulden des Klägers inzwischen auf 22.453,68 EUR angestiegen waren.
Das ihm in Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG eingeräumte Widerrufsermessen hat der Beklagte ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat ausweislich des streitgegenständlichen Bescheids erkannt, dass ihm bezüglich des Widerrufs Ermessen zusteht. Er ist auch rechts- und ermessensfehlerfrei nach Abwägung des öffentlichen Interesses am Widerruf mit dem Interesse des Klägers am Behalten der Erlaubnis zu der Überzeugung gelangt, dass der Widerruf das hier einzig mögliche, notwendige und angemessene Mittel ist, die Allgemeinheit und die Kunden des Klägers zu schützen.
2. Die Verpflichtung des Klägers in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids, die selbständige Ausübung seines Reisegewerbes einzustellen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Rechtsgrundlage dieser Verfügung ist § 60d GewO, wonach die Ausübung des Reisegewerbes u.a. entgegen § 55 Abs. 2 GewO, also ohne die erforderliche Erlaubnis, von der zuständigen Behörde verhindert werden kann. Diese Norm ermächtigt die zuständige Behörde also zu der Verfügung, die beanstandete Tätigkeit einzustellen (Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, Gewerbeordnung, 9. Aufl. 2020, § 60d Rn. 9). Nachdem die Reisegewerbekarte des Klägers widerrufen wurde, würde er seine Reisegewerbekarte ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis ausüben. Folglich ist der Beklagte zu der Verfügung berechtigt, die Ausübung des Reisegewerbes einzustellen.
Das ihm in § 60d GewO eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen hat der Beklagte beanstandungsfrei ausgeübt. Zwar hat der Beklagte hierzu in dem Bescheid vom 7.7.2020 keine weiteren Ausführungen gemacht. Jedoch ist davon auszugehen, dass in Fällen, in denen die (erforderliche) Erlaubnis zum Betreiben eines Gewerbes mangels Zuverlässigkeit widerrufen wird im Hinblick auf die Verfügung, das Gewerbe einzustellen, ein sog. intendiertes Ermessen besteht (vgl. Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, Gewerbeordnung, 9. Aufl. 2020, § 15 Rn. 25; VG München, U.v. 10.2.2015 – M 16 K 14.4508 – juris Rn. 22; HessVGH, B.v. 20.2.1996 – 14 TG 430 /95 – juris Rn. 15). In diesem Fall bedarf es einer näheren Begründung für die Anordnung der Einstellung des Gewerbes regelmäßig nicht, sofern kein atypischer Fall vorliegt (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 70; BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22-96 – juris Rn. 14). Der Beklagte ist vorliegend zwar nicht darauf eingegangen, warum er auch die Einstellung des Gewerbes des Klägers verfügte, hat sich jedoch ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, wieso dessen Reisegewerbekarte zu widerrufen ist und insbesondere, welche Gefahren sich für dessen Kunden und die Allgemeinheit andernfalls ergeben würden. Es war daher auch ohne zusätzliche Erläuterung ohne weiteres erkennbar, aus welchen – nicht zu beanstandenden – Gründen der Beklagte sich für die Verfügung entschied, das Gewerbe einzustellen.
3. Auch die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Abgabe der Reisegewerbekarte ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung zur Rückgabe der Reisegewerbekarte folgt aus Art. 52 Sätze 1 und 2 BayVwVfG. Danach kann die Behörde nach dem Widerruf eines Verwaltungsaktes die aufgrund desselben erteilten Urkunden, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern, wenn dieser bestandskräftig geworden ist. Die Reisegewerbekarte ist eine Urkunde im Sinne des Art. 52 BayVwVfG, denn sie kann gegebenenfalls gegenüber Kunden und Behörden zum Nachweis der Berechtigung zur Ausübung der in ihr bezeichneten Gewerbe im Reisegewerbe vorgelegt werden (VG Ansbach, U.v. 5.6.2014 – AN 4 K 13.01803 – juris Rn. 29).
4. Ziffer 4 des Bescheids vom 7.7.2020, in welcher dem Kläger jede weitere selbstständige Erwerbstätigkeit im Bereich des stehenden Gewerbes untersagt wurde und ihm zudem die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder eines mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragten Person untersagt wurde („erweiterte Gewerbeuntersagung“) ist jedoch rechtswidrig, da es an der hierfür erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt.
Entgegen der Annahme des Beklagten kann diese (erweiterte) Gewerbeuntersagung in vorliegendem Fall, in dem das tatsächlich ausgeübte Gewerbe erlaubnispflichtig ist, nicht auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gestützt werden (vgl. zum folgenden VG Würzburg, U.v. 24.6.2020 – W 6 K 19.236; OVG Münster, B.v. 30.9.2016 – 4 B 601/16 – jeweils juris; a.A. wohl VG Ansbach, U.v. 21.4.2017 – AN 4 K 17.00427 – juris Rn. 34; VG Magdeburg, B.v. 5.11.2020 – 3 B 214/20 – juris). Denn nach § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO sind die Absätze 1 bis 7a des § 35 GewO – also auch die Bestimmungen über den Ausspruch einer Gewerbeuntersagung – nicht anzuwenden, soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvoraussetzungen bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder soweit eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Zweck des § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO ist es, doppelspurige Regelungen auszuschließen (Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand: September 2020, § 35 Rn. 195). Es soll vermieden werde, dass ein Gewerbe wegen Unzuverlässigkeit aufgrund zweier verschiedener Vorschriften untersagt werden kann. Eine Gewerbeuntersagung kann deshalb nicht auf § 35 Abs. 1 GewO gestützt werden, wenn für die Untersagung eines ausgeübten erlaubnispflichtigen Gewerbes aufgrund Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in der Gewerbeordnung oder in gewerberechtlichen Nebengesetzen eine abschließende Regelung besteht. Setzt die jeweilige Gewerbeerlaubnis spezialgesetzlich eine gewerberechtliche Zuverlässigkeit voraus, haben deshalb nach § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO auch spezielle Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf Vorrang vor der Untersagung nach § 35 Abs. 1 GewO. Dies entspricht dem Regelungszweck. Der Gesetzgeber hat die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO als notwendiges Korrelat zur Gewerbefreiheit bewusst auf das zulassungsfreie Gewerbe beschränkt und die Möglichkeit einer Gewerbeuntersagung sowie einer erweiterten Gewerbeuntersagung für andere Gewerbe, die an die Gewerbeuntersagung für das ausgeübte Gewerbe anknüpft, ebenfalls auf diesen Bereich beschränkt, um ein im zulassungsfreien Gewerbe besonders leichtes Unterlaufen der Regelung durch ein Ausweichen auf andere Gewerbe zu verhindern. Anhaltspunkte dafür, dass darüber hinaus zugleich mit Widerruf oder Rücknahme einer Erlaubnis für das ausgeübte erlaubnispflichtige Gewerbe eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO für ein gar nicht ausgeübtes zulassungsfreies Gewerbe ermöglicht werden sollte, finden sich hingegen nicht. Erst recht gilt dies für die Möglichkeit einer hieran erst anknüpfenden erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO (ausführlich OVG NW, B.v. 30.4.2020 – 4 B 21/20 – juris Rn. 26 ff.).
Da die Erteilung einer nach § 55 Abs. 2 GewO erforderlichen Reisegewerbekarte nach § 57 Abs. 1 GewO indirekt die Zuverlässigkeit des Antragstellers voraussetzt, widerspricht es der in § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO getroffenen Vorrangbestimmung, wenn einem Reisegewerbetreibenden – über den Widerruf seines Reisegewerbes hinausgehend – gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 GewO auch jedes künftige, noch nicht ausgeübte stehende Gewerbe sowie jegliche gewerbliche Vertretungs- und Leitungstätigkeiten untersagt werden.
Die Unzulässigkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO neben Rücknahme oder Widerruf der Zulassung für das ausgeübte zulassungspflichtige Gewerbe folgt im Übrigen nicht nur aus § 35 Abs. 8 GewO, sondern auch daraus, dass eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur in Verbindung mit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgesprochen werden darf. Eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ist danach nur zulässig, wenn – abgesehen von dem Fall des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO – in demselben Verfahren zumindest ein tatsächlich betriebenes Gewerbe nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt wird (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 14.78 – juris Rn. 39). Deshalb kommt eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO in den Fällen nicht in Betracht, in denen ein erlaubnispflichtiges Gewerbe betrieben und anstelle einer hier nicht möglichen Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO die erforderliche Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit widerrufen wurde. Auch wenn die spezialgesetzliche Regelung ermöglicht, die Fortführung des Betriebs aufgrund der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu unterbinden, aber (lediglich) nicht die Möglichkeit vorsieht, daran anknüpfend Maßnahmen in Bezug auf andere Gewerbe oder Tätigkeiten zu treffen, ist ein Rückgriff auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausgeschlossen und eine erweiterte Gewerbeuntersagung nicht zulässig (OVG NW, B.v. 30.4.2020 – 4 B 21/20 – juris Rn. 36 ff. m.w.N.).
Ganz ungeachtet dessen läge hier auch die notwendige Erforderlichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung (vgl. Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, Gewerbeordnung, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 151 ff.) wohl gar nicht vor, da ein Ausweichen des Klägers, der bisher im Reisegewerbe primär die Reinigung von Dachfassaden und Hofzufahrten angeboten hat, in ein stehendes Gewerbe – jedenfalls auf Grundlage der Erkenntnisse des Beklagten – nicht hinreichend wahrscheinlich sein dürfte. Denn dies würde nicht zuletzt bedeuten, dass der Kläger seine Art der Kundenakquise ganz grundsätzlich umstellen, und etwa auch Geschäftsräume oder dergleichen zur Verfügung stehen haben müsste.
5. Die Zwangsgeldandrohungen in Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 7.7.2020 sind ebenfalls rechtswidrig. Sie sind mit Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nicht vereinbar und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bei der Androhung von Zwangsmitteln dem Betroffenen eine angemessene Frist zur Erfüllung der Verpflichtung zu setzen. Schon während des Laufs dieser Erfüllungsfrist müssen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sein. Hierzu gehört u.a., dass die zu vollstreckende Anordnung gemäß Art. 19 Abs. 1 VwZVG vollziehbar ist (vgl. nur BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris Rn. 14). Die dem Kläger eingeräumten Fristen zur Rückgabe der Reisegewerbekarte (Ziffern 3 und 5) und zur Einstellung des Reisegewerbes und Nicht-Ausübung einer anderen gewerblichen Tätigkeit (Ziffern 2 und 6) betrugen jeweils zwei Wochen ab Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids. Da aber der Beklagte die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 4 mit Bescheid vom 19.8.2020 aufgehoben hat, entfaltete die Klage gegen den Bescheid insgesamt aufschiebende Wirkung. Folglich war dieser während der dem Kläger gesetzten Fristen nicht vollziehbar, was zur Unangemessenheit der Fristen und damit zur Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohungen führt (vgl. OVG NW – U.v. 2.3.2001 – 7 A 5020/98 – juris Rn. 31 ff.; BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 21 Cs 18.72 – juris Rn. 18 f.; für Gegenstandslosigkeit BayVGH, B.v. 30.8.2001 – 22 CS 99.3133 – juris Rn. 17).
Die Zwangsmittelandrohung in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids ist darüber hinaus auch schon deshalb rechtswidrig, weil hiernach das Zwangsgeld u.a. auch dann fällig werden soll, wenn der Kläger ein anderes, erlaubnisfreies Gewerbe betreibt. Da die entsprechende Untersagung jeglicher selbständiger Erwerbstätigkeit im Bereich des stehenden Gewerbes jedoch rechtswidrig ist (s.o.), gilt selbiges auch für die daran anknüpfende Zwangsgeldandrohung.
6. Nachdem die erweiterte Gewerbeuntersagung in Ziffer 4 des Bescheids vom 7.7.2020 rechtswidrig ist (s.o.), ist auch die Kostenfestsetzung in Ziffer 9 rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn ausweislich der Begründung des Bescheids stützt sich die Festsetzung der Kosten auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Kostengesetz – KG i.V.m. § 1 Kostenverzeichnis – KVz i.V.m. Nr. 5.III.5/Tarifstellen 15, 30 Anlage zum KVz und den dort festgelegten Gebührenrahmen von 50 bis 2.000 EUR. Abgesehen davon, dass die Tarifstelle 30 schon nicht existiert, bezieht sich die Tarifstelle 15, die den genannten Gebührenrahmen benennt, auf Untersagungen nach § 35 Abs. 1 GewO. Eine solche wurde hier jedoch, wie dargelegt, nicht rechtmäßig verfügt.
Der hier eigentlich einschlägige Gebührenrahmen für den Widerruf einer Reisegewerbekarte in Nr. 5.III.5/Tarifstelle 23.8 Anlage zum KVz liegt zwischen 50 und 500 EUR, also wesentlich niedriger als der durch den Beklagten angewandte. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Beklagte auch unter Heranziehung dieses Gebührenrahmens eine Gebühr von 450 EUR festgesetzt hätte.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Kläger mit seinem wesentlichen Klageziel, den Widerruf seiner Reisegewerbekarte abzuwenden, nicht erfolgreich war, sich allerdings die erweiterte Gewerbeuntersagung, die Zwangsmittelandrohungen sowie die Kostenentscheidung als rechtswidrig erwiesen haben, erschien es angemessen, dem Kläger 7/10 der Kosten des Verfahrens und dem Beklagten 3/10 der Kosten aufzuerlegen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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