Steuerrecht

Zu den Rechtsbehelfsmöglichkeiten nach öffentlicher Zustellung

Aktenzeichen  M 10 K 17.754

Datum:
24.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 74, § 60, § 166
ZPO ZPO §§ 114 ff.
BayVwZVG BayVwZVG Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
GG GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Da die öffentliche Zustellung nur als letztes Mittel der Bekanntgabe zulässig ist, wenn alle Möglichkeiten zur Übermittlung des Schriftstücks erschöpft sind, kann sie nur erfolgen, wenn der Behörde der Aufenthaltsort trotz gründlicher und sachdienlicher Bemühungen um Aufklärung unbekannt geblieben ist (Verweis auf BVerwG BeckRS 9998, 171012 u.a.). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Bevollmächtigung im Strafverfahren wirkt nicht auch für das ausländerrechtliche Verfahren. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Allein die Unkenntnis von einer öffentlichen Zustellung rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen einen Ausweisungsbescheid.
Der Kläger ist albanischer Staatsangehöriger.
Gegen den Kläger wurde ein strafrechtliches Verfahren wegen des Vorwurfs des illegalen Aufenthalts geführt, in welchem die Klägerbevollmächtigte ihn zeitweilig vertrat. Im dort ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … Juli 2015 sind als Zustellungsbevollmächtigte zwei Angestellte des Amtsgerichts benannt. Es erging außerdem in dem Verfahren am … Januar 2016 ein Beschluss des Amtsgerichts … auf den Einspruch des Klägers gegen den Strafbefehl hin.
Mit Bescheid des Landratsamts München vom … September 2016 wurde der Kläger ausgewiesen. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde durch Aushang im Landratsamt vom 23. November 2016 bis zum 23. Dezember 2016 öffentlich zugestellt. Nach Angaben der Klägerbevollmächtigten wusste der Kläger hiervon nichts.
Der Kläger wollte am 28. Januar 2017 per Flugzeug ins Bundesgebiet einreisen. Am Flughafen … wurde ihm die Einreise verweigert. Die Klägerbevollmächtigte hat ihn am 31. Januar 2017 am Flughafen gesprochen; bei dieser Gelegenheit hat der Kläger eine Vollmacht für die Klägerbevollmächtigte unterzeichnet. Am 1. Februar 2017 unterschrieb der Kläger bei der Bundespolizei am Flughafen … ein Empfangsbekenntnis, dass er den Bescheid vom … September 2016 ausgehändigt bekommen habe. Nach Angaben der Klägerbevollmächtigten geschah dies ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers. Die Klägerbevollmächtigte bestreitet, dass der Kläger den Bescheid tatsächlich erhalten hat. Am 1. Februar 2017 stellte die Klägerbevollmächtigte bei der Beklagten ein Akteneinsichtsgesuch. Im Rahmen der Akteneinsicht nahm die Klägerbevollmächtigte von dem Bescheid vom … September 2016 am 17. Februar 2017 Kenntnis.
Am 22. Februar 2017 hat die Klägerbevollmächtigte Klage gegen den Bescheid vom … September 2016 eingereicht und zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung wird ausgeführt: Den Kläger treffe kein Verschulden, dass er die Klagefrist nicht eingehalten habe. Die öffentliche Zustellung sei nicht zulässig gewesen, da eine Zustellung an die Klägerbevollmächtigte möglich gewesen sei. Durch eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft hätte die Beklagte herausfinden können, dass an die Klägerbevollmächtigte zugestellt werden könne. Auf Grund des Strafbefehls vom … Juli 2015 und des Beschlusses vom … Januar 2016 hätte die Beklagte davon ausgehen müssen, dass der Kläger anwaltlich vertreten werde. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei fristgerecht gestellt worden, da es auf die Zustellung an die Klägerbevollmächtigte am 17. Februar 2017 ankomme. Die behauptete Zustellung am 1. Februar 2017 sei fehlgeschlagen. Denn der Polizeibehörde sei bewusst gewesen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig sei und daher nicht wissen könnte, was er unterschrieben habe. Eine Zustellung hätte auch hier an die Klägerbevollmächtigte erfolgen müssen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wird auf den Bescheid verwiesen und im Übrigen ausgeführt: Nach dem Strafbefehl habe die Beklagte nicht von einer anwaltlichen Vertretung des Klägers ausgehen können. Zudem habe eine Bevollmächtigung wenn überhaupt nur im Strafverfahren bestanden. Die Übergabe des Bescheids am 1. Februar 2017 sei zu Informationszwecken erfolgt und habe somit keine rechtlichen Auswirkungen gehabt, weshalb auch dem Fehlen eines Dolmetschers keine Bedeutung zukomme.
Am … Mai 2017 hat die Klägerbevollmächtigte beantragt,
dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren und die Klägerbevollmächtigte als Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Es wurde die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dem Gericht zugesandt. Die Klägerbevollmächtigte hat die Klage weiterhin begründet: Dass im Strafbefehl nur zwei Mitarbeiter des Amtsgerichts vermerkt seien, gehe auf einen Fehler der Staatsanwaltschaft zurück, welcher nicht dem Kläger zuzurechnen sei. Zudem wäre der Klägerbevollmächtigten der Bescheid weitergeleitet worden, wenn an die im Strafbefehl benannten Mitarbeiter zugestellt worden wäre. Eine Bevollmächtigung im strafrechtlichen Verfahren entfalte auch für das darauf folgende Verwaltungsverfahren Wirkung. Wegen der weiteren Ausführungen zur materiellen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom … September 2016 wird auf den Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 1. Mai 2017 Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolges.
Unabhängig von der finanziellen Situation des Klägers hat seine Klage nach summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten.
Die Klage ist nach summarischer Prüfung unzulässig. Die einmonatige Frist des § 74 VwGO ist vor Klageerhebung abgelaufen (dazu unter 1.) und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO kommt nach summarischer Prüfung nicht in Betracht (dazu unter 2.).
1. Der Bescheid vom … September 2016 wurde dem Kläger wirksam durch Aushang öffentlich zugestellt. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist.
Der Aufenthaltsort des Klägers war der Beklagten zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung unbekannt.
Da die Zustellungsvorschriften auch im Verwaltungsverfahren der Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dienen sollen und bei der öffentlichen Zustellung dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück regelmäßig aber weder übergeben noch inhaltlich bekannt wird, ist diese verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung nicht oder nur schwer durchführbar ist. Die öffentliche Zustellung ist daher als letztes Mittel der Bekanntgabe nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 18 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.1.2016 – 10 C 15.723 – juris). Vor diesem Hintergrund ist der Aufenthaltsort im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG nicht schon dann unbekannt, wenn er der Behörde nicht bekannt ist. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn der Behörde der Aufenthaltsort trotz der insoweit erforderlichen gründlichen und sachdienlichen Bemühungen um Aufklärung unbekannt geblieben ist (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 19 m.w.N.; BayVGH a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier nach summarischer Prüfung vor.
Der Kläger war zur Ausreise aus dem Bundesgebiet spätestens bis zum … Juni 2015 verpflichtet; der Ausländerbehörde war nicht bekannt, wo der Kläger sich in Albanien aufhielt und sie hatte auch keine Möglichkeiten, dies herauszufinden. Eine Bevollmächtigung der Klägerbevollmächtigten war für die Beklagte aus dem Strafbefehl nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten wirkt im Übrigen eine Bevollmächtigung im Strafverfahren nicht auch für das ausländerrechtliche Verfahren. Die entsprechende Vollmacht hat die Klägerbevollmächtigte nicht vorgelegt, so dass von einer umfassenden Bevollmächtigung auch für ein ausländerrechtliches Verfahren nicht ausgegangen werden kann.
Der Bescheid vom … September 2016 enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:, so dass eine Verlängerung der Klagefrist nach § 58 Abs. 2 VwGO nicht in Betracht kommt.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach summarischer Prüfung nicht in Betracht.
Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das Hindernis, welches den Kläger von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abhielt, war seine Unkenntnis von dem öffentlich zugestellten Bescheid. Dieses Hindernis entfiel, als der Kläger am 1. Februar 2017 den Bescheid vom … September 2016 von der Bundespolizei erhielt. Zwar bestreitet die Klägerbevollmächtigte diese Übergabe, jedoch kann die bloße unsubstantiierte Behauptung, die Bundespolizei habe den Kläger aufgefordert, das Empfangsbekenntnis zu unterzeichnen, ohne ihm den Bescheid tatsächlich zu übergeben, den Beweiswert des Empfangsbekenntnisses nicht erschüttern. Auch im polizeilichen Bericht steht, dass dem Kläger der Bescheid übergeben wurde. Somit kommt es für den Fristbeginn auf den 1. Februar 2017 an. Die zweiwöchige Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, war somit am 15. Februar 2017 und damit vor Klageeingang am 22. Februar 2017 abgelaufen.
Darüber hinaus bestehen auch erhebliche Zweifel an einem Entschuldigungsgrund. Reichte allein die Unkenntnis von der öffentlichen Zustellung als Entschuldigungsgrund aus, verlängerte sich die Frist für Rechtsbehelfe gegen öffentlich zugestellte Bescheide automatisch durch die Wiedereinsetzungsmöglichkeit. Dies widerspräche dem Sinn der öffentlichen Zustellung, für Rechtssicherheit zu sorgen.
3. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe daher abzulehnen. Die Entscheidung ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.


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