Strafrecht

1 OWi 2 SsBs 89/21

Aktenzeichen  1 OWi 2 SsBs 89/21

Datum:
31.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Zweibrücken 1. Senat für Bußgeldsachen
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:POLGZWE:2022:0531.1OWI2SSBS89.21.00
Spruchkörper:
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Leitsatz

Bei der Zumessung einer Geldbuße, für die die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung heranzuziehen sind, ist eine tatrichterliche Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nur dann erforderlich, wenn Hinweise auf besonders schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorhanden sind.

Verfahrensgang

vorgehend AG Ludwigshafen, kein Datum verfügbar, 4h OWi 5788 Js 12722/21

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 06.07.2021 wird als unbegründet verworfen.
2. Dem Beschwerdeführer werden die Kosten seines Rechtsmittels auferlegt.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen wirksamen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle – vom 04.01.2021 (Az.: …) wegen vorsätzlichen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 89 km/h zu einer Geldbuße von 1920,00 Euro verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 08.10.2021 die Verfahrensakten dem Senat vorgelegt. Die Einzelrichterin hat die Sache gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
II.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhr der Betroffene am 09.10.2020 um 18:02 Uhr als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … in Ludwigshafen die A650 in Fahrtrichtung Mannheim. Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit betrug am Messort 90 km/h und war mehrfach und wiederholt durch beidseitige Verkehrsschilder angeordnet. Der Betroffene wurde beginnend bei km 1,7 in Höhe Niederfeld mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Provida 2000 modular, Fabr. Nr. 244702, durch Nachfahren mit dem Messfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 179 km/h (nach Toleranzabzug von 4 Prozent) gemessen. Die Ermittlung der Geschwindigkeit erfolgte im Wege der manuellen Zeit-Weg-Berechnung. Der Betroffene rechnete zumindest mit der Geschwindigkeitsüberschreitung und nahm sie billigend in Kauf.
III.
Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben, der die Aufhebung des Urteils gebietet. Der Schuldspruch ist nicht zu beanstanden.
Auch im Rechtsfolgenausspruch erweist sich das angefochtene Urteil als frei von den Betroffenen benachteiligenden Rechtsfehlern.
Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 24.11.2017 – 1 OWi Ss Bs 87/17, juris m. w. N.). Das Amtsgericht hat sich hier an der für den Geschwindigkeitsverstoß vorgesehenen Regelgeldbuße von 600,00 € orientiert und hat diese Geldbuße sodann wegen der vorsätzlichen Begehungsweise gemäß § 3 Abs. 4a Satz 1 BKatV auf 1200,00 € verdoppelt. Sodann hat es das Bußgeld wegen der Voreintragungen im Fahreignungsregister nochmals um 720,00 € auf 1920,00 € erhöht.
Diese Bemessung der Geldbuße begegnet nicht deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Amtsgericht zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen keine Feststellungen getroffen hat.
Auch wenn ein Betroffener keine Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen macht, entbindet dies das Gericht zwar grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, die notwendigen Feststellungen – beispielsweise durch Vernehmung des Arbeitgebers – zu treffen, wenn sie gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG von Bedeutung sein können. Die obergerichtliche Rechtsprechung lässt jedoch Einschränkungen dieses Grundsatzes zu. Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG: “… kommen in Betracht“) bei der Zumessung der Geldbuße lediglich eine untergeordnete Rolle spielen, hat der Gesetzgeber insbesondere bei den Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Bemessung der Höhe der Bußgelder anhand der Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung bestätigt. Die Regelsätze orientieren sich dabei an der Bedeutung des Verkehrsverstoßes und dem Tatvorwurf, wobei ihnen gewöhnliche Tatumstände und durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen zugrunde liegen (KG Berlin, Beschluss vom 27.04.2020 – 3 Ws (B) 49/20, juris Rn.21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 Ss-OWi 1029/16, juris Rn.12). Sowohl die in der Bußgeldkatalogverordnung festgelegten Regelsätze (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV) als auch die Regelfahrverbote sind Zumessungsrichtlinien im Rahmen von § 17 Abs. 3 OWiG. Aus dieser Regel-Ausnahme-Systematik folgt, dass die Amtsaufklärungspflicht nicht eine anlasslose Aufklärung von Umstände aus dem persönlichen Bereich des Täters, die ein Abweichen von der im Bußgeldkatalog vorgegebenen Regelrechtsfolge rechtfertigen könnten, gebietet (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.04.2021 – 1 Ss (OWi) 103/20, juris Rn. 15 m. w. N.). Besondere Umstände, die zum Abweichen vom Regelsatz nach oben oder unten führen, die auch in der Person des Betroffenen – beispielsweise betreffend seine wirtschaftlichen Verhältnisse – liegen können, hat der Tatrichter erst zu erwägen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben (KG Berlin, aaO). Solche Anhaltspunkte werden sich regelmäßig erst durch entsprechenden Sachvortrag des Betroffenen aufdrängen können. Demnach obliegt es dem Betroffenen unter dem Regime der Bußgeldkatalogverordnung, durch konkrete Angaben die Aufklärungspflicht des Tatrichters auszulösen (KG Berlin, aaO; OLG Braunschweig aaO m. w. N.).
Im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten kann daher auch bei nicht mehr nur geringfügigen Geldbußen über 250,00 € von einer näheren Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse abgesehen werden, wenn sie erkennbar nicht vom Durchschnitt abweichen und der Tatrichter eine Geldbuße festsetzt, die dem Bußgeldkatalog entspricht (Senat, Beschlüsse vom 24.11.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 87/17 –, juris Rn.18 und vom 30.09.2021 – 1 OWi Ss Bs 62/20, BeckRS 2021, 33639; KG, Beschluss vom 07.01.2014 – 3 Ws (B) 651/13 – 162 Ss 136/13, juris). Gleiches gilt auch, wenn die für eine vorsätzliche Begehungsweise verdoppelte Regelgeldbuße festgesetzt wird und ebenso, wenn der verdoppelte Regelsatz sodann nur um einen (geringen) Betrag erhöht wird. Denn auch dort beruht die Bußgeldbemessung gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG letztlich im Wesentlichen auf der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft (Senat, Beschluss vom 24.11.2017, aaO.). So stellt auch das Oberlandesgericht Braunschweig in seinem Beschluss vom 13.04.2021 (1 Ss (OWi) 103/20; juris) zutreffend fest, dass es dem Regel-Ausnahme-System der Bußgeldkatalogverordnung zuwiderlaufen würde, allein deshalb, weil das Tatgericht die Regelgeldbuße wegen festgestellter Vorbelastungen (angemessen) erhöht hat, auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine tatrichterliche Aufklärung zu verlangen. Im Falle einer maßvollen Erhöhung der Regelgeldbuße besteht – jedenfalls ohne konkrete Anhaltspunkte durch entsprechendem Sachvortrag des Betroffenen – kein Anlass an seiner Leistungsfähigkeit zu zweifeln (OLG Braunschweig, aaO.). Für diese Auslegung spricht auch, dass die andernfalls vom Tatrichter zu ergreifenden Aufklärungsmittel, die gegebenenfalls mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergehen, angesichts der Bedeutung der Sache in der Regel als unverhältnismäßig erscheinen.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Bußgeldbemessung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden. Zwar hat das Amtsgericht die (aufgrund vorsätzlicher Begehungsweise verdoppelte) Regelgeldbuße nochmals um einen nicht nur geringfügigen Betrag von 720 € auf insgesamt 1920 € erhöht. Allerdings liegt diese Geldbuße noch im Rahmen der für Verkehrsordnungswidrigkeiten vorgesehenen Bußgeldhöhe. Die Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 StVG (die insbesondere Verstöße gegen die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beispielsweise der StVO und der FZV erfasst) kann bei vorsätzlichem Handeln gem. § 24 Abs. 3 Nr. 5 StVG mit einer Geldbuße von bis zu 2000 € geahndet werden. Der Gesetzgeber hat damit eine selbstständige Bußgeldobergrenze für die Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG eingeführt, die insbesondere dem Umstand Rechnung tragen soll, dass der damit auf das Doppelte erweiterte Bußgeldrahmen ausschließlich verkehrlich motiviert ist. Außerdem sei die Erweiterung erforderlich, um eine differenzierte Anhebung der Regelsätze des Bußgeldkataloges vornehmen zu können (vgl. BT-Drucksache 16/10175, S.8). Bereits die Gesetzesbegründung nimmt Bezug auf eine im Einzelfall erforderliche Erhöhung der Regelgeldbuße. Bei der Zumessung der Geldbuße, die in § 24 Abs. 3 Nr. 5 StVG lediglich in ihrem Höchstmaß begrenzt ist, sind die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung heranzuziehen, die schematisch für identisch wiederkehrende Massenverstöße eine Orientierungshilfe bieten, die zugleich aber auch den Zielen des Gesetzgebers entspricht, die Verstöße nach ihrem Gefahrenpotential unterschiedlich zu gewichten. Die Verordnung schränkt in den katalogmäßig bestimmten Regel- und Sonderfällen den Begründungsaufwand für den Tatrichter ein. Die Regelungen der Bußgeldkatalogverordnung füllen damit den Bußgeldrahmen des § 24 StVG aus und finden für den gesamten Bußgeldrahmen Anwendung. Daher muss die Regel-Ausnahme-Systematik der Verordnung mit der daraus folgenden Einschränkung des Begründungsaufwandes auch für alle Geldbußen gelten, die sich – auch unter möglicher Erhöhungen aufgrund von Voreintragungen – im Rahmen von bis zu 2000 € bewegen, sofern keine Hinweise auf besonders schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen vorhanden sind, die eine tatrichterliche Aufklärung erforderlich werden lassen. So liegt der Fall hier. Der Betroffene war in der Hauptverhandlung vom persönlichen Erscheinen entbunden und hatte keine weitergehende Einlassung abgegeben.
Demnach waren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen hier nicht erforderlich. Da sich aus den Urteilsgründen auch keine Indizien für vom Durchschnitt abweichende wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen ergeben, musste sich das Amtsgericht auch nicht gedrängt sehen, hierzu weitere Feststellungen zu treffen.
Die Anordnung des Fahrverbotes ist rechtlich nicht zu beanstanden.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.


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