Strafrecht

Anforderungen an die anwaltliche Mitwirkung zum Auslösen der sog. Befriedungsgebühr

Aktenzeichen  390 AR 81/20

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40449
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 2 Abs. 2 S. 1
StPO § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Auch im Fall einer Einstellung nach § 154 StPO kann die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entstehen.     (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine teilweise bestreitende Einlassung erfordert erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache des Verteidigers mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reicht aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen.   (redaktioneller Leitsatz)
1. Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO stellt eine Verfahrenseinstellung mit dem Ziel der Endgültigkeit der Einstellung iSd Gebührentatbestands dar. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die Erinnerung der Verteidigerin Frau R. W. vom 12.11.2020 gegen die Vergütungsfestsetzung vom 28.10.2020 wird eine weitere ihr zu zahlende Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von 132 € nebst Umsatzsteuer festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft A. führte gegen die ehemals Beschuldigte … ein umfangreiches Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs des Betrugs. Gegen Frau … erließ am 10.07.2019 das Amtsgericht Aschaffenburg einen Haftbefehl (Aktenzeichen 306 Gs 1295/19). Der Haftbefehl wurde am 04.08.2019 durch das Amtsgericht Potsdam eröffnet. Dort bat die damals noch Beschuldigte um die Bestellung eines Verteidigers. Mit Beschluss vom 06.08.2019 bestellte das Amtsgericht Aschaffenburg (Aktenzeichen 306 Gs 1494/19) Frau R. W. als Pflichtverteidigerin. Mit Verfügung vom 12.08.2019 gewährte die Staatsanwaltschaft A. Frau R. W. antragsgemäß Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 09.09.2019 beantragte die damals Beschuldigte … die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Nach Rücksprache mit der Pflichtverteidigerin wurde der Termin der mündlichen Haftprüfung am Amtsgericht Aschaffenburg am 17.09.2019 in der Zeit von 9:10 bis 9:35 Uhr durchgeführt. Bei diesem Termin machte die Pflichtverteidigerin für Ihre Mandantin zunächst Angaben zum Sachverhalt. Insbesondere wurden hierbei drei der ihr vorgeworfenen Taten bestritten. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft A. wurde der Haftbefehl sodann gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft A. hob das Amtsgericht Aschaffenburg sodann am 17.01.2020 den Haftbefehl vollständig auf. Mit einer Verfügung vom 26.06.2020 sah die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO von einer Verfolgung ab. Hierbei bezog man sich auf zwei zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftige Verurteilungen durch das Amtsgericht Luckenwalde und des Landgerichts Aschaffenburg. Mit Schreiben vom 03.07.2020 beantragte die Pflichtverteidigerin die Kostenfestsetzung für ihre Tätigkeit als Verteidigerin. Unter anderem beantragte sie die Festsetzung einer Gebühr nach 41… VV RVG in Höhe von 132 € (nebst Umstazsteuer). Am 19.10.2020 legte der Rechtspfleger des Amtsgerichts Aschaffenburg die Akte an die Bezirksrevisorin beim Landgericht vor und teilte mit, dass die zuvor bezeichnete Gebühr nicht entstanden sei, da keine anwaltlichen Mitwirkung erfolgt sei. Mit einem Vermerk vom 19.10.2020 stimmte die Bezirksrevisorin dieser Ansicht zu. Denn eine Mitwirkung der Rechtsanwältin an der Verfahrenseinstellung sei nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 20.10.2020 widersprach die Verteidigerin dieser Auffassung. Vielmehr sei die Gebühr nach Nummer 4141VV RVG entstanden. Hierauf erwiderte die Bezirksrevisor beim Landgericht Aschaffenburg am 28.10.2020 erneut und vertrat weiterhin die Auffassung, dass die Gebühr nicht entstanden sei. Insbesondere wird ausgeführt, dass die Einstellung gerade nicht wegen der Aussagen im Termin vom 17.09.2019 erfolgte. Vielmehr sei von der Verfolgung abgesehen worden, weil gegen die damals noch Beschuldigte wegen anderer Taten eine Strafe ausgesprochen wurde. Eine anwaltliche Mitwirkung sei nicht ersichtlich und sei auch nicht vorgetragen worden. Daraufhin wurde durch das Amtsgericht Aschaffenburg am 28.10.2020 ein Festsetzungsbeschluss erlassen, mit dem die Gebühren und Auslagen für Frau R. W. auf insgesamt 817,74 € festgesetzt wurden. Die Gebühr nach Nummer 4141VV RVG in Höhe von 132 € nebst Umsatzsteuer in Höhe von 16 % sei nach wie vor nicht entstanden wurde daher nicht als erstattungsfähig berücksichtigt. Zur Begründung wurden die gleichen Argumente, die bereits dargestellt wurden, angeführt. Auf den Beschluss vom 28.10.2020 wird Bezug genommen. Gegen den Beschluss legte Frau R. W. am 12.11.2020 den Rechtsbehelf der Erinnerung ein. Zur Begründung wird auf den Schriftsatz vom 12.11.2020 Bezug genommen. Mit Verfügung vom 17.11.2020 beantragte dir Bezirksrevisorin der Erinnerung vom 12.11.2020 gegen den Festsetzungsbeschluss vom 28.10.2020 nicht abzuhelfen. Die Erinnerung sei als unbegründet zurückzuweisen. Ergänzend wurde hierbei ausgeführt, dass die Gebühr nicht „automatisch“ bei jeder Verfahrenseinstellung entstehe, sondern diese eine zusätzliche Gebühr darstelle. Voraussetzung für die Entstehung der Gebühr sei eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit. Die Einstellung sei nicht wegen der Einlassung der Beschuldigten, sondern ausweislich der Gründe der Einstellungsverfügung vom 26.06.2020, also wegen der ausgesprochenen Strafen in einem anderen Strafverfahren erfolgt. Mit Beschluss vom 18.11.2020 half das Amtsgericht Aschaffenburg der Erinnerung nicht ab und verfügte die Vorlage an den zuständigen Richter zu Entscheidung.
II.
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung ist zulässig und begründet. Die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG ist in Höhe von 132,00 EUR nebst Umsatzsteuer entstanden.
Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG, die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – IX ZR 153/10 -, Rn. 7, juris)
Allgemein gilt zunächst, dass eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO als eine solche Verfahrenseinstellung mit dem Ziel der Endgültigkeit der Einstellung im Sinne dieses Gebührentatbestands darstellt (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4141 Rn. 16).
Hierzu muss allerdings eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahren vorliegen. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.
Vorliegend wurde am 17.09.2019 ein Haftprüfungstermin beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Aschaffenburg durchgeführt. Bei diesem war Frau R. W. anwesend und gab für die damals noch Beschuldigte eine Erklärung ab. Hierbei wurde ein kleiner Teil der Taten, die Gegenstand des Haftbefehls waren, eingeräumt. Der größere Teil wurde bestritten. Eine solche Einlassung erfordert erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reicht aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen (so auch LG Trier, Beschluss vom 22.01.2007 – 5 Qs 222/06). Denn welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist grundsätzlich unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung kann keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden. Für die Beurteilung kommt es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern (vgl. LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20). Gerade das Bestreiten von Taten kann erfahrungsgemäß die Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung gelangen lassen, dass ein weiterer Ermittlungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig ist, sodass letztlich eine Einstellung nach § 154 StPO eine sachgerechte Verfahrensbeendigung darstellt. Dies erscheint auch vorliegend durchaus möglich, dass dies ein Beweggrund für die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO war.
III.
Gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei und außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


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