Strafrecht

Anforderungen an die Begründung einer Beschwerde

Aktenzeichen  11 CS 20.814

Datum:
2.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24651
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 3
FeV § 14

 

Leitsatz

Zur Begründung einer Beschwerde genügt es nicht, wenn sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt, sein Vorbringen aus der ersten Instanz zu wiederholen, oder sich mit pauschalen oder formelhaften Rügen begnügt. Vielmehr muss der Beschwerdeführer ausgehend von der erstinstanzlichen Entscheidung konkret aufzeigen, in welchen Punkten und weshalb diese aus seiner Sicht nicht tragfähig und überprüfungsbedürftig ist, was voraussetzt, dass er den Streitstoff prüft, sichtet und rechtlich durchdringt und sich mit den Gründen des angegriffenen Beschlusses befasst. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 20.411 2020-03-27 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B, BE, C1, C1E, CE und L.
Im Dezember 2019 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Bad Kissingen bekannt, dass das Wohnhaus des Antragstellers am 20. Oktober 2019 gegen 1.00 Uhr im Zuge einer polizeilichen Ermittlungsmaßnahme durchsucht worden war. Dabei seien 1,19 Gramm Haschisch, 0,32 Gramm Marihuana und ein Gläschen mit einer geringen Menge Haschisch-Tabak-Gemisch aufgefunden worden. Auf Befragen habe der Antragsteller angegeben, aus gesundheitlichen Gründen täglich Haschisch zu konsumieren, am Vortag gegen 10:00 Uhr Tramal long (150 mg), „Amiricitin (50 mg)“ sowie eine blutdrucksenkende Tablette eingenommen und gegen 22:00 Uhr einen Joint mit Haschisch geraucht zu haben. Da der Antragsteller unmittelbar vor der Wohnungsdurchsuchung mit seinem PKW gefahren sei, sei Blut entnommen worden. In der um 2:14 Uhr entnommenen Blutprobe wurden nach dem Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts des Universitätsklinikums Bonn vom 19. November 2019 6,8 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) sowie 3,4 ng/ml 11-OH-THC, 55,2 ng/ml THC-COOH, 16,5 ng/ml Amitryptilin, 43,0 ng/ml Nortriptylin, ca. 13,3 ng/ml Bisoprolol, 159 ng/ml Tramadol, 28,8 ng/ml O-Desmethyltramadol sowie Hinweise auf Candesartan festgestellt. Durch die chemisch-toxikologischen Untersuchungen sei nachgewiesen, dass der Antragsteller Cannabisprodukte konsumiere und Amitriptylin-, Bisoprolol- und Tramadolhaltige Arzneimittel aufgenommen habe. Die festgestellten Konzentrationen sprächen dafür, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter der Wirkung von THC, des Betablockers Bisoprolol, des Antidepressivums Amitriptylin sowie des Opioids Tramadols gestanden habe.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 19. Februar 2020, zugestellt am 21. Februar 2020, gestützt auf § 11 Abs. 7 FeV, Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein umgehend abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Es liege ein Mischkonsum von Cannabis und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vor, der ohne Weiteres zur Verneinung der Fahreignung führe.
Hiergegen ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Würzburg am 11. März 2020 Klage erheben und einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit der Begründung stellen, die psychoaktiven Stoffe seien ärztlich verordnet und der ehemals illegale Cannabiskonsum sei nunmehr durch ärztliche Verordnung von Medizinal-Cannabis auf eine legale Basis gestellt worden.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 27. März 2020 ab. Der Antragsteller sei gelegentlicher Cannabiskonsument. Da die Einnahme nicht auf Grundlage einer ärztlichen Verordnung erfolgt sei, habe der Antragsgegner seine Fahreignung zu Recht am Maßstab der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und nicht anhand der Eignungskriterien bei einer Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) bzw. einer missbräuchlichen Einnahme von Arzneimitteln (Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV) vorgenommen. Ausweislich des eingeholten rechtsmedizinischen Gutachtens habe der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme aufgrund eines Mischkonsums unter der kumulierten Wirkung von Cannabis sowie mehreren fahreignungsrelevanten psychoaktiven Stoffen, namentlich Amitriptylin (Antidepressivum), Bisoprolol (Betablocker) und Tramadol (schmerzlinderndes Opioid) gestanden. Bereits dies schließe gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung aus. Der Anordnung einer Aufklärungsmaßnahme gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV – wie sie bei erstmaliger Verletzung des Gebots der Trennung von Cannabiskonsum und Fahren gefordert werde – bedürfe es bei einer festgestellten Wirkungskumulation infolge eines Mischkonsums von Cannabis und psychoaktiven Substanzen nicht. Denn maßgebend für die vom Verordnungsgeber in der hier einschlägigen Variante der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV sei nicht nur die Gefahr einer fehlenden Trennung von Konsum und Fahren, sondern vielmehr auch die signifikante Erhöhung des Unfallrisikos infolge des kombinierten Konsums von Cannabis und psychoaktiven Substanzen bei einem etwaigen Verstoß gegen das Trennungsgebot. Die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch bei einem Mischkonsum geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme am Straßenverkehr unter kumulierter Wirkung mehrerer Rauschmittel ergebe sich hier ohne weiteres daraus, dass der Antragsteller am 20. Oktober 2019 ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe, obwohl er unter dem Einfluss von THC und anderen psychoaktiven Stoffen gestanden habe. Daran bestünden keine begründeten Zweifel; die spätere Behauptung des Antragstellers, er habe erst nach der Fahrt während der Hausdurchsuchung einen Haschischbrocken geschluckt („Nachtrunk“), erscheine nicht glaubhaft. Umstände, die auf eine Ausnahme vom Regelfall der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 dazu hinweisen könnten, seien nicht vorgetragen worden. Es gebe auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller bis zum maßgebenden Zeitpunkt des Bescheiderlasses seine Fahreignung wiedererlangt haben könnte. Es erscheine zwar nicht ausgeschlossen, dass die durch einen vorherigen illegalen Cannabiskonsum nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV feststehende Nichteignung durch eine spätere ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis wiederhergestellt werde. Hier gebe es jedoch, auch mit Blick auf die vom Antragsteller vorgelegte Vereinbarung über ärztliche Behandlung betreffend die Verordnung von Medizinal-Cannabis mit dem Facharzt für Chirurgie und Notfallmedizin Dr. E. vom 21. Februar 2020, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller seinen illegalen Konsum von Cannabis bis zum maßgeblichen Zeitpunkt auf eine ärztliche Einnahme umgestellt habe und deshalb seine Fahreignung wiedererlangt habe. Diese Prüfung bleibe dem Wiedererteilungsverfahren vorbehalten. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei auch deshalb erforderlich, weil der Antragsteller nach Entziehung der Fahrerlaubnis offenbar neben (ärztlich verordnetem) Cannabis weiterhin psychoaktive Stoffe einnehme und deshalb erhebliche Bedenken an der Fahreignung bestünden.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, beantragt der Antragsteller sinngemäß, die „aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Bad Kissingen vom 19. Februar 2020 wiederherzustellen“. Zur Begründung wird ausgeführt, die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts berücksichtige nicht, dass der Entzug der Fahrerlaubnis ultima ratio sei. Grundlegend sei die Frage zu stellen, inwieweit bei dem Antragsteller Eignungszweifel vorlägen und diesem bejahendenfalls die Möglichkeit gegeben werden könne, diese Zweifel auszuräumen, oder ein sofortiger Entzug der Fahrerlaubnis nötig sei. Nachdem der Antragsteller seinen Konsum von Cannabisprodukten in einen legalen Konsum umgewandelt habe, bestünden keine Eignungszweifel mehr. Somit sei lediglich „in der Retrospektive“ der ehemalige geringe Konsum von Cannabisprodukten zu betrachten. Der Antragsgegner meine, aus einer Gesamtschau des illegalen Konsums von Cannabisprodukten und der Einnahme von Psychopharmaka den „Sofortentzug“ der Fahrerlaubnis rechtfertigen zu können, ohne dem Antragsteller die Möglichkeit einräumen zu müssen, Eignungszweifel – durch forensisch anerkannte Urinkontrollen oder eine sogenannte MPU – auszuräumen. Dieses Vorgehen verstoße gegen das Ultima-Ratio-Prinzip und den allgemeinen Freiheitsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen.
Wie der Antragsgegner zutreffend geltend gemacht hat, genügt die Begründung bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es reicht nicht aus, wenn sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt, sein Vorbringen aus der ersten Instanz zu wiederholen, oder sich mit pauschalen oder formelhaften Rügen begnügt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a f.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 77). Die Gründe der angefochtenen Entscheidung geben den Beschwerdegründen den Inhalt vor (Happ, a.a.O.). Ausgehend von der Entscheidung muss der Beschwerdeführer konkret aufzeigen, in welchen Punkten und weshalb sie aus seiner Sicht nicht tragfähig und überprüfungsbedürftig ist, was voraussetzt, dass er den Streitstoff prüft, sichtet und rechtlich durchdringt und sich mit den Gründen des angegriffenen Beschlusses befasst (Guckelberger, a.a.O. Rn. 76). Aus den fristgerecht dargelegten Gesichtspunkten muss sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses und die Notwendigkeit seiner Aufhebung ergeben (Guckelberger, a.a.O. Rn. 78).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf das einschlägige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2013 – 3 C 32.12 – (BVerwGE 148, 239 = juris) und in Abgrenzung zur neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verletzung des Trennungsgebots durch einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis (vgl. dazu BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 13.17 – Blutalkohol 56, 402 = juris) angenommen, vorliegend seien die Voraussetzungen der Variante 2 der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnisverordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019, in Kraft getreten zum 1. Januar 2020 (BGBl I S. 1416) erfüllt; in dieser Konstellation habe die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahme von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen und die Fahrerlaubnis entziehen dürfen. Daran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 29. April 2019 – 11 B 18.2486 (BayVBl 2020, 419 = juris) weiterhin ausgeführt, bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses habe der Antragsteller die Fahreignung auch nicht mit Blick auf eine ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis wiedererlangt; vielmehr bleibe eine Prüfung, ob der Antragsteller nach nunmehriger Umstellung des Konsums auf ärztlich verordnetes Cannabis künftig fahrgeeignet sei, dem Wiedererteilungsverfahren vorbehalten. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde nicht substantiell auseinander. Der pauschale Einwand, der angegriffene Beschluss verstoße gegen das Ultima-Ratio-Prinzip und den allgemeinen Freiheitsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 GG, sowie die Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens, der Antragsteller habe den illegalen Konsum von Cannabisprodukten „nunmehr“ in einen legalen Konsum umgewandelt, geht nicht ansatzweise auf die Begründungsstruktur der angegriffenen Entscheidung ein. So lässt die Beschwerde bereits nicht erkennen, gegen welche der vorgenannten Begründungselemente des Verwaltungsgerichts sie sich richtet. Damit wird sie der Funktion des Darlegungsgebotes gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht, die zum einen darin besteht, den Rechtsmittelführer zu einer sorgfältigen Prüfung der Einlegung des Rechtsmittels anzuhalten, und zum anderen darin, dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses zu ermöglichen, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich auf die vorgetragenen Beschwerdegründe beschränkt ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2018 – 20 CS 18.686 – juris Rn. 2; Guckelberger, a.a.O. Rn. 72 f.).
Somit kommt es nicht darauf an, ob sich aus dem Beschwerdevortrag noch mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln lässt, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die Entscheidung des Verwaltungsgerichts angefochten werden soll (vgl. Happ, a.a.O. § 146 Rn. 21).
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 sowie Nr. 46.1, Nr. 46.3 und Nr. 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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