Strafrecht

Ansprüche wegen eines Leasingvertragsschlusses über ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Aktenzeichen  23 O 2425/19 (2)

Datum:
24.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22784
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
UWG § 16
VO EG Art. 5 Abs. 2
StGB § 263
EG-FGV § 6 As. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 3, § 32

 

Leitsatz

Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB kann nicht allein auf die Verletzung von Gesetzen oder sonstigen Rechtsnormen abgestellt werden. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 38.946,96 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Landshut gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
II. Die Klage ist aber unbegründet. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
1. Nachdem die Klagepartei vorliegend keine kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsansprüche geltend macht, die der Leasinggeberin als Käuferin zustehen würden und die die Klagepartei nur im Umfang der Abtretung geltend machen könnte, fehlt es aber nicht bereits an der Passivlegitimation.
Ihre Ansprüche kann die Klagepartei vorliegend mangels vertraglicher Beziehung zur Beklagten nicht auf vertragliche Anspruchsgrundlagen stützen.
2. Der Klagepartei steht kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu.
Hinsichtlich der behaupteten, die Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware kann dahinstehen, ob es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 handelt. Die Verwendung einer Motorsteuerungssoftware mit der behaupteten Wirkung (“Thermofenster“) stellt jedenfalls kein sittenwidriges Verhalten dar.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, wenn es nach Inhalt und Gesamtcharakter, welcher durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, mithin mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Nicht jeder Rechtsverstoß begründet jedoch eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB kann deswegen nicht allein auf die Verletzung von Gesetzen oder sonstigen Rechtsnormen abgestellt werden. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (OLG Koblenz, Urt. v. 21.10.2019, Az.: 12 U 246/19).
So kann bei einer Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die entgegen der bei VW-Motoren des Typs EA189 eingesetzten Umschaltlogik doch grundsätzlich im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, zumal von Seiten der Beklagten Gesichtspunkte des Motor- sowie des Bauteilschutzes als Rechtfertigung der Abschalteinrichtung ernsthaft und für das Gericht nachvollziehbar vorgetragen wurden. Vielmehr muss eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG Koblenz, aaO). Für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung kommt es letztlich darauf an, ob es andere Möglichkeiten zum Schutz des Motors gegeben hätte und damit die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 nicht greift. Hierbei handelt es sich letztlich um einen Expertenstreit und keine Handlung, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass nicht auf den heutigen Meinungsstand abzustellen ist, sondern auf den zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs. Auch besteht für das vorliegende Fahrzeug gerade keine Rückrufaktion, so dass auch keine Folgerungen hieraus möglich sind.
3. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG ist ebenfalls nicht gegeben, da die Beklagte nicht den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorrufen wollte. Der Hinweis auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Abgaswerte stellt nicht die Anpreisung eines besonderen Vorteils dar, da alle vergleichbaren Fahrzeuge am Markt den Grenzwert einhalten mussten (LG Braunschweig, Urteil v. 12.09.2017, Az. 11 O 4019/16 Rn. 174).
4. Der Klagepartei stehen auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu.
Es ist bereits nicht ersichtlich, dass konkrete Angaben seitens des Herstellers zum Schadstoffausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Kaufentscheidung der Klagepartei kausal waren. Die Klagepartei ließ sich in der mündlichen Verhandlung vielmehr dahingehend ein, dass sie beim Verkäufer nachgefragt hat, ob eine Thematik wie bei VW auch hier vorläge, was verneint wurde. Hauptsächlich in diesem Punkt fühlt sich die Klagepartei falsch informiert. Dies ist aber keine Angabe des Herstellers. Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass konkrete Angaben der Beklagten kausal für die Kaufentscheidung der Klagepartei gewesen sind. So fehlt es nach Überzeugung des Gerichts für eine Verwirklichung eines Betrugs nach § 263 StGB bereits an der Erregung eines Irrtums klägerseits.
Auch ein Unterlassen der Aufklärung über die Funktionsweise einer Motorsteuerungssoftware durch die Beklagte gegenüber der Klagepartei stellt keine strafrechtlich relevante Täuschung über Tatsachen dar. Hierfür fehlt es an einer Garantenstellung der Beklagten gegenüber der Klagepartei. Dem aktiv Handelnden kann nur gleichgestellt werden, wer rechtlich verpflichtet ist, die Rechtsgutsbeeinträchtigung zu verhindern, wobei die Handlungspflicht dem Schutz des jeweiligen Rechtsguts dienen muss. Die Beklagte hat als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegenüber der Klagepartei weder eine Garantenstellung aus einem besonderen Vertrauensverhältnis noch aus vorgehendem pflichtwidrigen Verhalten. Eine Garantenstellung der Beklagten aus Ingerenz käme lediglich in Betracht, wenn die verletzte Norm gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient. Doch selbst bei der behaupteten Verletzung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 fallen die Vermögensinteressen der Klagepartei nicht in den Schutzbereich dieser Normen. Sie dienen nicht den Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer, sondern der Harmonisierung des Binnenmarktes und zielen auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung (Erwägungsgründe zu Rn. 3, der der Verordnung zu Grunde liegenden Rahmenrichtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 05.09.2007).
Zudem fehlt es an einer Stoffgleichheit zwischen Vermögensvorteil bei der beklagten Partei – zu dem ohnehin schon nicht vorgetragen ist – und dem bei der Klagepartei unterstellten Schaden, der in dem Abschluss des Leasingvertrags und den damit einhergehenden Zahlungsverpflichtungen besteht.
5. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV kommt ebenfalls nicht in Betracht. Unabhängig von der Frage der tatsächlichen Verletzung der Vorschriften durch die beklagte Partei fehlt den Vorschriften der Schutzcharakter (vgl. etwa OLG München, 8 U 1449/19). Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen (Sprau/Palandt, BGB, 77. Auflage, § 823 Rn. 58). Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Normen mit Drittschutzwirkung für den Autokäufer. Bei Vorschriften, die – wie hier – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen Richtlinien konformen Auslegung insofern maßgeblich auf den Inhalt und den Zweck der Richtlinie – hier also der Richtlinie 2007/46/EG – an (LG Braunschweig, Urteil v. 06.12.2017, Az. 3 O 589/17, 90 mit Verweis auf BGH, EuGH – Vorlage vom 09.04.2015, Az. VII ZR 367/14). Die Richtlinie zielt nicht auf den Schutz der Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer ab, sondern auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und in diesem Zusammenhang auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung.
6. Mangels erfüllter deliktischer Haftungstatbestände vermag schließlich auch § 831 BGB den Klageantrag nicht zu begründen.
7. Ein Anspruch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht mangels einer Hauptforderung ebenso wenig wie ein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs.
Kosten: § 91 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
Streitwert: § 3 ZPO.


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