Strafrecht

Ausweisung – Bedrohung der öffentlichen Sicherheit

Aktenzeichen  AN 5 K 19.01841

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55091
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1
StGB § 57
BtMG § 31a Abs. 1

 

Leitsatz

Die verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Die Entscheidung eines Strafgerichts über eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung stellt bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1946/16), für die Beurteilung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren besteht jedoch keine Bindungswirkung. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 9. Oktober 2017 nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die in Ziffer I verfügte Ausweisung ist ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffern IV und V verfügten Annexentscheidungen. Ebenso wenig zu beanstanden ist die in Ziffer III verfügte Befristung der Wirkung der Ausweisung und gegebenenfalls einer Abschiebung auf die Dauer von sieben Jahren.
Dies hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausführlich dargelegt. Auch die Kammer hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und im Prozesskostenhilfeverfahren mit Beschluss vom 16. Juni 2017 detailliert dargelegt, dass keinerlei rechtliche Bedenken gegen den streitgegenständlichen Bescheid bestehen. Die Kammer nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen insgesamt auf den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2016 und den Beschluss der Kammer vom 16. Juni 2017 (AN 5 S 16.02236, AN 5 K 16.02237) Bezug und sieht diesbezüglich von einer weiteren Begründung gemäß § 117 Abs. 5 VwGO ab.
Hinzuzufügen ist lediglich, dass auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, von dem Kläger gehe nach erfolgreich abgeschlossener Therapie und der gelungenen Integration nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug keine Wiederholungsgefahr mehr aus, was durch den Beschluss des Landgerichts … vom 15. Januar 2019, in dem der weitere Vollzug der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten ab dem 5. Februar 2019 zur Bewährung ausgesetzt wurde, belegt werde, eine andere rechtliche Würdigung nicht ergibt.
Zwar sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Entscheidungen der Strafgerichte über eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung nach § 57 StGB – und auch nach § 67d StGB – von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1946/16 – juris Rn. 21). Es besteht aber für die Beurteilung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen ausgehende Bindungswirkung. Eine unmittelbar verwertbare Aussage zu der ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt, wird in dem Beschluss über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nämlich nicht getroffen (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2019 – 19 ZB 18.2047 – juris Rn. 15).
Nach Auffassung der Kammer ist im vorliegenden Fall, trotz der Tatsache, dass die Unterbringung des Klägers im Maßregelvollzug mittlerweile – nach 2 Jahren und 7 Monaten – beendet ist, der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit Beginn zum 4. November 2019 und einer sechsmonatigen Probezeit vorgelegt hat und es bisher nicht zu weiteren Regelverstößen gekommen ist, nicht von einer positiven Sicherheitsprognose betreffend den Kläger für den Zeitraum, der über die Dauer der Bewährung hinausgeht und der für das Ausweisungsverfahren maßgeblich ist, auszugehen.
Das Landgericht … hat im Rahmen der strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsentscheidung vom 15. Januar 2019 zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. … vom 23. November 2018 und die Stellungnahme des Bezirksklinikums … – Klinik für Forensische Psychiatrie – vom 26. Juni 2018 Bezug genommen. Nach der Stellungnahme des Bezirksklinikums sei es dem Kläger im intensivtherapeutischen Behandlungsabschnitt gelungen, sich mit wesentlichen persönlichkeitsimmanenten und externen Risikofaktoren hinsichtlich seiner Sucht und Delinquenz auseinanderzusetzen, so dass „die Prognose bezüglich einer Rückfallgeschwindigkeit in die Suchtmittelabhängigkeit nunmehr dennoch als günstig erachtet werde und die bedingte Entlassung des Klägers aus dem Maßregelvollzug befürwortet werden könne“. Nach dem psychiatrischen Gutachten von Dr. … sei eine doch erkennbare und als positiv zu bewertende Nachreifung und Stabilisierung der Persönlichkeit des Klägers eingetreten. Es sei von deutlich überwiegenden positiven prognostischen Aspekten auszugehen. Der Kläger habe sich glaubhaft und kritisch von seinem früheren Handeln und Denken distanziert. Diese Distanz halte er glaubhaft und nachvollziehbar aufrecht. Bei Beachtung von dringend erforderlichen Nachsorgemaßnahmen im Rahmen der eintretenden Führungsaufsicht bestehe daher die begründete Aussicht, dass der Kläger keine neuerlichen Straftaten im Rahmen seiner Suchtmittelabhängigkeit begehen werde.
Im Rahmen der Beurteilung der ausweisungsrechtlichen Gefährdungsprognose ist insoweit zu berücksichtigen, dass auch das Landgericht … im Hinblick auf die Aussagen des Gutachters Dr. … und der behandelnden Ärzte und Therapeuten zahlreiche, strikt zu beachtende Weisungen mit der Festsetzung der maximalen möglichen Bewährungszeit bzw. Führungsaufsicht von fünf Jahren erteilt hat und demnach offensichtlich der Auffassung ist, dass beim Kläger auch noch weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten besteht und dieser Gefahr vorgebeugt werden muss. Im Übrigen enthalten auch die Stellungnahme des Bezirksklinikums … und das Sachverständigengutachten des Dr. … Anhaltspunkte dafür, dass auch weiterhin von einer bestehenden Wiederholungsgefahr beim Kläger auszugehen ist. Nach der Stellungnahme des BKH … ist die Therapie des Klägers nicht durchwegs beanstandungsfrei und positiv verlaufen. So wird ausgeführt, dass der Kläger „erst unter den weitreichenden Lockerungen scheinbar mehr und mehr Einlassbereitschaft für therapeutische Vorgaben habe aufbringen können. Seien im stationären Setting noch Selbstüberschätzungstendenzen hinsichtlich seiner Abstinenz zu beobachten gewesen, so schien er während der Resozialisierungsphase durchaus besser eigene Risiken benennen und reflektieren zu können.“ Die von dem BKH … vorgeschlagenen Nachsorgemaßnahmen zur Sicherung der Abstinenz hat auch der Sachverständige Dr. … für dringend notwendig erachtet. Trotz des Strafaussetzungsbeschlusses des Landgerichts … ist demnach, insbesondere im Hinblick auf die Schwere der abgeurteilten Tat und den Rang der durch die verübte Straftat gefährdeten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit, aufgrund des erheblichen Legalbewährungsdrucks, nämlich, dass ein Verstoß gegen Bewährungsauflagen den Widerruf der Bewährung zur Folge hätte, und der kurzen Zeit nach Beendigung des Maßregelvollzugs, auch gegenwärtig von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen.
Der Anregung des Klägerbevollmächtigten, den Zeugen …, einen engen Freund des Klägers, der als Assistenzarzt in einer Psychiatrie beschäftigt ist und insofern über medizinischen Sachverstand verfügt, zu der Einstellung und Lebensgestaltung des Klägers zu vernehmen, war nicht weiter nachzugehen, da das Gericht mit den vom Landgericht … angeforderten Gutachten bzw. Stellungnahmen und dem Bericht über den Therapieverlauf des Bezirksklinikums … vom 18. Oktober 2019 über ausreichend eigene Sachkunde verfügt und nicht ersichtlich ist, welche neuen Tatsachen der Zeuge noch hätte vortragen können.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von 7 Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise, die die Beklagte auch unter Berücksichtigung der abgeschlossenen Therapie und der Tatsache, dass der Kläger mittlerweile einer geregelten Arbeit nachgeht, für notwendig, aber auch angemessen erachtet, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist dabei fallbezogen ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (vgl. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Gemessen an diesen Vorgaben kann der Kläger auch nicht hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, über die Befristung der Wirkung der Ausweisung und Abschiebung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das Gewicht des im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung bestehenden Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von sieben Jahren angemessen ist.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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