Strafrecht

Ausweisung, Drogendealer, Drogenrückfall, türkischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  AN 11 S 20.02182

Datum:
13.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20969
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 53 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG, Art. 8 EMRK

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und am … 1994 als Kind der türkischen Arbeitnehmer … und … in … geboren. Nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16. November 2016 (Az.: JKIV KLs 353 11975/15 jug) trennten sich die Eltern des Antragstellers, als dieser sechs oder sieben Jahre alt gewesen sei. Die Mutter habe zwischenzeitlich neu geheiratet. Der Antragsteller habe regulär die Grundschule besucht und sei anschließend für zwei Jahre auf die Realschule gekommen. Danach sei er jedoch auf die Hauptschule gewechselt, die er zunächst ohne Abschluss verlassen habe. Diesen habe er über eine Abendschule nachgeholt. Im September 2013 habe der Antragsteller bei einer Tankstelle eine Ausbildung zum Verkäufer begonnen und im Sommer 2014 erfolgreich abgeschlossen. Nachdem er von seinem Ausbildungsbetrieb nicht übernommen worden sei, sei er zunächst mehrere Monate arbeitslos gewesen und habe anschließend für etwa acht bis neun Monate bei der Firma … in … als Be- und Entlader gearbeitet. Mitte 2015 sei dem Antragsteller jedoch auf seinen Wunsch hin gekündigt worden, da ihm die Arbeit nicht mehr gefallen habe. Von da an, bis zu seiner Inhaftierung am 25. November 2015, sei der Antragsteller arbeitslos gewesen.
Bezüglich des Drogenkonsums des Antragstellers lässt sich den Feststellungen des vorgenannten Urteils weiter entnehmen, dass der Antragsteller seit seinem 13. Lebensjahr Raucher gewesen sei und seit dem 15. Lebensjahr Alkohol getrunken habe. Cannabis habe er erstmalig mit 14 Jahren geraucht, wobei es mit ca. 16 Jahren zu einem regelmäßigen Konsum gekommen sei, der sich langsam, aber kontinuierlich gesteigert habe. Seit ca. März 2014 habe der Antragsteller täglich zweieinhalb bis drei Gramm Marihuana geraucht. Kokain habe er erstmals mit 18 oder 19 Jahren zu sich genommen, den Konsum jedoch auf 3-4 Konsumstage im Jahr beim Feiern beschränkt.
Strafrechtlich ist der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland (nach Auskunft des Bundeszentralregisters vom 19. August 2020) bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht Fürth (Bayern), 8. April 2009, Verurteilung zu 2 Freizeiten Jugendarrest und Erbringung von Arbeitsleistungen wegen Unterschlagung;
2. Amtsgericht Fürth (Bayern), 18. Januar 2010, Verurteilung zu 1 Freizeit Jugendarrest wegen gefährlicher Körperverletzung;
3. Amtsgericht Fürth (Bayern), 21. Januar 2010, Verurteilung zur Erbringung von Arbeitsleistungen wegen gefährlicher Körperverletzung; Jugendarrest wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen: Zwei Wochen;
4. Amtsgericht Fürth (Bayern), 22. Mai 2013, Verurteilung zu zwei Wochen Jugendarrest wegen Raub in Mittäterschaft;
5. Landgericht Nürnberg-Fürth, 16. November 2016, Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen bandenmäßigem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünfzehn Fällen; die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.
Dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16. November 2016 lag dabei als Sachverhalt zu Grunde, dass der Antragsteller als Teil einer mehrköpfigen Bande mit Cannabis gedealt habe. Der Antragsteller sei im Januar 2015 zu der bestehenden Gruppe gestoßen und habe sich zunächst bei Kurierfahrten mit einer anderen Beteiligten H. abgewechselt. Das arbeitsteilige Vorgehen sah dabei vor, dass die Beteiligten mit einem Pkw zu dem jeweiligen Lieferanten gefahren seien und abwechselnd jeweils die Betäubungsmittel mit dem FlixBus nach Franken gebracht hätten. In der Zeit zwischen Januar 2015 und November 2015 sei der Antragsteller bei mindestens neun dieser Beschaffungsfahrten nach … dabei gewesen. Dabei seien der Gruppe in … jeweils mindestens 2.000 Gramm Marihuana übergeben worden. Ab März/April 2015 habe der Antragsteller selbst bei fünf dieser Gelegenheiten das Marihuana in einem Koffer mit dem Flixbus nach Franken gebracht. Im Vorfeld des 23. Oktober 2015 vereinbarte die Gruppe einen Kauf von 2.000 Gramm Marihuana in … für einen Preis von 6.500,00 EUR pro Kilogramm, um diese anschließend im Bereich … gewinnbringend weiterzuverkaufen. Um das Geschäft abzuschließen, sei der Antragsteller mit weiteren Mitgliedern am 23. Oktober 2015 nach … gefahrenen, wo es aber schlussendlich nicht zur Übergabe der Betäubungsmittel gekommen sei. Am 24. November 2015 sei der Antragsteller mit drei anderen Mitgliedern der Bande nach … gefahren, um dort erneut 2.000 Gramm Marihuana einzukaufen. Ein anderer Beteiligter habe das Rauschgift mit dem FlixBus bis nach … transportiert und sei bei seiner Ankunft festgenommen und durchsucht worden. Der Antragsteller habe darüber hinaus das Marihuana aus den Beschaffungsfahrten entsprechend der Abrede an Abnehmer in … weiterverkauft. Zunächst habe er in den Monaten Januar und Februar 2015 alle drei Tage 100-Gramm-Portionen erhalten, wobei der Einkaufspreis auf 11,00 EUR bis 11,50 EUR pro Gramm festgelegt worden sei. Anschließend habe der Antragsteller das Rauschgift auf eigene Rechnung weiterverkaufen können. Ab März 2015 habe er bis zur Festnahme 200- bis 300-Gramm-Portionen im Abstand von vier bis fünf Tagen geholt. Den Einkaufspreis habe er gezahlt, nachdem er das Geld von den Kunden erhalten hatte. Das Marihuana habe in allen Fällen einen Wirkstoffgehalt von mindestens 5% THC gehabt. Weiterhin hätten alle Beteiligten gewusst, dass keiner von ihnen die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis gehabt habe. Der Antragsteller habe die Taten begangen, um den für seine Betäubungsmittelabhängigkeit jeweils erforderlichen eigenen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren.
Den Feststellungen des Urteils lässt sich ferner entnehmen, dass im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Antragstellers u.a. berücksichtigt wurde, dass dieser vollumfänglich geständig gewesen sei, die Taten auch aufgrund seiner Cannabisabhängigkeit begangen habe und es sich bei Cannabis um eine im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln weniger gefährliche Droge gehandelt habe. Zulasten des Antragstellers wurde gewertet, dass sich die Taten jeweils auf erhebliche Betäubungsmittelmengen bezogen hätten und der Antragsteller bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei anzuordnen gewesen, da die Voraussetzungen des § 64 StGB erfüllt gewesen seien.
Beim Antragsteller sei die psychiatrische Diagnose einer manifesten Abhängigkeit von Cannabis entsprechende Kategorie F12.2 gestellt worden. Diese Rauschgiftabhängigkeit sei Auslöser und Anlass der Taten gewesen. Die Strafkammer sei davon überzeugt, dass bei dem Antragsteller die Gefahr bestehe, dass infolge seines Hanges zukünftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten bei unbehandelter Suchproblematik begangen würden.
Aufgrund der Verurteilung befand sich der Antragsteller bis 7. Februar 2017 in Strafhaft (sog. Vorwegvollzug). Ab 7. Februar 2017 befand er sich im gerichtlich angeordneten Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus … Mit Beschluss vom 24. Januar 2019 setzte das Amtsgericht Neumarkt i.d. Oberpfalz die Vollstreckung der Reststrafe des Maßregelvollzugs unter Weisungen für drei Jahre zur Bewährung aus, woraufhin der Antragsteller am 8. Februar 2019 aus dem Maßregelvollzug in Freiheit entlassen wurde.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Fürth (Az.: 462 BÜR 7/19FA) vom 12. März 2020 wurde die Reststrafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Dem Beschluss (Bl. 284 ff. der Behördenakte) lässt sich entnehmen, dass sich bereits während der stationären Unterbringung im Bezirkskrankenhaus … Verhaltensauffälligkeiten beim Antragsteller ergeben hätten und dieser teilweise positiv auf Alkohol, THC und Kokain getestet worden sei. Auch nach seiner Entlassung habe er Termine beim Bewährungshelfer regelmäßig nicht wahrgenommen und er sei vermehrt positiv auf illegale Drogen getestet worden. In der Gesamtschau – schon beginnend mit der stationären Unterbringung – sei ein ernsthafter Therapiewille des Antragstellers zu verneinen. Dieser werde lediglich bekundet und zur Schau getragen, weil dies für den Antragsteller als günstig erscheine. Im Übrigen wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Auf Grund des Bewährungswiderrufs befindet sich der Antragsteller seit 8. Juni 2020 erneut – längstens derzeit bis 29. September 2021 – in Strafhaft (JVA N.).
Nachdem der Antragsgegnerin auf Grund eines Behördenversehens der Justizbehörden das Urteil aus dem Jahr 2016 erst im Laufe des Jahres 2020 bekannt geworden war, wurde der Antragsteller zunächst mit Schreiben vom 14. August 2020 zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Im Rahmen der Anhörung äußerte er mit Schreiben vom 27. August 2020, dass er sich selbst der JVA gestellt habe, seine Reststrafe verbüßen und einen Neuanfang machen möchte. Seine Freundin und er erwarteten einen Sohn, weshalb er beabsichtige, sein Leben rasant zu verändern. Er lebe sein Leben lang in der Bundesrepublik Deutschland und fühle sich als Deutscher, seine ganze Familie lebe hier. Seit seiner Verurteilung von 2015 (gemeint ist wohl 2016) habe er sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Ferner wurde der Antragsgegnerin durch das Bezirkskrankenhaus … eine Stellungnahme zum Verlauf des Maßregelvollzugs (vom 20.9.2020) und zum Verlauf der forensischen Nachsorgebehandlung (vom 17.9.2020) übermittelt (Bl. 328 ff. der Behördenakte). Auf diese wird Bezug genommen.
Am 9. September 2020 wurde der Antragsteller durch die Staatsanwaltschaft … wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zum Landgericht Nürnberg-Fürth angeklagt. Eine Entscheidung in der Strafsache ist – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.
Mit Bescheid vom 21. September 2020 wurde der Antragsteller aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1) und das zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von zehn Jahren befristet (Ziff. 2). Die Abschiebung aus der Haft heraus in die Türkei wurde angekündigt (Ziff. 3). Für den Fall, dass der Antragsteller vor Vollziehung des Bescheides aus der Haft entlassen werde, wurde der Antragsteller dazu aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, die zwangsweise Abschiebung, insbesondere in die Türkei, wurde angedroht (Ziff. 4). Weiterhin wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung in Ziff. 1 angeordnet (Ziff. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin nach § 71 Abs. 1 AufenthG sachlich und nach § 6 Absatz 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR örtlich für die Entscheidung zuständig sei. Der Antragsteller werde aufgrund von § 53 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, weil sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Mit seinem Verhalten habe er besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen gegen sich etabliert, denen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüberstünden. Obwohl er ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht besitze, hindere dies seine Ausweisung nicht, da sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren würde, das nur durch die Ausweisung gewahrt werden könne. Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei dabei im delinquenten Verhalten des Antragstellers zu sehen, das dieser seit März 2007 nahezu durchgängig zeige. Mit der Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten durch das Landgericht Nürnberg-Fürth vom 16. November 2016 habe er ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Auf der anderen Seite stünden zumindest die besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG, da der Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis besitze, in … geboren sei und sich damit erheblich länger als das gesetzlich geforderte Minimum von fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Aus der Geburt seines Sohnes Ende Oktober 2020 erwüchse hingegen kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, da der Antragsteller für die Dauer der Haft weder das Personensorge- noch das Umgangsrecht ausüben könne. Auch die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG seien erfüllt, insbesondere sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Diesbezüglich werde auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Wiederholungsgefahr und im Hinblick auf Betäubungsmitteldelikte verwiesen. Im Lichte dessen sei zu sehen, dass der Antragsteller aufgrund von Betäubungsmitteldelikten bei gleichzeitig eigener Sucht strafrechtlich verurteilt worden sei. Zwar hätte für ihn gesprochen, dass er zunächst nach Durchlauf des Maßregelvollzugs auf Bewährung freigelassen worden sei. Jedoch habe er gegen gerichtliche Weisungen verstoßen und wieder mit dem Rauschgiftkonsum angefangen, sodass die Bewährung widerrufen worden sei. Besonders bedenklich befinde die Antragsgegnerin dabei, dass der Antragsteller offenbar mit dem Ziel, die „Bewährung“ zu behalten, nicht davor zurückgeschreckt sei, das Amtsgericht Fürth mit der Vorlage des Attests eines gerichtsbekannten und offenbar nicht besonders glaubwürdigen Arztes zu bedenken, um damit die Legende eines medizinisch indizierten und somit legitimierten Cannabiskonsums für sich geltend zu machen. Von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr sei im Übrigen erst auszugehen, wenn der Antragsteller ein zukünftig drogen- und straffreies Verhalten auch nach Therapieende glaubhaft gemacht habe. Dies sei vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte auf die zulässige Höchstfrist von zehn Jahren festgesetzt. Hieran ändere auch die bevorstehende Geburt des möglicherweise deutschen Sohnes des Antragstellers nicht. Die Anordnung des Sofortvollzugs werde damit begründet, dass diese für eine Abschiebung aus der Strafhaft unabdingbar sei und andernfalls dem Antragsteller die Option der Fortsetzung delinquenten Handelns eingeräumt würde.
Am 15. Oktober 2020 ließ der Antragsteller durch seinen damaligen Bevollmächtigten Anfechtungsklage erheben und mit weiterem Schriftsatz ebenfalls am 15. Oktober 2020 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2020 hinsichtlich der Ausweisung des Antragstellers aus der Bundesrepublik Deutschland wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage sei anzuordnen, da das Rechtsmittel aller Voraussicht nach Erfolg haben werde. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten. Die Antragsgegnerin stelle einseitig die Gründe heraus, die für eine Ausweisung des Antragstellers aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sprechen würden. Die gewichtigen Gründe, die gegen eine solche Ausweisung sprächen, würden nicht dargestellt bzw. falsch gewürdigt. Gegen die Ausweisung spräche insbesondere, dass der Antragsteller in … geboren worden sei und sich ohne Unterbrechung in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe und eine Niederlassungserlaubnis besitze. Er habe zudem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80. Der Antragsteller habe familiäre Bindungen in Deutschland und einen Sohn, der im Oktober 2020 zur Welt komme und voraussichtlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Bindungen zur Türkei habe er hingegen nicht, sodass die Ausweisung eine besondere Härte darstelle. Nach alldem überwögen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Die Interessenabwägung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ergebe, dass dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben sei, da grundsätzlich kein öffentliches Interesse an der Durchsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts bestehe. Auch die Begründung des Sofortvollzugs im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO sei lediglich pauschal und formelhaft und genüge dem Begründungserfordernis nicht.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2020 beantragte die Antragsgegnerin, die Klage abzuweisen und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antrag abzulehnen.
Der Eilantrag sei abzulehnen, da die Ausweisung des Antragstellers rechtmäßig gewesen sei. Zudem habe die Antragsgegnerin ausreichend dargelegt, warum die Anordnung der Sofortvollzugs im öffentlichen Interesse als sachgerecht erscheine. Ein Einzelfall sei hier durchaus gegeben, da der Antragsteller Straftäter aus dem Rauschgiftbereich sei und für dessen Gefährlichkeit eine denkbar ungünstige Zukunftsprognose gegeben sei. Es sei unumgänglich, den Aufenthalt aus der Strafhaft heraus zu beenden, da andernfalls mit der Fortsetzung der strafrechtlichen Karriere im Inland zu rechnen sei. Die getroffene Gefährdungsprognose sei zudem von der Antragstellerseite in keiner Weise erschüttert worden.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die zum Verfahren beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Die Kammer legt das Antragsbegehren der Antragsschrift gem. § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO zu Gunsten des Antragstellers dahingehend aus, dass sich der Antrag nicht nur auf die in Ziff. 1 verfügte und in Ziff. 5 für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung bezieht. Denn andernfalls könnte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kein Rechtsschutz gegen die nach Art. 21a VwZVG gesetzlich sofort vollziehbaren Zwangsmaßnahmen aus Ziff. 3 und 4 des Bescheides erlangt werden.
Der insoweit statthafte und im Übrigen auch zulässige Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 21. September 2020 ist unbegründet.
Nach summarischer Prüfung und vorläufiger Auffassung der Kammer dürfte zudem der Antrag bereits unzulässig sein, soweit er die Befristungsentscheidung in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids betreffen sollte. Eine Anfechtung der gem. § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG de lege sofort vollziehbaren Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 S. 1 AufenthG in der Hauptsache würde nämlich zur unbegrenzten Wirkung des nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbotes führen, was schwerlich dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers entspricht, sodass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht ersichtlich ist. Stattdessen kommt wohl allenfalls ein Verpflichtungsantrag auf Verkürzung der Sperrfrist in Betracht, welcher jedoch nicht im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern im Rahmen eines Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verfolgen wäre.
Fraglich ist im Übrigen ebenfalls, ob der Antrag statthaft ist, soweit er sich gegen das in Ziff. 2 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot richten sollte, da diesbezüglich bereits die Erhebung der Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung entfalten könnte (vgl. zur Problematik VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – juris Rn. 41). Dies kann jedoch dahinstehen, da das Einreise- und Aufenthaltsverbot in der Sache jedenfalls rechtmäßig erlassen wurde und der Eilantrag diesbezüglich jedenfalls unbegründet wäre (vgl. dazu unten).
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung formal ordnungsgemäß begründet (1.). Weiterhin ist die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21. September 2020 nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig (2.) und die Anordnung des Vollzugs schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich, weil die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung überwiegen (3.). Ebenso stellen sich die getroffenen Annexentscheidungen voraussichtlich als rechtmäßig dar (4.).
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ist formal ordnungsgemäß, insbesondere genügt sie dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen ist. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Ausgehend von dem Ansatz, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung betrifft, ist es zwingend, dass es auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht ankommen kann. Es reicht eine schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55). Die Begründung muss nicht ausführlich sein; aus ihr muss jedoch hervorgehen, dass und warum die Verwaltung im konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 80 Rn. 247).
Nach diesen Maßstäben genügt die Begründung der Antragsgegnerin den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Die Antragsgegnerin führt aus, dass die Anordnung im überwiegenden öffentlichen Interesse erfolge. Der Antragsteller biete nicht mehr die Gewähr dafür, sich im Inland rechtstreu zu führen. Der Erfolg der ordnungsrechtlichen Maßnahme hänge entscheidend und maßgeblich davon ab, dass der Antragsteller aus der Strafhaft heraus abgeschoben werden könne, um das Risiko weiterer Straftaten durch ihn zu minimieren. Unterbliebe die Anordnung, so hätte die Klage gegen die Ausweisungsverfügung aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass das Aufenthaltsrecht des Antragstellers bis zur Entscheidung in letzter Instanz erhalten bliebe. Der Antragsteller habe die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in einem Eilverfahren überprüfen zu lassen.
Die Antragsgegnerin war sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung sowie des Erfordernisses einer Abwägung bewusst, indem sie dem öffentlichen Interesse den Vorrang vor den Belangen des Antragstellers eingeräumt hat. Die erfolgte Begründung versetzt den Antragsteller zudem in die Lage, seine Rechte wirksam zu verfolgen.
2. Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20). Nach den danach auch im Eilentscheidungsverfahren anzuwendenden aktuellen gesetzlichen Bestimmungen erweist sich die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin voraussichtlich als rechtmäßig.
Die formell rechtmäßige Ausweisung des Antragstellers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Da dem in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Antragsteller ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach den Vorschriften des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zusteht, ist zusätzlich § 53 Abs. 3 AufenthG zu beachten. Demnach darf ein insoweit privilegierter Ausländer nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Die aktuelle Fassung von § 53 Abs. 3 AufenthG gibt damit die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (vgl. EuGH, B.v. 8.12.2011 – Ziebell C-371/80 – juris, BayVGH, U.v. 5.3.2013 – 10 B 12.2219 – juris Rn. 31) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten und die die Antragsgegnerin im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids geprüft und eingestellt hat. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG sind hier erfüllt.
Die Kammer geht im Wege einer summarischen Prüfung mit der Antragsgegnerin davon aus, dass das persönliche Verhalten des Antragstellers eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit seinem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt.
Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schwerwiegend, weil der Antragsteller schwere Straftaten begangen hat und eine erhebliche Wiederholungsgefahr bis heute besteht.
a) Dem geschilderten Sachverhalt, der der strafrechtlichen Verurteilung vom 16. November 2016 zu Grunde liegt, lässt sich entnehmen, dass der Antragsteller Teil einer bandenmäßigen Gruppierung gewesen ist, die Cannabis im Umfang mehrerer Kilogramm in den Bereich … verbracht und anschließend weiterverkauft hat. Der Antragsteller selbst war dabei selbst sowohl beim Transport, als auch beim Weiterverkauf maßgeblich involviert und wurde deswegen wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Durch das aufgezeigte Verhalten hat der Antragsteller unzweifelhaft die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schwerwiegend gefährdet. Insbesondere Delikte im Bereich der Drogenkriminalität stellen schwerwiegende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, die mit ganz erheblichen Gefährdungen der Gesundheit der Bevölkerung verbunden sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 11 m.w.N.; HessVGH, B.v. 15.2.2016 – 3 A 1482/14.Z – juris Rn. 14). Bei der Verhinderung weiterer Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität handelt es sich zudem um ein überragend wichtiges Interesse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 19, 20 m.w.N.; BayVGH, U.v. 27.9.2012 – 10 B 10.1084 – juris Rn. 50).
b) Die vom Antragsteller ausgehende Gefahr dauert bis heute an, sodass eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris m.w.N.; U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der Schutzgüter eintreten wird (BR-Drs. 642/14, S. 55). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris und U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind bei der Bewertung der Wiederholungsgefahr an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 14 ff.). Die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 (oder § 67d Abs. 2) StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar, von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Wiederholungsgefahr zumindest in der Regel wegfällt (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18).
Vorliegend ist zu Gunsten des derzeit inhaftierten Antragstellers zu berücksichtigen, dass auf Grund der – soweit ersichtlich inzwischen erfolgten – Geburt seines Sohnes möglicherweise von einer gewissen Zäsur in seinen Lebensverhältnissen ausgegangen werden kann. Die Kammer verkennt dabei auch nicht, dass der Antragsteller sich zuletzt selbst den Strafverfolgungsbehörden gestellt hat und nach eigenen Angaben „reinen Tisch“ machen wollte. Zudem wird erkannt, dass der Antragsteller beabsichtigt, seine Lebensverhältnisse zu ändern und mit seiner Freundin – der Kindsmutter – zusammenzuziehen.
Diese genannten – und auch vom Antragsteller vorgetragenen – Gesichtspunkte sind jedoch nicht dazu geeignet, die im Folgenden dargestellten, zu Lasten des Antragstellers zu wertenden, Aspekte aufzuwiegen:
Dabei ist zunächst die in der Vergangenheit gezeigte Delinquenz des Antragstellers in den Blick zu nehmen. Der – der Ausweisung zu Grunde liegenden – Anlasstat gingen bereits vier rechtskräftige Verurteilungen voraus. Auf Grund dieser wurde der Antragsteller bereits mehrfach durch die Antragsgegnerin ausländerrechtlich verwarnt. Dem Auszug aus dem Bundeszentralregister lässt sich ferner entnehmen, dass der Antragsteller in zwei Fällen gegen jugendrichterliche Weisungen verstoßen bzw. Auflagen zuwidergehandelt hat. Kulminiert ist dieses Verhalten schließlich in der ausreichend dargestellten Anlasstat. Diese hat eine beachtliche kriminelle Energie des Antragstellers aufgezeigt, was sich auch in der empfindlichen Höhe der verhängten Einheitsjugendstrafe niedergeschlagen hat. Der Antragsteller hat sich folglich in der Vergangenheit weder auf Grund strafrechtlichen Verurteilungen, noch von drohenden ausländerrechtlichen Konsequenzen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen. Im Gegenteil: Die Intensität der begangenen Straftaten nahm stets zu.
Die Kammer geht auch auf Grund der Persönlichkeit des Antragstellers von einer Wiederholungsgefahr aus. Diesem ist es bislang nicht gelungen, sich längerfristig in das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Vor seiner Inhaftierung im Jahr 2015 war der Antragsteller arbeitslos, da ihm seine letzte Beschäftigung nicht mehr gefallen habe. Auch nach seiner letztmaligen Entlassung aus dem Maßregelvollzug am 8. Februar 2019 verlor der Antragsteller seinen Job bei der Firma … im Juli 2019. Bis zu seiner letztmaligen Inhaftierung war der Antragsteller dann – soweit ersichtlich – befristet für ein Jahr als Feinkostverkäufer beschäftigt. Die berufliche Vita des Antragstellers ist damit allenfalls von kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen geprägt, ohne dass es zu einer dauerhaften Beschäftigung des Antragstellers gekommen ist.
Geprägt war und ist das Leben und die Persönlichkeit des Antragstellers weiterhin vom Drogenkonsum. So konsumierte er seit seinem 14. Lebensjahr Cannabis und darüber hinaus seit seinem 18. oder 19. Lebensjahr auch Kokain. Diese Drogenabhängigkeit sei, dem Landgericht Nürnberg-Fürth zu Folge, auch die Ursache für die der Verurteilung vom 16. November 2016 zu Grunde liegenden Taten gewesen. Der langjährige Drogenkonsum durch den Antragsteller hat sich auch nicht zur die zwischenzeitlich erfolgte Maßnahme des Maßregelvollzugs (Drogentherapie) „erledigt“. Denn den Schilderungen des Bezirkskrankenhauses … (Bl. 328 ff. der Behördenakte) und des Bewährungswiderrufs des Amtsgerichts Fürth vom 12. März 2020 (Bl. 284 ff. der Behördenakte) ist zu entnehmen, dass sich der Antragsteller auch während und insbesondere nach Abschluss des Maßregelvollzuges am 8. Februar 2019 nicht weisungsgemäß Verhalten hat und es deswegen zu einem Widerruf der Bewährung gekommen ist. Bereits während des Aufenthalts im Maßregelvollzug wurde der Antragsteller mehrfach positiv auf Alkohol- und Drogenkonsum getestet, was zeitweise zur Rücknahme von Lockerungen geführt hat. Auch nach der Entlassung und der Strafaussetzung zur Bewährung hatten sich dem Bezirksklinikum … zufolge mehrere punktuelle Suchtmittelrückfälle ereignet und es sei zu Unzuverlässigkeiten gekommen. Auch im Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 12. März 2020 wird das weitere Verhalten des Antragstellers nach der Entlassung ausführlich beschrieben. So habe der Antragsteller auch mehrfach Termine bei seinem Bewährungshelfer unentschuldigt nicht wahrgenommen und weiter Drogen konsumiert. Am 10. Dezember 2019 habe der Antragsteller dem Amtsgericht Fürth – vermutlich zur „Entschuldigung“ seines Drogenkonsums – das Attest eines gerichtsbekannten Arztes vorgelegt, aus dem hervorgehe, dass der Antragsteller aus medizinischen Gründen Cannabis konsumieren müsse. Dieses „Attest“ stehe jedoch in Diskrepanz zu der Haarprobe des Antragstellers, bei der lediglich der gelegentliche bis regelmäßige Konsum von Kokain und der gelegentliche Umgang mit MDMA nachgewiesen wurde. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte schließt sich die Kammer der Einschätzung des Amtsgerichts Fürth an, dass der Antragsteller im Hinblick auf seinen Drogenkonsum keinen ernsthaften Therapiewillen hat, sondern diesen stets dann bekundet, wenn ihm dies Vorteile verspricht. Der Antragsteller hat seine Suchtmittelproblematik damit keinesfalls überwunden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann bei Straftaten, die ihre (Mit-)Ursache in einer Suchtmittelproblematik haben, von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr jedoch regelmäßig nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende hinreichend in Freiheit bewährt hat (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 30.3.2020, – 10 ZB 19.1903 – juris Rn. 5; B.v. vom 16.9.2019 – 10 ZB 19.1614 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Der Kammer erschließt sich auch nicht, wie der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung im Behördenverfahren zu der Einschätzung gelangen konnte, dass er sich sei seiner Verurteilung im Jahr 2015 (gemeint ist wohl 2016) nichts mehr habe zu Schulden kommen lassen (vgl. Bl. 268 f. der Behördenakte), obwohl er – wie ausgeführt – wiederholt und mehrfach gegen strafrichterliche Weisungen verstoßen und u.a. weiterhin Betäubungsmittel konsumiert hat. Vielmehr zeigt diese Einlassung, dass es dem Antragsteller nach wie vor an Unrechtsbewusstsein fehlt und dieser sich nicht ausreichend mit seiner Delinquenz auseinandergesetzt hat. Gestützt wird diese Einschätzung auch dadurch, dass der Antragsteller zur vermeintlichen Entschuldigung seines Drogenkonsums ein Gutachten eines für die Verschreibung von Cannabisprodukten bekannten Arztes vorgelegt hat. Auch andere Aussagen des Antragstellers in seiner Stellungnahme decken sich nicht mit der Aktenlage. So steht der Antragsteller beispielsweise – entgegen seiner ausdrücklichen Angaben im Anhörungsschreiben aus dem August 2020 – bereits seit Mai 2020 gerade nicht mehr mit seiner Therapieeinrichtung im Kontakt (vgl. Bl. 328 f. der Behördenakte).
In der Gesamtschau geht die Kammer deswegen davon aus, dass vom Antragsteller wohl weiterhin eine Gefahr ausgeht und auch zukünftig mit erneuten Straftaten des Antragstellers zu rechnen ist. Insbesondere die unbehandelte Suchtproblematik, die schwere Delinquenz des Antragstellers und die damit verbundenen Gefahren für bedeutende Rechtsgüter, sowie das Verhalten des Antragstellers im und nach dem Maßregelvollzug lassen die Kammer von einer Wiederholungsgefahr ausgehen.
c) Die Ausweisung ist wohl unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Antragstellers nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 55 AufenthG überwiegt.
aa) In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind auch die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer; da der Antragsteller wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und damit zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG gegenüber, da der Antragsteller bis zum Erlass der gegenständlichen Ausweisungsverfügung eine Niederlassungserlaubnis besaß und im Bundesgebiet geboren wurde. Mit der Antragsgegnerin geht die Kammer jedoch davon aus, dass der Antragsteller auf Grund der geltend gemachten Geburt seines Kindes, für das weder eine Abstammungsurkunde, noch eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt wurden, kein schwerwiegendes Bleibeinteresse hat. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht erfüllt, da der Antragsteller auf Grund seiner Inhaftierung mit seinem Sohn nicht in einer Lebensgemeinschaft lebt. Ob und inwieweit der Antragsteller ein etwaiges Personensorge- oder Umgangsrecht aus der Justizvollzugsanstalt ausübt bzw. ausüben kann, wurde von Seiten des Antragstellers weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
bb) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 17.226 – juris Rn. 6 ff. m.w.N.).
In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungsund Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner überwiegt voraussichtlich das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Antragstellers:
(1) Der Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland dauert seit seiner Geburt an und fällt daher als intensive Bindung erheblich ins Gewicht. Ob man den Antragsteller dabei als sog. faktischen Inländer bezeichnet oder nicht ist unerheblich, da in jedem Falle selbst für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot besteht (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 16). Zudem entbindet die Bezeichnung eines Ausländers als faktischer Inländer nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Dabei ist bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2020 – 19 ZB 20.917 – Rn. 26). Der Antragsteller hat seine wesentlichen persönlichen Bindungen im Bundesgebiet, seine Familie bzw. seine Mutter, seine Freundin und sein – soweit ersichtlich – inzwischen geborener Sohn leben im Bundesgebiet. Das Gewicht seiner familiären Bindungen zu seiner Mutter wird indes dadurch gemindert, dass der Antragsteller als erwachsener Mann grundsätzlich nicht mehr auf die Fürsorge und Unterstützung seiner Familie angewiesen ist, sondern ein eigenständiges Leben führen kann, wenngleich er vorliegend soweit ersichtlich zuletzt bei seiner Mutter gelebt hat. Soweit von einer schützenswerten Bindung zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn auszugehen wäre, sei angemerkt, dass der Antragsteller diese Bindung bislang auf Grund seiner Inhaftierung kaum persönlich pflegen konnte. Dies wird im auch in naher Zukunft nicht möglich sein, da davon auszugehen ist, dass der Antragsteller auf Grund der geschilderten Strafsache voraussichtlich noch bis September 2021 inhaftiert sein wird. Darüber hinaus steht für den Antragsteller prognostisch auch eine neuerliche Verurteilung auf Grund weiterer angeklagter Drogendelikte im Raum. Ein Aufbau einer vertieften persönlichen Bindung zu seinem Sohn wird dem Antragsteller damit auch zunächst bei einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich und insoweit allenfalls auf gelegentliche Besuche in der Justizvollzugsanstalt beschränkt sein. Gerade im Hinblick auf die Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten müssen die im Bundesgebiet bestehenden persönlichen Bindungen zurücktreten. Dem Antragsteller und seiner Familie muss zugemutet werden, die bestehenden familiären Bindungen in anderer Form, beispielsweise über moderne Kommunikationsmittel, aufrecht zu erhalten. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers, die ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, zusammen mit dem gemeinsamen Kind den Antragsteller regelmäßig in der Türkei besucht.
Auch in beruflicher Hinsicht ist dem Antragsteller keine dauerhafte Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland gelungen. Wie bereits dargestellt, arbeitete der Antragsteller bei keinem seiner Arbeitgeber langfristig. Er wurde entweder entlassen oder sein Arbeitsverhältnis wurde nicht verlängert. Auch sein letzter Arbeitsvertrag vor der neuerlichen Inhaftierung war nur bis August 2020 befristet. Nach Entlassung aus der Haft könnte der Antragsteller damit zunächst keine Arbeitsstelle vorweisen.
(2) In der Türkei als seinem in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Herkunftsstaat habe sich der Antragsteller nach seinen Darlegungen im Rahmen der Anhörung zuletzt vor 13 Jahren aufgehalten. Der Antragsteller habe zur Türkei überhaupt keinen Bezug und er fühle sich deutsch. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Antragsteller die türkische Sprache beherrscht. Auch wenn er zu gegebenenfalls in der Türkei lebenden Verwandten derzeit keinen Kontakt haben sollte, bestehen zur Überzeugung der Kammer gleichwohl familiäre Anknüpfungspunkte, die ihm die Integration in der Türkei erleichtern. Das Gericht geht davon aus, dass es dem Antragsteller möglich sein wird, sich in der Türkei wirtschaftlich zu integrieren.
(3) Wägt man nun die besonders schützenswerten Belange des Antragstellers, insbesondere seine Stellung als in der Bundesrepublik Deutschland geborener Ausländer, mit den von ihm wiederholt begangenen Straftaten ab, kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die begangenen Straftaten und die damit verbundene konkrete, nicht ausgeräumte erhebliche Rückfallgefahr die Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet überwiegen. Zwar lebt der Antragsteller seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland und auch seine Familie lebt hier, gleichwohl ist dem Antragsteller eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesichts der aufgezeigten schweren Delinquenz, seines Drogenkonsums und einer fehlenden dauerhaften Beschäftigung nicht gelungen.
Hinsichtlich des Schutzes der Familienbeziehungen ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. EuGH, U.v. 18.10.2006 – C 46410/99 – juris Rn. 57 ff.). Gleiches betont auch das Bundesverfassungsgericht (z.B. BVerfG (Kammer), B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23). Dabei ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Vorliegend wurde bereits festgestellt, dass der Antragsteller auf Grund seiner Inhaftierung zunächst auch in der Bundesrepublik Deutschland kein vertieftes Näheverhältnis zu seinem Sohn aufbauen können wird. Von einer derzeit bestehenden bzw. gelebten Vater-Kind-Beziehung kann jedenfalls nicht ausgegangen werden, eine solche ist auch nicht glaubhaft gemacht worden. Ein darüber hinausgehendes Näheverhältnis ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
d) Die Ausweisung erweist sich wohl auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggf. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (vgl. EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/ Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/ Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Schutz des Privatlebens des Antragstellers aus Art. 8 EMRK der Ausweisung als Eingriff in dieses Grundrecht nicht entgegensteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obige Abwägung verwiesen, denn wie bereits erwähnt, wäre selbst bei einem sog. faktischen Inländer, bei dem von einem besonders geschützten Familien- und Privatleben auszugehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 – BVerwGE 129, 367), eine Ausweisung nicht schlechthin unmöglich. Der Schutz des Privat- und Familienlebens fordert in diesen Fällen lediglich, dass die Ausweisung nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf und dabei die besondere Situation eines Ausländers, der sich seit seiner Geburt oder frühem Kindesalter im Bundesgebiet aufhält, Berücksichtigung finden muss (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 35 m.w.N.). Dies ist hier erfolgt. Angesichts der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten durch den persönlichkeitsproblematischen, mehrfach straffälligen und rückfälligen Antragsteller ist deshalb der Umstand, dass er in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist und hier sein bisheriges Leben verbracht hat, nicht so gewichtig, dass dies unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der angefochtenen Ausweisungsentscheidung entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2013 – 10 ZB 12.2311 – juris Rn. 6).
e) Der Ausweisung des Antragstellers steht auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entgegen. Zum derzeitigen Stand überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung sein privates Bleibeinteresse, zumal der vom Antragsteller begangene illegale Drogenhandel vom Europäischen Gerichtshof als Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten dargestellt wird und damit die Unterbindung zumindest im Falle des bandenmäßigen Handels sogar einen schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bezeichnet (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 46).
Nach alldem erscheint die Ausweisungsverfügung als voraussichtlich rechtmäßig.
3. Die Anordnung des Vollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2016 – 19 CS 16.878). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die bereits für den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens festzustellender Gefahren für die öffentlichen Belange sind unter Berücksichtigung der von den Straftaten des Antragstellers tangierten hohen Rechtsgütern von derartigem Gewicht, dass sie etwaige schutzwürdige Interessen des Antragstellers an der Erhaltung des Suspensiveffekts überwiegen, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung eine schwerwiegende Maßnahme darstellt, die erheblich in das Leben des Antragstellers eingreift. Er wird schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens gezwungen sein, das Bundesgebiet zu verlassen, hier bestehende Bindungen zu unterbrechen und das Leben im Heimatland zu bestreiten.
Jedoch ist zu beachten, dass es sich bei Drogenkriminalität um eine schwere Form der Kriminalität handelt, die eine nicht unerhebliche Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen wiederholt Kriminellen mit vielfältiger Delinquenz, der im Anschluss an eine Entziehungsmaßnahme rückfällig geworden ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller in wirtschaftlicher Hinsicht bisher nicht im Bundesgebiet integriert ist, der Sofortvollzug also nicht mit dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden ist. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Familie des Antragstellers durch seine Abwesenheit in eine finanzielle Notlage geraten wird. Denn der Antragsteller wird seinem Sohn und seiner Lebensgefährtin derzeit auf Grund seiner Inhaftierung ohnehin keinen finanziellen Unterhalt gewähren können, sodass sich für diese dahingehend durch die Aufenthaltsbeendigung keine nachteilige Veränderung ergeben wird. Während der Abwesenheit des Antragstellers kann die Familie des Antragstellers zudem Kontakt zu diesem mittels Telekommunikation oder Besuchen in der Türkei halten. Dem Antragsteller ist eine soziale Wiedereingliederung im Bundesgebiet für den Fall des Obsiegens im Hauptsacheverfahren durchaus möglich und auch zuzumuten. Die Wirkungen des Sofortvollzugs sind im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller mithin weitgehend reparabel. Dies gilt für die durch einen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Realisiert sich die beschriebene konkrete Gefahr, dass der Antragsteller im Bundesgebiet erneut Straftaten, insbesondere im Bereich der Drogenkriminalität begeht, sind die dann eingetretenen Schädigungen regelmäßig nicht wiedergutzumachen.
4. Die zu überprüfenden ausländerrechtlichen Annexentscheidungen des Bescheids, unter Ziff. 2, 3 und 4, das Einreise- und Aufenthaltsverbot, die Abschiebungsankündigung, die (hilfsweise) Abschiebungsandrohung und die dem Antragsteller zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist, sind voraussichtlich nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 11, 58 und 59 AufenthG; unabhängig davon wird – ohne, dass dies hier mit Blick auf den vorgenannten Prüfungsumfang zwingend angezeigt ist, – lediglich ergänzend festgehalten, dass eine ermessensfehlerhafte Befristungsentscheidung weder geltend gemacht wurde noch nach der derzeitigen Aktenlage ersichtlich ist (§ 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Zur weiteren Begründung der Entscheidungen wird nach § 117 Abs. 5 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2020 verwiesen.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1,154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.


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