Strafrecht

Bedeutung der Aussetzung des Rests einer Freiheitsstrafe für die Gefahrenprognose bei der Ausweisung

Aktenzeichen  19 CS 16.2466

Datum:
2.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NVwZ – 2017, 1637
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BtMG § 35, § 36 Abs. 1 S. 3, Abs. 2
StGB § 56 Abs. 1 S. 2, § 57 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 53

 

Leitsatz

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 (2 BvR 1943/16) hat bindende Wirkung für das vorliegende Verfahren. Ihre Begründung gibt jedoch zu erheblichen Bedenken Anlass. Dies betrifft insbesondere die Annahme im Beschluss vom 19. Oktober 2016, die ausweisungsrechtliche Gefahrenprognose unterliege dem selben Maßstab wie die Gefahrenprognose für die Entscheidung über die Strafrestaussetzung (sodass unterschiedliche Gefahrenprognosen in beiden Bereichen gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung verstießen), sowie die Annahme, aus rechtstreuem Verhalten unter dem Legalbewährungsdruck einer Strafrestaussetzung sei eine positive Ausweisungsprognose abzuleiten, solange nicht offensichtlich ist, dass die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind.

Verfahrensgang

AN 5 S 16.618 2016-05-25 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Unter entsprechender Abänderung des Ergebnisses des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO (B.d. Verwaltungsgerichts vom 18.8.2015, Az. AN 5 S 15.778; Senatsb.v. 21.3.2016, Az. 19 CS 15.1913) sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2015 nach § 80 Abs. 7 VwGO wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO in beiden Instanzen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2016 zwar von „starken Indizien für das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Ausweisung und Abschiebung“ aus (S. 10), hat aber gleichwohl entschieden, dass bei dem Antragsteller angesichts der Entscheidung des Strafgerichts, den Rest der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen (B.v. 6.5.2016 nach § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG), und des Fehlens einer substantiierten Begründung für die Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Einschätzung (des Fehlens einer breiteren Tatsachengrundlage, wie sie etwa dann vorliegt, wenn die Ausländerbehörde oder das Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt) im ausländerrechtlichen Verfahren von einer relevanten Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann. Angesichts der (im Rahmen von Aufhebung und Zurückverweisung) den Senat bindenden höchstgerichtlichen Feststellung, dass eine relevante Wiederholungsgefahr fehlt, kann der Senat weder von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Ausweisungsbescheides vom 6. Mai 2015 noch von einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses über die privaten Belange des Antragstellers ausgehen, sodass dem Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO stattzugeben ist.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben für die Praxis (auch wenn es sich – wie vorliegend – um Kammerentscheidungen handelt, die den Offensichtlichkeitsmaßstab des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfG zugrunde legen, kurz gefasst sind und keine vertiefte Problemaufbereitung enthalten) Bedeutung über den entschiedenen Fall hinaus und wirken maßstabbildend. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt die Annahme zugrunde, über die Aussetzung eines Strafrests nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG (diese Vorschrift regelt – ebenso wie § 57 StGB – eine Strafrestaussetzung, also die Aussetzung einer Strafe nach Teilverbüßung; es ist offen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der B.d. BVerfG ausschließlich von „Strafaussetzung“ und auf S. 7 von einer Aussetzung der „Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe“ spricht) werde anhand derjenigen Sozialprognose entschieden, die auch Voraussetzung einer Ausweisungsentscheidung ist, und deshalb müsse die ausweisungsrechtliche Prognose einer relevanten Wiederholungsgefahr nach einer Strafrestaussetzung besonders begründet werden (auf einer Tatsachengrundlage, die breiter ist als diejenige, auf der die Strafrestaussetzung beruht). Angesichts der erwähnten Breitenwirkung dieser Ausgangsannahme im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hält es der Senat für erforderlich, seinen Bedenken gegen diese Annahme Ausdruck zu geben (I.). Dasselbe gilt für die Annahme im Beschluss des Bundeverfassungsgerichts, die Senatsentscheidung vom 9. September 2016 beruhe auf keiner breiteren Tatsachengrundlage als die Strafrest-Aussetzungsentscheidung (II.).
I.
Die Auffassung in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016, nur bei einer breiteren Tatsachengrundlage dürfe im Ausweisungsverfahren von der in einer Strafrestaussetzung liegenden positiven Sozialprognose abgewichen werden, beruht auf der Annahme, die Frage der Wiederholungsgefahr habe im Strafvollstreckungsrecht und im Ausweisungsrecht dieselbe Bedeutung (also denselben Bezugsrahmen). Der Grundsatz, dass sich das Gericht bei der Prognoseentscheidung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die dem Richter allgemein zugänglich sind, und es nur ausnahmsweise der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG in st.Rspr., u.a. U.v. 04.10.2012 – 1 C 13/11 – BVerwGE 144, 230, juris Rn. 12; vgl. auch Beschlüsse vom 6.5.1983 – 1 B 68.83 – ZfSH/SGB 1983, 499/500; vom 14.2.1984 – 1 B 10.84 – Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102; vom 21.5.1986 – 1 B 74.86 – ZfSH/SGB 1986, 458; vom 30.12.1988 – 1 B 123.88 – a.a.O.; vom 4.5.1990 – 1 B 82.89 – Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14.3.1997 – 1 B 63.97 – Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.; im gleichen Sinn betreffend strafrechtliche Prognoseentscheidungen vgl. BVerfG, U.v. 8.10.1985 – 2 BvR 1150/80, 2 BvR 1504/82 – BVerfGE 70, 297, juris Rn. 34 und B.v. 2.05.2002 – 2 BvR 613/02 – NJW 2002, 2773, juris Rn. 6), wird im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage gestellt; das Prognosegutachten wird im höchstgerichtlichen Beschluss lediglich als eine von mehreren Möglichkeiten erwähnt, eine unzureichende Tatsachengrundlage zu verbreitern (im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg, B.v. 23.03.2017 – 11 ME 72/17 – juris).
Hätte die Wiederholungsgefahr in beiden Bereichen denselben Bezugsrahmen, würde der rechtswegübergreifende Grundsatz gelten, dass eine Frage, die in einem Gerichtsverfahren bereits geklärt ist, in einem anderen Gerichtsverfahren nur mit besseren Gründen anders entschieden werden darf (zu Feststellungen der Strafgerichte, die für das Ausweisungsverfahren bedeutsam sind, vgl. bereits BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris, zu § 47 Abs. 1 AuslG 1990 sowie vom 8.5.1989 – 1 B 77.89 – InfAuslR 1989, 269 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965, st. Rspr.; zu strafgerichtlichen Feststellungen, die für zivilrechtliche Ansprüche bedeutsam sind, vgl. BGH, U.v. 27.9.1988 – XI ZR 8/88 – BGHR EGZPO § 14 Abs. 2 Nr. 1 Strafurteil 1 und vom 22.9.1982 – IVb ZR 576/80 – BGHZ 85, 32, 35, sowie BAG, U.v. 22.1.1998 – 2 AZR 455/97 – NJW 1999, 82 ; zu strafgerichtlichen Feststellungen, die für das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren bedeutsam sind, vgl. § 57 Abs. 1 BDG sowie BVerwG, U.v. 11.2.2014 – 2 B 37.12 – juris, vom 29.11.2000 – 1 D 13.99 – BVerwGE 112, 243, 245 sowie vom 16.3.2004 – 1 D 15.03 – Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; B.v. 24.7.2007 – 2 B 65.07 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11, vom 26.8.2010 – 2 B 43.10 – Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 5 sowie vom 15.3.2013 – 2 B 22.12 – juris Rn. 6 ff.).
Der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. B.v. 23.6.2016 – 1 B 77/16 – juris Rn. 4; U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – InfAuslR 2013,217, juris Rn. 17 ff.; U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – BVerwGE 112,185; B.v. 16.11.1992 – 1 B 197/92 – InfAuslR 1993,121, juris Rn. 4; B.v. 23.9.1987 – 1 B 97/87 – InfAuslR 1988,1; B.v. 19.10.1982 – 1 C 100.78 – InfAuslR 1983,34/35 re.Sp.; vgl. auch BVerfG, B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – InfAuslR 2001, 113, Juris Rn. 18,19) ist hinsichtlich von Strafrestaussetzungen ein anderer Standpunkt zu entnehmen. Dem insoweit grundsätzlichen Urteil vom 16. November 2000 (a.a.O.) zufolge ist eine Strafrestaussetzung nach § 57 StGB bei der ausländerrechtlichen Prognose von tatsächlichem Gewicht und stellt ein wesentliches Indiz dar, begründet aber keine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr. Die zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichte im Ausweisungsverfahren haben eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen und sind an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Sie haben auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Im Weiteren weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB (anders als bei einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB, vgl. BVerwG, U.v. 28.01.1997 – 1 C 17/94 – InfAuslR 1997,296, juris Rn. 23) eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen und dass die ausländerrechtliche Beurteilung eine längerfristige Gefahrenprognose als die Anwendung des § 57 Abs. 1 StGB erfordert. Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist es nicht erforderlich, im Rahmen einer negativen ausweisungsrechtlichen Prognose die Richtigkeit der Strafrestaussetzung zu widerlegen, weil letztere anderen Maßstäben zu genügen hat (einen anderen Horizont hat) als die im Ausweisungsverfahren zu erstellende Prognose. Dies gilt selbst dann, wenn die Strafvollstreckungskammer den Strafrest nach Einholung eines Prognosegutachtens ausgesetzt hat, denn auch ein solches Prognosegutachten ist an den (vom Ausweisungsrecht abweichenden) materiellen strafrechtlichen Voraussetzungen orientiert (BVerwG, U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 18).
Die Ausführung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016, Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte seien für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an die „Strafaussetzungsentscheidung“ der Strafvollstreckungskammer gebunden, solchen Entscheidungen komme aber eine erhebliche indizielle Bedeutung zu, könnte zwar als Bezugnahme auf die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verstanden werden. Die weitere Ausführung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, es bedürfe einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll, in Verbindung mit der Forderung nach einer breiteren Tatsachengrundlage, etwa einem Sachverständigengutachten, sowie die Heranziehung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung (S. 11) zeigen aber die Verfolgung des Ansatzes, dass eine Frage, die in einem Gerichtsverfahren bereits geklärt ist, in einem anderen Gerichtsverfahren nur mit besseren Gründen anders entschieden werden darf, und damit den Gegensatz zur bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung deutlich auf. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (ein Aufzeigen von Fehlern in dieser Rechtsprechung) ist dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entnehmen.
Der Senat ist der Auffassung, dass der Rechtsmeinung des Bundesverwaltungsgerichts die zutreffende Rechtsauslegung zugrunde liegt und keine Notwendigkeit im Ausweisungsverfahren besteht, die Richtigkeit der Strafrestaussetzung zu widerlegen. Strafrestaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen haben nicht dieselbe Prognose zur Grundlage; die Rechtsordnung ist insoweit aus guten Gründen nicht einheitlich. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist zu berücksichtigen, dass die in diesen beiden Rechtsbereichen zu erstellenden Prognosen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext gründen und deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren sind (systematische Auslegung, vgl. etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, JuS-Schriftenreihe 93, 11. Aufl. 2012, § 8 S. 36). Ein Beschluss über die Aussetzung des Strafrests trifft zur ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt, keine unmittelbar verwertbare Aussage; ihm ist insbesondere nicht die Überzeugung zu entnehmen, dass der Ausländer nach der Beendigung strafvollstreckungsrechtlicher Einwirkungen keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellen wird. Der Ausländer kann eine solche Bedrohung darstellen und die Strafrestaussetzung dennoch rechtmäßig sein. Die dezidierte Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Annahme einer Wiederholungsgefahr stelle kein Abweichen von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung dar (B.v. 16.11.1992 – Az. 1 B 197/92 – InfAuslR 1993,121, juris Rn. 4, vgl. auch die eingehende Erläuterung im U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 19), gibt die Rechtslage zutreffend wieder.
Entgegen der im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (S. 11 oben) geäußerten Auffassung wird ein Verurteilter durch rechtstreues Verhalten während der Inhaftierung, der Bewährungszeit oder der Zeit einer Zurückstellung der Strafvollstreckung dem vom deutschen Strafvollstreckungsrecht bezweckten Resozialisierungsziel nicht gerecht (es indiziert daher auch nicht, dass eine relevante Wiederholungsgefahr im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG nicht mehr besteht), sondern erst bei nachhaltig rechtstreuem Verhalten ohne ständige Pflichtenmahnung durch ein „Damoklesschwert“ (so bezeichnen Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 57 Rn. 1 die Möglichkeit, die Aussetzung des Strafrests zu widerrufen). Jedenfalls in Fällen nachhaltiger Delinquenz ist eine nachhaltige Resozialisierung oft nicht im Rahmen einer Strafvollstreckung zu erreichen (sinngemäß ebenso BVerfG, B.v. 16.3.1994 – 2 BvL 3/90, 2 BvL 4/91, 2 BvR 1537/88, 2 BvR 400/90, 2 BvR 349/91, 2 BvR 387/92 – BVerfGE 91,1, juris Rn. 90). Dies beruht unter anderem auf dem Umstand, dass mit der Begrenzung des Strafmaßes auf das Schuldangemessene auch die strafvollstreckungsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt sind. Es ist Aufgabe des Strafvollstreckungsrechts, aus den zu Gebote stehenden – derart begrenzten – Mitteln (z.B. probeweise Vollzugslockerung, Zurückstellung der Strafvollstreckung, Strafrestaussetzung, aber auch Verlängerung der Bewährungszeit, Widerruf begünstigender Maßnahmen usw.; der B.d. BVerfG v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 65 spricht insoweit von positiven und negativen Verhaltensverstärkern) diejenigen auszuwählen, die – unter Berücksichtigung des öffentlichen Sicherheitsinteresses – die Resozialisierungswahrscheinlichkeit so weit als möglich erhöhen. Die Art und der Umfang der jeweils anstehenden – für die Frage der nachhaltigen Resozialisierung nur begrenzt bedeutsamen – konkreten Vollstreckungsentscheidung bestimmen den Prognosehorizont und auch die Prognosetiefe. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geäußerte Auffassung, dass eine Strafrestaussetzung regelmäßig der Ausweisung entgegensteht, würde zu einer empfindlichen Störung dieses Strafvollstreckungssystems führen. Die Strafvollstreckungsbehörden sind sich derzeit nicht bewusst, dass eine Strafrestaussetzung regelmäßig vorgreiflich ist für die Frage der Ausweisung. Müssten sie von einer solchen Vorgreiflichkeit ihrer Entscheidung ausgehen, würden sie das Erprobungsmittel der Strafrestaussetzung in derartigen Fällen restriktiv handhaben, obwohl die Vorschriften (nicht zufällig, vgl. Nr. II.2. lit. d, aa) die mit einer restriktiven Handhabung einhergehende unterschiedliche Behandlung von deutschen Staatsangehörigen und Ausländern nicht vorsehen. Nachdem eine unterschiedliche Handhabung bei identischer Vorschriftenlage kaum zu rechtfertigen ist, könnte dies auch dazu führen, dass die Handhabung des Instituts der Strafrestaussetzung (entgegen den Absichten des Gesetzgebers) ganz allgemein restriktiver wird.
Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt die Aussetzung des Strafrestes unter anderem voraus, dass „dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“. Diese Formulierung weicht deutlich von der Formulierung der positiven Sozialprognose in § 56 StGB ab, der Vorschrift über Strafaussetzungen von Anfang an (bedingte Freiheitsstrafen). Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB erfolgt eine solche Strafaussetzung, „wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird“. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit eines (über die Bewährungszeit hinausgehenden) straffreien Verhaltens größer sein muss als diejenige neuer Straftaten (Stree/Kinzig, a.a.O., § 56 Rn. 17 mit Rspr.-Nachw.). In § 57 StGB, der Vorschrift über die Aussetzung desjenigen Strafrestes, der nach einer Teilverbüßung verbleibt, hat der Gesetzgeber diesen Prognosemaßstab nicht festgelegt. Insbesondere fordert er hier nicht, dass auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs Delinquenzfreiheit zu erwarten ist. Er hätte sonst die Möglichkeit der Aussetzung eines Strafrestes zu sehr eingeschränkt und dem mit der Aussetzung verbundenen Resozialisierungsinteresse nicht gedient (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 10; Kühl in Dreher/Maassen/Lackner, StGB, 28.. Aufl. 2014, § 57 Rn. 7; vgl. auch BGH, B.v. 25.04.2003 – StB 4/03, 1 AR 266/03 – NStZ-RR 2003,200 ff., juris Rn. 5 ff. und LS 1, wo hervorgehoben wird, dass bei der Strafrestaussetzung ein größeres Risiko als bei der Strafaussetzung nach § 56 eingegangen werden kann). Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung kann die Aussetzung des Strafrestes „verantwortet werden“ im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg spricht (eine reale Chance); eine Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung, also eine Unwahrscheinlichkeit neuer Straftaten (sie müssen nicht unbedingt einschlägig sein vgl. BGH, U.v. 28.06.2000 – 3 StR 156/00 – NStZ-RR 2001,15, juris Rn. 18 sowie BayObLG, U.v. 05.09.2002 – 5 St RR 224/2002 – NStZ-RR 2003, 105, juris Rn. 9 f.) oder eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ der Bewährung in Freiheit wird nicht gefordert (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 11 ff., Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 57 Rn. 14). Rechtsprechung und Literatur gehen ganz überwiegend davon aus, dass die (durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes v. 26.1.1998, BGBl I S. 160) mit Wirkung vom 31. Januar 1998 eingeführte Wendung „… erwartet werden kann“ gegenüber der vorher geltenden Formulierung „wenn erprobt werden kann“ keine inhaltliche Veränderung des Maßstabs herbeiführen sollte (Fischer, a.a.O., § 57 Rn. 13, Kühl, a.a.O., § 57 Rn. 7 sowie Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 9 und 15 jeweils mit Rspr.-Nachw.). Demzufolge bezieht sich die hier zu erstellende Prognose auf die Frage, ob bei dem Verurteilten eine Chance besteht, dass er die Bewährungszeit durchsteht (Kühl, a.a.O., § 57 Rn. 7: reale Bewährungschance). In Übereinstimmung hiermit formuliert das Bundesverwaltungsgericht in seiner bereits erwähnten Bewertung der Strafrestaussetzung im Rahmen der ausweisungsrechtlichen Gefahrenprognose, bei der Strafrestaussetzung stehe das Resozialisierungsinteresse im Vordergrund. Auf diese Rechtsprechung haben das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 25. Mai 2016 und auch der Senat in seinem Beschluss vom 9. September 2016 (S. 7) Bezug genommen.
Entgegen der in der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers geäußerten (und im Beschluss des BVerfG wiedergegebenen) Auffassung spricht es nicht gegen einen unterschiedlichen Prognosehorizont von Strafrestaussetzung und Ausweisung, wenn – wie vorliegend – die Dauer der Bewährungszeit und die Dauer der Ausweisungssperrfrist gleich festgelegt worden sind (jeweils auf fünf Jahre). Während die Dauer der Sperrfrist daran zu orientieren ist, wie lange die Gefahr für die Allgemeinheit voraussichtlich bestehen wird, wobei die persönlichen Belange auf der Seite des Ausgewiesenen berücksichtigt werden müssen sowie der Umstand, dass die persönliche Entwicklung nur etwa zehn Jahre vorhergesehen werden kann (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – NVwZ 2013,733 Rn. 40), steht bei der Strafrestaussetzung die Frage im Vordergrund, wie lange die Erprobung unter dem „Damoklesschwert“ (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 1) eines Widerrufs der Strafrestaussetzung andauern muss, um wenigstens eine reale Chance auf Straffreiheit zu bieten. Der Umstand, dass vorliegend die maximale Bewährungszeit festgelegt worden ist (die Bewährungszeit kann bis zu fünf Jahren ausgedehnt werden, vgl. § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 36 Abs. 4 BtMG), also der Legalbewährungsdruck so lange wie möglich wirken soll, lässt auf die Besorgnisse des Strafgerichts betreffend den Antragsteller schließen. Die Festlegung der Einreisesperrfrist auf fünf Jahre dagegen trägt den Umständen Rechnung, dass der Antragsteller gewichtige persönliche Belange geltend machen kann und dass bei einer Vorhersehbarkeit der persönlichen Entwicklung von maximal zehn Jahren die entsprechende Sperrfrist-Maximaldauer von zehn Jahren Fällen vorbehalten sein muss, in denen schwerste Straftaten begangen worden sind und gewichtige persönliche Belange fehlen. Im Übrigen bedeutet die Festlegung der Ausreisesperrfrist auf fünf Jahre (wegen ihrer Begrenzung auf das Vorhersehbare) nicht, dass nach dem Ablauf dieser Frist eine (nach den Einzelfallumständen fortbestehende) Gefährdung der Allgemeinheit hinzunehmen ist (BVerwG, U.v. 13.12.2012, a.a.O., a.E.).
Der Verzicht auf eine Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung als Voraussetzung für eine Aussetzung des Strafrestes beruht darauf, dass das mit einer Strafrestaussetzung verbundene Instrumentarium einschließlich des mit einem Aussetzungswiderruf verbundenen Legalbewährungsdrucks der Führungsaufsicht für Vollverbüßer überlegen ist (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 14). Das Strafvollstreckungsgericht muss sich für eine dieser beiden Möglichkeiten entscheiden, weil das Strafrecht im Hinblick auf Art. 3 GG und auf Art. 2 der Antidiskriminierungsrichtlinie (RL 2000/42/EG des Rates v. 29.6.2000, ABl L 180/22) zwischen Deutschen und Ausländern grundsätzlich keinen Unterschied macht und deshalb davon ausgeht, dass ein Straftäter nach Verbüßung der schuldangemessenen Strafe auch dann nicht von der Gesellschaft ferngehalten werden kann (abgesehen von den Fällen, in denen die engen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung oder des § 64 Abs. 1 StGB für eine Unterbringung vorliegen), wenn weitere Straftaten wahrscheinlich sind. Das Strafvollstreckungsgericht hat demzufolge zum einen die Möglichkeit, einen Straftäter, bei dem weitere Straftaten wahrscheinlich sind, auch noch den Strafrest verbüßen zu lassen und auf diese Weise dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit für einen relativ kurzen Zeitraum voll Rechnung zu tragen, für die Folgezeit aber praktisch nicht mehr. Es kann zum anderen aber auch den Strafrest aussetzen und so für einen relativ langen Zeitraum den vorläufig Entlassenen unter (dem sich aus der Möglichkeit eines Aussetzungswiderrufs ergebenden) Legalbewährungsdruck halten, was die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, dass es zu denjenigen (im Falle einer Vollverbüßung weniger wahrscheinlichen) mentalen Veränderungen kommt, die für eine Straffreiheit über die Bewährungszeit hinaus erforderlich sind. Insgesamt geht es bei der Frage der Strafrestaussetzung häufig nicht um die Frage, ob weitere Straftaten wahrscheinlich sind, sondern darum, dass die bestehende Gefahr weiterer Straftaten (einschließlich solcher nach dem Ende des gesamten Vollstreckungsverfahrens) durch die Strafrestaussetzung wirksamer als durch die Vollverbüßung gemindert werden kann (der Senat hat dies bereits mehrfach – vgl. zuletzt Rn. 19 des Beschlusses vom 28.9.2016 – mit der verkürzenden Formulierung zum Ausdruck gebracht, eine Reststrafenaussetzung liege allgemein deshalb nahe, weil der Wohlverhaltensdruck, dem der Haftentlassene bei einer Reststrafenaussetzung unterliege, wegen der Möglichkeit eines Bewährungswiderrufs mit Reststrafenverbüßung höher sei als der Wohlverhaltensdruck nach einer Vollverbüßung, an die sich lediglich die Führungsaufsicht anschließt). Wenn die Reststrafenaussetzung im Einzelfall scheitert, mag dies von der Öffentlichkeit dem staatlichen Verantwortungsbereich stärker angelastet werden als eine Straftat nach Vollverbüßung; dies ändert aber nichts an der generellen Erhöhung der Sicherheit der Allgemeinheit (der Zahl der erfolgreichen Resozialisierungen), wenn der Legalbewährungsdruck der Strafrestaussetzung so häufig wie möglich genutzt und zu dem Mittel der Vollverbüßung so selten wie unbedingt nötig gegriffen wird. Die bei Bewährungsversagen auftretenden Straftaten dürfen eben nicht isoliert betrachtet werden. Der Wert des Instituts der Strafrestaussetzung wird nur deutlich bei einem Vergleich der gesamten Delinquenz nach Strafrestaussetzungen mit der (zu schätzenden) gesamten Delinquenz, zu der es in diesen Fällen nach Vollverbüßungen (ohne vorherige Strafrestaussetzungen) gekommen wäre (Stree/Kinzig – a.a.O., § 57 Rn. 1a – weist auf Untersuchungen hin, denen zufolge es bei der Strafrestaussetzung noch unausgeschöpfte Potenziale gibt).
Das Ziel, die (möglicherweise eher geringe) Resozialisierungswahrscheinlichkeit zu erhöhen, weil das Strafrecht davon ausgeht, dass die Allgemeinheit – jedenfalls längerfristig gesehen – mit dem Verurteilten leben muss, hat besonders große Bedeutung in den Fällen, in denen – wie im vorliegenden Fall – eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zur Durchführung einer Therapie wegen Betäubungsmittelabhängigkeit vor der Reststrafenaussetzung (dann nach § 36 BtMG) erfolgt ist. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie setzt eine Straftat mit Betäubungsmittelzusammenhang voraus, nicht aber die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Durchführung der Therapie und erst recht nicht die Wahrscheinlichkeit des langfristigen Ausbleibens einer erneuten Delinquenz. Patzak (in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 377) zufolge soll die Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht nur Musterpatienten, sondern auch Risikopatienten eine Therapiechance eröffnen; sie setze kein besonderes Durchhaltevermögen und keine günstige Zukunftsprognose voraus, vielmehr solle gerade in Fällen schlechter Prognose (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 206), bei denen eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kam, drogenabhängigen Verurteilten die Möglichkeit geboten werden, anstelle eines wenig hilfreichen Strafvollzuges im Wege einer Drogentherapie ihre Suchtprobleme aufzuarbeiten, um so ein zukünftiges straffreies Leben vorzubereiten; der Weg aus der Drogensucht sei regelmäßig mit mehreren gescheiterten Therapieversuchen sowie strafrechtlichen Rückfällen und/oder mit Fehlverhalten im Strafvollzug verbunden (im weiteren weist Patzak auf die Bedeutung der Therapiebereitschaft hin). Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Konzept des § 35 BtMG zwar die Sicherheit der Allgemeinheit berücksichtigt, jedoch nur generell, indem die Vorschrift die Durchführung von der Rehabilitation dienenden Behandlungen erheblich fördert. Eine Prüfung, ob die konkrete Zurückstellung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vereinbar ist, findet nicht statt. Die Vorschrift setzt im Gegenteil eine so ungünstige Sozialprognose voraus, dass eine (der Zurückstellung nach § 35 BtMG vorgehende) Strafrestaussetzung nach § 57 StGB nicht möglich ist, die (von § 57 StGB geforderte) reale Chance eines Resozialisierungserfolgs also nicht besteht (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 18,19,28,30,49,51,206,207,377,408; Volkmer in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 479; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014 § 57 Rn. 2a). Wenn es zu einem Rückfall kommt, ist es sinnvoll, immer wieder neue Therapieprozesse in Gang zu setzen, um die Verweildauer des Probanden in der Therapie allmählich zu erhöhen und dadurch das Therapieziel wenigstens schrittweise zu verwirklichen (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 6,30,33,174,207,444,447 ff., 469 ff.). Dabei stellt die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Therapie einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar (zur Bedeutung der Therapiebereitschaft vgl. BGH, B.v. 18.06.1991 – 5 StR 217/91 – NJW 91, 3289 sowie Juris Rn. 4 ff.; Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 2 bis 5, 303 ff.). Therapien in Freiheit haben nicht zuletzt wegen der demotivierenden Wirkung der Haftumstände größere Erfolgschancen (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 2 und 35). Strafhaft sollte möglichst vermieden werden (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 65). Im Rahmen der §§ 35, 36 BtMG ist der Strafvollzug in erster Linie ein Druckmittel, durch das (echte) Therapiebereitschaft herbeigeführt und aufrechterhalten werden soll. Beispielsweise hat der Gesetzgeber festgelegt, dass der Strafrest, der nach § 36 BtMG ausgesetzt werden kann, wenn die Therapiedauer während der Vollstreckungszurückstellung angerechnet worden ist, noch mindestens ein Drittel der Strafe betragen muss (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG), und dadurch den Motivationsdruck aufrechterhalten (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 24, 68 ff.; zu den entsprechenden Gründen für die begrenzte Anrechenbarkeit im Fall der Unterbringung vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 94). Wird nach einem Rückfall erneut Therapiebereitschaft dargetan, ist in der Regel auf den Widerruf der Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG zu verzichten, erforderlichenfalls auf weniger einschneidende Maßnahmen zurückzugreifen (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 104,107 ff.,119; gemäß § 35 Abs. 5 BtMG widerruft die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung, wenn nicht…. zu erwarten ist, dass der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt). Ein Widerruf der Zurückstellung ist in der Regel nur bei erheblichen Straftaten veranlasst (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 467). Wenn schließlich eine Therapie abgeschlossen ist (also weder vom Verurteilten noch von der Einrichtung abgebrochen worden ist), ist die für die Strafrestaussetzung nach § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG erforderliche Verantwortbarkeit (reale Chance eines Resozialisierungserfolgs) kaum mehr zu verneinen. Mangels anderer Alternativen muss auf der im Therapieabschluss liegenden Chance aufgebaut werden, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Drogenfreiheit nach Abschluss einer Drogentherapie deutlich unter 50% liegt. Das Argument des Antragstellers in seiner Verfassungsbeschwerde (S. 24), wenn Suchttherapien ohnehin keine Wirkung entfalteten, wäre die Anwendung des § 64 StGB in allen Fällen der Betäubungsmittelabhängigkeit verfassungswidrig, bleibt an der Oberfläche. Der Senat hat zu keinem Zeitpunkt die Auffassung vertreten, Suchttherapien hätten keinerlei Wirkung; er hat allerdings auf die relativ geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hingewiesen. Auch der vom Antragsteller in seiner Verfassungsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 1994 ist zu entnehmen, dass es sich bei der Abhängigkeitstherapie um kein vollkommen ausgereiftes Instrument handelt (a.a.O., juris Rn. 85) und es regelmäßig nicht nur schwierig ist, den Süchtigen therapeutisch zu erreichen, sondern auch (selbst nach mehreren Monaten), die Frage der Erreichbarkeit zu beantworten (a.a.O., juris Rn. 60 ff. und 85). Die Erfolgswahrscheinlichkeit nach dem Ablauf eines Jahres (die Zahl der Rückfälle, die sich später als ein Jahr nach Therapieende ereignen, wird nicht systematisch erfasst) folgt aus einer vergleichenden Betrachtung derjenigen Erfolgsquote, die sich aus den Rückantworten von (im Zweifelsfall erfolgreichen) Patienten ergibt, und derjenigen Erfolgsquote, die auf alle planmäßig entlassenen Patienten (die im Zweifelsfall erfolglosen Nichtantworter inbegriffen) bezogen ist (Einjahreskatamnese). Die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. (Teil 1) lassen auf eine Erfolgsquote (wie erwähnt: nach einem Jahr) zwischen 20% und 30% schließen. Nach Klos/Görgen (Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff.) sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme (vgl. insoweit auch Patzak, a.a.O., § 35 BtMG, Rn. 47: „bescheidene Erfolge“). In den Fällen, in denen eine zweite Therapie durchgeführt worden ist, weil sich die erste Therapie angesichts eines Rückfalls als wirkungslos erwiesen hat, liegt die Erfolgsquote noch deutlich niedriger (vgl. II.2 lit. d, bb). Eine Fortsetzung der Strafvollstreckung ist zwar als Drohkulisse hilfreich, würde aber aus den bereits erwähnten Gründen die aus dem Therapieabschluss erwachsene Chance weiter schmälern. Auch die starke Verminderung des Strafrestes (bis zu dem Umfang, den der Gesetzgeber als „Damoklesschwert“ (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 1) zur Aufrechterhaltung des Therapieerfolgs für nötig hält) mittels der großzügigen Anrechnungsvorschriften des § 36 BtMG – sogar abgebrochene und erfolglose Therapien sind anzurechnen (vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 16 ff und 37) -belegt, dass nach einer durchgestandenen Therapie eine Strafvollstreckung möglichst ganz vermieden werden soll (vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 1 und 65). Die positive Sozialprognose in § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG („unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses“), die auch hier bereits bei einer berechtigten Chance vorliegt (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 70), orientiert sich daher – abweichend von § 57 Abs. 1 StGB – nur wenig an Prognoseindizien wie dem Vorleben und den Tatumständen, dagegen mehr an den Erwartungen aufgrund der Therapie; ernsthafte Schritte zur Befreiung von der Drogensucht („Heilungstendenzen“) reichen aus (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 70,71,91). Auch diese weitere Reduktion der Anforderungen an eine positive Sozialprognose beruht zweifellos auf dem strafrechtlichen Ausgangspunkt, dass die Allgemeinheit jedenfalls langfristig mit dem Verurteilten leben muss. Dementsprechend wird – wenn das mit der letzten Straftat (im Betäubungsmittelzusammenhang) befasste Gericht die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder ihre Vollstreckung zurückgestellt hat (die Zuuständigkeitsverlagerung Weg von der Strafvollstreckungskammer wird damit begründet, dass dem sach- und zeitnäher befassten Gericht aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung die besseren Erkenntnismöglichkeiten für eine sachgerechte Beurteilung dieser Zukunftsprognose zur Verfügung stünden, vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 106) – auch das mit der Frage des Bewährungswiderrufs wegen einer vorherigen Strafe befasste Gericht in der Regel vom Widerruf absehen. Insgesamt werden bei der Strafrestaussetzung nach § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG diejenigen Prognoseanhaltspunkte, die mit der Frage der Betäubungsmittelsucht nicht zusammenhängen, weitgehend in den Hintergrund gedrängt zugunsten einer Abstinenz- und Resozialisierungschance, die im Einzelfall (insbesondere bei mehreren gescheiterten Therapien im Vorfeld) minimal sein kann.
Im Ergebnis führt bei einer Straftat im Betäubungsmittelzusammenhang die Erklärung der Therapiebereitschaft regelmäßig (wenn Sicherungsverwahrung oder Unterbringung nicht angeordnet werden müssen) auch dann zur Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG und – nach durchgestandenen Therapie – zur Strafrestaussetzung nach § 36 BtMG, wenn eine Prognose, die alle anerkannterweise relevanten Umstände berücksichtigt, klar negativ ist.
II.
Die Annahme in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016, die Prognose im Senatsbeschluss vom 9. September 2016 (vom Antragsteller gehe eine relevante Wiederholungsgefahr aus, obwohl er die Therapie bis zum Frühjahr 2016 durchgestanden hat, seine Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist und seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 31. März 2015 keine Straftaten oder Bewährungsverstöße bekannt geworden sind) beruhe auf keiner breiteren Tatsachengrundlage als die Prognose, die der Strafrest-Aussetzungsentscheidung zu Grunde liegt (hierauf käme es bei der vom BVerfG angenommenen Gleichheit der Prognosemaßstäbe beider Rechtsgebiete an), ist mit dem Fehlen eines Sachverständigengutachtens, sonst aber nicht näher begründet.
Bei einem konkreten Vergleich des Strafrestaussetzungsbeschlusses (1.) und des Senatsbeschlusses (2.) bestätigt sich die Annahme nicht, der Senatsbeschluss besitze nicht die breitere Tatsachengrundlage. Es kann offenbleiben, ob das Strafgericht bei dem Erlass des Strafrestaussetzungsbeschlusses und der vorherigen Erstellung einer positiven Prognose den von ihm anzuwendenden Vorschriften hinreichend Rechnung getragen hat; jedenfalls erlauben es die im Ausweisungsverfahren anzuwendenden Bestimmungen in §§ 53 ff. AufenthG nicht, den größten Teil der vorliegenden Prognoseanhaltspunkte unberücksichtigt zu lassen.
1. Der Beschluss vom 6. Mai 2016 über die Strafrestaussetzung, dem ein hinreichender ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegen muss (der Richter muss sich ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschaffen, vgl. Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 9, Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 398 ff., und § 36 Rn. 106 a.E.), ist unter Verwendung eines Formblattes mit vorformulierter Begründung erlassen worden. In dieser Form wird auf die bereits erfolgte Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG verwiesen und werden die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Satz 3 bzw. Abs. 2 letzter Hs. BtMG bejaht. Angesichts des planmäßigen Abschlusses der Therapie (der Therapiebericht des Therapiezentrums D. wird allerdings nicht erwähnt) wird eine günstige Zukunftsprognose gestellt. Weiter wird auf die erteilten Weisungen (fester Wohnsitz, Mitteilung von Wohnsitzwechseln, Bemühung um geregelte Arbeit, Verbot von Betäubungsmittelkonsum, Anordnung von vier Kontrollen auf Betäubungsmittelkonsum pro Jahr) hingewiesen. Die Möglichkeit, die vorformulierten Begründungsabschnitte durch Einfügung von Freitext zu ergänzen, ist nicht genutzt worden. Somit sind alle übrigen Prognosegesichtspunkte unerwähnt geblieben, die zum größten Teil in dem ein Jahr vorher erlassenen Ausweisungsbescheid dargelegt sind, insbesondere der Umstand, dass der Antragsteller nicht nur Betäubungsmitteldelikte begangen hat, sondern bereits vor der Suchtentwicklung mehrfach straffällig geworden und schließlich zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten (unbedingt) verurteilt worden ist. Das Erfordernis, dem Unterschied zwischen Primärabhängigen mit Beschaffungsdelikten einerseits und Sekundärabhängigen mit krimineller Karriere andererseits Rechnung zu tragen (zu diesem Unterschied vgl. Patzak, a.a.O. § 35 Rn. 33), ist nicht berücksichtigt worden.
2. Die Senatsentscheidung 9. September 2016 ist – wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend feststellt – u.a. auf allgemeine Erfahrungen gestützt. Der Senat vermag jedoch die Kritik nicht nachzuvollziehen, die der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (vgl. S. 10) mit dieser Feststellung verbindet. Eine Prognose – wie die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten, die (mit unterschiedlichen Horizonten) sowohl im Strafrestaussetzungsverfahren als auch im Ausweisungsverfahren getroffen werden muss – bezieht sich auf Entwicklungen in der Zukunft und kann daher im Wege des Tatsachenbeweises nicht festgestellt werden. Prognosen haben Tatsachen zur Grundlage, bei deren Vorliegen sich gemäß anerkannter Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der entscheidungserheblichen zukünftigen Entwicklung (hier: des Fortbestehens oder einer Beendigung von Delinquenz/Sucht) erhöht oder vermindert (und auf einer abwägenden Gesamtwürdigung; zur Pflicht, alle Indizien von Bedeutung für den Fall heranzuziehen, vgl. Stree/Kinzig, a.a.O., § 56 Rn. 33). Ob dies bei einer bestimmten Tatsache der Fall ist, ergibt sich aus der vergleichenden Betrachtung einer Vielzahl von Entwicklungen, die von dieser Tatsache beeinflusst bzw. nicht beeinflusst sind, also aus allgemeinen (d.h. vom vorliegenden Fall unabhängigen) Kausalitätserfahrungen (eine Tatsache in diesem Sinn ist daher ein abstrakter – und deshalb vergleichsgeeigneter – Umstand, beispielsweise die Begehung einer Straftat innerhalb der wegen einer anderen Verurteilung laufenden Bewährungszeit). Eine Ausblendung der im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände (diese Befürchtung wird im B. des BVerfG – S. 10 – geäußert) ist damit nicht verbunden, denn auch bei einem für den Ausländer sprechenden Umstand (z. B. der Absolvierung einer Drogentherapie) handelt es sich um eine solche Tatsache, die – neben anderen Tatsachen und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände – nach allgemeiner Erfahrung einen gewissen Einfluss auf seine künftige Entwicklung hat. Der Gesetzgeber hat diese Vorgehensweise anerkannt. In § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB und in § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB hat er (nicht abschließend, vgl. Stree/Kinzig, a.a.O., § 56 Rn. 24) mehrere Tatsachen/Tatsachenkomplexe, aus denen aufgrund allgemeiner Erfahrungen Schlüsse auf die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Delinquenz gezogen werden können, als Prognoseindizien aufgeführt (die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten nach der Tat bzw. im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind). Das Bundesverwaltungsgericht hat für die ausweisungsrechtliche Prognose (unter Berücksichtigung der sich aus den jeweiligen Rechtsrahmen ergebenden Unterschiede) im Wesentlichen dieselben Tatsachen/Tatsachenkomplexe für relevant erachtet. Dem Urteil vom 16. November 2000 zufolge (9 C 6/00 – BVerwGE 112, 185, juris Rn. 16) sind hier insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen (vgl. nunmehr auch AVwV AufenthG Nr. 53.3.1.4, in der die Prognoseindizien wesentlich differenzierter dargestellt werden als in AuslG-VwV Nr. 51.3.3.0, die vom BVerwG am 16.11.2000 in Bezug genommen worden ist).
Der Senatsbeschluss vom 9. September 2016 ist mit einer Gesamtwürdigung begründet, in deren Rahmen das hohe Gewicht der für eine relevante Wiederholungsgefahr sprechenden Prognoseindizien dargelegt wird. Im Hinblick darauf, dass die Übersichtlichkeit dieser Ausführungen daran leidet, dass der Senatsbeschluss vom 9. September 2016 nach § 80 Abs. 7 VwGO verschiedentlich auf die vorhergegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bezug nimmt, beide auf die vorhergegangenen Entscheidungen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 21. März 2016 und vom 18. August 2015 Bezug nehmen und sämtliche Entscheidungen auf den Ausweisungsbescheid, fasst der Senat die Tatsachengrundlage des vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Senatsbeschlusses vom 9. September 2016 nachfolgend zusammen (die Prognoseindizien aufgrund der Delinquenz des Antragstellers und seiner diesbezüglichen Persönlichkeitsanteile – a -, aufgrund seiner Ausbildungs- und Erwerbsbiografie sowie der Qualität seiner bisherigen persönlichen Bindungen – b -, aber auch seiner Betäubungsmittelabhängigkeit – c – und der vom Antragsteller geltend gemachten Resozialisierungsaspekte – d). Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage drängt es sich dabei auf, auch den seit dem Senatsbeschluss vom 9. September 2016 vergangenen Zeitraum einzubeziehen.
a) Der Senat hat in seinem Beschluss vom 9. September 2016 auf die Delinquenz des Antragstellers und auf sie begünstigende Anteile seiner Persönlichkeit hingewiesen. Hierbei handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um Tatsachen, die die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten erhöhen. In § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB und § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB werden als Prognoseindizien u.a. die Persönlichkeit und das Vorleben genannt, wozu auch strafrechtlich relevante Vorgänge mit ihrer diesbezüglichen Aussagekraft gehören. Das Bundesverwaltungsgericht nennt insoweit in seinem Urteil vom 16. November 2008 (a.a.O.) die Ausweisungsstraftat (mit allen ihren Facetten), die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung.
Zusammenfassend ist insoweit festzuhalten, dass der Antragsteller (unbedingt) zu insgesamt drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Davon hat er (unter Einbeziehung der erlittenen Untersuchungshaft, die bei der Strafzumessung im Urteil vom 18.6.2007 – vgl. S. 18 – berücksichtigt worden ist) zwei Jahre und vier Monate verbüßen müssen, weil er mehrfach die ihm gebotenen Möglichkeiten, einer Strafvollstreckung zu entgehen, durch Straftaten oder durch Verstöße gegen Bewährungsauflagen ausgeschlossen hat. Weder Jugendarrest noch Untersuchungshaft noch Strafhaft haben ihn nach der jeweiligen Entlassung von weiteren Straftaten abhalten können. Der drohende Widerruf von Straf(rest) aussetzungen zur Bewährung und aus sonstigen Gründen ihm drohende Haft haben ihn zum Teil zeitweise beeindruckt; jedoch ist auch dann ein grundlegendes Umdenken nicht die Folge gewesen. Wiederholte Bewährungsbrüche wirken sich besonders negativ auf die Prognose aus (BGH, U.v. 17.5.1988 – 1 StR 138/88 – juris Rn. 8).
Nachdem der Antragsteller im März 2006 wegen Diebstahls zu Freizeitarrest und Arbeitsstunden verurteilt worden war, hat er bereits am 29. Mai 2006 erneut einen Diebstahl (gemeinschaftlich, in einem besonders schweren Fall) begangen. Wenig mehr als zwei Monate nach Verbüßung des zweitägigen Jugendarrests (ab dem 11.10.2006), der wegen dieses Diebstahls verhängt worden war, hat er den gemeinschaftlichen Diebstahl in einem besonders schweren Fall und die Beleidigung vom 21. und 22. Dezember 2006 begangen. Obwohl dem Antragsteller am 28. Januar 2007 bereits bekannt war, dass wegen dieses schweren gemeinschaftlichen Diebstahls und dieser Beleidigung gegen ihn ermittelt wird, und der zweitägige Jugendarrest zu diesem Zeitpunkt wenig mehr als drei Monate zurück gelegen hat, hat er am 28. Januar 2007 eine räuberische Erpressung begangen, bei der er (dem Strafurteil vom 18.6.2007 zufolge) Haupttäter und Triebfeder der Mittäter war. Daraufhin ist er in Untersuchungshaft genommen worden. Durch Strafurteil vom 18. Juni 2007 (hierdurch ist die Untersuchungshaft nach etwa vier Monaten beendet worden) sind die Taten vom Dezember 2006/Januar 2007 mit zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung geahndet worden, wobei dem Antragsteller schädliche Neigungen und eine erhebliche kriminelle Energie bescheinigt worden sind. Etwa zehn Monate nach dieser Verurteilung (am 25.4.2008) ist der Antragsteller von der Polizei auf frischer Tat bei einem Diebstahl ertappt worden. Trotz seiner von mehreren Pflichtenmahnungen geprägten Situation (der noch kein Jahr zurückliegenden mehrmonatigen Untersuchungshaft, der laufenden Bewährung aufgrund der Verurteilung vom 18.6.2007 und der Diebstahlsfeststellung vom 25.4.2008) hat der Antragsteller drei Tage später, am 28. April 2008, erneut einen Diebstahl begangen. Wegen dieses Diebstahls ist er am 2. Oktober 2008 – unter Einbeziehung des Strafurteils vom 18. Juni 2007 – zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Nach etwa einjährigem Jugendstrafvollzug (2.10.2008 bis 30.10.2009) ist der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden. Aufgrund des psychiatrischen Gutachtens vom 6. September 2012 (eingeholt im Berufungsverfahren betreffend das nachfolgend erwähnte Strafurteil vom 7. Mai 2012) ist davon auszugehen, dass der Kläger nach dieser Strafrestaussetzung im November 2009 begonnen hat, gewohnheitsmäßig Cannabis zu konsumieren (sporadisch auch Amphetamin, Methamphetamin und Ecstasy), und hiervon süchtig geworden ist. Zweifellos ist auf diese Sucht der Marihuanakauf zurückzuführen, der durch Strafbefehl vom 20. Juni 2011 (Geldstrafe von 30 Tagessätzen) geahndet worden ist. Durch Urteil vom 7. Mai 2012 ist der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden, weil er zwischen Juli 2011 und Oktober 2011 ein Zimmer seiner Wohnung für eine Cannabiszucht verwendet hat, deren Erzeugnisse er in 74 festgestellten Fällen gehandelt, aber auch selbst konsumiert hat. Auslöser dieser Tat ist ebenfalls die Sucht gewesen. Jedoch setzen eine solche Cannabiskultur mit ihren technischen Vorrichtungen (festgestellt worden sind unter anderem eine Zuchtbox mit Ablaufschlauch, Thermostat, Ventilator, Beleuchtungseinrichtungen, Zeitschaltuhr) und die Tarnung des umfangreichen Cannabishandels eingehende Szenekenntnisse, ein langfristiges Konzept und umfangreiche Planungs-, Beschaffungs- und Betriebshandlungen voraus (das Strafurteil vom 7.5.2012 spricht von „nicht unerheblicher krimineller Energie“), sodass von einem erheblichen Mitwirkungsanteil der Primärpersönlichkeit des Antragstellers auszugehen ist. In geringerem Umfang gilt dies auch für den künstlichen Penis, den der Antragsteller am 13. Oktober 2011 zur Verfälschung des Ergebnisses des Drogentests verwendet hat.
Mit seiner Delinquenz hat der Antragsteller nicht nur das Vermögen anderer, sondern auch Gesundheit und Leben anderer gefährdet. Bei einem der am 17. März 2006 abgeurteilten Diebstähle hat der Antragsteller ein aufgeklapptes und griffbereites Messer bei sich getragen. Bei der räuberischen Erpressung vom 28. Januar 2007 hat der Antragsteller (dem Strafurteil vom 18.6.2007 zufolge) den Geschädigten mit dem Tod bedroht (er hat ihm ein Messer an den Hals gehalten und gedroht, ihn abzustechen).
Nach der Überzeugung des Senats ist die Delinquenz des Antragstellers bis zum Jahr 2008 nicht – wie jedoch im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts angenommen wird (vgl. die Hervorhebung auf S. 11, dass die nicht drogenbezogene Kriminalität bei dem Erlass des B. des BVerfG acht Jahre zurück gelegen hat, sowie die ansonsten ausschließliche Bezugnahme auf die Betäubungsmittelabhängigkeit und Drogendelikte des Antragstellers) – deshalb bedeutungslos, weil sie nunmehr mehr als acht Jahre zurückliegt. Gegen die Annahme jugendtypischer Verfehlungen bis zum Jahr 2008 spricht zunächst deren Häufigkeit, die offensichtliche Wirkungslosigkeit erzieherischer und strafrechtlicher Maßnahmen, die Volljährigkeit des Antragstellers zum Zeitpunkt der räuberischen Erpressung sowie die Feststellung erheblicher schädlicher Neigungen im Strafurteil vom 2. Oktober 2008. Auch das psychiatrische Fachgutachten, das im Verfahren über die Berufung gegen das Strafurteil vom 7. Mai 2012 eingeholt worden ist, spricht dafür, dass der suchtunabhängigen Delinquenz bis ins Jahr 2008 (zufolge dem psychiatrischen Gutachten vom 6.9.2012 hat der Antragsteller hinsichtlich der Zeit vor seiner Inhaftierung im Oktober 2008 von gelegentlichem Cannabiskonsum gesprochen; Anhaltspunkte für eine Suchtentwicklung vor 2009 liegen nicht vor) nachhaltig wirkende Ursachen zugrunde liegen. Das Gutachten vom 6. September 2012, demzufolge die Voraussetzungen weder des § 20 StGB noch des § 21 StGB vorgelegen haben, diagnostiziert leicht kränkbare, impulsive, aber auch antisoziale Anteile der Primärpersönlichkeit des Antragstellers (S. 21) und untermauert dadurch die Feststellung im Strafurteil vom 7. Mai 2012, dem Antragsteller könne keine günstige Sozialprognose gestellt werden. Diese Aburteilung von Straftaten aus dem Jahr 2011 zeigt, dass sich der Antragsteller in den vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervorgehobenen letzten acht Jahren nicht bewährt hat. Hinsichtlich des Umstandes, dass der Antragsteller den Unterlagen zufolge nach dem Jahr 2011 keine Straftaten mehr begangen hat, ist zu berücksichtigen, dass er in dieser Zeit auch keine Lebensführung gewählt hat, die zur Annahme berechtigen würde, der Antragsteller habe die gutachterlich festgestellten kränkbaren, impulsiven und antisozialen Anteile seiner Primärpersönlichkeit zu beherrschen gelernt. Gewichtige Anhaltspunkte sprechen vielmehr dafür, dass es in diesen Jahren, in denen der Antragsteller mehrfach gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat, zu einer Verstärkung der problematischen Anteile der Primärpersönlichkeit des Antragstellers gekommen ist. Die Rauschgiftsucht, der der Antragsteller in den Jahren zwischen 2009 und (mindestens) 2015 verfallen ist, legt eine fortschreitende Persönlichkeitsbeeinträchtigung nahe. Das psychiatrische Gutachten vom 6. September 2012 stellt zwar fest (nach etwa drei Suchtjahren), die Feststellung einer Persönlichkeitsdepravation sei „noch nicht“ möglich. Nachdem es sich bei dem suchtbedingten Persönlichkeitsverfall aber um eine schleichende Entwicklung handelt, muss davon ausgegangen werden, dass der Suchtrückfall vom Frühjahr 2013 (bei dem Drogentest vom 14.3.2013 hat der Antragsteller erneut versucht, das Ergebnis zu verfälschen), die disziplinarische Entlassung im Frühsommer 2015 aus der Therapie in der S.-Klinik und die insgesamt mehr als drei weiteren Suchtjahre, die der (während der Therapie in G. vorgenommenen) psychiatrischen Exploration vom August 2012 nachgefolgt sind, zu einer Verstärkung der für Drogenabhängige typischen Labilität (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 413) und der von der Gutachterin festgestellten negativen Persönlichkeitsanteile geführt haben.
b) Der Senat hat auch darauf hingewiesen, dass der Kläger sich weder einer Ausbildung noch einer Erwerbstätigkeit längerfristig unterzogen hat und dass er auch keine stabilen, stützenden Bindungen unterhalten hat. Dies erhöht ebenfalls nach allgemeiner Auffassung die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten. Die Bestimmungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB und des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB nennen unter den Prognoseindizien die Persönlichkeit, das Vorleben und die Lebensverhältnisse, zu denen auch die Qualität von Bindungen und Beziehungen sowie die Ausbildungs- und Erwerbsbiografie gehören. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2000 (a.a.O.) werden insoweit die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt genannt.
Der Antragsteller hat die Förderschule im Jahr 2004 ohne Abschluss verlassen. Er hat ein Berufsvorbereitungsjahr begonnen, dieses jedoch nur für zwei Wochen besucht. Aus einer Anschlussmaßnahme bei der Deutschen Angestelltenakademie ist er nach zwei Monaten wegen häufiger Fehlzeiten entlassen worden. Anschließend hat er das Berufsförderzentrum besucht, jedoch nur einen Monat lang. Im Sommer 2005 hat er zwei bis drei Monate lang in einer Autowaschanlage gearbeitet. Nach seiner Entlassung aus der mehrmonatigen Untersuchungshaft am 18. Juni 2007 ist der Antragsteller zunächst wieder arbeitslos gewesen. Ab Dezember 2007 hat der Antragsteller an einer BVB-Maßnahme teilgenommen und diese im August 2008 mit dem Hauptschulabschluss beendet, wobei er – wie bereits erwähnt – infolge der Verurteilung vom 18. Juni 2007 unter Bewährung gestanden hat und ab April 2008 wegen Diebstahls mit einem weiteren Strafverfahren konfrontiert gewesen ist. Die geförderte Ausbildungsstelle zum Verkäufer ab September 2008 hat der Antragsteller nur für wenige Wochen in Anspruch genommen, weil er aufgrund des Diebstahls vom April 2008 am 2. Oktober 2008 verurteilt und gleichzeitig inhaftiert worden ist. Angesichts dieser Ausbildungs- und Erwerbsbiografie kann es nicht nur auf seine Suchtentwicklung nach der Haftentlassung im November 2009 zurückgeführt werden, wenn der Kläger in dieser Zeit – trotz vager Ankündigungen (u.a. am 10.6.2013 und am 21.6.2013) – eine Arbeit oder Ausbildung nicht mehr aufgenommen hat. Dasselbe gilt für die Zeit nach der Entlassung aus der Strafhaft am 31. März 2015.
Hinsichtlich persönlicher Bindungen ist festzustellen, dass der Antragsteller im Alter von zwei Jahren mit dem Vater aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist, wobei seine Mutter in der Türkei geblieben ist. Der Vater hat in Deutschland wieder geheiratet. Etwa im Jahr 2000 ist es zur Trennung gekommen. Der Kläger ist bei seinem Vater geblieben, hat jedoch den Kontakt zur Stiefmutter zunächst aufrechterhalten. Der Antragsteller trägt zwar vor, er habe sowohl zu seinem Vater als auch zu seiner Stiefmutter ein gutes Verhältnis. Allerdings ist es während seines Zusammenlebens mit seinem Vater nach der Haftentlassung Anfang November 2009 zu Konflikten gekommen, die schließlich zu einem Auszug des Klägers geführt haben (vgl. die Bewährungsberichte vom 5.5.2010 und vom 27.12.2010). Der Kläger hat dann bei einem Freund in N. gewohnt. Wenige Monate später hat er die Cannabiszucht eingerichtet, die schließlich zum Strafurteil vom 7. Mai 2012 geführt hat. Nach der Beendigung der stationären Therapie in G. zu Anfang des Jahres 2013 ist der Kläger erneut zu seinem Vater gezogen. Nach wenigen Wochen ist er ausgezogen (bei der richterlichen Anhörung vom 10.6.2013 hat er zur Begründung angegeben, die Stadt W. sei zu klein). Er ist dann zu seiner Stiefmutter in N. gezogen, die ihn jedoch nach etwa einem Monat (im März 2013) hinausgeworfen hat (richterliches Anhörungsprotokoll vom 10.6.2013). Hinsichtlich sonstiger familiärer oder anderer Beziehungen in der Folgezeit ist dem Vorbringen des Antragstellers und den beigezogenen Akten nichts zu entnehmen.
Nach den vorliegenden Umständen ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller in der Türkei hinsichtlich des Unterstützungsbedarfs, der bei ihm als erwachsenem Menschen infrage kommt, auf verwandtschaftliche Beziehungen stützen kann. Sein Vater, seine Mutter und seine Stiefmutter stammen aus der Türkei und haben demzufolge dort Verwandte; der Antragsteller hat dies nicht substantiiert in Abrede gestellt. Überdies lebt die Mutter des Antragstellers nach wie vor in der Türkei; aus dem Umstand, dass sich die Eltern des Antragstellers früh getrennt haben und der Antragsteller bei seinem Vater aufgewachsen ist, ergibt sich nicht, dass die Mutter des Antragstellers zu einer Unterstützung nicht bereit ist. Nachdem der Antragsteller in der Obhut ausschließlich türkischstämmiger Personen aufgewachsen ist, ist bei ihm von hinreichenden türkischen Sprachkenntnissen auszugehen. Für Unterstützungsleistungen in finanzieller Hinsicht kommen jedenfalls sein Vater und seine Stiefmutter in Betracht, die im Bundesgebiet leben.
c) Der Senat hat weiter darauf hingewiesen, dass die manifeste Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers bis Dezember 2015 die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten erhöht. Die Persönlichkeit, das Vorleben und die Lebensverhältnisse, die in den Bestimmungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB und des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB als Prognoseindizien genannt werden, werden erheblich durch eine Betäubungsmittelabhängigkeit geprägt. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2000 (a.a.O.) werden insoweit die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt genannt.
Der Antragsteller hat vornehmlich Cannabis konsumiert. Cannabis, womit der Antragsteller dem Urteil vom 7. Mai 2012 zufolge auch in erheblichem Umfang gehandelt hat, besitzt zwar nicht das Suchtpotenzial etwa von Heroin, kann aber ebenfalls eine Abhängigkeit auslösen, mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden sein (z.B. mit anhaltenden psychischen Schäden) und ist bei der großen Mehrheit der Rauschgiftsüchtigen die Einstiegsdroge.
Auch die jüngere Rechtsentwicklung zieht die von Cannabis ausgehenden Gefahren nicht in Zweifel. Nach der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BT-Drs. 18/10902) sollen zwar die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Cannabis-Arzneimitteln und die Erstattungsfähigkeit solcher Arzneimittel (insbesondere wegen ihrer Schmerz-Wirksamkeit) verbessert werden; der komplizierte Weg über betäubungsmittelrechtliche Ausnahmeerlaubnisse soll nicht mehr erforderlich sein. Damit aber die Gefahr des Missbrauchs (und insbesondere von Betäubungsmittelabhängigkeiten) durch die Zulassung von Cannabis-Arzneimitteln nicht steigt, hat der Gesetzgeber die zentrale Ablieferung des gesamten Anbaus, einen strikten Arztvorbehalt, Höchstverschreibungsmengen sowie eine Pflicht zur Abgabe in Apotheken vorgeschrieben (vgl. insbesondere Abschnitt V, vor 1., der Entwurfsbegründung) und an der Einordnung von Cannabis als Substanz, die dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt, festgehalten.
Die von intensivem Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren haben sich bei dem Antragsteller realisiert. Er hat eine langjährige Sucht entwickelt und – wie mehrfach belegt ist – auch harte Drogen konsumiert. Er hat Betäubungsmittelstraftaten begangen, darunter eine schwere, derentwegen er am 7. Mai 2012 zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden ist.
d) Bei den vom Antragsteller für eine Resozialisierung angeführten Tatsachen handelt es sich um günstige Prognoseindizien. Die Bestimmungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB und des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB nennen unter den Prognoseindizien die Persönlichkeit, das Verhalten nach der Tat und die zu erwartenden Wirkungen der Aussetzungsentscheidung. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2000 (a.a.O.) werden insoweit die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt genannt. Den Tatsachen, dass der Antragsteller den Unterlagen zufolge nach dem Jahr 2011 keine Straftaten mehr begangen hat und später der Rest seiner Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (aa) sowie eine Drogentherapie absolviert hat (bb), und der Entwicklung des Antragstellers seit dem Therapieabschluss im April 2016 (cc) kann jedoch aufgrund der vorliegenden Umstände kein Gewicht zugemessen werden, das das Gewicht der negativen Prognoseindizien aufwiegt.
aa) Das Unterlassen von Straftaten während der Verbüßung von Strafhaft zwischen dem 22. April 2014 und dem 31. März 2015 (zum Führungsbericht vom 19.2.2015 vgl. lit. aa a.E.) hat sehr wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers) entspricht, dass die Haft aufgrund ihrer Umstände eine disziplinierende und ordnende Wirkung hat und die Möglichkeit dissozialer Verhaltensweisen erheblich einschränkt. Daher ist anerkannt, dass das Verhalten im Vollzug zwar prognostisch heranzuziehen, aber nur bedingt aussagekräftig ist, und dass eine reibungslose Einordnung in den Anstaltsbetrieb nicht ohne weiteres auf ein straffreies Leben in Freiheit schließen lässt (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 16a; Fischer, a.a.O., § 57 Rn. 15a). Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Antragstellers, der schon in dem etwa einjährigen Strafvollzug bis Ende Oktober 2009 ein hinreichend angepasstes Verhalten gezeigt hat (auch damals ist ihm eine Strafrestaussetzung gewährt worden), ohne tatsächlich die negativen Anteile seiner Persönlichkeit bewältigt und einen inneren Wandel vollzogen zu haben.
Das Unterlassen von Straftaten und Bewährungsverstößen in der Zeit zwischen dem Herbst 2011 und der Inhaftierung vom 22. April 2014 bis zum 31. März 2015 sowie nach dieser Inhaftierung hat ebenfalls wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers) entspricht, dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Strafaussetzung/Strafrestaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck darstellt, also zu erheblichen Anstrengungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann. Dies ergibt sich u. a. daraus, dass die mit der Strafrestaussetzung zur Bewährung verbundene niedrigschwellige Möglichkeit einer Inhaftierung anerkannterweise wesentlich besser als die (nach einer Vollverbüßung meist eintretende) Führungsaufsicht geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls zu mindern (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 14 m.w.N. und Rn. 1: „Damoklesschwert“; ähnlich Patzak, a.a.O., § 36 BtMG Rn. 68). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller in dem Zeitraum vor der Inhaftierung am 22. April 2014 nicht nur wegen der früheren Verurteilung vom 2. Oktober 2008 unter Bewährung gestanden hat, sondern zunächst auch noch mit dem Strafverfahren wegen der im Oktober 2011 entdeckten Cannabis-Plantage (inklusive Handel) konfrontiert gewesen ist. Nach der deswegen erfolgten Verurteilung vom 7. Mai 2012 hat ihm die Vollstreckung der unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten gedroht. Schließlich ist dem Antragsteller seit dem Anhörungsschreiben vom 8. Januar 2014 bekannt gewesen, dass seine Ausweisung beabsichtigt ist. Die Erwartung einer unbedingten Freiheitsstrafe und (nach ihrer Verhängung) das Bevorstehen ihrer (nur im Wege der §§ 35, 36 BtMG vermeidbaren) Vollstreckung sowie die konkrete Möglichkeit, ausgewiesen zu werden, entwickeln – jeder dieser Umstände für sich genommen – noch einmal mindestens denselben Legalbewährungsdruck wie die Strafrestaussetzung zur Bewährung. Eine drohende Ausweisung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (Ausgewiesene besitzen diese regelmäßig) häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; hierzu trägt auch der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Vorliegend sind in dem Zeitraum, den der Antragsteller als Beleg für seine Resozialisierung geltend macht, Entscheidungen betreffend den Sofortvollzug seiner Ausweisung in kurzer Folge ergangen (B. d. VG A. nach § 80 Abs. 5 VwGO v. 18.8.2015, Senatsbeschluss hierzu v. 21.3.2016, B. d. VG A. nach § 80 Abs. 7 VwGO v. 25.5.2016, Senatsbeschluss hierzu v. 9.9.2016, aufhebender und zurückverweisender B. d. BVerfG v. 19.10.2016). Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist noch nicht ergangen, sodass der Antragsteller deswegen auch jetzt noch unter einem zusätzlichen Legalbewährungsdruck steht. Dem Therapiebericht vom April 2016 zufolge löst die am 6. Mai 2016 verfügte Ausweisung bei dem Antragsteller große Besorgnisse aus. Demzufolge ist das Legalverhalten des Antragstellers in der Zeit, in der er nicht nur unter Bewährung gestanden hat, sondern ihm auch zunächst eine unbedingte Verurteilung bevorgestanden hat und anschließend die Vollstreckung dieser weiteren Freiheitsstrafe sowie – ab dem 8. Januar 2014 – die Ausweisung gedroht hat, für die ausweisungsrechtliche, über alle diese Zeiträume hinausgehende Prognose heranzuziehen, jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil es nicht ohne weiteres auf ein straffreies Leben nach dem Ablauf dieser Zeiträume schließen lässt. Diese Einschätzung bedeutet – entgegen der Annahme im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – nicht, dass der Senat die Teilnahme des Antragstellers an der Drogentherapie und sein rechtstreues Verhalten in der Haft und in der Bewährungszeit gegen ihn gewertet hat. Der Senat hat diesen günstigen Prognoseaspekten lediglich ein geringes, die negativen Prognosekriterien nicht überwiegendes Gewicht zugemessen, weil sie angesichts des mehrschichtigen Abstinenz- und Legalbewährungsdrucks, der während der Therapie und des rechtstreuen Verhaltens bestanden hat, nach allgemeiner Erfahrung und auch nach der Auffassung der Strafgesetzgebers nicht den Schluss auf ein gleichartiges Verhalten in Zeiträumen gewährleisten, in denen dieser Druck nicht besteht. Ein geringes Gewicht kommt diesen Prognoseaspekten auch deshalb zu, weil der Antragsteller bereits durch Haft und Strafrestaussetzungen bzw. -zurückstellungen nicht nachhaltig beeindruckt worden ist, durch zwei Therapien nicht von seiner Abhängigkeit befreit worden ist und weil die gegenwärtige Situation keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine andersartige Entwicklung aufweist.
Das Strafrecht und das Betäubungsmittelrecht setzen die Möglichkeit, von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen, als Druckmittel zur Resozialisierung ein. Dies bewirkt jedoch in einem großen Teil der Fälle keinen inneren Wandel, sondern nur ein druckmittelbedingtes Anpassungsverhalten ohne Nachhaltigkeit (z.B. eine ordnungsgemäße Führung in der Haft und in der Bewährungszeit, jedoch nicht während deren gesamter Dauer oder nicht lange über sie hinaus; zur Teilnahme an einer Drogentherapie in diesem Zusammenhang vgl. lit. bb). Dies ist fachlich anerkannt und entspricht der Erfahrung des Senats; in fast allen vom Senat zu entscheidenden Ausweisungsfällen sind Strafrestaussetzungen bzw. Vollstreckungszurückstellungen (zum Teil mehrfach) erfolgt, jedoch nicht lange nach dem Ablauf der jeweiligen Bewährungszeit (oder sogar noch während dieser) erneut Straftaten begangen worden. Die in der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers vertretene Auffassung, die Berücksichtigung der Wirkungen eines Legalbewährungsdrucks führe dazu, dass von einem Rückfall während dieser Einwirkung nicht ausgegangen werden darf, ist nicht nachvollziehbar. Die Haftbedingungen und (danach) die Möglichkeit eines Aussetzungswiderrufs üben wegen der mit ihnen verbundenen Nachteilsandrohungen einen gewissen Legalbewährungsdruck aus, der in einem Teil der Fälle den für eine nachhaltige Resozialisierung erforderlichen Eindruck hinterlässt, und in einem weiteren Teil der Fälle ausreicht, wenigstens während der Druckausübung eine Delinquenzfreiheit zu bewirken. Sie sind jedoch nicht geeignet, das Unterlassen von Straftaten absolut zu erzwingen. In vielen Fällen reicht ein bestehender Legalbewährungsdruck nicht aus, wenigstens während der Haft oder der Bewährungszeit eine oberflächliche Anpassung zu bewirken. Der Antragsteller ist sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2011 bei laufender Bewährung straffällig geworden, sodass er als Beispiel für die einzelfallabhängige Effektivität von Legalbewährungsdruck dienen kann. Insgesamt ist eine Gefahrenprognose mittels differenzierter Abwägung bewertungsbedürftiger Indizien unverzichtbar. Der im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 für richtig gehaltene Maßstab der Evidenz (den Gründen des Beschlusses – S. 11 – zufolge hat das während bestehenden Legalbewährungsdrucks gezeigte Verhalten die ausweisungsrechtliche Gefahrenprognose zu einem günstigen Ergebnis zu führen, solange nicht offensichtlich ist, dass „die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind“) trägt dem nicht Rechnung. Mit der (nicht durch eine Rechtsvorschrift oder eine sonstige Quelle belegten) Aufwertung des während Haft, Bewährungszeit und Ausweisungsverfahren gezeigten Legalverhaltens von einem gewichtungsbedürftigen Prognoseaspekt zu einem praktisch nicht abwägbaren Entscheidungskriterium (es liegt in der Natur der Sache, dass das Vorspiegeln eines inneren Wandels bzw. die begrenzte Fähigkeit zu einem solchen Wandel in aller Regel nicht offensichtlich ist) wird die Komplexität der Problematik verkannt, eine vollumfängliche sowie rational nachvollziehbare Prognoseentscheidung verhindert und das öffentliche Sicherheitsinteresse vernachlässigt. Im Falle der Anwendung eines solchen Evidenzmaßstabs im Strafvollstreckungsrecht (etwa in der Art, dass eine günstige Prognose aufgrund ordnungsgemäßer Führung zu stellen ist, solange nicht offensichtlich ist, dass die ordnungsgemäße Führung ausschließlich dem jeweils angewendeten Druckmittel des Strafvollstreckungsrechts geschuldet ist) würde dasselbe gelten und würden beispielsweise ein differenzierter Führungsbericht oder ein Prognosegutachten jede Bedeutung verlieren. Durch Urteil vom 15. Januar 2013 (a.a.O., vgl. insbesondere Rn. 19 ff.) hat das Bundesverwaltungsgericht das ihm unterbreitete Berufungsurteil wegen der (auch durch Unionsrecht nicht gestützten) vorinstanzlichen Annahme aufgehoben, bei einer Strafrestaussetzung entfalle ausländerrechtlich die Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig.
Die geringe Gewichtung des Legalverhaltens des Antragstellers unter Legalbewährungsdruck widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, aus dem der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Evidenzforderung ableitet. Wie bereits dargelegt (vgl. I.) sind die Prognosen im Strafvollstreckungsrecht und im Ausweisungsrecht nach unterschiedlichen Maßstäben und für unterschiedliche Zeithorizonte zu erstellen, sodass einer Strafrestaussetzung keineswegs die Auffassung zu entnehmen ist, der Verurteilte sei nachhaltig resozialisiert. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass durch Anwendung der §§ 35, 36 BtMG die Teilnahme des Antragstellers an der Therapie ab Dezember 2015 gefördert worden ist, obgleich die Ausweisung bereits verfügt gewesen ist. Die Therapie im Sinne der §§ 35, 36 BtMG dient der Beseitigung der Gefahren, die eine Abhängigkeit für Körper und Geist des Verurteilten und für die Allgemeinheit mit sich bringt. Diese Vorteile einer erfolgreichen Therapie sind nicht nur im Bundesgebiet von Gewicht. Daher steht ihre Förderung durch das Betäubungsmittelgesetz nicht in Widerspruch zum Ausweisungsverfahren. Nichts anderes ergibt sich aus der Erwägung, dass der Ausgewiesene einen etwaigen Anspruch auf Teilnahme an einer Therapie nicht mit Erfolg gegen die Ausweisung einwenden kann (BVerwG, B.v. 15.04.2013 – 1 B 22/12 – InfAuslR 2013,317, juris Rn. 16 ff.; die Möglichkeit, dass eine Therapieteilnahme das Ausweisungsverfahren beeinflusst, weil die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung maßgeblich ist, ist rein tatsächlicher Art) und Therapieplätze rar sowie kostenintensiv sind. Diese Erwägung könnte zwar gegen eine Therapie bei laufendem Ausweisungsverfahren sprechen, hat ihre Grundlage aber nicht in der Rechtssphäre des Ausländers, sondern im öffentlichen Interesse. Allerdings ist in einem ähnlichen Zusammenhang – die Bestimmungen in § 67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 StGB sehen für Ausländer, bei denen die Aufenthaltsbeendigung vollziehbar ist, eine Nachrangigkeit der Therapie-Unterbringung vor, die mit einer Zwangsbehandlung verbunden ist (vgl. zu dieser speziellen Problematik BVerfG, B.v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 82) und bei der sich wegen der immanenten Freiheitsentziehung die Frage der Kosten und der Verfügbarkeit von Therapieplätzen in besonderer Weise stellt – argumentiert worden, ein Therapieausschluss aus derartigen Gründen verstoße gegen das Diskriminierungsverbot, weil er nur Ausländer betreffen könne (auf Art. 3 GG bzw. Art. 2 der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/42/EG des Rates v. 29.6.2000, ABl L 180/22, nehmen Bezug: Heinhold, Maßregelreform und Ausländerrecht, R & P, 24. Jg. – 2006 – S. 187/191; Schlebusch, Drogenabhängige Ausländer im Jugendstrafvollzug, ZfStrVo 1 48 – 1999 -,15,19; Jung, die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel bei Ausländern, StV 2009,212/215). Es kann aber offenbleiben, ob die Regelungen in § 67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 StGB gegen ein Diskriminierungsverbot verstoßen. Bei Therapien im Rahmen der §§ 35, 36 BtMG fehlt es an einer entsprechenden Regelung. Diese Vorschriften sehen keinen Ausschluss von Ausländern vor, deren Aufenthaltsbeendigung vollziehbar ist, und geben dadurch (unabhängig von der Frage, ob dies geboten ist) der Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen Raum. Der Gesetzgeber hat demzufolge (abgesehen von § 456a StPO) darauf verzichtet, koordinierende Regelungen für den Fall einer Parallelität von Strafvollstreckung und Ausweisungsverfahren zu schaffen. Wegen Fehlens einer solchen Regelung kann eine bevorstehende Aufenthaltsbeendigung allenfalls eingeschränkt bei Aussetzungsentscheidungen berücksichtigt werden (vgl. die bei Stree/Kinzig, a.a.O., § 56 Rn. 34 und § 57 Rn. 16a zitierte Rechtsprechung). Die Rechtsordnung nimmt es somit – zugunsten des Ausgewiesenen und seiner Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen – in Kauf, dass eine Therapie durchgeführt wird, die (im Erfolgsfall) nicht der deutschen Allgemeinheit zugutekommt. Demzufolge wird die Rechtsordnung durch eine derartige Entwicklung in ihrer Einheitlichkeit nicht beeinträchtigt.
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines langfristig straffreien Lebens des Antragstellers spricht, dass er nach einer Phase, in der er in keiner Weise durch Arreste oder sonstige erzieherische Maßnahmen sich hat beeindrucken lassen (bis zu der Untersuchungshaft ab dem 28.2.2008), Resozialisierungsbemühungen stets im Zusammenhang damit unternommen hat, dass er (unter Bewährung stehend und zum Teil erneut verurteilt) mit einer Strafvollstreckung zu rechnen gehabt hat. Dabei ist teils – wie sich im Nachhinein herausgestellt hat – kein oder allenfalls ein geringer Wandlungswille vorhanden gewesen (sondern nur oder vor allem der Wille, eine weitere Strafvollstreckung zu vermeiden) und teils von einem echten Interesse an einem persönlichen Wandel auszugehen, ohne dass dies aber zu mehr als nur vorübergehenden Erfolgen geführt hat (ein echter Wandel ist ausgeblieben und erneut Delinquenz eingetreten). Welche von beiden Varianten vorliegt, ist diagnostisch nicht erfassbar (vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 60) und für die Frage der Gefahrenprognose auch nicht erheblich. Wie sich aus lit. b ergibt, ist der Antragsteller im Jahr 2008 – aus fast viermonatiger Untersuchungshaft entlassen und unter Bewährung stehend – in der Lage gewesen, einen mehrmonatigen Lehrgang zu absolvieren und dabei den Hauptschulabschluss zu erreichen. Die nach diesem Schulabschluss begonnene Ausbildung ist jedoch daran gescheitert, dass der Antragsteller inhaftiert worden ist, weil er während dieses Lehrgangs eine neue Straftat begangen hatte (den Diebstahl vom 28.4.2008). Der Entscheidung vom 22. September 2009, durch die (nach Teilverbüßung) der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden ist, liegt ein Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 24. August 2009 zu Grunde, der angesichts der aufgezeigten positiven und negativen Aspekte als durchschnittlich bezeichnet werden kann, jedoch darauf hinweist, dass der Antragsteller Schwierigkeiten mit Kritik hat (Nr. 4.3) und angepasstes Verhalten nur dann zeigt, wenn er sich beobachtet fühlt (Nr. 1), sowie den Eindruck wiedergibt, der Antragsteller lasse sich bei den Gesprächen im Rahmen sozialpädagogischer Behandlungsmaßnahmen nur oberflächlich auf die Themen ein (Nr. 4.1). Nach der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ist (dem Bewährungsbericht vom 5.5.2010 zufolge) dem Bewährungshelfer vom Kläger der Eindruck vermittelt worden, er bemühe sich, sei kooperativ, halte Termine zuverlässig ein und nehme die Konfrontation mit seinem Problemverhalten an; im selben Sinn ist der Bewährungsbericht vom 27. Dezember 2010 verfasst. Tatsächlich hat der Antragsteller, der nach der Haftentlassung im November 2009 mit intensivem Suchtmittelkonsum begonnen hatte, zu dieser Zeit bereits Betäubungsmittel gewohnheitsmäßig konsumiert und ist auf dem Weg in die Sucht gewesen. Im Bewährungsbericht vom 9. August 2011 wird zwar die Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Marihuana erwähnt, jedoch erneut ein zuverlässiges, kooperatives und gesprächsbereites Auftreten des Klägers beschrieben. Tatsächlich hat der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten die aufwändige Cannabiszucht betrieben, die später zu seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten (ohne Strafaussetzung zur Bewährung) geführt hat. Die fehlende Selbstkritik des Antragstellers, die schon im Führungsbericht der JVA vom 24. August 2009 aufscheint, ergibt sich auch aus der bagatellisierenden Art und Weise, in der der Antragsteller seine früheren Delikte im Rahmen der Anamnese vor dem psychiatrischen Gutachten vom 6. September 2012 (S. 16) dargestellt hat. Der Umstand, dass der Antragsteller trotz der mehr als einjährigen Haft, die er wegen dieser Delikte verbüßt hat (Anfang Oktober 2008 bis Ende Oktober 2009), zu der erforderlichen Tataufarbeitung und selbstkritischen Haltung nicht gefunden hat, deutet darauf hin, dass er durch Haft nicht hinreichend beeindruckbar ist. Sowohl während der Cannabis-Zucht als auch nach seiner Verurteilung deswegen hat der Antragsteller versucht, Drogentests zu manipulieren.
Zu der weiteren Inhaftierung in der Zeit vom 22. April 2014 bis zum 31. März 2015 ist es gekommen, weil die positive Entwicklung, die der Antragsteller im Anschluss an seine Suchtentwicklung und seine erneute Verurteilung vom 7. Mai 2012 anfänglich genommen hat (die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten ist wegen seiner Therapiebemühungen zunächst zurückgestellt worden), nach etwa zehn Monaten geendet hat. Der deshalb erlassene Widerrufsbeschluss vom 24. Juni 2013 stellt eine erhebliche Gefahr erneuter Straftaten fest. Dem Beschluss vom 3. März 2014 zufolge, durch den die Beschwerde gegen die Ablehnung einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zurückgewiesen worden ist, ist wegen der Erfolglosigkeit der bisher verhängten Weisungen „nicht zu erwarten, dass durch neuerliche Auflagen oder Weisungen der Zweck der Bewährung erreicht werden könnte“. Der JVA-Führungsbericht vom 19. Februar 2015, auf den hin die Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG vom 18. März 2015 erfolgt ist, ist zwar uneingeschränkt positiv. Er befasst sich jedoch nicht mit der Frage, welche Haltung der Antragsteller nunmehr gegenüber den Delikten einnimmt, derentwegen er bestraft worden ist. Ihm ist auch nicht zu entnehmen, dass die Verfasserin des Führungsberichts die Möglichkeit eines angepassten Verhaltens ohne innere Öffnung erwogen hat. Zu solchen Erwägungen hätte Anlass bestanden, weil der Antragsteller während der gesamten Strafhaft ab dem 22. April 2014 psychisch betäubungsmittelabhängig war, bereits hafterfahren war, sich während der früheren Inhaftierung angepasst verhalten und nur scheinbar geöffnet hatte, nach der Strafrestaussetzung trotz erwartungsgemäßen Verhaltens gegenüber dem Bewährungshelfer rückfällig geworden war, trotz positiven Berichts über die Therapie in G. erneut dem Drogenkonsum verfallen war und ihm in den Bewährungswiderruf-Entscheidungen vom 24. Juni 2013 und vom 3. März 2014 eine äußerst negative Prognose gestellt worden war.
Auf den Umstand, dass die Festlegung der maximal zulässigen Bewährungszeit von fünf Jahren im Strafrestaussetzungsbeschluss vom 6. Mai 2016 erhebliche Restzweifel auch des Strafgerichts an einer Resozialisierung erkennen lässt, hat der Senat bereits hingewiesen (S. 9 unten).
bb) Im Rahmen der ausweisungsrechtlichen Prognose ist weiter zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass nach den Unterlagen von einer Drogenabstinenz des Antragstellers seit der Drogentherapie zum Jahreswechsel 2015/2016 auszugehen ist. Auch dieser Umstand hat jedoch nur wenig Gewicht, weil er nicht ohne weiteres auf ein drogenfreies Leben des Antragstellers nach dem Ablauf der Bewährungszeit und des Ausweisungsverfahrens schließen lässt und mehrere Indizien gegen einen längerfristigen Erfolg der im Frühjahr 2016 abgeschlossenen Therapie sprechen.
Den vorliegenden Untersuchungen zufolge sind die Erfolgschancen einer Therapie, die im allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (vgl. S. 13/14), umso geringer, je mehr erfolglose Therapien vorhergegangen sind (Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V., Nr. 4.6 der Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013; als Grund für diese Chancenveränderung wird eine Chronifizierung des Sucht angenommen; vgl. auch Klos/Görgen, Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 26 ff.). Vorliegend hat der Antragsteller zwischen dem 18. Juli 2012 und dem 16. Januar 2013 bereits eine Therapie absolviert, der nach nur wenigen Monaten ein Rückfall gefolgt ist. Demzufolge ist der Antragsteller auch während der nachfolgende Inhaftierung zwischen dem 22. April 2014 und dem 31. März 2015 betäubungsmittelsüchtig gewesen (vgl. insoweit auch den JVA-Bericht vom 19.2.2015, die Ausführung im Bericht der S.-Klinik vom 24.8.2015, die Therapieziele hätten nicht erreicht werden können und weiterer Behandlungsbedarf bestehe dringend, den im Therapiebericht vom April 2016 mitgeteilten Betäubungsmittelkonsum bis zum letzten Tag vor dem Beginn der Behandlung sowie Patzak, a.a.O., § 35 BtMG Rn. 62). Aus der stationären Suchtherapie, derentwegen die weitere Strafvollstreckung ab dem 31. März 2015 nach § 35 BtMG zurückgestellt worden ist, ist er am 1. Juni 2015 disziplinarisch entlassen worden. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Antragsteller annähernd sechs Jahre lang (Ende 2009 bis Ende 2015) betäubungsmittelabhängig gewesen ist, wobei er nicht nur Cannabis, sondern gelegentlich auch Amphetamin, Methamphetamin und Ecstasy konsumiert hat.
Die Erfolgschance ist darüber hinaus auch deshalb gering, weil – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist – die Therapie ab dem 17. Dezember 2015 nur etwa dreieinhalb Monate gedauert hat. Die Therapie in G. ist gescheitert, obwohl sie eine Dauer von sechs Monaten gehabt hat (18.7.2012 bis 16.1.2013; zur erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit längerer Drogentherapien vgl. Klos/Görgen, a.a.O., S. 27).
Weiterhin ist zweifelhaft, ob vor der Therapie ab dem 17. Dezember 2015 die ausreichende Vorbereitung stattgefunden hat, die (die Patzak zufolge, a.a.O., § 35 Rn. 239 ff., insbesondere 243) für den Erfolg einer Therapie von wesentlicher Bedeutung ist. Je mehr Therapien bereits gescheitert sind, desto intensiver muss die Therapievorbereitung sein (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 30,217,220). Insoweit ist lediglich belegt, dass der Antragsteller Gespräche bei der Stadtmission N. geführt hat, nicht aber deren Gegenstand und Verlauf. Jedenfalls hat der Antragsteller bis zum 7. Dezember 2015 THC (Cannabis-Wirkstoff) konsumiert (S. 1 der Therapiebescheinigung vom April). Nachdem der Drogentherapie zur Behebung der psychischen Abhängigkeit eine Entgiftungsbehandlung in der Zeit vom 8. Dezember 2015 bis zum 17. Dezember 2015 zur Behebung der physischen Abhängigkeit vorhergegangen ist (zu diesen beiden Suchterscheinungen vgl. Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 57 bis 62), bedeutet dies, dass der Antragsteller bis zum letzten Tag vor dem Behandlungsbeginn Drogen konsumiert hat. Den Strafvollstreckungsakten ist nichts dafür zu entnehmen, dass im Rahmen der Strafvollstreckungszurückstellung vom 22. Dezember 2015 (Abhilfeentscheidung betreffend die Beschwerde gegen den Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung) die Frage der Therapievorbereitung in den Blick genommen worden ist.
Schließlich ist für den Erfolg einer Therapie echte Therapiebereitschaft unabdingbar. Auch für die Zurückstellung der Strafvollstreckung zwecks Durchführung einer Drogentherapie nach § 35 BtMG ist sie deshalb erforderlich (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 204 ff.). Vorliegend bestehen Zweifel daran, dass bei dem Antragsteller echte Therapiebereitschaft vorhanden gewesen ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Möglichkeit, durch die Teilnahme an einer Drogentherapie und durch ein anschließendes sucht- und straffreies Leben der Strafhaft ganz oder zu einem erheblichen Teil zu entgehen, die Bereitschaft zur Therapie und – nach deren Abschluss – die erforderlichen Selbstkontrollanstrengungen verstärken oder sogar auslösen kann. Die Bestimmungen in den §§ 35, 36 BtMG ermöglichen es daher (als spezielle Variante des Legalbewährungsdrucks, der mit drohender Haft verbunden ist), für den Fall der Teilnahme an einer Drogentherapie die Strafvollstreckung zunächst zurückzustellen, anschließend die Therapiedauer auf die Strafe anzurechnen sowie den Rest der Freiheitsstrafe (aus § 36 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BtMG ergibt sich, dass der Gesetzgeber mindestens ein Drittel der Strafe für erforderlich hält, um auch nach der Therapie den Abstinenz- und Legal-Bewährungsdrucks aufrechtzuerhalten) zur Bewährung auszusetzen. Die Möglichkeit, durch Abstinenz und Legalbewährung einen günstigen Verlauf des Ausweisungsverfahrens herbeizuführen, kann ebenfalls (und mindestens mit derselben Wahrscheinlichkeit, vgl. lit. bb) solche Selbstkontrollanstrengungen begründen. Es ist jedoch keineswegs gewährleistet, dass eine Strafandrohung, Inhaftierung oder bevorstehende Ausweisung im konkreten Fall die Therapiemotivation initiiert oder hinreichend verstärkt. Die Tatsache, dass die freiwillige Mitwirkung des Probanden die Erfolgschancen eines Therapievorhabens erheblich verbessert, macht die beschränkten Erfolgschancen erzwungener Therapien deutlich. Der Gesetzgeber kennt das Problem der scheinbaren Motivation zur Therapie, also eines dem staatlichen Druck angepassten Verhaltens bei nur vordergründiger Therapiebereitschaft (vgl. Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 31,32,215 ff.; in Rn. 242 warnt Patzak davor, vor dem Strafvollzug in die Therapie zu flüchten). Er hat im Rahmen des Zurückstellungsverfahrens nach § 35 BtMG die Überprüfung der Therapiebereitschaft (die Bereitschaft zum Antritt und zum Durchstehen der Therapie) vorgesehen, um missbräuchliche Antragstellungen vorzubeugen und die begrenzte Anzahl kostspieliger Therapieplätze ernsthaft therapiewilligen Drogenabhängigen vorzubehalten (Patzak, a.a.O, § 35 Rn. 204, 242).
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die Therapie im Therapiezentrum D. am 17. Dezember 2015 angetreten hat, während der Widerruf der Strafvollstreckungszurückstellung bereits ausgesprochen, seine Beschwerde hiergegen bereits anhängig und auch die Klage gegen den Ausweisungsbescheid vom 6. Mai 2015 bereits anhängig gewesen ist. Der Kläger hat mehrfach Anhaltspunkte dafür geliefert, dass bei ihm ein angepasstes Verhalten unter einem „Damoklesschwert“ keine Gewähr bietet für die unabdingbare Therapiebereitschaft. Jedoch ist den Strafvollstreckungsakten nicht zu entnehmen, dass einer dieser Anhaltspunkte bei der Entscheidung vom 22. Dezember 2015, durch die dem Antragsteller die Teilnahme an der Therapie im Therapiezentrum D. ermöglicht worden ist, Berücksichtigung gefunden hätte. Die gesamte Zeit nach der (erstmaligen) Verbüßung von Strafhaft bis Anfang November 2009 ist – abgesehen von den mehr als 20 Monaten, die der Antragsteller erneut in Haft oder in Therapieeinrichtungen verbracht hat – von Bemühungen des Antragstellers geprägt gewesen, die ihm wegen Bewährungsverstößen drohende Strafvollstreckung abzuwenden. Im Therapiebericht vom 15. Januar 2013 über den Verlauf der Therapie in G., durch die der Antragsteller die Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil vom 7. Mai 2012 erreicht hat, werden für den Anfangszeitraum Anpassungsschwierigkeiten, eine mangelnde Frustrationstoleranz, eine leichte Ablenkbarkeit, eine eher unpünktliche und vermeidende Haltung gegenüber sport- und arbeitstherapeutischen Angeboten und eine abwartende Haltung im psychotherapeutischen Gruppensetting beschrieben. Für den weiteren Verlauf der Therapie ist dann von bedeutenden Besserungen (nach eindringlichen Aufforderungen) die Rede und von dezidierten Absichten des Antragstellers betreffend ein geordnetes Leben (u.a. einen Zuzug nach W., wo er sich vom Vater und Verwandten unterstützt fühle). Die Tatsache, dass der Antragsteller noch im November 2012 (4 Monate nach Therapiebeginn) bei einer Heimfahrt Alkohol getrunken hat, wird in dem Bericht erwähnt, jedoch nicht für maßgeblich erachtet. Kurz nach dem Abschluss der Therapie ist der Antragsteller zum Betäubungsmittelkonsum zurückgekehrt und hat den beim Vater genommenen Wohnsitz wieder aufgegeben (W. sei ihm zu klein). Sodann hat der Antragsteller am 10. Juni 2013 und am 21 Juni 2013 durch Darlegung von Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit den Widerruf der Strafrestaussetzungen aus den Jahren 2009 und 2012 zu verhindern versucht. Auf den Widerruf vom 24. Juni 2013 der Strafrestaussetzung aus dem Jahr 2009 hin hat er Beschwerde erhoben, die am 15. Juli 2013 verworfen worden ist. Auf den Widerruf vom 14. Oktober 2013 der Strafrestaussetzung aus dem Jahr 2012 hin hat er die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG beantragt. Dieser Antrag ist erstinstanzlich am 24. Februar 2014 und zweitinstanzlich am 3. März 2014 abgelehnt worden. Ab dem 22 April 2014 hat der Antragsteller fast ein weiteres Jahr seiner Freiheitsstrafen verbüßt. Aus der weiteren Therapie (ab dem 31.3.2015 in der S.-Klinik), die dem Antragsteller durch eine Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG ermöglicht worden ist, ist er nach zwei Monaten wegen eines offensichtlichen Regelverstoßes disziplinarisch entlassen worden. Ein solcher „leichtfertiger Umgang“ mit der Therapiechance ist ebenfalls ein Indiz für fehlende Therapiebereitschaft (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 216). Der Bericht der S.-Klinik vom 24. August 2015 über den zweimonatigen stationären Aufenthalt des Antragstellers enthält eine ungünstige Prognose hinsichtlich Abstinenz und Delinquenzrisiko und stellt – wie bereits erwähnt – einen dringenden weiteren Behandlungsbedarf fest. Nach dieser disziplinarischen Entlassung hat der Antragsteller die Inhaftierung zunächst durch den Nachweis vermieden, dass ihm für die Zeit ab dem 19. August 2015 erneut ein Thherapieplatz in der S.-Klinik angeboten worden ist. Er hat die Therapie jedoch nicht angetreten. Auch dieses Verhalten deutet auf einen fehlenden Therapiewillen hin (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 214). Ab August 2015 hat der Antragsteller die Inhaftierung dadurch vermieden, dass er immer wieder angekündigt hat, eine Begründung für die Beschwerde vorzulegen, die er gegen den schließlich ausgesprochenen Widerruf der Strafvollstreckungs-Zurückstellung erhoben hat. Drei Monate nach Beschwerdeeinlegung hat sich die Vorlage einer Begründung erübrigt, weil der Antragsteller nun vom Therapiezentrum D. eine Therapieplatz-Zusage für die Zeit ab dem 17. Dezember 2015 erhalten hatte und deshalb seiner Beschwerde abgeholfen worden ist. Die bereits erwähnten Anhaltspunkte für ein fehlendes Engagement des Antragstellers bei der Vorbereitung der Therapie in D. sprechen ebenfalls gegen eine echte Therapiebereitschaft.
cc) Im Rahmen der ausweisungsrechtlichen Prognose ist zu berücksichtigen, dass der Abschlussbericht vom April 2016 (die dem Antragsteller ausgehändigte Therapiebericht-Fassung vom 7.4.2016 ist nicht vollkommen identisch mit der am 25.4.2016 der Staatsanwaltschaft übersandten Fassung) dem Antragsteller eine günstige Prognose stellt. Diesem somit günstigen Prognoseindiz (entgegen den Ausführungen auf S. 10 des BVerfG-B. hat der Senat auch die Therapiebescheinigung nicht „eher negativ“ bewertet) kann jedoch aus mehreren Gründen kein wesentliches Gewicht zugemessen werden.
Bei der Würdigung des Therapieberichts ist zu berücksichtigen, dass ein Therapiebericht – entgegen der Darstellung in der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers (S. 50) – keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung darstellt. Zu einer effektiven Drogenberatung ist ein enges Vertrauensverhältnis zwischen dem Drogenabhängigen und dem Berater erforderlich. Der Berater ist kein verlängerter Arm des Staates (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 436). Eine Mitteilungspflicht gegenüber staatlichen Stellen besteht aufgrund der Vorschrift des § 35 Abs. 4 BtMG nur bei einem Therapieabbruch. Ansonsten gilt der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 418 ff.). Um einen Bericht über den Therapieverlauf zu erhalten, muss die Strafvollstreckungsbehörde den Verurteilten zur Einholung bei der Therapieeinrichtung und zur Vorlage (bzw. zur Schweigepflichtentbindung) verpflichten. Weil Drogenberater Interessenvertreter ihrer Klienten (und nicht des Staates) sind (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 253) und deshalb in der Regel nicht die Mitwirkung verweigern, wenn sie beispielsweise erkennen, dass der Klient nicht die Überwindung der Sucht anstrebt, sondern die Therapie lediglich deshalb beantragt, weil er der Strafhaft entkommen möchte (vgl. Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 253,254; in Rn. 254 weist Patzak überdies darauf hin, dass Therapieeinrichtungen Wirtschaftsunternehmen sind, die wie Reiseunternehmen und Hotels darauf achten müssen, dass ihre Therapieplätze und Betten regelmäßig belegt sind), sind die Therapiestellungnahmen nicht als objektive Gutachten, sondern als einseitige Stellungnahmen zu bewerten (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 253). Gegen unzureichende Stellungnahmen von Therapieeinrichtungen gibt es keine effektive Handhabe (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 413 ff.). Im Wesentlichen aus diesen Gründen und weil bei einer Bewertung von Therapieerfolgen die Patienten ihre Lebensprobleme nicht offen, sondern nur angepasst angehen würden, hat der Gesetzgeber bei der Anrechnung der Therapie auf die Strafe nach § 36 BtMG nicht auf erfolgreiche Therapiezeiten, sondern auf die Aufenthaltszeiten in der Therapie an sich abgestellt (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 16 ff.). Aus all dem ergibt sich, dass die Ausführungen in Therapieberichten keine objektive Einschätzung darstellen und die Einrichtung regelmäßig dann eine günstige Prognose abgibt, wenn sie nicht vom Klienten durch einen erheblichen Verstoß gegen ihre Regeln zu einem disziplinarischen Therapieabbruch genötigt worden ist.
Der Therapiebericht vom April 2016 legt – nicht anders als der Therapiebericht vom 15. Januar 2013 – einen schwierigen Beginn dar (zum Beispiel einen unangemessen aggressiven Vortrag von Anliegen) sowie bedeutende Besserungen im Laufe der Therapie und dezidierte Absichten des Antragstellers betreffend ein geordnetes und ausgeglichenes Leben. Hinsichtlich der früheren Therapieerfolglosigkeit teilt der Bericht (a.E.) lediglich pauschal mit, der Antragsteller habe die Bedingungen seiner Rückfälligkeit reflektiert. Der Bericht bezieht sich hier inhaltlich auf seine vorherige Feststellung, der Antragsteller besitze eine gut ausgebildete Selbstreflexionsfähigkeit. Dies lässt eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Scheitern der bisherigen Therapiebemühungen (zur Bedeutung einer solchen Aufarbeitung vgl. Patzak, § 35 Rn. 218) – bereits zwei angetretene Therapien haben keinen Erfolg gehabt – nicht erkennen.
Dem Abschlussbericht des Therapiezentrums D. vom April 2016 zufolge hat der Antragsteller einen intensiven Kontakt zu seinem Vater aufgenommen und geplant, in Zukunft vorerst bei seinem Vater zu leben und sich „wieder an den Werten zu orientieren, die ihm in der Kindheit vermittelt wurden“. Er sei dankbar, dass ihn sein Vater nicht fallen lasse, obwohl er ihn durch das jahrelange Führen eines Doppellebens so tief enttäuscht habe. Nach Therapieende ist der Antragsteller jedoch nicht nach W., sondern erneut nach N. in seine vorherige Wohnung gezogen. In N. hat der Antragsteller seine Straftaten begangen und seine Sucht entwickelt. Der Umstand, dass der Antragsteller nicht einmal versuchsweise bei seinem Vater eingezogen ist, deutet darauf hin, dass der Antragsteller mit der im Therapiebericht wiedergegebenen Absichtsbekundung den Erwartungen seiner Therapeutin entgegengekommen ist, eine Übersiedlung nach W. (das er in der richterlichen Anhörung vom 10.6.2013 als „zu klein“ bezeichnet hatte) aber nicht geplant hat. Nunmehr hat der Antragsteller seine eigene Wohnung aufgegeben und ist zu seiner Stiefmutter (ebenfalls in N.) gezogen. Das Verhältnis zu seiner Stiefmutter hat der Antragsteller dem Strafurteil vom 18. Juni 2007 zufolge als „zeitweilig sehr schwierig“ beschrieben; im Frühjahr 2013 ist er einen Monat nach dem Einzug von ihr wieder hinausgeworfen worden. Dem Therapiebericht vom April 2016 zufolge hat sich der Antragsteller u. a. das Ziel einer geregelten beruflichen Existenz gesetzt. Ob dem Antragsteller nunmehr eine nachhaltige Erwerbstätigkeit (vgl. die diesbezügliche Aufforderung in Nr. 4 des Strafrestaussetzungsbeschlusses vom 6.5.2016) gelingen wird, ist offen, da eine Arbeitsaufnahme in dem seit dem Therapieabschluss vergangenen Jahr bislang nicht dargelegt worden ist. Dem Vorbringen des Antragstellers in den Verfahren 19 AE 17.102 und AN 5 E 17.212 (mit B d. VG A. 14.3.2017) ist die Behauptung zu entnehmen, ihm seien Arbeitsplatzangebote gemacht worden, die er aber wegen Fehlens der begehrten Fiktionsbescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht habe nutzen können. Der Antragsteller hat jedoch weder ein schriftliches Arbeitsplatzangebot vorgelegt noch eine Arbeitgebererklärung, der zufolge der Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht genügt und ohne eine diesbezügliche Fiktionsbescheinigung eine Anstellung nicht erfolgen kann. Schließlich ist dem Therapiebericht zu entnehmen, die Schwierigkeiten des Antragstellers, seine Impulse zu kontrollieren und persönliche Diskrepanzen sozialkompetent zu lösen, seien im sokratischen Dialog bewältigt worden: „Aufgrund seiner gut ausgebildeten Selbstreflexionsfähigkeit gelang es, mit ihm jeweils kritische Situationen ad hoc als solche zu erkennen, zu besprechen und alternatives Verhalten zu entwickeln. Dies setzt er inzwischen gut um.“ Den polizeilichen Ermittlungen betreffend einen Vorfall in der Silvesternacht 2016/2017 ist jedoch zu entnehmen, dass die im Gutachten vom 6. September 2012 festgestellten „kränkbaren, impulsiven, aber auch antisozialen Anteile der Primärpersönlichkeit“ des Antragstellers nach wie vor vorhanden sind und eine wirksame Aufarbeitung der früheren Straftaten noch immer nicht stattgefunden hat. Nach den Aussagen von Zeugen dieses Vorfalls (der Antragsteller hat sich gegenüber der Polizei nicht zur Sache eingelassen) hat der Antragsteller als Gast einer Silvesterfeier in F. das Pavillon-Zelt einer benachbarten Feier aufgesucht. Nach einer verbalen Auseinandersetzung aufgefordert, zur Feier seines eigenen Gastgebers zurückzukehren, hat er einen Party-Teilnehmer angegriffen und zu Boden geworfen. Durch diese Tat, die zu schweren gesundheitlichen Schäden hätte führen können, ist der Geschädigte im Gesicht verletzt worden. Der Geschädigte hat auf die Stellung eines Strafantrags verzichtet, nachdem sich der Antragsteller entschuldigt hatte. Der Umstand, dass der Antragsteller nur zwei Monate nach dem Erhalt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 trotz der laufenden Bewährungszeit (deren erstes Jahr ist noch nicht vollendet gewesen) nicht in der Lage oder nicht willens gewesen ist, seine delinquenzgeneigten Persönlichkeitsanteile zu kontrollieren, lässt Schlussfolgerungen auf sein Verhalten in der Zeit zu, in der keinerlei besonderer Legalbewährungsdruck mehr besteht und auf die es für die Frage einer nachhaltigen Resozialisierung ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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