Strafrecht

Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung des Verfalls – Einziehung trotz sozialrechtlicher Ausschlussfristen

Aktenzeichen  5 OLG 15 Ss 96/18

Datum:
20.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32901
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EGStGB Art. 316h S. 1
StGB § 73, § 73c, § 73e, § 263
BGB§ 362 Abs. 1, § 823 Abs. 2
SGB X § 45 Abs. 4 S. 2
StPO § 111i, § 353 Abs. 2, § 459g Abs. 5

 

Leitsatz

1. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung des Verfalls nach der bis 30.06.2017 geltenden Rechtslage, deren Aufhebung den Strafausspruch in der Regel nicht berührt, ist nur dann wirksam, wenn dieser Teil der Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann ein Anspruch auf Rückzahlung des zu Unrecht erbrachten Arbeitslosengeldes II wegen der Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht mehr geltend gemacht werden, ist der Anspruch aber nicht im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB erloschen und daher die wertmäßige Einziehung des Tatertrags auch nicht ausgeschlossen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

15 Ns 256 Js 133496/17 2017-11-22 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 22.11.2017 aufgehoben, soweit von der Anordnung der Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten am 25.07.2017 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten mit Bewährung und ordnete die Einziehung des Wertersatzes in Höhe von 9.777,66 € an.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bezog der Angeklagte im Zeitraum vom 01.07.2013 bis 30.04.2014 Arbeitslosengeld II in Höhe von 9.777,66 € von dem Leistungsträger Jobcenter München, auf die er keinen Anspruch hatte, da er im Jahr 2013 eine Erbschaft von mehr als 23.000,00 € erhalten und diese dem Leistungsträger verschwiegen hatte.
Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein, beschränkt auf die Anordnung der Einziehung. Die Staatsanwaltschaft München I wandte sich mit ihrer Berufung zunächst gegen den Rechtsfolgenausspruch insgesamt, beschränkte ihr Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung jedoch ebenfalls auf die Einziehung des Wertersatzes.
Das Landgericht München I entschied mit Urteil vom 22.11.2017 auf die Berufung des Angeklagten, dass die Einziehung von Wertersatz entfällt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde verworfen.
Das Landgericht traf dabei ergänzende Feststellungen zum Ablauf der Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Leistungen über 9.777,66 € durch das Jobcenter. Danach wurde der Rückforderungsbescheid am 16.01.2017 aus formalen Gründen aufgehoben. Das Landgericht verneinte einen deliktischen Schadensersatzanspruch des Leistungsträgers gegen den Angeklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB als Grundlage für die Anordnung der Einziehung von Wertersatz gemäß §§ 73, 73c StGB mit Blick auf das „geschlossene System“ der §§ 44 ff. SGB X.
Hiergegen richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft München I. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte in der Hauptverhandlung vom 20.07.2018, das Urteil des Landgerichts München I vom 22.11.2017 aufzuheben und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München zu verwerfen, hilfsweise das Urteil des Landgerichts München I in den Rechtsfolgen mit den Feststellungen, soweit sie die Frage der Einziehung betreffen, aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen.
Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung, die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.11.2017 als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft München I hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht München I hat rechtsfehlerhaft die zum 01.07.2017 in Kraft getretenen Regelungen des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl. 2017 Teil I Nr. 22, S. 872 ff.) zur Einziehung des Tatertrags bzw. seines Wertes nicht angewandt.
1. Die Beschränkung bereits der Berufung und damit folgend der Revision auf die unterbliebene Einziehungsentscheidung ist wirksam.
Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung des Verfalls (nach der bis 30.06.2017 geltenden Rechtslage), deren Aufhebung den Strafausspruch in der Regel nicht berührt, ist grundsätzlich möglich. Sie ist aber nach den allgemeinen Grundsätzen, die für die Beschränkung von Rechtsmitteln gelten, nur dann wirksam, wenn dieser Teil der Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2004, NStZ-RR 2005, 104, juris Rdnr. 3 m. w. N.; BGH, Urteil vom 08.02.2018, Az.: 3 StR 560/17, juris Rdnr. 4).
Da sich am fehlenden Strafcharakter der an die Stelle des Verfalls getretenen Einziehung (des Wertes) von Taterträgen gemäß §§ 73, 73c StGB in der aufgrund des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 seit dem 01.07.2017 geltenden Fassung nichts geändert hat, ist auch für den neuen Rechtszustand grundsätzlich von einer Trennbarkeit auszugehen (OLG Köln, Urteil vom 23.01.2018, StraFo 2018, 204 [205]).
Freilich steht die Entscheidung über die Einziehung des unrechtmäßig Erlangten insoweit in einem Zusammenhang mit dem übrigen Urteilsinhalt, als der Wert des Tatertrags im Sachverhalt festgestellt wurde und im Rahmen der Strafzumessung Niederschlag fand. Dennoch kann die Einziehung isoliert betrachtet werden, da weder das Amtsgericht München noch das Landgericht München I den Rechtsfolgenausspruch und die Einziehung zu einer einheitlichen Sanktion verklammert, sondern beide Bereiche separat beurteilt haben.
2. §§ 73, 73c StGB n. F. sind auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar, obwohl die Anlasstaten im Zeitraum von 01.07.2013 bis 30.04.2014 begangen worden sind, das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aber erst mit Wirkung ab dem 01.07.2017 in Kraft getreten ist.
Zwar statuiert § 2 Abs. 5 StGB, dass für die Einziehung § 2 Abs. 1 bis 4 StGB entsprechend gilt, mithin sich die Rechtsfolgen nach dem zur Zeit der Tat geltenden oder im Falle einer Gesetzesänderung nach dem mildesten Gesetz bestimmen. Art. 316h S. 1 EGStGB enthält hierzu jedoch eine abweichende Regelung, wonach unter anderem die §§ 73 bis 73c, 73d und 73e StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 anzuwenden sind, wenn über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 01.07.2017 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden wird.
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Tatgerichte haben ihre Urteile jeweils nach dem Stichtag getroffen, das Amtsgericht München am 25.07.2017 und das Landgericht München I am 22.11.2017.
3. Die Rückwirkung der neuen Einziehungsvorschriften begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit wird auf die umfangreichen Ausführungen des Oberlandesgerichts München im Beschluss vom 19.07.2018 (Az.: 5 OLG 15 Ss 539/17, S. 4 ff.) Bezug genommen. Des Weiteren wird auf die Argumentation des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 23.01.2018, StraFo 2018, 204, juris Rdnr. 12 ff.) verwiesen, der sich der Senat uneingeschränkt anschließt.
4. Der vom Landgericht München I gewählte Ansatz, die Anordnung der Einziehung an das Bestehen eines Anspruchs des Leistungsträgers auf Rückerstattung des überzahlten Arbeitslosengeldes II bzw. auf Schadensersatz wegen Betruges zu knüpfen, lässt sich mit dem Wortlaut der grundlegenden materiellen Vorschrift des § 73 Abs. 1 StGB nicht in Einklang bringen. Danach ordnet das Gericht die Einziehung an, wenn der Täter oder Teilnehmer durch die rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Diese Anordnung ist zwingend (BGH, Urteil vom 08.02.2018, Az.: 3 StR 560/17, juris Rdnr. 6).
Die Neufassung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zielt darauf ab, den Strafprozess von zeitraubenden zivilrechtlichen Fragen zu entlasten, indem die Befriedigung der Ansprüche Tatgeschädigter aus dem Strafverfahren in das Strafvollstreckungsverfahren (§ 459h StPO) oder in das Insolvenzverfahren (§ 111i StPO) verlagert wurde (vgl. BR-Drucksache 418/16, S. 2; BT-Drucksache 18/9525, S. 2, 49 f.). Damit einhergehend wurde z. B. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a. F. aufgehoben, der einen Verfall ausschloss, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen war, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entzogen hätte. Für den wichtigen Bereich der Vermögensdelikte (z. B. Betrugstaten) war die staatliche Abschöpfung deliktisch erlangter Vermögenswerte aufgrund dieser Norm nämlich nicht möglich. Das bisherige Regelungsmodell der „Rückgewinnungshilfe“ wurde deshalb durch die Gesetzesänderung von einem Entschädigungsmodell abgelöst (BR-Drucksache 418/16, S. 66; BT-Drucksache 18/9525, S. 46).
Im Rahmen des § 73 Abs. 1 StGB n. F. stellt sich somit die Frage nach Bestehen oder Nichtbestehen eines etwaigen Anspruchs des Verletzten gegen den Täter oder Teilnehmer nicht. Mit der Einziehung soll dem Täter das durch eine rechtswidrige Tat Erlangte wieder genommen werden (Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73 Rdnr. 4).
5. Abzuschöpfen ist jeder Vermögenswert, den der Tatbeteiligte durch die rechtswidrige Tat erlangt hat, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist. Allerdings erstreckt sich die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB n. F. nach seinem Umfang grundsätzlich nur auf das unmittelbar erlangte Etwas (BGH, Urteil vom 08.02.2018, Az.: 3 StR 560/17, juris Rdnr. 10).
Da vorliegend die ausbezahlten Geldscheine nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden sind, kommt § 73c S. 1 StGB zum Tragen, also die Anordnung der Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht.
6. Die Voraussetzungen des § 73e Abs. 1 StGB sind nicht erfüllt. Danach ist die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c StGB ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist.
Aufgrund der Intention der neugefassten strafrechtlichen Vermögensabschöpfung unterfallen dieser Vorschrift nach Ansicht des Senats lediglich Sachverhaltsgestaltungen, in denen der Ersatzanspruch des Verletzten befriedigt bzw. einvernehmlich geregelt wird.
a) Die Vorschrift des § 73e Abs. 1 StGB n. F. soll dem Umstand Rechnung tragen,
dass der Täter, der durch die Tat etwas erlangt hat, sich nach der Gesetzesänderung neben der (staatlichen) Einziehung auch weiterhin den Ansprüchen des Geschädigten ausgesetzt sieht. Zur Vermeidung einer Doppelbelastung soll die Einziehung deshalb entfallen, wenn der Anspruch des Geschädigten bis zum Abschluss des Erkenntnisverfahrens erlischt (BGH, Urteil vom 08.02.2018, Az.: 3 StR 560/17, juris Rdnr. 7).
Durch den Wortlaut („erloschen ist“) stellt die Vorschrift klar, dass der Täter nicht nur dadurch befreit wird, dass er die geschuldete Leistung bewirkt (§ 362 Abs. 1 BGB). Vielmehr befreit ihn auch ein (Teil-) Erlass nach § 397 Abs. 1 BGB. Die Regelung ist mithin mit Blick auf den Grundsatz der Privatautonomie „vergleichsfreundlich“ ausgestaltet (BR-Drucksache 418/16, S. 75; BT-Drucksache 18/9525, S. 69).
b) Zwar erweitert § 47 AO für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis den Begriff des Erlöschens neben Zahlung, Aufrechnung und Erlass auch auf Verjährung sowie den Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen. Hieraus wird zum Teil gefolgert, dass eine Einziehung nur dann möglich ist, wenn der Steueranspruch nicht aufgrund Verjährung erloschen ist (Rettke, Einziehung und Vermögensarrest im Steuerstrafverfahren, wistra 2017, 417; unklar Reh, Praxisprobleme im Umgang mit dem neuen Recht der Vermögensabschöpfung aus staatsanwaltschaftlicher Sicht, NZWiSt 2018, 20 [22]).
Nach dieser weiten Ansicht könnte auch der Ausschluss der Geltendmachung einer Forderung unter den Begriff des Erlöschens subsumiert werden, wie ihn der fallrelevante § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X im vorliegenden Fall vorsieht. Danach kann die Behörde einen Verwaltungsakt unter bestimmten Bedingungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, jedoch (nur) innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die weder einer Verlängerung noch einer Wiedereinsetzung zugänglich ist (BeckOK Sozialrecht, Stand 01.06.2018, § 45 SGB X Rdnr. 47).
c) Einer solch weiten Auslegung schließt sich der Senat allerdings nicht an. Der Gesetzgeber wollte mit § 73e Abs. 1 StGB eine „vergleichsfreundliche“ Lösung finden, die Tatverdächtigen einen Anreiz zu einer zügigen (freiwilligen) Schadenswiedergutmachung gibt (BT-Drucksache 18/11640, S. 79). Zu einer solchen vermögensrechtlichen Verständigung zwischen Täter und Verletzten im Sinne eines Täter-Opfer-Ausgleichs ist es bei verjährten oder gesetzlich ausgeschlossenen Ansprüchen aber gerade nicht gekommen. Im Gegenteil ist der Rechtsfrieden durch den weiter bestehenden unrechtmäßigen Vermögensvorteil des Täters weiter gefährdet. Der materiellen Gerechtigkeit ist nicht Geltung verschafft worden (vgl. zur Verjährung Madauß, Das neue Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung und Steuerstrafverfahren – Fragen aus Sicht der Praxis, NZWiSt 2018, 28 [33] m. w. N.).
d) Ein Vergleich mit der bis 30.06.2017 bestehenden Rechtslage zeigt aus Sicht des Senats ebenfalls, dass das Erlöschen im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB eine Befriedigung des Anspruchs oder eine gütliche Beilegung des Schuldverhältnisses beinhaltet. § 73e StGB ist eine Konsequenz aus dem Wegfall des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB (BR-Drucksache 418/16, S. 75 Köhler/Burkhard, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – Teil 2/2, NStZ 2017, 665 [673]).
Unabhängig vom Zustandekommen eines wirksamen Erlassvertrages zwischen dem Verletzten und dem Täter stand § 73 Abs. 1 S. 2 StGB der Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) dann nicht entgegen, wenn der Verletzte ausdrücklich auf seine Ersatzforderung verzichtet und in Übereinstimmung mit dieser Erklärung keine Ansprüche gegen den Täter geltend gemacht hat; denn in diesem Fall konnte davon ausgegangen werden, dass weder dem Verletzten durch die Anordnung des Verfalls eine Ersatzmöglichkeit entzogen wurde noch umgekehrt dem Angeklagten eine doppelte Inanspruchnahme drohte. Eine erfolgreiche Durchsetzung der Forderung konnte aus Rechtsgründen ausgeschlossen werden und stand nicht lediglich aus tatsächlichen Gründen nicht (mehr) zu erwarten. Eine trotz des Verzichts erhobene Forderung wäre in einem eventuellen Zivilprozess am Verwirkungseinwand als von Amts wegen zu berücksichtigende, rechtsvernichtende Einwendung gescheitert. Um zu verhindern, dass sich der Täter andererseits auf diese Weise den Taterlös sichern konnte, ließ man in einer solchen Konstellation § 73 Abs. 1 S. 2 StGB nicht zur Anwendung gelangen. Aus denselben Gründen stand ein verjährter Schadensersatzanspruch des Verletzten der Anordnung des Verfalls nicht entgegen, obwohl der Täter dieses Leistungsverweigerungsrecht sogar aktiv geltend machen musste, um eine doppelte Inanspruchnahme zu vermeiden (BGH, Urteil vom 11.05.2006, NStZ 2006, 621, juris Rdnr. 6, 8).
Da der Gesetzgeber mit der ab 01.07.2017 geltenden Neufassung die Vermögensabschöpfung vereinfachen und Abschöpfungslücken schließen wollte (BT-Drucksache 18/11640, S. 1), reicht der Regelungsgehalt des § 73e Abs. 1 StGB nicht hinter die bisherige Gesetzeslage zurück. Wenn aber sowohl eine rechtsvernichtende Einwendung als auch eine rechtshindernde Einrede den Weg für die Anordnung des Verfalls a. F. freimachten, muss dies entsprechend für eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfrist gelten. In allen diesen Fallgestaltungen droht keine doppelte Inanspruchnahme des Täters, die § 73e StGB unterbinden will (vgl. Madauß, a.a.O., NZWiSt 2018, 28 [33]), auch wenn er dazu im Falle der Verjährung durch Vortrag, ggf. Vorlage von Belegen und Erhebung der Einrede tätig werden muss.
Selbst wenn also der Leistungsträger Jobcenter München den Anspruch auf Rückzahlung des zu Unrecht erbrachten Arbeitslosengeldes II wegen der Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht mehr geltend machen kann, ist sein Anspruch nicht im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB erloschen und daher die wertmäßige Einziehung des Tatertrags auch nicht ausgeschlossen.
7. Eine etwaige Entreicherung des Angeklagten ist erst im Vollstreckungsverfahren zu prüfen (§ 459g Abs. 5 StPO). § 73c Abs. 1 S. 2 StGB a. F., wonach die Anordnung unter anderem unterbleiben kann, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist, wurde dem Zweck der Reform der Vermögensabschöpfung entsprechend aufgehoben.
Die Tatgerichte hatten nämlich im Rahmen des § 73c Abs. 1 StGB konkrete Feststellungen dazu zu treffen, in welchem Umfang und zu welchem Zweck das Erlangte ausgegeben wurde (BGH, Urteil vom 26.03.2009, NStZ 2010, 86, juris Rdnr. 11).
Angesichts der dazu notwendigen, nicht selten schwierigen Beweisaufnahme beschränkten die Tatgerichte die Höhe des als Wertersatz abzuschöpfenden Geldbetrages häufig von vornherein auf den Wert der sichergestellten Vermögensgegenstände, der allerdings in aller Regel hinter dem ursprünglich erlangten Tatertrag zurückblieb. Wurden im Nachhinein weitere, bis dahin unentdeckte Vermögenswerte des Betroffenen festgestellt, konnte auf sie nicht mehr zugegriffen werden, weil es insoweit an einer vollstreckbaren Abschöpfungsgrundlage fehlte. Die Regelung des § 73c Abs. 1 S. 2 StGB führte im Ergebnis häufig dazu, dass dem Täter Taterträge verblieben und der kriminalpolitische Zweck der Vermögensabschöpfung verfehlt wurde (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 47).
8. Der von der Verteidigung ins Feld geführte § 73e Abs. 2 StGB betrifft zwar den Wegfall der Bereicherung, gilt aber ausschließlich für Drittbegünstigte im Sinne des § 73b StGB, die zum Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die Herkunft des Gegenstands ohne grobe Fahrlässigkeit gutgläubig waren (Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73e Rdnr. 5).
Im Ergebnis hätte das Landgericht München I die Einziehung des Wertes des Erlangten gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 StGB anordnen müssen. Insoweit bedarf es einer neuen Verhandlung und Entscheidung. Eine Urteilsergänzung analog § 354 Abs. 1 StPO durch den Senat selbst kommt nicht in Betracht. Der einzuziehende Tatertrag bemisst sich nach den tatrichterlichen Feststellungen. Zwar hat das Landgericht München I die vom Angeklagten zu Unrecht bezogenen Leistungen mit einem Betrag in Höhe von 9.777,66 € beziffert. Weitergehende Feststellungen zu § 73e Abs. 1 StGB, z. B. in Form von (Teil-) Zahlungen des Angeklagten, wurden aber nicht getroffen und können nicht ausgeschlossen werden.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft war das Urteil des Landgerichts München I vom 22.11.2017 daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Anordnung der Einziehung an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen (§§ 354 Abs. 2 S. 1, 353 Abs. 1 StPO). Die der Einziehung zugrundeliegenden Feststellungen mussten nicht gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufgehoben werden; ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen sind zulässig.


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