Strafrecht

Beschwerde, Verletzung, Rechtsmittel, Verfahren, Gegenvorstellung, Partei, Anfechtbarkeit, Kostenentscheidung, Beweisaufnahme, Auflage, Verfahrensrecht, Beschwerdeverfahren, Voraussetzungen, Schriftsatz, sofortige Beschwerde, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts

Aktenzeichen  13 W 753/21

Datum:
19.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55596
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

28 O 12881/20 2021-03-30 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beweisbeschluss des Landgerichts München I vom 30.03.2021, Az. 28 O 12881/20, wird verworfen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen dessen Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer für die deutschen P.-Gesellschaften in Anspruch.
Die Klagepartei schloss im Dezember 2016 einen Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH über 10 Container zu einem Gesamtpreis von 13.700,00 € ab (Anlage K11).
Am 30.03.2021 erließ das Landgericht einen Beweisbeschluss (Bl. 209/210 d.A.). Angeordnet wurde die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Behauptung der Klagepartei, dass der Beklagte die Bestätigungsvermerke für die P. Gebrauchtcontainer Vertriebsund Verwaltungs GmbH ab dem 30.11.2012 (d.h. für das Geschäftsjahr 2011 und die folgenden Geschäftsjahre) wegen Insolvenzreife der Gesellschaft hätte versagen müssen; dies sei für den Beklagten auch offensichtlich erkennbar gewesen. Der Beweisbeschluss wurde der beklagten Partei am 31.03.2021 formlos auf elektronischem Weg übersandt.
Mit Schriftsatz vom 09.04.2021, beim Landgericht München I per beA eingegangen am selben Tag, legte die beklagte Partei gegen den Beweisbeschluss vom 30.03.2021 sofortige Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss vollumfänglich aufzuheben. Darüber hinaus wurden die Gehörsrüge, Gegenvorstellung und die Rüge von Verfahrensverstößen erhoben (Bl. 212/245 d.A.).
Mit Beschluss vom 11.05.2021 änderte das Landgericht den Beweisbeschluss vom 30.03.2021 dahingehend ab, dass es statt „ab dem 30.11.2012 (d.h. für das Geschäftsjahr 2011 und die folgenden Geschäftsjahre)“ heiße: ab dem 30.11.2012 bis zum 05.07.2016 (d.h. für die Geschäftsjahre 2011 bis 2014). Im Übrigen half das Landgericht der sofortigen Beschwerde des Beklagten nicht ab und verwarf die gleichzeitig eingelegte Gehörsrüge unter Bezugnahme auf § 321a Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig (Bl. 250/252 d.A.).
Mit Verfügung vom 11.05.2021 wurden die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt (Bl. 253 d.A.).
Ergänzend wird auf die Gründe der landgerichtlichen Beschlüsse und auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 09.04.2021 gegen den Beweisbeschluss des Landgerichts München I vom 30.03.2021 war als unzulässig zu verwerfen.
Das Rechtsmittel ist nicht statthaft, weil die Voraussetzungen des § 567 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen. Weder ist die Anfechtbarkeit im Gesetz ausdrücklich bestimmt (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) noch handelt es sich bei dem angefochtenen Beschluss um eine Entscheidung, welche eine mündliche Verhandlung nicht erfordert und durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
1. Ein Beweisbeschluss als prozessleitende Anordnung kann grundsätzlich nicht selbständig angefochten werden. Seine Fehlerhaftigkeit kann nur mit den gegen die Endentscheidung gegebenen Rechtsmitteln zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt werden, weil mit der Zulassung einer selbständigen Anfechtung der Beweisanordnung durch die Beschwerdeinstanz unzulässigerweise in die Sachentscheidungskompetenz des Prozessgerichts eingegriffen würde (BGH NJW-RR 2009, 995, 996 Rn. 9 m.w.N.; Bach in BeckOK ZPO, 40. Edition, § 358 Rn. 10 und § 359 Rn. 7).
Auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Endentscheidung darf die betroffene Partei ausnahmsweise dann nicht verwiesen werden, wenn bereits die Zwischenentscheidung für ihn einen bleibenden rechtlichen Nachteil zur Folge hätte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe – dazu 2.a -, oder wenn eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt – dazu 2.b – (BGH a.a.O., Rn. 12 unter Bezugnahme auf BVerfG NVwZ 2005, 681, 682; BGH NJW-RR 2009, 1223, Rn. 8; Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage, § 358 Rn. 5).
2. Von einer derartigen Ausnahmekonstellation kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.
a) Es kann dahinstehen, ob – wie der Beschwerdeführer meint – das angeordnete Sachverständigengutachten unter Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz eine unzulässige Ausforschung zu Gunsten der Klagepartei und weiterer Klageparteien in Parallelverfahren beinhaltet. Ein bleibender rechtlicher Nachteil würde hieraus jedenfalls nicht resultieren.
aa) Ein bleibender rechtlicher Nachteil für eine Prozesspartei ist dann gegeben, wenn deren Rechtsstellung durch eine fehlerhafte Zwischenentscheidung unwiederbringlich beeinträchtigt wird. Rein tatsächliche Auswirkungen der Zwischenentscheidung reichen demgegenüber nicht aus.
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sind die Kriterien anzuwenden, die die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Prüfung des Vorliegens eines Beweisverbotes entwickelt hat (vgl. hierzu BGHZ 166, 283, 290 = NJW 2006, 1657, 1659, Rn. 19 ff.; BVerfG NJW 2011, 2417, 2418 f. Rn. 43 ff.; Zöller/Greger, a.a.O., § 286 Rn. 15a m.w.N.; Bacher in BeckOK ZPO, a.a.O., § 284 Rn. 26 ff.). Entscheidend ist demnach, ob durch die angefochtene Zwischenentscheidung ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht einer Partei verletzt wird, ohne dass dies zur Gewährleistung eines im Rahmen der Güterabwägung als höherwertig einzuschätzenden Interesses der anderen Partei oder eines anderen Rechtsträgers nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt erscheint.
Grund für die Unzulässigkeit der selbständigen Anfechtung einer Beweisanordnung ist, dass die Beschwerdeinstanz grundsätzlich nicht befugt ist, in die Sachentscheidungskompetenz des Prozessgerichts einzugreifen (BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – I ZB 118/07, Rn. 9). Eine selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen ist darüber hinaus geeignet, zu gravierenden Verzögerungen des erstinstanzlichen Verfahrens zu führen.
Diese Erwägungen müssen jedoch zurücktreten, wenn verfassungsrechtlich geschützte Rechte einer Partei betroffen sind. Das Beschwerdegericht kann eine Verletzung solcher Rechte nicht sehenden Auges zulassen. Hinzu kommen Aspekte der Prozessökonomie, denn die Ergebnisse einer solchen Beweisaufnahme wären nicht verwertbar und damit nutzlos erhoben.
Als Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte einer Partei kommen insbesondere Eingriffe in die Menschenwürde und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen des Rechts auf Achtung der Privat- und Intimsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 284 Rn. 67). Daneben ist die Annahme eines bleibenden rechtlichen Nach13 W 753/21 – Seite 5 – teils in Betracht zu ziehen, wenn Verfahrensvorschriften verletzt werden, die bereits das Verbot einer Beweiserhebung vorsehen, um Grundfragen der Verfahrensgerechtigkeit und der Chancengleichheit im Prozess zu wahren. Beispielhaft wären hier die Vernehmung eines Zeugen ohne Belehrung über sein tatsächlich bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht oder die Vernehmung von Personen unter Verstoß gegen gesetzlich bestehende Schweigepflichten zu erwähnen (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.). Schließlich ist an schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße zu denken, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden (BVerfG NJW 2011, 2417, 2419 Rn. 45).
bb) Nach diesen Maßstäben kann dem Beklagten durch den Vollzug des angefochtenen Beweisbeschlusses kein bleibender rechtlicher Nachteil entstehen.
Dass durch diese Zwischenentscheidung ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht des Beklagten unwiederbringlich beeinträchtigt wäre, ist nicht dargetan. Die angeordnete Beweisaufnahme bewirkt keine Verletzung der Menschenwürde oder der Privat- und Intimsphäre des Beklagten. Es ist auch nicht erkennbar, dass dabei Umstände offengelegt werden könnten, an deren Geheimhaltung der Beklagte ein schützenswertes rechtliches Interesse hätte. Ein solches Interesse kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Klagepartei und dem erkennenden Gericht Sachumstände unbekannt bleiben, welche das Klagevorbringen stützen könnten.
Dass das Landgericht durch seinen Beweisbeschluss Verfahrensvorschriften verletzt hätte, die bereits das Verbot einer Beweiserhebung vorsehen, trägt der Beklagte nicht vor. Es ist schließlich auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass das Landgericht in schwerwiegender, bewusster oder willkürlicher Weise gegen Verfahrensrecht verstoßen hätte.
Bloße tatsächliche Auswirkungen wie die befürchtete Verschlechterung der eigenen Prozessposition reichen demgegenüber nicht aus, um die Annahme eines bleibenden rechtlichen Nachteils zu begründen. Auch die vom Beklagten geltend gemachte Fernwirkung möglicher Erkenntnisse aus der Beweiserhebung auf schon anhängige oder zukünftige Parallelverfahren würde allen13 W 753/21 – Seite 6 – falls einen tatsächlichen Nachteil darstellen. Dies gilt umso mehr, als im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz gilt und es folglich auf die Schlüssigkeit des Klägervortrags im Einzelfall ankommt.
b) Eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor.
Die Feststellungen des Insolvenzverwalters der P.-Gruppe, Rechtsanwalt Dr. J., waren bereits Gegenstand der Klageschrift vom 30.01.2020 (dort S. 8 ff. = Bl. 8 ff. d.A.) und des klägerischen Schriftsatzes vom 02.11.2020 (dort S. 4 ff. = Bl. 93 ff. d.A.). Mit diesen Schriftsätzen hatte die Klagepartei auch das Insolvenzgutachten für die streitgegenständliche P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH vom 20.07.2018 in den von ihr, der Klagepartei, für relevant erachteten Ausschnitten vorgelegt.
Ersichtlich auf der Grundlage dieses Parteivortrags gelangte das Landgericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2020 zu der Auffassung, dass ein Sachverständigengutachten zu erholen sei (vgl. hierzu auch die Begründung auf S. 2 des Nichtabhilfebeschlusses vom 11.05.2021 = Bl. 251 d.A.).
Mithin fehlt der Vermutung des Beklagten, dass erst der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klagepartei vom 26.02.2021 (Bl. 199/207 d.A.) den Ausschlag für den Erlass des Beweisbeschlusses vom 30.03.2021 gegeben hätte, eine tragfähige Grundlage. Auch die dort vorgenommene zeitliche Konkretisierung der Insolvenzreife ab dem Geschäftsjahr 2011 fand bereits in den von der Klägerin in Bezug genommenen Ausführungen des Insolvenzgutachtens eine Stütze (vgl. hierzu das Vorbringen auf S. 10 unten in der Klageschrift vom 30.01.2020 = Bl. 10 d.A.).
Dass die beklagte Partei auf den Schriftsatz vom 26.02.2021 vor Erlass des Beweisbeschlusses nicht erwidern konnte, stellt folglich keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar.
c) Die bloße Rechtsfehlerhaftigkeit des Beweisbeschlusses, wie sie vom Beklagten aus verschiedenen Gründen ebenfalls geltend gemacht wird, vermag die nur ausnahmsweise anzunehmende selbständige Anfechtbarkeit des Beschlusses nicht zu rechtfertigen. Insoweit verbleibt es bei der Möglichkeit, die Endentscheidung mit Hilfe von Verfahrensrügen anzufechten.
III.
1. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.
Der Beweisbeschluss als Ausgangsentscheidung des Landgerichts enthält als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung (vgl. Heinrich in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 358 Rn. 8). Das durch den Beweisbeschluss ausgelöste Beschwerdeverfahren stellt daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens dar. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, über die nach Verfahrensabschluss gemäß §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – II ZB 16/20, Rn. 22 f. für eine Beschwerdeentscheidung im Aussetzungsverfahren).
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO liegen vor.
Die Fortbildung des Rechts (vgl. zu diesem Zulassungskriterium BGHZ 151, 221; BGH NJW 2003, 1943, 1945; 2004, 289, 290; Zöller/Heßler, a.a.O., § 574 Rn. 13 und § 543 Rn. 12 m.w.N.) erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung des Begriffs des „bleibenden rechtlichen Nachteils“ als Zulässigkeitsvoraussetzung für die selbständige Anfechtbarkeit einer gerichtlichen Zwischenentscheidung aufzuzeigen.


Ähnliche Artikel


Nach oben