Strafrecht

Bestätigung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung eines wegen Brandstiftung verurteilten türkischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  19 CS 19.1183

Datum:
6.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28126
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 2, Abs. 3
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und für den Ausländer mit schwer zu behebenden Folgen verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung die auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist (wie VGH München BeckRS 2019, 7796). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Bei der Feststellung der in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten schwerwiegenden Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH BeckRS 2011, 81925 – Ziebell), handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlichen Überprüfung eigenständig zu treffen haben (BVerwG BeckRS 2013, 47815).Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten des Betroffenen im Strafvollzug und danach; es sind weiter auch die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwGE BeckRS 2000, 30143590). (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung reicht es nicht aus, von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ohne weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr zu schließen; Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf der Haft und gegebenenfalls einer Therapie. Bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen daher nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die im Einzelfall für den Ausländer sprechende Umstände ausblendet (BVerfG BeckRS 2016, 53810). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte de Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. VGH München BeckRS 2015, 43077). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer “ultima ratio” zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Assoziationsberechtigten und Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (VGH München BeckRS 2017, 128038). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens dann erforderlich, wenn die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen. (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

AN 5 S 17.2162 2019-05-23 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 29. März 2017 wiederherzustellen.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung mit der Begründung abgelehnt, die Anordnung des Sofortvollzugs erfülle in formaler Hinsicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO und die Ausweisungsverfügung sei im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht zu beanstanden. Aufgrund der Schwere der Straftat und der bislang nicht erfolgreich therapierten Drogensucht des Antragstellers stelle das persönliche Verhalten des Antragstellers eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Im Rahmen der Abwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausreise.
Demgegenüber macht der Antragsteller mit der Beschwerde geltend, der Antragsteller sei am 17. Oktober 2017 nach Verbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe aus der Haft entlassen worden, stehe nunmehr unter Führungsaufsicht und halte sich zuverlässig an seine Auflagen und Weisungen. Über das Vermögen des Antragstellers sei ein Insolvenzverfahren eingeleitet, in welchem sich der Antragsteller kooperativ und engagiert zeige. Seit der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt sei der Antragsteller nur drei Monate arbeitslos gewesen. Nachdem er von seinem Arbeitgeber eine Festanstellung erhalten habe, sei er operiert worden, was eine Kündigung während der Probezeit zum 5. Juni 2019 zur Folge gehabt habe. Der Antragsteller habe eine eigene Mietwohnung und verfüge über soziale Kontakte aus dem Verwandtschaftsbereich; von seinem früheren Umfeld habe er sich glaubhaft distanziert. Das Verwaltungsgericht habe sich bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr lediglich mit der Schwere der Straftat beschäftigt und die aktuelle Situation des Antragstellers nicht hinreichend gewichtet. Der Antragsteller könne die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 vorweisen, eine Ausweisung sei daher allein nach Maßgabe des Art. 14 ARB 1/80 zulässig. Der Antragsteller sei als 18-Jähriger nach Deutschland gekommen und lebe seit 1998 ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland. Trotz der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren durch das Urteil des Landgerichts N.-F. vom 4. Mai 2015 könne nicht von einem besonders schweren Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgegangen werden. Ob der Antragsteller ausgewiesen werden könne, sei anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung sämtlicher Belange zu ermitteln. Der Antragsteller sei faktischer Inländer. Er habe im Jahr 2010 erstmals Cannabis konsumiert; in den Jahren 2013 bis 2014 habe er lediglich am Wochenende Drogen konsumiert. Während der Haft seien alle seine Urinkontrollen negativ gewesen. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung sei es nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schlössen (BVerfGK 12, 37ff.). Einer positiven Entwicklung des Verurteilten dürfe nicht die Aussagekraft für die Rückfallprognose abgesprochen werden. Es sei mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet werde. Das Verwaltungsgericht habe nicht festgestellt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Antragsteller erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbar gerichtete Straftaten beeinträchtigen werde. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es vielmehr konkreter Feststellungen zu den vom Antragsteller drohenden Straftaten bedurft. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts genügten insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, als sie eine Rückkehr des Beschwerdeführers schlicht für zumutbar hielten, ohne Feststellungen zur Integrationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Türkei zu treffen. Das Interesse des Antragstellers, weiter im Bundesgebiet zu verbleiben, beruhe darauf, dass er sich in den letzten 20 Jahren im Bundesgebiet aufgehalten, hier seine berufliche Ausbildung abgeschlossen und zum Land seiner Staatsangehörigkeit keinen annähernd gleichwertigen Bezug habe. Unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG und des besonderen Schutzes des hier verwurzelten Antragstellers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK sei die Entscheidung wegen der nicht konkret festgestellten Wiederholungsgefahr unverhältnismäßig. Es sei eine aktuelle Gefahrenprognose unter Berücksichtigung des Resozialisierungsanspruchs des Antragstellers zu erstellen und eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei dürfe nicht allein auf die Begehung von Straftaten in der Vergangenheit abgestellt werden. Es sei auch zu klären, wie sich die Haft auf den Antragsteller ausgewirkt habe.
Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 18.12.2017 – 2 BvR 2259/17 – juris Rn. 17; B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 29; B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 – juris Rn. 42 f.) ist für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Die Ausweisung ist in jedem Falle eine schwerwiegende Maßnahme, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers und seiner Angehörigen eingreift. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung erheblich verschärft. Für die Verbindung der Ausweisung mit der Anordnung des Sofortvollzuges muss daher stets ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und mit schwer zu behebenden Folgen für den Ausländer verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung zudem die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.6.2005 – 2 BvR 485/05 – NJW 2005, 3275; BayVGH, B.v. 14.3.2019 – 19 CS 17.1784 – juris Rn. 7; B.v. 19.2.2009 – 19 CS 08.1175 – juris Rn. 49 jeweils m.w.N.). Bei der im Übrigen vorzunehmenden Folgenabwägung sind die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Ausländer, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüberzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 4.10.2006 – 1 BvR 2403/06 – juris). Für das Vorliegen des besonderen Vollziehungsinteresses im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – hier des Beschwerdegerichts – an (vgl. OVG NRW B.v. 5.8.2009 – 18 B 331/09 – juris).
Das Verwaltungsgericht hat nach diesen Maßstäben und insgesamt zutreffend entschieden, dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz keinen Erfolg hat.
Das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung ist in einer den Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet worden, dass eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers und damit verbundene Gefahren für die Allgemeinheit noch vor Rechtskraft im Hauptsacheverfahren verhindert werden sollen.
Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 29. März 2017 ist voraussichtlich rechtmäßig (1.) und die Anordnung des Vollzugs schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich, weil die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung überwiegen (2.).
1. Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20). Nach den danach auch im Eilrechtsschutzverfahren anzuwendenden aktuellen gesetzlichen Bestimmungen erweist sich die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin voraussichtlich als rechtmäßig. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist – auch wenn der Status nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gegeben sein sollte – weiterhin davon auszugehen, dass das persönliche Verhalten des Antragstellers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
Bei der Feststellung der in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten schwerwiegenden Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (zu diesem Maßstab vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08, „Ziebell“ – Rn. 82 ff.), handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eigenständig zu treffen haben (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – BVerwGE 112, 185, juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – NVwZ-RR 1990, 649, juris Rn. 4). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
Nach diesen Maßgaben ist unter Berücksichtigung der Schwere der Tat, der Gefährdung von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Opfern durch die verübte schwere Brandstiftung, der Höhe der verhängten Strafe von drei Jahren und ihrer Vollverbüßung, der Anordnung von Führungsaufsicht mit der Maximalfrist von 5 Jahren, der von wiederkehrender Strafbarkeit gekennzeichneten Entwicklung des Antragstellers und des Gewichts der bedrohten Rechtsgüter trotz Straffreiheit seit Haftentlassung unter Führungsaufsicht von einem Fortbestehen der schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG auszugehen.
Der mehrfach, u.a. wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Antragsteller (Verurteilungen vom 2.6.2010 wegen fahrlässigem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag zu einer Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu 25 Euro, vom 19.10.2010 wegen 2 Fällen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro, vom 18.11.2010 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 20 Euro sowie vom 21.2.2011 wegen versuchter Nötigung in 2 rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Bewährungszeit von 3 Jahren; diese Strafe wurde am 28.4.2014 – wenige Monate vor der Anlasstat – erlassen) hat unter Einfluss von Metamphetamin und Amphetamin am 18. Oktober 2014 die gemeinschaftlich genutzte Wohnung (ein Mitbewohner) in einem Mehrfamilienhaus aus unklarer Motivlage in Brand gesetzt, eine brandbedingte Körperverletzung seines Mitbewohners sowie dessen nachfolgende Obdachlosigkeit verursacht, mit der Brandstiftung das Leben und die Gesundheit von 20 sich im Haus befindlichen Personen – darunter Kinder und Hochschwangere – in Gefahr gebracht und erheblichen Sachschaden (70.000 Euro) verursacht. Er hat damit eine schwere Straftat begangen, die mit der Gefährdung des Lebens und der Gesundheit einer Vielzahl von Opfern einherging. Die Schwere der Straftat spiegelt sich auch in der Höhe der im Berufungsverfahren durch Urteil des Landgerichts N.-F. vom 9. November 2015 festgesetzten Freiheitsstrafe von 3 Jahren wider (der Strafausspruch des Amtsgerichts N. vom 4. Mai 2015 von einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wurde in der Berufung abgeändert, nachdem dem Antragsteller aufgrund der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ein formales Geständnis strafmildernd zugute gehalten wurde). In Anbetracht des hohen Rangs des beeinträchtigten Rechtsguts des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit sowie des überaus gefährdenden Handelns des Klägers aus unklaren Motiven bzw. unter Drogeneinfluss ist es unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Klägers, der Vollverbüßung seiner Freiheitsstrafe und der Anordnung einer Führungsaufsicht mit der Maximaldauer von 5 Jahren nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht mit der Beklagten vom Fortbestehen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG ausgegangen ist.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht weiter darauf an, dass die Gefahrenprognose auch der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer entspricht. Dahinstehen kann weiter, ob – wie das Verwaltungsgericht annimmt – für den Antragsteller eine bislang untherapierte Suchtproblematik besteht. Der Antragsteller hat die der Ausweisung zugrunde liegende Anlasstat unter dem Einfluss von Metamphetamin und Amphetamin begangen; ein Konsum von Cannabisprodukten ist nach Auskunft des in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung angehörten Sachverständigen belegt. Das Amtsgericht N. kam in seinem Urteil vom 4. Mai 2015 zu dem Schluss, dass der Antragsteller den Konsum dieser Rauschmittel gewöhnt war. Von Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit wurde nicht ausgegangen; eine mögliche Enthemmung durch die Suchtmittel wurde strafmildernd berücksichtigt.
Ausweislich des Prognosegutachtens vom 18. Oktober 2016 imponieren eine abwehrende Grundhaltung und Externalisierungstendenzen des Antragstellers. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass beim Probanden von einem überdauernden psychiatrischen Störungsbild auszugehen sei. Hinsichtlich des Drogenkonsums seien die diagnostischen Kriterien einer Abhängigkeit wie Toleranzentwicklung, starkes Verlangen nach den Substanzen, Kontrollverlust oder Entzugserscheinungen gemäß ICD-10 nicht erfüllt. Weder hinsichtlich Cannabis noch mit Amphetamin oder anderen Substanzen ergäben sich Anhaltspunkte für eine Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit des Probanden, was gegen die Diagnose eines schädlichen Gebrauchs stehe. Allerdings bestehe eine ungelöste Persönlichkeitsproblematik, die erneute Straftaten befürchten lasse. Für den Antragsteller ergebe sich wegen des unklaren Motivs der Tatausführung, einer fehlenden Deliktaufarbeitung (der Antragsteller spreche weiterhin von einem „Unfall“), des noch ungeklärten ausländerrechtlichen Status und einer komplett fehlenden Realitätserprobung im Rahmen von Lockerungen eine hohe Wiederauftrittswahrscheinlichkeit von solchen Delikten und damit eine noch ungünstige prognostische Gesamteinschätzung.
Wegen dieser ungelösten Persönlichkeitsproblematik und der mehrfachen Vorstrafen hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. mit Beschluss vom 14. Juni 2017 die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt. Eine Entlassung könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Der Antragsteller sei mehrfach vorbestraft und es bestehe eine Persönlichkeitsproblematik, die erneute Straftaten befürchten lasse. Von dem relativ geringen Strafrest würde im Übrigen kein ausreichender Bewährungsdruck ausgehen.
Der Antragsteller hat die Freiheitsstrafe voll verbüßt. Aus der Tatsache, dass ihm eine Strafrestaussetzung zur Bewährung nicht gewährt worden ist, ergibt sich, dass in der Strafvollstreckung nicht einmal die für die Strafrestaussetzung erforderliche reale Chance einer Resozialisierung bei ihm gesehen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris Rn. 10).
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. hat mit Beschluss vom 27. September 2017 angeordnet, dass nach Haftentlassung des Antragstellers die Führungsaufsicht nicht entfällt und deren Höchstdauer von 5 Jahren nicht abgekürzt wird. Des Weiteren wurden strafbewehrte Weisungen erlassen (Kontakt zur Bewährungshilfe, Abstinenzgebot, Betäubungsmittelkontrollen mindestens einmal bzw. bis zu dreimal im Quartal, Wohnsitznahme beim Onkel, Verpflichtung zur Schuldenregulierung, regelmäßige Beratungsgespräche bei der psychosozialen Ambulanz zur Bearbeitung der Persönlichkeitsproblematik). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Verurteilte sei vorbestraft und es bestehe eine ungelöste Persönlichkeitsproblematik, die neue Straftaten befürchten lasse. Eine positive Sozialprognose könne nicht gestellt werden. Auf das Prognosegutachten vom 18. Oktober 2016 wird Bezug genommen.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen liegt ein beanstandungsfreier Verlauf der Führungsaufsicht nicht vor. Im Rahmen einer ersten Suchtmittelkontrolle am 22. November 2017 wurde der Antragsteller positiv auf Morphin und Codein getestet. Ausweislich des Laborberichts ist ein Heroinkonsum ein paar Tage vor der Urinkontrolle nicht auszuschließen. Im Rahmen einer weiteren Suchtmittelkontrolle vom 7. September 2018 wurden leicht erhöhte THC-Werte (Cannabinoide) festgestellt. Die Weisung des Strafvollstreckungsgerichts, binnen dreier Monate nach Haftentlassung Beratungsgespräche bei einer psychosozialen Ambulanz aufzunehmen, ist nur mit zeitlicher Verzögerung umgesetzt worden. Ausweislich des Bewährungsberichts vom 1. Oktober 2018 ist der Antragsteller zwischenzeitlich in einem Beratungszentrum für seelische Gesundheit mit wöchentlichen Sitzungen in der Muttersprache gut angebunden.
Die durchaus anzuerkennenden positiven Entwicklungsansätze (eigene Mietwohnung, zumindest zeitweilige Arbeitstätigkeit), die auch die Bewährungshilfe in ihrer Stellungnahme vom 1. Oktober 2018 hervorhebt, lassen nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller die Deliktsursachen hinreichend aufgearbeitet hat und keine erneuten Straftaten insbesondere gegen das besonders hochwertige Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) begehen wird. Zum einen hat der Antragsteller bislang noch nicht einmal die Hälfte der – nicht verkürzten – fünfjährigen Unterstellung unter die Führungsaufsicht absolviert, wobei es während dieser Zeit bereits zweifach positive Drogenscreenings gab. Zum anderen hat der Antragsteller bisher nicht nachgewiesen, dass die bei ihm durch die Strafvollstreckungskammer festgestellte Persönlichkeitsproblematik abschließend erfolgreich behandelt worden ist. Von einem dauerhaften Einstellungswandel und einer längerfristigen Bewährung in Freiheit auch ohne den Druck und die Unterstützung der Führungsaufsicht kann demgemäß aktuell noch nicht ausgegangen werden. Soweit der Antragsteller im Rahmen des Prognosegutachtens vom 18. Oktober 2016 trotz der weitgehenden Verbüßung seiner Freiheitsstrafe hinsichtlich der abgeurteilten Straftat von einem „Unfall“ spricht, ist von einer unzureichenden Deliktsaufarbeitung auszugehen, unabhängig davon, ob diese suchtbedingt oder durch eine Persönlichkeitsstörung bedingt anzusehen ist. Unter solchen Umständen besteht die in der schweren Straftat zu Tage getretene Wiederholungsgefahr unverändert fort (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2019 – 10 C 19.315 – juris).
Die Straffreiheit des Klägers seit der Haftentlassung ist zweifellos ein positives Prognoseindiz; dieses ist jedoch (auch zusammen mit den anderen positiven Prognoseindizien) kein hinreichender Anlass, auf das Entfallen der Wiederholungsgefahr zu schließen. Der Zeitraum von zwei Jahren seit Haftentlassung ist angesichts der bisherigen Delinquenz, der unzureichenden Deliktsaufarbeitung und der angeordneten Höchstdauer der Führungsaufsicht nicht geeignet, eine für den Antragsteller günstige Gefahrenprognose zu begründen. Zunächst erzeugt bereits das laufende Ausweisungsverfahren einen „Legalbewährungsdruck“ (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 15). Zudem muss der Antragsteller den Auflagen und Weisungen des Führungsaufsichtsbeschlusses nachkommen, so dass sein Verhalten einer Kontrolle unterliegt (BayVGH, B.v. 10.4.2019, a.a.O.; B.v. 1.3.2019 – 10 ZB 18.2494 – juris Rn. 10 m.w.N.). Beim Antragsteller ist von der Führungsaufsicht nach der Haftentlassung nicht abgesehen und die Höchstfrist der Führungsaufsicht nicht abgekürzt worden, weil bei ihm eine ungelöste Persönlichkeitsproblematik besteht, die erneute Straftaten befürchten lässt (vgl. Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27. September 2017, S. 3). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die Anlasstat kurz nach dem Ablauf der Bewährung begangen hat, der er wegen seiner vorherigen Straftat unterstanden hat. Mangels einer hinreichenden Bewährung außerhalb des Strafvollzugs und keiner Bewährung in Zeiträumen ohne Legalbewährungsdruck kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde.
Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf den stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (vgl. B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris) berufen. Auch danach besteht selbst für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Es ist im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und – gegebenenfalls – Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, a.a.O., juris Rn. 19 mit Verweis auf BVerfK 12, 37).
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem durch das Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall wesentlich, so dass die dort entwickelten Grundsätze vorliegend nicht anwendbar sind. Nicht nur die Drogenproblematik hat sich dort anders dargestellt. Bei dem im Alter von 18 Jahren ins Bundesgebiet eingereisten, hiesigen Antragsteller handelt es sich entgegen dem Beschwerdevorbringen schon nicht um einen „faktischen Inländer“, da er seine maßgebliche Prägung im Heimatland erfahren hat und deshalb trotz des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht von einer Entwurzelung bzw. einer absoluten Entfremdung vom Land seiner Staatsangehörigkeit auszugehen ist. Darüber hinaus befinden sich seine Eltern und weitere Familienangehörige noch im Heimatland. Auch wurde dem Antragsteller eine Strafrestaussetzung zur Bewährung gerade nicht gewährt; nach Einholung eines Prognosegutachtens musste er die Freiheitsstrafe vollständig verbüßen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens, um die ausländerrechtliche Entscheidung entsprechend der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung (vgl. B.v. 19.10.2016, a.a.O., juris Rn. 24) auf einer breiteren Tatsachengrundlage treffen zu können, bedurfte es im vorliegenden Fall daher nicht; vielmehr kann das Gericht – wie ausgeführt – die Frage der Wiederholungsgefahr ohne sachverständige Hilfe durch Einholung eines Prognosegutachtens beurteilen.
Die Ausweisung ist auch zur Wahrung der hier betroffenen Grundinteressen der Gesellschaft unerlässlich.
Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern und Assoziationsberechtigten entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen.
Vorliegend ergibt die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung auch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK, dass das Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise nicht überwiegt. Dem kinderlosen Antragsteller ist es zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit wieder Fuß zu fassen. Der Antragsteller beherrscht die türkische Sprache, enge Familienangehörige wie seine Eltern und einige Geschwister befinden sich in der Türkei.
2. Die Anordnung des Vollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2016 – 19 CS 16.878; NdsOVG, B.v. 16.12.2011 – 8 ME 76/11 – juris Rn. 40; VGH BW, B.v. 25.6.1998 – 11 S 682/98 – juris Rn. 4 f.; OVG NRW, B.v. 24.2.1998 – 18 B 1466/96 – juris Rn. 30 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Gefahr einer Begehung erneuter Straftaten auch schon in der Zeitspanne bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist groß angesichts der vielfältigen Delinquenz des Antragstellers, seiner Persönlichkeitsdefizite und des Umstandes, dass ihm eine Strafrestaussetzung nicht hat gewährt werden können. Wie ausgeführt sind die nur teilweise beanstandungsfreie Zeit unter Führungsaufsicht sowie der wöchentliche Besuch eines Beratungszentrums für seelische Gesundheit keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung der Persönlichkeit und der Lebensumstände des Antragstellers, deretwegen das besondere Vollzugsinteresse hinter dem Interesse des Antragstellers zurückzutreten hätte. Die bereits für den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens festzustellenden Gefahren für die öffentlichen Belange sind unter Berücksichtigung der von den Straftaten des Antragstellers tangierten hohen Rechtsgüter von derartigem Gewicht, dass sie etwaige schutzwürdige Interessen des Antragstellers an der Erhaltung des Suspensiveffekts überwiegen (zu dieser Voraussetzung BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 – juris Rn. 43), auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung eine schwer wiegende Maßnahme darstellt, die erheblich in das Leben des Antragstellers eingreift. Er wird schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens gezwungen sein, das Bundesgebiet zu verlassen, hier bestehende Bindungen zu unterbrechen und sein Leben im Heimatland zu bestreiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller hochverschuldet und – auch in Anbetracht der zeitweilig ausgeübten Beschäftigung – in wirtschaftlicher Hinsicht bisher nicht im Bundesgebiet integriert ist, der Sofortvollzug also nicht mit dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden ist. Auch weitere im Bundesgebiet lebende Familienangehörige geraten durch die Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers nicht in eine existenzbedrohende Notlage. Der Antragsteller ist kinderlos und hat keinerlei Unterhaltsverpflichtungen. Dem Antragsteller ist eine soziale Wiedereingliederung im Bundesgebiet für den Fall eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren durchaus möglich und auch zuzumuten. Die Wirkungen des Sofortvollzugs sind im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller mithin weitgehend reparabel. Dies gilt für die durch einen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Realisiert sich die beschriebene konkrete Gefahr, dass der Antragsteller im Bundesgebiet erneut Straftaten begeht, die das Leben und die körperliche Unversehrtheit Dritter in ganz erheblicher Weise gefährden, sind die dann eingetretenen Schädigungen regelmäßig nicht wieder gutzumachen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben