Strafrecht

Entfernen vom Unfallort, Raub, Urkundenfälschung, Betäubungsmittel

Aktenzeichen  KLs 105 Js 1991/19

Datum:
21.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37169
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
JGG § 45 Abs. 1, § 47
StGB § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 b

 

Leitsatz

Tenor

Gründe

I.
Der zur Tatzeit 31-jährige Angeklagte wurde am XX.XX.1987 in … in Kasachstan geboren. Dort lebte er bis ins Jahr 1996 gemeinsam mit seinen Eltern Viktor und Oksana D. sowie seinem 29-jährigen Bruder und besuchte hier auch den Kindergarten und Teile der Grundschule. Im Jahr 1996 kam er gemeinsam mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland und wohnte zunächst einige Monate in einem Übergangswohnheim in Miltenberg. Anschließend wohnten er und seine Familie in der Altstadt und später im …. in Miltenberg. Kurze Zeit nach der Übersiedlung nach Deutschland ließen sich die Eltern des Angeklagten scheiden. In Miltenberg besuchte der Angeklagte zunächst die Grundschule in einer sogenannten Übergangsklasse und wechselte danach auf die Hauptschule in Miltenberg. Nach der siebten Klasse ging er auf die Elsavaschule in Elsenfeld und machte dort im Jahr 2000 seinen qualifizierenden Hauptschulabschluss. In der Folge absolvierte er im Ausbildungsbetrieb Jürgen S. eine 3 1/2-jährige Ausbildung im Bereich Sanitär/Heizung zum SHK-Anlagenmechaniker, die er erfolgreich abschloss. Im Jahr 2004 wurde er in diesem Betrieb in Vollzeit übernommen und arbeitete dort für ca. zwei Jahre. Im Zusammenhang mit dem Verlust seines Führerscheins wechselte der Angeklagte sodann zur Firma W. nach Kleinostheim und durchlief dort nochmals eine einjährige Ausbildung zum Schweißer, welche er ebenfalls erfolgreich abschloss. Im Jahr 2007 wurde er bei der Firma W. als Schweißer übernommen und verdiente dort über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren zwischen 1.500 EUR und 1.800 EUR netto. Nach Wiedererhalt seines Führerscheins zog der Angeklagte im Jahr 2017 nach Laudenbach und begann in Laudenbach bei der Firma S.& W. eine Tätigkeit als Kundendienstmonteur und bildete sich in dieser Firma zum Kundendiensttechniker fort. Hier arbeitete er bis Anfang Januar 2019 bei einem Verdienst von 1.700 EUR bis 1.800 EUR netto, ehe dieses Arbeitsverhältnis wegen der Verurteilung gemäß der Ziffer 14 des BZR beendet wurde. Am 01.03.2019 hätte der Angeschuldigte wieder bei der Firma W. in Kleinostheim anfangen sollen, was jedoch durch seine Inhaftierung in der hiesigen Sache am 22.02.2019 verhindert wurde.
Der Angeklagte hat keine Schulden. Ca. ein- bis zweimal pro Monat hat er in der Vergangenheit einen Joint geraucht.
Der Angeklagte, der Mitglied der Rockergruppierung „Outlaws Miltenberg“ ist, ist bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Am 13.05.2002 sah die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg im Verfahren 107 Js 5825/02 wegen Sachbeschädigung gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung ab.
Am 13.04.2004 sah die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg im Verfahren 207 Js 1562/04 wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung nach einer Ermahnung und Geldauflage durch den Jugendrichter gemäß § 45 Abs. 3 JGG von der Verfolgung ab.
Am 04.05.2004 wurde der Angeschuldigte vom Amtsgericht Obernburg, Zweigstelle Miltenberg – Jugendrichter – im Verfahren 207 Js 2812/04 wegen Sachbeschädigung zu einer Geldauflage verurteilt.
Am 26.07.2005 wurde das Verfahren 207 Js 4628/05 wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung vom Amtsgericht Miltenberg nach § 47 JGG eingestellt.
Am 13.01.2006 sah die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg im Verfahren 206 Js 387/06 wegen Sachbeschädigung gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung ab.
Am 03.02.2006 wurde im Verfahren 212 Js 1094/06 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz nach einer Ermahnung und Geldauflage durch den Jugendrichter nach § 45 Abs. 3 JGG von der Verfolgung abgesehen.
Am 15.02.2006 sah die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg im Verfahren 212 Js 1661/06 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach einer Ermahnung und Geldauflage durch den Jugendrichter nach § 45 Abs. 3 JGG von der Verfolgung ab.
Mit Urteil vom 21.09.2006 verhängte das Amtsgericht – Jugendrichter – Miltenberg gegen den Angeklagten im Verfahren 207 Js 4333/06 wegen fahrlässigen Vollrausches in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zwei Freizeit-Jugendarreste, ein Fahrverbot von zwei Monaten und eine Wiedergutmachungsauflage.
Am 12.02.2008 verurteilte das Amtsgericht Obernburg den Angeklagten im Verfahren 2 Ls 207 Js 7053/07 wegen Hehlerei zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 EUR.
Am 08.04.2008 folgte im Verfahren 2 Ls 207 Js 10052/07 eine Verurteilung durch das Amtsgericht Obernburg wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten mit Bewährung, die mit Wirkung vom 08.04.2011 erlassen wurde.
Mit Strafbefehl vom 27.02.2014 verhängte das Amtsgericht Miltenberg im Verfahren 7 Cs 111 Js 8247/13 wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 EUR gegen den Angeklagten.
Es folgte ein Strafbefehl des Amtsgerichts Alzenau vom 28.04.2017 im Verfahren 331 Cs 110 Js 4057/17 wegen zweifacher Bedrohung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 EUR.
Mit Strafbefehl vom 04.12.2017 verurteilte das Amtsgericht Miltenberg den Angeklagten im Verfahren 7 Cs 108 Js 12851/17 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 EUR.
Zuletzt verurteilte das Amtsgericht – Schöffengericht – Obernburg den Angeklagten am 11.01.2019, rechtskräftig seit dem 01.02.2019, im Verfahren 3 Ls 110 Js 4733/18 wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten und 2 Wochen mit Bewährung.
Dieser Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Zuge polizeilicher Ermittlungen wegen Diebstahls (vergleiche Ziffer IV.) wurde am 04.05.2018 die Wohnung des Angeklagten im Anwesen …, durchsucht. Dabei wurde festgestellt, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt folgende Gegenstände verwahrte:
– eine Pistole der Marke FEG Budapest, Kaliber 9 mm, Individualnummer B 62582, Farbe schwarzbraun mit 14 Schuss im Magazin
– 49 Schuss 9 mm Pistolenmunition, Dynamit Nobel, 38 Special
– 62 Schuss 9 mm Parabellum
– 1 Tupperbox mit Hanfsamen
– 1 Brocken Haschisch mit einem Gewicht von 0,15 g.
Soweit dem Angeklagten weiter zur Last lag, am 27.04.2018 in die Wohnung des Sascha L., … eingebrochen zu sein und aus einem Nachttisch im Schlafzimmer 3.000 € entwendet zu haben, wurde der Angeklagte im Wesentlichen deshalb freigesprochen, weil das Amtsgericht Obernburg eine Übertragung der an der Nachttischschublade aufgefundenen DNA nicht habe ausschließen können.
Der Angeklagte befindet sich seit dem 22.02.2019 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 19.02.2019, Gz. 306 Gs 336/19, in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg. II.
Am 12.01.2019 gegen 18.40 Uhr betrat der Angeklagte vermummt mit einem weißblaugestreiften Tuch über dem Gesicht den Verkaufsraum der ARAL-Tankstelle in …, weil er diese Tankstelle unter Verwendung einer Pistole überfallen und das in der Kasse befindliche Bargeld entwenden wollte. Entsprechend dieser vorgefassten Absicht lief der Angeklagte in Richtung Kasse und begab sich hinter die Verkaufstheke. Dort holte er mit der rechten Hand eine schwarze Pistole hervor und bedrohte damit den hier stehenden Tankstellenangestellten und Zeugen Dennis W.. Der Angeklagte rief mit vorgehaltener Pistole „Mach die Kasse auf!“, woraufhin der Zeuge W. die Kasse entriegelte. Der Angeklagte, der keine Handschuhe trug, zog daraufhin den Kassenauszug heraus und entnahm – mit Ausnahme von drei 5 €-Scheinen, die sich im Münzbereich befanden – das in der Kasse befindliche Scheingeld, um dieses für sich zu behalten, wobei ihm einige 5 €-Scheine auf den Boden fielen und zurückgelassen wurden. Insgesamt nahm der Angeklagte 840 € in Scheinen an und mit sich. Sodann begab sich der Angeklagte in Richtung der Haupteingangs- bzw -ausgangstüre, bei der es sich um eine vollautomatische Schiebetüre mit zwei Glaselementen handelt. Als der Angeklagte die vollautomatische Schiebetüre zum Verlassen der Tankstelle zügig durchschreiten wollte, verschloss sich diese gerade und streifte den Angeklagten an verschiedenen Bereichen. Aufgrund dieses Vorfalles hielt der Angeklagte kurz inne, drehte sich um und wischte die von innen gesehen linke Kante der automatischen Türe mit dem vorderen Bereich des Ärmels seines Pullovers ab, um etwaige Spuren zu beseitigen.
Sodann flüchtete der Angeklagte an der Laderampe des benachbarten Edeka-Marktes vorbei vom Tatort.
In Bezug auf die verwendete schwarze Pistole konnte durch die Kammer nicht festgestellt werden, ob es sich um eine scharfe Waffe oder um eine Schreckschusspistole handelte; genau so wenig konnte geklärt werden, ob die Pistole geladen war oder nicht.
Neben dem weißblaugestreiften Tuch war der Angeklagte mit einer grauen Jogginghose und einem gelben Kapuzenpullover mit einem aufgedruckten „M“, dessen Kapuze er übergezogen hatte, sowie weißen Sneakers mit einer dünnen Sohle bekleidet.
Der Zeuge W. war in Folge des Überfalles zwei Tage arbeitsunfähig und hatte für einen Zeitraum von ca. drei Wochen häufig Angstgefühle.
III.
1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angeklagten. Die Feststellungen zu den Vorstrafen des Angeklagten haben ihre Grundlage in der in der Hauptverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister und dem verlesenen Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Obernburg vom 11.01.2019 im Verfahren 3 Ls 110 Js 4733/18.
2. Die Feststellungen zum Tatgeschehen gemäß der Ziffer II. beruhen im Wesentlichen auf den Angaben der Zeugen Dennis W. und KK R., auf den in der Tankstelle gesicherten DNA-Spuren des Angeklagten in Verbindung mit dem erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. M. und auf den in Augenschein genommenen Aufzeichnungen von der Überwachungskamera zur Tatzeit bzw. ab 18.15 Uhr.
a) Zur Tat im eigentlichen Sinne hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er nicht der Täter des Überfalls gewesen sei. Er sei zwischen 18.15 Uhr und 18.30 Uhr zur AralTankstelle gelaufen und habe sich dort Zigaretten gekauft. Anschließend habe er mit dem Tankstellenangestellten W. links auf dem Parkplatz eine Zigarette geraucht. Er sei Stammkunde bei dieser Tankstelle. Gegen 18.30 Uhr habe er sich in das ca. 200 m entfernt gelegene Clubhaus der „Outlaws Miltenberg“ begeben, weil von Seiten der Mitglieder der Outlaws gegen 19.00 Uhr ein Ausflug in das Vereinsheim eines anderen Clubs stattfinden sollte.
Die Einlassung des Angeklagten, was er an der Tankstelle gemacht habe, ist falsch und bereits durch die Inaugenscheinnahme des Videos der Überwachungskamera vom Tattag, das ab 18.15 Uhr in der Hauptverhandlung vorgespielt wurde, widerlegt. Darauf ist zwar zu erkennen, dass der Tankstellenangestellte W. zwischen 18.17 Uhr und 18.39 Uhr fünfmal für ca. 1 Minute, zweimal für ca. 30 Sekunden und einmal für gut zwei Minuten in Richtung des Lagergangs im Bereich des Hinterausganges gegangen ist und dort geraucht haben könnte. Definitiv widerlegt ist jedoch, dass sich der Angeklagte an der Tankstelle ein Päckchen Zigaretten gekauft hat, weil er nach Inaugenscheinnahme des Videos der Überwachungskamera im Zeitraum ab 18.15 Uhr bis kurz vor der Tat den Verkaufsraum nicht betreten hat. Dass sich der Angeklagte einfach nur so zum Rauchen an die Tankstelle begeben hat, trägt er selbst nicht vor. Zudem erscheint dies auch lebensfremd.
Im Übrigen hat zwar der Zeuge W. in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass er heute nicht mehr mit letzter Sicherheit wisse, ob er mit dem Angeklagten, der Stammkunde an der Tankstelle gewesen sei, am Tattag oder einem anderen Tag eine Zigarette geraucht habe. Insoweit erscheint jedoch bedeutsam, dass er dies im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tat, die über den Vernehmungsbeamten KK R. in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, für den Tattag ausschließen konnte.
b) Die Feststellungen zur Tatzeit, zur Wegnahme- und Bedrohungshandlung sowie zum Verlassen der Tankstelle beruhen auf den glaubhaften Angaben des Zeugen W. und den Videoaufzeichnungen der Überwachungskamera.
Der Zeuge W. hat im Wesentlichen glaubhaft ausgesagt, dass der Täter, der keine Handschuhe getragen habe, mit einem blaugestreiften Tuch maskiert gewesen sei. Er sei hinter die Theke gelaufen und habe dort aus der Bauchtasche seines Pullovers oder der Hosentasche mit der rechten Hand eine Pistole herausgezogen und ihn bedroht. Er habe lediglich die vier Wörter „Mach die Kasse auf!“ gesagt. Dem sei er nachgekommen und der Täter habe die Geldscheine entwendet. Was die verwendete Waffe betreffe, sei er sich ziemlich sicher, dass es sich um eine Walther P 99 gehandelt habe, weil er ein solches Modell selbst einmal besessen hätte.
Im Übrigen konnte der Ablauf des Raubüberfalls bis zum Verlassen der Tankstelle – wie unter Ziffer II dargestellt, freilich mit der Einschränkung, dass ein maskierter Täter zu sehen ist – auch durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen festgestellt werden.
Bestätigt wird der Ablauf zuletzt auch durch die verlesene polizeiliche Aussage des Zeugen Yildiz T., der zum Zeitpunkt des Überfalls die Tankstelle betreten, jedoch vom Zeugen W. wegen des Überfalls ein Zeichen erhalten hatte, die Tankstelle wegen des Überfalls wieder zu verlassen.
c) Die Feststellungen zur Schadenshöhe beruhen auf den Angaben des Zeugen KK R., der entsprechende Ermittlungen beim Tankstellenpächter angestellt hat.
d) Die Feststellungen zu den Folgen des Raubüberfalls beruhen auf den glaubhaften Angaben des Geschädigten und Zeugen W..
e) Dass der Fluchtweg des Täters an der Laderampe des benachbarten Edeka-Marktes vorbeiführte, wurde anhand der vom Zeugen TB S. vorgenommenen Auswertung der Videoüberwachungsanlage des Edeka-Marktes festgestellt. Die entsprechenden Lichtbilder, die den mit der grauen Jogginghose und dem gelben Kapuzenpullover bekleideten Täter im Bereich der Laderampe zeigen, wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen und vom Zeugen TB S. erläutert.
f) Maßgebend für die Überzeugungsbildung der Kammer dahingehend, dass es sich bei dem Täter des auf den Aufzeichnungen der Überwachungskamera zu sehenden Raubüberfalls um den Angeklagten handelte, waren die am Tatort gesicherten DNA-Spuren, das in diesem Zusammenhang erstattete molekulargenetische Gutachten des Sachverständigen Dr. M. und vor allem der Umstand, wo diese DNA-Spuren festgestellt wurden sowie die Feststellung anhand der Aufzeichnungen der Videoüberwachungskamera, dass der ohne Handschuhe agierende Täter genau mit den Bereichen, an denen die Spuren gesichert wurden, Kontakt hatte. Im Einzelnen:
aa) Auf den Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage von der Tat, die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurden, ist zu sehen, dass der Täter ohne Handschuhe zu tragen, nachdem der Zeuge Dennis W. die Kasse entriegelt hatte, den Kassenauszug herauszog und das Scheingeld aus den entsprechenden Einlagefächern entnahm. Ferner ergibt sich aus der Videoaufzeichnung, dass sich genau zu dem Zeitpunkt, als der Täter nach dem Raub die vollautomatische Haupteingangstüre passieren wollte, diese verschloss und den Täter streifte. Dies nahm der Täter zum Anlass, die von innen gesehen linke Kante der automatischen Türe mit dem vorderen Bereich des Ärmels seines Kapuzenpullovers abzuwischen, vermeintlich um dadurch Spuren zu beseitigen.
bb) Genau in diesem Bereich, den der Täter jeweils ohne Handschuhe berührt hat, wurden nach den Angaben des Zeugen KK R. mittels Forensic Swab entsprechende Abriebe genommen und molekulargenetische Untersuchungen in Auftrag gegeben.
cc) Nach den erholten molekulargenetischen Gutachten vom 06.02.2019 und vom 18.02.2019, die der Sachverständige Dr. M. in der Hauptverhandlung nachvollziehbar und überzeugend erläutert hat, führte die Untersuchung der Spuren 0.4 (es handelt sich hier um den genommenen Abrieb an der automatischen Schiebetür) und 0.5 (es handelt sich um den genommenen Abrieb am Kassenauszug) zu identischen DNA-Mustern, die sich auf eine unbekannte männliche Person zurückführen ließen, wobei es sich um sogenannte Einzeltreffer ohne forensische Besonderheiten handelte und die sich zur Einstellung in die DNA-Analyse-Datei eigneten. Die dann vorgenommene Einstellung in die DNA-Analyse-Datei führte zu einem Exakttreffer „SpurPerson“. Im Nachgang wurde dem Sachverständigen Dr. M. sodann eine Vergleichsspeichelprobe des Angeklagten übersandt, welche der Sachverständige mit den gesicherten DNA-Spuren vergleichend untersucht hat.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass hier ein sogenannter Datenbanktreffer vorliegt, kommt der Sachverständige Dr. M. zu dem Ergebnis, dass es bezüglich der anhaftenden Zellmaterialien an den Spuren 0.4 und 0.5 – bei denen es sich, wie bereits ausgeführt, jeweils um Einzeltreffer ohne forensische Besonderheiten handelt – 93 Billiarden mal (9,3 x 10 hoch 16) wahrscheinlicher ist, dass diese vom Angeklagten verursacht wurden als von einer unbekannten, mit dem Angeklagten unverwandten Person, die nicht in der Datenbank erfasst ist. Folglich sei der Angeklagte ohne vernünftigen Zweifel Verursacher der anhaftenden Zellmaterialien an den Spuren 0.4 und 0.5.
Von einer weiteren Darstellung der Ergebnisse des molekulargenetischen Gutachtens hat die Kammer in Bezug auf die eindeutigen Einzelspuren 0.4 und 0.5 ohne Besonderheiten in der forensischen Fragestellung abgesehen, weil nach der neueren Rechtsprechung des BGH (BGHSt 63, 187; BGH NStZ 2019, 427) aufgrund der Standardisierung der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnung bei eindeutigen Einzelspuren den Darstellungsanforderungen genügt ist, wenn das Gutachtensergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in nummerischer Form mitgeteilt wird.
dd) Darüber hinaus wurden an den Spuren 0.2.1 (Eingriff am Randbereich der Kasse), 0.2.2 WST 2 bzw. Abrieb 2 (Trennsteg zu den Münzfächern der Kasse) und 0.2.2 WST 1 bzw. Abrieb 1 (Trennsteg zu den Münzfächern der Kasse) Mischspuren (Spuren, die mehr als zwei Allele in einem DNA-System aufweisen) festgestellt, wobei der Sachverständige Dr. M. für die Mischspur 0.2.2 WST 1 bzw. Abrieb 1 in Vorbereitung der Hauptverhandlung biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnungen durchgeführt und in der Hauptverhandlung erläutert hat. Dabei hat der Sachverständige 16 Systeme untersucht und die Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen anhand der Tabelle im Anhang des Gutachtens vom 18.02.2019 erläutert (dazu sogleich). Er hat weiter ausgeführt, dass die zur Berechnung herangezogenen DNA-Marker ungekoppelt sind, das heißt unabhängig voneinander vererbt werden und die biostatistischen Berechnungen unter Anwendung der Produktregel erfolgt seien. Als Vergleichspopulation sei die europäische Wohnbevölkerung herangezogen worden, was er für geboten erachte. Dass der berechtigte Spurenmitverursacher Fathi I., ein weiterer Angestellter der Tankstelle, möglicherweise türkischstämmig sei, spiele insoweit keine Rolle. Ferner habe er zu berücksichtigen gehabt, dass hier ein sogenannter Datenbanktreffer vorliege. Es handele sich um eine Mischspur, bei der drei Spurenverursacher in Betracht kämen, vom Typ her sei die Mischspur eine Spur ohne klaren Hauptverursacher. Anhand der Tabelle zum Gutachten vom 18.02.2019 (Blatt 102 f. d. A.) hat der Sachverständige erläutert, dass bei der Mischspur 0.2.2 WST 1 in Bezug auf den Angeklagten alle Allele in allen 16 Systemen vorhanden seien und beim berechtigten Spurenmitverursacher Fatih I. lediglich die „22“ im ersten System fehle. Die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung des Sachverständigen Dr. M. führte zu dem Ergebnis, dass es 15,8 Millionen mal wahrscheinlicher ist, dass die an der Mischspur 0.2.2 WST 1 anhaftenden Zellmaterialien vom Angeklagten und der Vergleichsperson Fatih I. verursacht wurden als die Verursachung durch die Vergleichsperson Fatih I. und eine weitere unbekannte, mit dem Angeklagten unverwandte Person. Danach ist die Kammer trotz der im Vergleich zu den Einzelspuren „geringeren“ Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass die Zellmaterialien in der Mischspur (neben der berechtigten Vergleichsperson I.) ebenfalls vom Angeklagten stammen. Seltenheitswerte im Millionenbereich sind insoweit für die Überzeugungsbildung ausreichend (BGH NStZ-RR 2012, 53).
ee) Dass der Angeklagte alle drei vorgenannten Spuren berechtigt gesetzt haben könnte, schließt die Kammer aus. Zwar hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er Stammkunde an der gegenständlichen Tankstelle gewesen sei, was vom Zeugen W. bestätigt wurde. Jedoch bedarf keiner näheren Begründung, dass Kunden der Tankstelle keinen Zugriff auf die Kasse haben, sodass jedenfalls für die Einzelspur 0.5 am Kassenauszug und die Mischspur 0.2.2 WST 1 am Trennsteg zu den Münzfächern der Kasse ein berechtigtes Setzen durch den Angeklagten ausscheidet. Auch für die Spur 0.4 an der Kante der automatischen Schiebetür erscheint zumindest unwahrscheinlich, dass der Angeklagte diese anderweitig gesetzt haben könnte, weil eine automatische Tür sich selbständig öffnet oder schließt, wenn man sich ihr in normaler Geschwindigkeit nähert. Es ist deshalb kein Grund dafür ersichtlich, warum der Angeklagte die Tür bei einer anderen Gelegenheit hätte anfassen sollen. Im Übrigen – und das ist entscheidend – ist zu sehen, dass die DNA-Abriebe, wie bereits ausgeführt, genau an den Stellen gefertigt wurden, mit denen der Täter des Raubüberfalls ausweislich der Aufzeichnungen der Überwachungskamera ohne Handschuhe Kontakt hatte.
Soweit der Angeklagte und sein Verteidiger vorgetragen haben, dass die DNA-Spuren durch den Zeugen W. übertragen worden seien bzw. dies zugunsten des Angeklagten anzunehmen sei, weil er Stammkunde an der Tankstelle sei und er am Tag des Überfalls oder anderen Tagen mit dem Zeugen W. eine Zigarette geraucht habe und es dabei auch zu einem Begrüßungshandschlag gekommen sei bzw. sein könne, handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung, die der Angeklagte ausweislich des verlesenen Urteils im Übrigen bereits im Verfahren 3 Ls 110 Js 4733/18 (Amtsgericht – Schöffengericht – Obernburg) bemüht hatte. Zwar hat der Sachverständige Dr. M. ausgeführt, dass eine Übertragung von DNA grundsätzlich möglich und von vielen Faktoren abhängig sei. Als nicht naheliegend, äußerst unwahrscheinlich und lediglich theoretisch möglich hat der Sachverständige jedoch eine DNA-Übertragung an drei verschiedene Örtlichkeiten bezeichnet. Derartige denktheoretische Möglichkeiten sind nicht geeignet, bei der Kammer vernünftige Zweifel daran zu gründen, dass die DNA-Spuren vom Täter des Raubüberfalls herrühren, zumal man auf den Aufzeichnungen der Überwachungskamera genau sieht, dass der Täter den Auszug der Kasse herausgezogen und den Innenbereich der Kasse an mehreren Stellen berührt hat. Genauso ist zu sehen, dass der Angeklagte die linke Kante der automatischen Tür mit dem vorderen Bereich seines Pullovers abgewischt hat. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer keine Zweifel, dass die DNA-Spuren, die genau in den genannten Bereichen gesichert wurden, dabei vom Täter gesetzt wurden. Im Übrigen spricht gegen die vom Angeklagten aufgestellte Theorie der Übertragung seiner DNASpuren durch den Zeugen W. auch, dass jedenfalls bei der Mischspur 0.2.2 WST 1 Spurenmitverursacher nicht etwa der Zeuge W. war, den der Angeklagte beim Rauchen mit Handschlag begrüßt haben will, sondern der zweite Kassierer Fatih I..
g) Das erholte Größenbestimmungsgutachten beim Bayerischen Landeskriminalamt aus dem Bereich 3D-Tatortvermessung, Rekonstruktion und Fototechnik, welches von der Sachverständigen K. in der Hauptverhandlung erläutert wurde, spricht zwar eher gegen eine Täterschaft des Angeklagten, schließt eine solche jedoch auch nicht aus.
Die Sachverständige K. hat ausgeführt, dass der Tatort mittels eines 3D Laserscanners vermessen worden sei. Als Grundlage für die Größenbestimmung habe die 3D- Laserscanaufnahme der von der Überwachungskamera erfassten Örtlichkeit und die Videoaufzeichnung der Überwachungskamera zur Tatzeit gedient. Aus dieser seien Bilder, die sich zur Tätergrößenbestimmung eignen, extrahiert worden. Damit ein 2D-Bild mit einer 3D- Laserscanaufnahme verknüpft werden könne, würden sogenannte Passpunkte verwendet. Nach Auswahl identischer Passpunkte in beiden Aufnahmen würde die Verzeichnung der Kamera herausgerechnet, die Position dieser bestimmt und das Pixelkoordinatensystem des Bildes in das Laserscankoordinatensystem transformiert. Nach der Verknüpfung des Laserscans und des 2D-Bildes könnten in den eingerechneten Überwachungsbildern Maße ermittelt werden. Um die Körpergröße des Täters zu ermitteln, würden die extrahierten Bilder der Überwachungskamera in das Programm geladen, wobei die Größe von Personen in der Software mit Hilfe einer virtuellen Figur bestimmt werde. Diese könne exakt in die Position des Täters eingepasst werden. Die ermittelte Größe sei nicht haltungsabhängig. Für die Größenbestimmung würden mehrere Aufnahmen verwendet. Bei der Größenbestimmung seien sieben geeignete Überwachungsbilder des Täters verwendet und jeweils durch zwei Sachverständige vermessen worden, wobei die Sachverständige die erfolgten Einzelmessungen in der Hauptverhandlung übergeben hat. Nach Auswertung der Überwachungsbilder sei der Täter zwischen 168,4 cm und 174 cm groß, wobei die ermittelte Größe auch die Schuhsohlenstärke und Kopfbedeckung des Täters beinhalte. Auf entsprechende Nachfrage durch das Gericht, führte die Sachverständige aus, dass die beschriebene Größenbestimmungen gewisse Unsicherheiten aufweise und deshalb ein Mittelwert aus den verschiedenen herangezogenen Bildern ermittelt werde und ein Sicherheitszuschlag (sogenannte Standardabweichung) nach oben und unten hinzugefügt werde. Der Rahmen zwischen 168,4 cm und 174 cm würde nach ihrer Auffassung eine Sicherheit von 95,44% beinhalten. Es bestehe deshalb eine Wahrscheinlichkeit von 4,56%, dass der Täter größer oder kleiner sei. Würde man die nächst größere Standardabweichung wählen, würde die Größe nach oben bis 175,4 cm reichen und dann eine Sicherheit von über 99% aufweisen. Jedoch bestünde auch dann noch eine Wahrscheinlichkeit von 0,63%, dass der Täter tatsächlich größer sei.
Aufgrund dieser Ausführungen der Sachverständigen wurde die Hauptverhandlung nach der Erstattung des Gutachtens der Sachverständigen K. unterbrochen und der Angeklagte mit seinem Einverständnis von der Landgerichtsärztin Medizinaldirektorin Schäfer ohne und mit Schuhen vermessen, wobei der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt Turnschuhe mit einer relativ dicken Sohle trug.
Anschließend erstattete die Sachverständige Schäfer in der Hauptverhandlung ihr Gutachten. Sie teilte mit, dass die Vermessung ohne Schuhe zu einer Größe von 173,2 cm und mit Schuhen zu einer Größe von 175,0 cm geführt habe.
Anhand der Videoaufzeichnungen war zu erkennen, dass der Täter des Raubüberfalls zur Tatzeit weiße Sneakers mit einer deutlich dünneren Sohle getragen hat, als die Sohlen der Turnschuhe, die der Angeklagte bei seiner Vermessung durch die Sachverständige Schäfer an hatte. Da die Sneakers nicht sichergestellt werden konnten und auch das Modell nicht erkennbar war, kann die Kammer zumindest nicht ausschließen, dass der Angeklagte mit diesen weißen Sneakers und der Kapuze des Kapuzenpullis, für die allenfalls ein Aufschlag im Millimeterbereich vorzunehmen ist, über 174 cm groß ist. Auf der anderen Seite steht für die Kammer jedoch zumindest fest, dass der Angeklagte wegen der dünneren Sohle mit der vorgenannten Bekleidung eine Größe von deutlich unter 175 cm aufweist, sodass er das Raster bis 174 cm nur geringfügig überschreitet. Damit bleibt unter Zugrundelegung der Ausführungen der Sachverständigen K., auch wenn das Größengutachten eher gegen eine Täterschaft spricht, eine solche gleichwohl mit einer nicht unerheblichen Wahrscheinlichkeit möglich.
Vor diesem Hintergrund wird die Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten durch dieses Größengutachten nicht erschüttert. Zum einen ist die Größenbestimmung, wie die Sachverständige K. ausgeführt hat, mit erheblichen Unsicherheiten, die sich etwa aus dem Winkel der Überwachungskamera ergeben, belastet. Zum anderen sind die Orte von den aufgefundenen DNA-Spuren im Zusammenhang mit den Aufzeichnungen der Videoüberwachungskamera und den biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen des Sachverständigen Dr. M., aus denen ohne jeden vernünftigen Zweifel geschlossen werden kann, dass das DNA-Material vom Angeklagten stammt, so gewichtige Indizien für die Täterschaft des Angeklagten, dass das Größengutachten, nach dem eine Täterschaft keinesfalls ausgeschlossen ist, vernünftige Zweifel an der Überzeugung der Kammer nicht zu begründen vermag.
h) Auf die Angaben des Zeugen Fevzi E. vermochte die Kammer keinerlei Feststellungen zu gründen.
Zwar hat der Zeuge E. bei seiner polizeilichen Vernehmung, die über den Vernehmungsbeamten KK R. in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, den Angeklagten massiv belastende Angaben gemacht. Er hatte sich insoweit, wie der Zeuge KK R. bekundet hat, freiwillig bei der Polizei gemeldet, weil er Angaben zum Raubüberfall machen wollte. Der Zeuge E. hatte bei der Polizei im Wesentlichen ausgesagt, dass er sich am Tattag ab ca. 18.00 Uhr im Clubhaus der Outlaws in der Mainzer Straße in Miltenberg befunden habe, weil die Mitglieder gegen 19.00 Uhr auf eine Party in einem anderen Clubhaus fahren wollten. Um 18.15 Uhr habe er einen Streit zwischen dem Angeklagten und einer ihm vom Namen her nicht bekannten Person mitbekommen. Diese Person habe zum Angeklagten gesagt „Hey du Penner, wo ist mein Geld“. Kurz darauf habe der Angeklagte das Clubhaus verlassen und sei ca. 40 Minuten weg gewesen. Als der Angeklagte wieder erschienen sei, habe er eine schwarze Pistole aus seinem Hosenbund geholt und in eine mitgebrachte Tüte gelegt. Er sei dann zu der Person gegangen und habe seine Schulden bezahlt, wobei er aus seiner Hosentasche einen Bündel Geldscheine geholt habe. Auf Frage der Person, woher er auf einmal das Geld habe, habe der Angeklagte geantwortet, dass er dieses von der Tankstelle geschenkt bekommen hätte. Den gelben Kapuzenpullover habe er beim Angeklagten schon gesehen, die weißen Turnschuhe habe er am Tattag getragen.
Jedoch hat der Zeuge E. in der Hauptverhandlung einen desolaten und nicht glaubhaften Eindruck gemacht. Insbesondere wollte er von dem bei der Polizei geschilderten Kerngeschehen im Wesentlichen, mit Ausnahme der Behauptung, dass der Angeklagte am Tattag eine schwarze Pistole im Hosenbund stecken gehabt hätte, nichts mehr wissen bzw. hat behauptet, dass dies von der Polizei falsch aufgenommen worden sei. Die Angaben in der Hauptverhandlung waren in fast allen Bereichen widersprüchlich und hatten, ohne Vorhalt, mit seiner polizeilichen Aussage nur wenig zu tun. So hat er in der Hauptverhandlung erstmals angegeben, dass er die Polizei deshalb angerufen habe, weil dieser seinem Sohn Kinderpornographie angeboten hätte und es deswegen zu einer Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gekommen wäre. Dass der Angeklagte irgendjemanden Geldscheine übergeben hätte, habe er nicht gesehen. Dass der Angeklagte die Pistole in die Tüte gelegt habe, stimme nicht, er habe sie im Hosenbund gehabt. Auch von einem Gespräch mit der unbekannten Person habe er nichts mitbekommen. Ob der Angeklagte einen gelben Kapuzenpullover besitze, wisse er nicht, es könne sein, dass er einen solchen schon bei ihm gesehen habe.
Worauf die dargestellten Erinnerungslücken und Widersprüche beruhen, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Der Zeuge E. hat angegeben, dass er Nerventabletten einnehme und seit 30 Jahren harte Drogen wie Heroin, Kokain und Speed konsumiere. Es erscheint der Kammer auch vom gewonnenen Eindruck vom Zeugen E. im Rahmen seiner Vernehmung durchaus denkbar, dass dieser unter dem Einfluss von Tabletten oder Betäubungsmitteln stand, was sein aggressives Verhalten erklären würde. Ebenfalls denkbar ist, dass das Aussageverhalten auf Bedrohungen durch Mitglieder der „Outlaws“, von denen der Zeuge E. ebenfalls berichtet hat, zurückgeht, zumal auch an sämtlichen Hauptverhandlungstagen mehrere „Member“ der „Outlaws“ zu gegen waren.
Unabhängig von der Ursache war der Zeuge E. für die Kammer in keiner Weise glaubhaft, sodass sich die Kammer nicht in der Lage sieht, auf die Angaben des Zeugen E. irgendwelche Feststellungen zu gründen.
Aufgrund dessen war eine Entscheidung über den vom Verteidiger im Schlussvortrag gestellten Hilfsbeweisantrag nicht geboten, weil die Bedingung für den Hilfsbeweisantrag nicht eingetreten ist.
i) Der zur Funkzellenauswertung für den relevanten Zeitraum vernommene Zeuge KHM H. hat bekundet, dass die vom Angeklagten genutzte Telefonnummer, die vom Zeugen KK R. ermittelt worden sei, im Zeitraum 12.01.2019, 18.47 Uhr bis 19.18 Uhr mit sechs Kommunikationsereignissen vorhanden gewesen sei. Da dieser Zeuge jedoch weiter bekundet hat, dass es wahrscheinlich sei bzw-. zumindest nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Funkmast, in den der Angeklagte eingeloggt war, auch das ca. 200 m vom Tatort entfernte Clubhaus der „Outlaws Miltenberg“ versorgt, lassen sich daraus letztlich keine tatbezogenen Schlussfolgerungen ziehen.
j) Soweit die Zeugin Shanice V., die von 2012 bis 2016 mit dem Angeklagten eine Beziehung geführt hat, angegeben hat, dass sie und der Angeklagte während dieser Beziehung gemeinsam eine Schreckschusspistole der Marke Walther P 99 nebst Schreckschussmunition angeschafft hätten, die sich noch im Besitz des Angeklagten befinde, spricht dies durchaus für das, was der Zeuge W. bekundet hat, nämlich, dass es sich bei der beim Überfall verwendeten Pistole um eine Walther P 99 gehandelt habe. Sicher feststellen konnte die Kammer die Verwendung dieser Pistole durch den Angeklagten bei der Tat jedoch nicht, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein anderes Modell verwendet wurde.
k) Soweit der Verteidiger in seinem Schlussvortrag ins Feld geführt hat, dass bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten weder die vom Täter getragene Kleidung noch eine Pistole aufgefunden worden sei, was gegen eine Täterschaft des Angeklagten spreche, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Zum einen hat der Zeuge KK R. bekundet, dass durchaus Gegenstände mit Bezug zu Waffen (Waffenreinigungsset, Luftpistolenmunition, 1 scharfe Patrone) aufgefunden worden seien. Zum anderen hält es die Kammer für mindestens genauso wahrscheinlich, dass ein Täter, der an einer Örtlichkeit, die kameraüberwacht ist, vermummt einen Raubüberfall durchführt, die dabei getragene Kleidung und Waffe nach der Tat entsorgt. Im Ergebnis spricht dieser vorgetragene Umstand deshalb weder gegen noch für eine Täterschaft des Angeklagten.
l) Soweit der Angeklagte für seine Behauptung, dass er noch nie einen gelben Kapuzenpulli besessen hätte, seinen Vater, den Zeugen Viktor D., und dessen Lebensgefährtin, die Zeugin Olga W., benannt hatte, konnten diese vernommenen Zeugen zum Beweisthema nichts dienliches sagen. Der Zeuge Viktor D. hat bekundet, dass er seinen Sohn vier- bis fünfmal im Jahr sehe, ob er einen gelben Kapuzenpullover oder weiße Turnschuhe besitze, wisse er nicht. Auch den Kleiderschrank des Angeklagten kenne er nicht. Auch die Zeugin Olga W. hat ausgesagt, dass sie einen gelben Kapuzenpulli beim Angeklagten zwar noch nicht gesehen habe, ob er einen solchen besitze, könne sie aber nicht sagen. Sie kenne weder den Kleiderschrank des Angeklagten noch wasche sie dessen Wäsche.
m) Würdigt man die zuvor dargestellten Beweise und Indizien nochmals in ihrer Gesamtheit ist zunächst festzuhalten, dass der unter Ziffer II dargestellte Ablauf des Raubüberfalls aufgrund der Aufzeichnungen der Überwachungskamera und den damit übereinstimmenden Angaben des Zeugen W. zweifelsfrei festgestellt werden konnte.
Das maßgebende und entscheidende Indiz dafür, dass der vermummte Täter der Angeklagte war, waren für die Kammer die am Tatort aufgefundenen DNA-Spuren, zu denen der Sachverständige Dr. M. biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnungen durchgeführt hat. Dabei ist der Kammer bewusst, dass ein DNA-Vergleichsgutachten zunächst einmal nur eine abstrakte, biostatistisch begründete Aussage über die Häufigkeit der festgestellten Merkmale bzw. Merkmalskombinationen innerhalb einer bestimmten Population enthält (etwa BGH NStZ 2012, 464). Jedoch unterscheidet sich der hier zu beurteilende von anderen Fällen vor allem dadurch, dass anhand der Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage genau festzustellen war, welche Gegenstände der ohne Handschuhe agierende Täter berührt hat, sodass genau an diesen Stellen DNA-Abriebe genommen und an diesen Abrieben sodann die DNA-Spuren mit den Merkmalen des Angeklagten festgestellt wurden. Dass der Angeklagte als etwaiger Stammkunde alle drei DNA-Spuren als Berechtigter gesetzt haben könnte, ist vor allem aufgrund der Orte, an denen sich DNA-Material des Angeklagten befand, zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen (vgl. die Ausführungen unter III. 2. f) ee)). Die vom Angeklagten und der Verteidigung in den Raum gestellte Theorie von einer Übertragung der DNA durch den Zeugen Wocniczka ist jedenfalls in Bezug auf alle drei DNA-Spuren nach Auffassung der Kammer eine lediglich denktheoretische Möglichkeit, welche vernünftige Zweifel an der Überzeugung der Kammer nicht zu begründen vermag (im Einzelnen unter III. 2. f) ee)).
Bewusst ist sich die Kammer – wie bereits ausgeführt (dazu III. 2. f)) -, dass das von der Sachverständigen K. erstattete Größengutachten eher gegen eine Täterschaft des Angeklagten spricht, weil der Angeklagte mit den weißen Sneakers geringfügig größer als die von der Sachverständigen errechnete – mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,44% anzusetzenden – Obergrenze von 174 cm sein könnte. Jedoch ist durch dieses Größengutachten – bei Zugrundelegung der Berechnungen der Sachverständigen – eine Täterschaft des Angeklagten keineswegs ausgeschlossen, sondern mit einer nicht unerheblichen Wahrscheinlichkeit möglich. Infolgedessen und aufgrund des Umstandes, dass die DNA-Spuren im Zusammenhang mit den weiteren genannten Beweismitteln weit gewichtigere Indizien für die Täterschaft des Angeklagten darstellen, wird die Überzeugungsbildung der Kammer anhand der DNA-Spuren durch das Größengutachten nicht erschüttert.
Auf die Übrigen Beweismittel konnten entweder keine Feststellungen gegründet werden – insbesondere auf die nicht glaubhaften Angaben des Zeugen E. – oder sie konnten weder für noch gegen eine Täterschaft des Angeklagten herangezogen werden, womit insbesondere die Funkzellenauswertung und der Umstand, dass bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten weder die vom Täter getragene Kleidung noch eine Pistole aufgefunden wurden, angesprochen ist.
Insgesamt waren für die Kammer die im Bereich der Kasse und der vollautomatischen Türe aufgefundenen und ausgewerteten DNA-Spuren in Verbindung mit den Feststellungen anhand der Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage so gewichtige Indizien, dass die Kammer davon überzeugt ist, dass der Angeklagte der Täter des Raubüberfalls war. Vernünftige Zweifel an dieser Überzeugung wurden auch durch das von der Zeugin K. erstattete Größenbestimmungsgutachten nicht begründet. In diesem Zusammenhang ist, auch wenn eine solche Konstellation letztlich wegen der zusätzlich vorliegenden Aufzeichnungen der Videoüberwachungsanlage nicht vorliegt, darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung des BGH anerkannt ist, dass der Tatrichter seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft des Angeklagten auch allein auf ein einziges Beweisanzeichen wie etwa DNA-Spuren stützen kann (BGH NStZ 2014, 475, BGH StraFO 2017, 457; BGH NJW 2013, 2612).
Ohne dass es für die Kammer noch darauf ankommt, spricht für eine Täterschaft des Angeklagten zudem, dass sich seine Einlassung, er habe zwischen 18.15 Uhr und 18.30 Uhr an der Tankstelle Zigaretten gekauft und anschließend mit dem Tankstellenangestellten W. eine Zigarette geraucht habe, als falsch erwiesen hat (dazu III. 2. a)). Dabei ist der Kammer bewusst, dass eine widerlegte Einlassung allein in der Regel nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden kann, weil bei der Würdigung einer widerlegten Einlassung zu beachten ist, dass ein Angeklagter meinen kann, seine Lage durch falsche Angaben verbessern zu können (BGH NStZ 1997, 96). Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen solche Teile der Einlassung als unrichtig erweisen, die für die Beurteilung des gesamten Tatgeschehens von wesentlicher Bedeutung sind und die nicht losgelöst von dem anderen Teil beurteilt werden können. In einem solchen Fall ist die Widerlegung der Einlassung in die Beweiswürdigung einzustellen (BGH NStZ-RR 2003, 369). Eine solche Konstellation liegt hier vor, weil die Schutzbehauptung vom Zigarettenkauf, dem Zigarettenrauchen und einem Begrüßungshandschlag mit dem Zeugen W. zur Überzeugung der Kammer dazu dienen sollte, eine Erklärung für eine Übertragung von DNA-Spuren zu schaffen.
IV.
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat sich der Angeklagte des schweren Raubes gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB schuldig gemacht.
Da nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, was für eine Pistole der Angeklagte verwendet hat und vor allem, ob diese geladen war oder nicht, geht die Kammer zugunsten des Angeklagten von einer ungeladenen Waffe aus.
Eine ungeladene Schusswaffe bzw. Schreckschusspistole unterfällt nicht dem Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, sondern (lediglich) dem Tatbestand des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB (BGH, Beschluss vom 24.10.2018, Az: 1 StR 517/18; BGH NStZ-RR 2007, 375).
V.
1. Die Kammer hat die Strafe aus dem Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB entnommen, der Freiheitsstrafe nicht unter drei bis zu 15 Jahren vorsieht.
Ein minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 2 StGB liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor.
Nach allgemeiner Meinung erfordert die Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, eine Gesamtwürdigung aller Strafzumessungsgesichtspunkte. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder folgen. Ein minder schwerer Fall liegt danach dann vor, wenn unter Berücksichtigung dieser Umstände, das gesamte Bild der Tat vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle dieser Art so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens für minder schwere Fälle geboten erscheint (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 46 Rn. 85 m.w.N.).
Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung hat die Kammer folgende Gesichtspunkte strafmildernd berücksichtigt: – die Tatbeute lag mit 840 EUR noch im unteren Bereich;
– die Folgen des Raubüberfalls für den geschädigten Tankstellenangestellten W. waren nicht allzu schwerwiegend, wenngleich der Zeuge zwei Tage nicht arbeiten konnte und für ca. drei Wochen mit Angstgefühlen zu kämpfen hatte.
Strafschärfend hat die Kammer gewertet,
– dass der Angeklagte vielfach, darunter einschlägig, vorbestraft ist, wobei die Kammer nicht übersieht, dass mehrere der Vorahndungen nach §§ 45, 47 JGG behandelt wurden und in einigen Fällen „nur“ Geldstrafen verhängt wurden;
– in besonderem Maße zu Lasten des Angeklagten hat sich nach Auffassung der Kammer auszuwirken, dass der Angeklagte erst am 11.01.2019 – das heißt nur einen Tag vor der hiesigen Tat – vom Amtsgericht – Schöffengericht – Obernburg wegen vorsätzlichen Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten und 2 Wochen mit Bewährung verurteilt worden war. Dass dieses Urteil des Amtsgerichts Obernburg erst am 01.02.2019 rechtskräftig wurde und der Angeschuldigte deshalb zur Tatzeit noch nicht unter Bewährung stand, spielt dabei keine wesentliche Rolle, weil die von der Verurteilung und der Belehrung nach § 268a StPO ausgehende Warnfunktion bereits im gleichen Umfang bestand (BGH, Beschluss vom 28.10.2008, Az: 5 StR 312/08). Die in diesem Zusammenhang vom Angeklagten an den Tag gelegte Rückfallgeschwindigkeit könnte größer nicht sein und zeigt auch die Einstellung des Angeklagten zur Rechtsordnung deutlich.
Wägt man diese tragenden Strafzumessungsgesichtspunkte gegeneinander ab, überwiegen die strafschärfenden Gesichtspunkte erheblich. Jedenfalls ist ein deutliches Abweichen von den gewöhnlich vorkommenden Fällen dieser Art nach unten keinesfalls festzustellen, womit ein minder schwerer Fall ausscheidet.
2. Ausgehend vom Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter drei bis zu 15 Jahren hat die Kammer die betreits dargestellten strafmildernden und straferhöhenden Umstände, auf die Bezug genommen wird, nochmals berücksichtigt.
Nach nochmaliger Abwägung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hielt die Kammer eine Freiheitsstrafe von
5 Jahren für tat- und schuldangemessen.
3. Die angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 840 EUR beruht auf § 73c StGB.
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464, 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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