Strafrecht

erkennungsdienstlichen Behandlung, Anhörung, präventive Maßnahme, Wiederholungsgefahr, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit

Aktenzeichen  Au 8 K 20.1407

Datum:
1.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5084
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG a.F. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
PAG a.F. Art. 15 Abs. 1 Nr. 2
Art. 15 Abs. 3 Nr. 2 PAG a.F. i.V.m. Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73, 76 PAG a.F.
BayVwVfG Art. 28
BayVwVfG Art. 45

 

Leitsatz

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der verfahrensgegenständliche Bescheid erweist sich als formell rechtmäßig, insbesondere leidet er nicht unter dem formellen Fehler einer unterbliebenen Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG.
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts einem Beteiligten, in dessen Rechte der Verwaltungsakt eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist zumindest erforderlich, dass der Betroffene von der Einleitung des Verfahrens respektive von der Absicht, einen Verwaltungsakt zu erlassen, verständigt wird (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 28 Rn. 19 f.).
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob eine derartige Anhörung vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids erfolgt ist, ein etwaiger Verfahrensmangel wäre jedenfalls nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch die Nachholung der Anhörung des Klägers im gerichtlichen Verfahren geheilt.
Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG kann die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hierbei setzt Art. 45 BayVwVfG insoweit vornehmlich einen zeitlichen Rahmen, verhält sich allerdings nicht zu der Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist der Regelung gerade nicht zu entnehmen. Der Mangel kann ausnahmsweise auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten oder Äußerungen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, indem nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend ist, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Von der Behörde zu verlangen, dem Betroffenen parallel zum Gerichtsverfahren zusätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wäre reiner Formalismus. Der Sinn und Zweck der Anhörung muss indes gewahrt sein, so dass erforderlich ist, dass die Behörde das bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser Prüfung ausdrücklich oder sinngemäß mitteilt (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2014 – 22 ZB 14.1062 – juris Rn. 9 f.; B.v. 17.12.2015 – 20 CS 15.2677 – juris Rn. 3; vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 – W 9 K 18.476 – juris Rn. 31 f.).
Diesen Anforderungen wurde im Nachgang zum Erlass des Bescheides vom 24. Juli 2020 genüge getan – mit der Folge, dass eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG inzwischen eingetreten ist. Denn der Beklagte hat das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren sowohl in seiner Klageerwiderung vom 7. April 2021 als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2022 zur Kenntnis genommen und dieses ausreichend gewürdigt. Zumindest sinngemäß wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der Beklagte – nach einem kritischen Überdenken der getroffenen Sachentscheidung – an seinem Bescheid trotz des Vorbringens des Klägers festhält. Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst unterbliebenen Anhörung gewahrt.
2. Der verfahrensgegenständliche Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
a) Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F., wonach die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen kann, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil der Betroffene verdächtig ist, eine Tat begangen zu haben, die mit Strafe bedroht ist und wegen der Art und Ausführung der Tat die Gefahr der Wiederholung besteht. Für die Auslegung der tatbestandlichen Anforderungen können die zu § 81b Alt. 2 StPO entwickelten Maßstäbe zur Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung entsprechend herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2021 – 10 ZB 21.1758 – juris Rn. 7). Nach Art. 14 Abs. 2 PAG a.F. sind erkennungsdienstliche Maßnahmen insbesondere die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und Messungen. Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. sind vorliegend erfüllt.
aa) Der Beklagte hat die streitgegenständliche Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung – in Abgrenzung zu § 81b Alt. 2 StPO (vgl. hierzu MüKo StPO, 1. Aufl. 2014, § 81b Rn. 4) – zu Recht auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. als einschlägige Rechtsgrundlage gestützt. Der Kläger ist i.S.d. Vorschrift verdächtig, am 27. März 2020 eine Körperverletzung, mithin eine mit Strafe bedrohte Tat, begangen zu haben. Der Tatverdacht wurde auch nicht durch die erfolgte Einstellung des Ermittlungsverfahrens ausgeräumt.
Der zur Erfüllung der tatbestandlichen Anforderungen vorausgesetzte Verdacht muss hierbei nicht so konkret sein, dass er nach Abschluss der Ermittlungen zu einer strafrechtlichen Verurteilung führt; vielmehr genügt es bereits semantisch, dass aus Sicht der Polizei ein hinreichender Tatverdacht auf die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung besteht (bzw. verbleibt). Die Annahme eines Tatverdachts ist dabei etwas substanziell anderes als eine Schuldfeststellung; demgemäß kann ein ausreichender (Rest-)Verdacht auch nach einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung oder einem Freispruch fortbestehen und damit als Anlass zur Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen wegen des weiter bestehenden Tatverdachts i.S.d. Vorschrift dienen, es sei denn, sämtliche Verdachtsmomente wurden restlos ausgeräumt (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2015 – 10 C 14.726 – juris Rn. 6; B.v. 8.9.2020 – 10 CS 20.1850 – juris Rn. 5; VG Augsburg, U.v. 6.5.2014 – Au 1 K 13.1564 – juris Rn. 28; VG Regensburg, GB.v. 12.5.2021 – RO 4 K 20.995 – juris Rn. 27; vgl. zum Ganzen auch Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010, Art. 14 Rn. 11).
Der Kläger wurde am 27. März 2020 wegen des Vorwurfs einer am gleichen Tag begangenen Körperverletzung als Beschuldiger von der zuständigen Polizeiinspektion vernommen. Auch wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit Verfügung der Staatsanwaltschaft … vom 22. Mai 2020 nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt worden ist, beseitigt dies nicht den von der Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. geforderten Tatverdacht. Anhaltspunkte, die sämtliche Verdachtsmomente restlos ausräumen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger ist tauglicher Adressat der ergangenen Anordnung des Beklagten. Der Einwand fehlender Eintragungen im Straf- und Jugendregister geht daher wie auch der Verweis auf eine letzte strafrechtliche Verurteilung im Jahre 2008 fehl.
bb) Auch besteht für die noch nicht vollzogene Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. VG Potsdam, U.v. 30.7.2021 – 3 K 3110/19 – juris Rn. 22) beim Kläger die Gefahr der Wiederholung.
Eine auf der sog. Anlasstat beruhende Wiederholungsgefahr ist entsprechend den zu § 81b Alt. 2 StPO entwickelten Maßgaben (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2021 – 10 ZB 21.1758 – juris Rn. 7) anzunehmen, wenn aufgrund eines konkreten Sachverhalts die Prognose angestellt werden kann, der Betroffene werde auch in Zukunft in den Kreis Verdächtiger von noch aufzuklärenden anderen Straftaten einbezogen werden können (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 8.9.2020 – 10 CS 20.1850 – juris Rn. 5). Je höherwertiger das gefährdete Schutzgut ist, desto geringer sind die Anforderungen, welche an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden müssen (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2008 – 10 C 08.2872 – juris Rn. 12). Die für die Prognose maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich insbesondere aus Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, aus seiner Persönlichkeit sowie seinem bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbild. Aufgrund des präventiven Charakters der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen kann bei der Prognoseentscheidung, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren gemäß den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden. Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt. Dasselbe gilt, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen wurde, der Freispruch aber den Restverdacht nicht vollständig ausgeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2020 – 10 CS 20.1850 – juris Rn. 5). Die Einstellung eines Straf- bzw. Ermittlungsverfahrens schließt eine Wiederholungsgefahr nur dann aus, wenn sie wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2015 – 10 C 14.726 – juris Rn. 6; B.v. 8.9.2020 – 10 CS 20.1850 – juris Rn. 5 f.). Ferner beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die nach kriminalistischer Erfahrung anzustellende Prognose auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht sowie vertretbar ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 – W 9 K 18.476 – juris Rn. 39).
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Beklagte zutreffend dargelegt, dass sich aus dem bisherigen strafrechtlichen Werdegang, der Art und Weise der Begehung der Anlasstat und letztlich der Person/ Persönlichkeit des Klägers eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr ergibt.
Der Kläger ist bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten, wodurch gleichsam die (Negativ-)Prognose der Wiederholungsgefahr vorliegend indiziert ist:
Das Gericht verkennt nicht, dass einige Vorfälle bereits länger zurückliegen und der Kläger hierbei noch ein Jugendlicher war. Insbesondere ob einer strukturellen Vergleichbarkeit im Bereich der Körperverletzungsdelikte bzw. ihrer Anzahl können diese nicht vollkommen außer Betracht bleiben; sie sind vielmehr (bloß) mit einem geringeren Gewicht in die Prognose einzubeziehen, da je länger strafrechtlich relevante Vorfälle zurückliegen, desto mehr diese an o.g. Indizwirkung verlieren (vgl. dazu MüKo StPO, § 81b Rn. 8). So verwarnte am 13. Februar 2007 das Amtsgericht … den Kläger wegen Hausfriedensbruchs und verhängte eine Geldauflage i.H.v. 300,00 EUR. Im gleichen Jahr verwarnte ihn das Amtsgericht … wegen Diebstahls eines Mopeds/ Kraftrades sowie Fahren ohne Fahrerlaubnis und verhängte eine Geldauflage i.H.v. 450,00 EUR. Am 2. Juni 2008 verwarnte ihn das Amtsgericht … wegen gefährlicher Körperverletzung und verhängte einen Dauerarrest von zwei Wochen. Mit Verfügung vom 20. Oktober 2008 traf die Staatsanwaltschaft … in einem Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen den Kläger die Entscheidung, der Anzeige mangels öffentlichen Interesses nach §§ 374, 376 StPO keine Folge zu geben. Im Jahre 2009 verurteilte das Amtsgericht … ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten auf Bewährung. Nicht zu beanstanden ist dabei, dass der Beklagte in seine Prognoseentscheidung auch den Umstand einbezieht, dass in einem Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung die Staatsanwaltschaft die Entscheidung traf, der Anzeige mangels öffentlichen Interesses keine Folge zu geben. Die Annahme eines insoweit verbliebenen bzw. bestehenden (Rest-)Verdachts ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. nachvollziehbar, zumal die Einschlägigkeit der §§ 374, 376 StPO hierüber insoweit keine Aussage trifft.
Nicht zu beanstanden ist zudem, dass der Beklagte wegen der im Jahre 2015 erfolgten Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Beleidigung nach § 170 Abs. 2 StPO einen insoweit verbliebenen (polizeilichen) Restverdacht in seine Gefahrenprognose einstellt. Dem Kläger lag der Tatvorwurf der Beleidigung zum Nachteil des Geschädigten … zur Last. Der Kläger bestritt die Tat. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten ließ sich nicht feststellen, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen hat. Es stand letztlich Aussage gegen Aussage, ohne dass einer der Aussagen von vornherein ein erhöhter Beweiswert zukam und ohne dass unbeteiligte Zeugen zur Verfügung standen, die mit ihren Angaben ausreichenden Aufschluss über das tatsächliche Geschehen geben könnten; andere Beweismittel waren nicht vorhanden (vgl. zum Ganzen Bl. 45 d.A.). Nachvollziehbar dargelegt und noch ausreichend begründet hat der Beklagte, dass angesichts einer vorausgegangenen Streitigkeit und (an sich) glaubhaften Angaben des Geschädigten … ein Restverdacht aufgrund einer Einstellung aus Mangel an Beweisen verbleibt bzw. ein solcher nicht vollständig ausgeräumt wurde und demgemäß weiterhin Anhaltspunkte für eine zukünftige Straffälligkeit des Klägers bestehen; eine erwiesene Unschuld wurde nicht festgestellt.
Gleiches gilt für ein Anfang 2020 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung. Dem Kläger lag zur Last, vorsätzlich eine Parkschranke verbogen zu haben, um sich aufgrund eines defekten Öffnungsmechanismus so die Ausfahrt aus einem Parkhaus zu ermöglichen. Die Täterschaft war dem Kläger letztlich nicht nachweisbar. Er bestritt, die Schranke verbogen zu haben und gab an, mit einem Notruf via Diensthandy seine Ausfahrt nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen ermöglicht zu haben. Dies war nicht zu widerlegen. Es war insbesondere nicht auszuschließen, dass besagte Schranke von einer anderen Person, die in dem Zeitraum zwischen 05:35 und 09:49 Uhr versuchte, die Schranke zu passieren, beschädigt wurde. Eine Videoaufzeichnung vom Tatort selbst war nicht vorhanden. Eine Sichtung der Videoaufzeichnung sämtlicher aus- und einfahrender Personen war weder verhältnismäßig noch erfolgversprechend (vgl. zum Ganzen Bl. 46 d.A.). Nachvollziehbar dargelegt und noch hinreichend begründet hat der Beklagte, dass die Häufigkeit wie der Kläger offenbar versuchte die Schranke zu öffnen für eine gewaltsame „Öffnung“ spricht und daher trotz der erfolgten Einstellung ein Restverdacht verbleibt bzw. ein solcher nicht vollständig ausgeräumt wurde und daher weiterhin Anhaltspunkte für eine künftige Straffälligkeit des Klägers bestehen; eine erwiesene Unschuld wurde nicht festgestellt.
Dahingegen waren in die polizeiliche Prognose einer Wiederholungsgefahr bzw. deren nach o.g. Maßgaben eingeschränkte gerichtliche Kontrolle die vom Beklagten in der Behördenakte vorgelegten weiteren strafrechtlichen Vorfälle nicht einzubeziehen, wenn und weil der Beklagte diese weder zur Grundlage seiner Prognoseentscheidung gemacht noch seine Prognoseentscheidung insoweit ausreichend begründet hat.
Im Hinblick auf die Anlasstat vom 27. März 2020 hat sich der dem Anlassverfahren zugrundeliegende Tatverdacht insoweit auch tatsächlich erwiesen, als das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 22. Mai 2020 gemäß § 153a Abs. 1 StPO (Geldbetrag) endgültig eingestellt wurde. Nicht zu beanstanden ist hierbei, dass der Beklagte trotz erfolgter Einstellung einen insoweit verbliebenen Restverdacht in seine Prognose der Wiederholungsgefahr einstellt. Denn zutreffend verbleiben trotz der Einstellung weiterhin Anhaltspunkte für eine künftige Straffälligkeit des Klägers, weil für eine Einstellung im Sinne von § 153a Abs. 1 StPO bereits nach dem Wortlaut eine (der Einstellung nicht entgegenstehende Schwere der) Schuld des Betroffenen vorausgesetzt wird. Ein hierauf bezogener klägerischer Einwand geht deshalb ebenso wie derjenige, der Geschädigte habe keinen Strafantrag gestellt, fehl. Im Lichte o.g. Maßgaben ist die vom Beklagten ausreichend und nachvollziehbar dargelegte Prognose gerichtlich nicht zu beanstanden, zumal im Hinblick auf den präventiven Zweck von Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestehen bzw. sich aus der Anlasstat ableiten lassen, dass der Kläger in ähnlicher oder anderer Weise erneut straffällig werden könnte, insbesondere im Bereich der Körperverletzungsdelikte. Die Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO lässt entgegen der Ansicht des Klägers nicht den Schluss zu, die Staatsanwaltschaft gehe von einer fehlenden Wiederholungsgefahr aus. Diese Annahme findet in der Einstellungsverfügung selbst keinen Halt, verweist diese vielmehr (wie von der Vorschrift des § 153a Abs. 1 StPO vorgezeichnet) auf das nach Erfüllung der Auflage (Geldbetrag) beseitigte öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung. Die Einstellung verhält sich damit nicht zur präventiven Frage einer Wiederholungsgefahr. Für die Frage der Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlung kommt es überdies, wie Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG a.F. semantisch zeigt, allein auf die Gefahrenprognose der Polizei an.
Ebenso nachvollziehbar dargelegt und ausreichend begründet hat der Beklagte, dass wegen der strukturellen Vergleichbarkeit im Bereich der Körperverletzungsdelikte bzw. ihrer Anzahl im Hinblick auf die Person des Klägers von einer leicht reizbaren Persönlichkeit, einer gewissen Grundaggressivität bzw. niedrigen Hemmschwelle zur Begehung von Körperverletzungsdelikten auszugehen ist. Die o.g. geringere Indizwirkung länger zurückliegender Vorfälle als Jugendlicher ändert hieran nichts. Denn mit Blick auf die Anlasstat, der eine körperliche Auseinandersetzung in einer alltäglichen Situation zugrunde liegt, die sich auch friedlich und verbal lösen hätte lassen, werden die vom Beklagten vorliegend eingestellten Anhaltspunkte über die Person des Klägers bestätigt und erweisen sich mithin als nachvollziehbar, weil hinreichend wahrscheinlich zu erwarten steht, dass er zukünftig insbesondere bei Konfliktsituationen in ähnlicher (wie etwa i.R.d. Anlasstat) Weise straffällig werden könnte.
cc) Die durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnen Unterlagen sind auch geeignet, künftige Ermittlungen zu fördern (vgl. statt vieler BayVGH, B.v. 27.10.2020 – 10 ZB 20.1974 – juris Rn. 8 m.w.N.). Insbesondere erscheint die Anlasstat vorliegend in besonderem Maße geeignet, die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu rechtfertigen, wenn und weil durch aktuelle Lichtbilder der Person des Klägers, durch die Personenbeschreibung, seine Fingerabdrücke etc. Ermittlungen, insbesondere im Bereich von etwaigen Körperverletzungsdelikten/ Delikten nach „Konfliktsituationen“, im Rahmen von Zeugenbefragungen, Lichtbildvorlagen, einem Abgleich von Fingerabdrücken mit Tatortspuren oder der Körpermaße mit Aufnahmen von Überwachungskameras usw. unterstützt werden, gleichzeitig jedoch die erkennungsdienstlichen Unterlagen auch dazu dienen können, den Kläger bei Verdachtsfällen von einem etwaig unzutreffenden Verdacht zu befreien. Es sind, wie bereits im Rahmen der Wiederholungsgefahr (vgl. oben Rn. 40) ausgeführt, insbesondere im Hinblick auf die Anlasstat zutreffend Anhaltspunkte für die Prognose gegeben, dass der Kläger (auch) außerhalb von persönlichen (Nähe-)Beziehungen, bei denen ein Täter von der Polizei in der Regel ohne Weiteres ermittelt zu werden vermag, zu Gewalttätigkeiten neigt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.3.2004 – 24 CS 03.3324 – juris Rn. 29). Dass die Identität des Klägers hinsichtlich des Vorfalls am 27. März 2020 bekannt war, weil sich der Kläger (wie er einwendet) „freiwillig gestellt“ hat und hierfür mithin eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht förderlich gewesen wäre, lässt bereits deshalb nicht den Schluss zu, dass eine Förderung auch für zukünftig zu führende Ermittlungen nicht geeignet wäre (vgl. VG Regensburg, GB.v. 12.5.2021 – RO 4 K 20.995 – juris Rn. 38). Zutreffend verweist der Beklagte außerdem darauf, dass vorliegend die Gefahr der Entdeckung bei einem Supermarkt als Tatort nach allgemeiner Lebenserfahrung ohnehin sehr groß war. Die Gefahr der Entdeckung im vorliegenden Fall steht der Erforderlichkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen als solches gleichwohl nicht entgegen, wenn und weil Körperverletzungsdelikte nicht per se in der „belebten“ Öffentlichkeit stattfinden (müssen) und beispielsweise eine Zuhilfenahme erkennungsdienstlicher Unterlagen bei einem Geschädigten als einzigen Zeugen, bei Unbeteiligten, die sich vom Tatort entfernende Personen wahrgenommen haben, oder bei Aufnahmen von Überwachungskameras etc. künftige Ermittlungen fördern können.
dd) Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung hält darüber hinaus den von Art. 14 Abs. 2 PAG a.F. abgesteckten Rahmen/ Umfang ein.
ee) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls gewahrt. Die Anlasstat und das bisherige strafrechtliche Erscheinungsbild des Klägers weisen jedenfalls bei einer Gesamtschau keinen bloßen Bagatellcharakter auf. Nach Ansicht des Gerichts ist bereits der Anlasstat, obgleich als einfache Körperverletzung lediglich ein Antrags- und Privatklagedelikt, der Bagatellcharakter abzusprechen. Denn jene strafrechtliche Einordnung lässt sich bereits nicht ohne Weiteres auf das präventiven Zwecken dienende polizeiliche Tätigwerden übertragen. Dies gilt umso mehr, als der polizeilichen Arbeit einer vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten im Bereich von Delikten gegen die körperliche Integrität elementare Bedeutung (vgl. hierzu nur BVerfGE 69, 315, 352) zukommt (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 12.4.2012 – W 5 K 11.757 – juris Rn. 45). Damit eng verknüpft ist, dass es sich bei der von der Anlasstat als „Gewaltdelikt“ betroffenen körperlichen Unversehrtheit ausweislich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG um ein hochrangiges Rechtsgut handelt. Hinter jenem gewichtigen Gemeinwohlbelang müssen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers zurückstehen. Der Beklagte weist insoweit auch zu Recht darauf hin, dass das anzufertigende erkennungsdienstliche Material nicht für ein öffentliches Register, sondern für eine polizeiliche Datei, die den Speicherfristen und Nutzungsvorschriften des PAG unterliegt, bestimmt ist (vgl. hierzu VG Düsseldorf, U.v. 7.2.2014 – 18 K 5188/13 – juris Rn. 40). Dessen ungeachtet sind vorliegend die Umstände der Tat einzustellen, d.h. eine zugrundeliegende Alltagssituation, die sich friedlich und verbal lösen hätte lassen, aber in einer körperlichen Auseinandersetzung endete. Der Kläger zeigte eine leichte Reizbarkeit und gewisse Grundaggressivität bzw. niedrige Hemmschwelle zur Begehung eines Körperverletzungsdelikts, sodass die begangene Tat als „Gewaltdelikt“ nach den Umständen des Einzelfalls nicht mehr der Bagatellkriminalität zuzuordnen ist.
Jedenfalls bei einer Gesamtschau bzw. -würdigung des bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbilds des Klägers erweist sich die streitgegenständliche Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung als verhältnismäßig, wenn und weil jenes die Schwelle der Bagatelldelikte überschreitet. Obgleich nach o.g. Maßgaben länger zurückliegenden Vorfällen ein geringeres Gewicht beizumessen ist, ergibt sich bereits aus der Anzahl der Vorfälle ein Überschreiten der Bagatellschwelle. Hinzukommt, dass sich unter diesen auch zwei Delikte der gefährlichen Körperverletzung befinden. Es liegen auch nicht nur geringfügige Ahndungen nach Jugendstrafrecht vor, wenn und weil sich eine zehnmonatige Jugendstrafe auf Bewährung trotz eines mit Blick auf den Zeitablauf geringeren Gewichts für die Gesamtschau als eine Verurteilung oberhalb der Bagatellkriminalität erweist. Das Gericht berücksichtigt außerdem, dass im Bereich der Körperverletzungsdelikte fließende (und u.U. nicht kontrollierbare) Übergänge zwischen einfachen und gefährlichen Körperverletzungen bestehen bzw. – wie zuvor dargelegt (vgl. oben Rn. 44) – bereits nach dem Wesen als „Gewaltdelikte“ keine Bagatellkriminalität vorliegt. Wegen einer insoweit bestehenden strukturellen Vergleichbarkeit (ob einer leicht reizbaren Persönlichkeit des Klägers in Konflikt- und Stresssituationen) der jeweils einzubeziehenden Restverdachtsmomente der in den Jahren 2015 und 2020 eingestellten Ermittlungsverfahren liegt im Übrigen auch deswegen ein Überschreiten der Schwelle zur bloßen Bagatellkriminalität vor. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Vorbringen des Klägers, die als Jugendlicher begangenen Delikte seien „Fehler, aus denen er gelernt“ habe, als nicht stichhaltig.
Ferner steht es nicht außer Verhältnis, bereits nach der letzten erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers im Jahre 2008 eine solche erneut durchzuführen. Hinsichtlich des natürlichen Alterungsprozesses und einem nach allgemeiner Lebenserfahrung über einen (wie hier) längeren Zeitraum zu erwartenden veränderten Aussehen (z.B. Körpergewicht und -statur, Barttracht, Haarwuchs etc.) ist eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung notwendig. Dies gilt im vorliegenden Fall vornehmlich deshalb, da der Kläger zum Zeitpunkt der letzten erkennungsdienstlichen Behandlung im Jahre 2008 noch ein Jugendlicher war und daher nachvollziehbar zu erwarten steht, dass er sich im Laufe von über zwölf Jahren in Aussehen, Frisur, Statur und Gewicht etc. sowie nach einem natürlichen Alterungsprozess entsprechend (äußerlich) verändert hat. Der Einschluss einer erneuten Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken ist auch nicht zu beanstanden. Die Finger- und Handflächenabdrucke eines Menschen sind zwar von Natur aus unveränderlich. Insbesondere Verletzungen mit späterer Narbenbildung, mechanische oder chemische Beanspruchung sowie Krankheiten und nicht zuletzt der natürliche Alterungsprozess können indessen Veränderungen der Haut bewirken, welche zumindest den Abgleich von Tatortspuren mit älteren Finger- und Handflächenabdrucken erschweren oder sogar unmöglich machen können. Im Hinblick auf den Zeitraum, nach welchem die erneute Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken auch ohne Besonderheiten des Sachverhalts angemessen erscheint, bestehen im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichts keine Bedenken, wenn und weil in der Rechtsprechung bei Erwachsenen ein Zeitraum von jedenfalls fünf Jahren bzw. bei Jugendlichen von jedenfalls drei Jahren als angemessen angesehen wird. Dem schließt sich das Gericht an (vgl. zum Ganzen, v.a. zur Herleitung des Zeitraums, OVG Lüneburg, U.v. 21.2.2008 – 11 LB 417/07 – juris Rn. 28, 31 m.w.N.; VG Göttingen, U.v. 21.10.2009 – 1 A 180/09 – juris Rn. 23). Wie oben dargelegt bestehen vorliegend hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das erhobene Material künftige Ermittlungen bei den prognostizierten Straftaten fördern könnte.
Nach alldem ist es vorliegend nicht unverhältnismäßig, durch eine (erneute) erkennungsdienstliche Behandlung aktuelle verwertbare Unterlagen zu erlangen.
ff) Der Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung in seinem Ermessen steht, dieses ausgeübt sowie alle relevanten Belange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die Entscheidung eingestellt. Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
b) Die verfügte Vorladung findet vorliegend in Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG a.F. eine ausreichende Rechtsgrundlage. Sie ist Folge der Pflicht zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung und wurde vom Beklagten hinreichend und zutreffend begründet.
c) Die Zwangsgeldandrohung und -festsetzung finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 15 Abs. 3 Nr. 2 PAG a.F. i.V.m. Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73 sowie 76 PAG a.F. und begegnen keinen rechtlichen Bedenken (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.11.2017 – Au 8 K 17.1422 – juris Rn. 26 m.w.N.).
d) Ebenso ist die verfügte erneute Fristsetzung zur angeordneten Vorladung nicht zu beanstanden (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.11.2017 – Au 8 K 17.1422), insbesondere erweist sich die Frist als angemessen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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