Strafrecht

Erstattungsfähigkeit von Verteidigerkosten für Tätigwerden aufgrund einer später zurückgenommenen staatsanwaltschaftlichen Berufung vor deren Begründung

Aktenzeichen  13 Qs 14/21

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6854
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 52 Abs. 1, Abs. 2
VV RVG Nr. 4124
StPO § 464 Abs. 2, § 464a Abs. 2

 

Leitsatz

Zur Kostenerstattung, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung zurücknimmt. (Rn. 22 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Verteidigertätigkeit ist in einem auf alleiniges Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft geführten Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel lediglich eingelegt, aber noch nicht begründet hat und sie es vor der Begründung zurücknimmt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 Ds 416 Js 59043/19 2021-02-15 Bes AGHERSBRUCK AG Hersbruck

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 15.02.2021 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth führte gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung.
Rechtsanwalt L. wurde dem Beschwerdeführer durch das Amtsgericht Nürnberg am 07.07.2019 als Pflichtverteidiger bestellt (Bl. 45 Band II).
Das Strafverfahren endete durch freisprechendes Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 04.02.2020 (Bl. 182 ff. Band II).
Gegen dieses Urteil wandte sich die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit ihrer Berufung vom 07.02.2020, die am 10.02.2020 beim Amtsgericht Hersbruck eingegangen ist (Bl. 189 Band II).
Mit Schriftsatz vom 17.02.2020 wandte sich Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger gegen die nicht näher begründete Berufung und verwies darauf, dass es sich aus seiner Sicht um eine „ausnahmsweise vorsorglich eingelegte Berufung“ handele, und bat unter Verweis auf den Gang der Hauptverhandlung um Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft, insbesondere weil die Ungewissheit des Verfahrensfortgangs für den „unschuldig Angeklagten nicht länger als notwendig zugemutet werden [könne]“ (Bl. 191 Band II).
Die Staatsanwaltschaft Nümberg-Fürth nahm die Berufung vom 07.02.2020 mit Verfügung vom 04.03.2020 zurück (Bl. 192 Band II).
Mit Schriftsatz vom 14.03.2020 beantragte Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren gem. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO sowie Kostenfestsetzung für die zweite Instanz gem. §§ 45, 49 RVG in Höhe von 633,08 €, bestehend aus der Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV RVG in Höhe von 256,00 Euro, einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG in Höhe von 256,00 Euro sowie Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG zzgl MWSt. (Bl. 197 f. Band II). In seinem Schriftsatz wies der Pflichtverteidiger darauf hin, dass er durch das Schreiben vom 17.02.2020 anwaltlich daran mitgewirkt habe, dass die Hauptverhandlung entbehrlich geworden und daher eine zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG entstanden sei.
Diese Anträge mahnte der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 30.04.2020 an (Bl. 201 Band II).
Mit Beschluss vom 20.05.2020 entschied das Amtsgericht Hersbruck, dass die Staatskasse die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen habe (Bl. 203 Band II).
Mit Schriftsatz vom 18.06.2020 beantragte RA L. als Wahlverteidiger des Beschwerdeführers in dessen Namen die Festsetzung der Gebühren und notwendigen Auslagen des Angeklagten in Höhe von 785,40 €, wobei er die gleichen Positionen wie bei der Pflichtverteidigervergütung geltend machte, jedoch die Gebühren Nr. 4124 und 4141 in Höhe der Mittelgebühr von jeweils 320,00 Euro (Bl. 223 f. Band II). Zur Begründung der zusätzlichen Gebühr gem. Nr. 4141 VV RVG führte er die Mitwirkung seinerseits an der Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und den erhöhten Beratungsbedarf an.
Der Bezirksrevisor beim Landgericht Nürnberg-Fürth nahm mit Schreiben vom 05.10.2020 dahingehend Stellung, dass der Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung für das Berufungsverfahren zurückzuweisen sei. Dazu wurde auf den Beschluss des OLG Köln vom 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15 und 1 Ws 400/15 verwiesen (Bl. 228 Band II).
Mit Verfügung des Amtsgerichts Hersbruck vom 08.10.2020 wurde der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers darauf hingewiesen, dass die von ihm beantragte Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung sowie die Festsetzung der notwendigen Auslagen des Angeklagten für die zweite Instanz zurückzuweisen seien. Die Rücknahme der Anträge wurde anheim gestellt (Bl. 232 Band II).
Mit Schriftsatz vom 16.10.2020 nahm RA L. zu beiden Anträgen und zur Verfügung des Amtsgerichts Hersbruck vom 08.10.2020 Stellung und verwies insbesondere auf die inkonsequente obergerichtliche Rechtsprechung (Bl. 244 ff. Band II).
Mit Schriftsatz vom 27.01.2021 mahnte RA L. die Kostenfestsetzung an und erhob Verzögerungsrüge (Bl. 240 Band II).
Das Amtsgericht Hersbruck wies den Antrag des Pflichtverteidigers RA L. vom 14.03.2020 auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung für die zweite Instanz mit Beschluss vom 15.02.2021 eben so zurück (Bl. 247 f. Band II) wie den Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung der Gebühren und notwendigen Auslagen für die zweite Instanz vom 18.06.2020 (Bl. 251 f. Band II).
Die Beschlüsse wurden dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 25.02.2021 zugestellt (zu Bl. 258 Band II).
Gegen den Beschluss, der den Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung der Gebühren und notwendigen Auslagen vom 18.06.2020 zurückweist, wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde vom 03.03.2021 (Bl. 260 Band II).
Zeitgleich legte der Pflichtverteidiger RA L. Erinnerung gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck ein, mit dem sein Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung zurückgewiesen wurde (Bl. zu 260 Band II).
Das Amtsgericht Hersbruck legte die Akte dem Landgericht Nürnberg-Fürth mit Verfügung vom 04.03.2021 zur Entscheidung vor (Bl. 261 Band II).
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen … hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
a. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaftes Rechtsmittel gem. §§ 464 b S. 3, 4 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. §§ 304, 311 StPO, da der Verteidiger zu Gunsten des freigesprochenen Beschwerdeführers hier – wie § 52 Abs. 1, Abs. 2 RVG es zulässt – keine Gebührenfestsetzung nach § 55 RVG beantragt, sondern die Vergütung eines Wahlverteidigers berechnet und diese namens des Beschwerdeführers im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erstattet verlangt.
b. In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg, da es sich bei der berechneten Wahlverteidigervergütung in Höhe von 785,40 € nicht um nach der Kostengrundentscheidung des Amtsgerichts Hersbruck vom 20.05.2020 durch die Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers i.S.d. §§ 464 Abs. 2, 464a Abs. 2 StPO handelt.
aa. Dabei ist bereits zu hinterfragen, ob nach Einlegung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft durch die beratende Tätigkeit des Verteidigers die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV RVG entstanden ist. Die Tätigkeit, die hier geltend gemacht wird, ist die Übersendung des Schreibens vom 17.02.2020, mit dem der Verteidiger des Beschwerdeführers die Staatsanwaltschaft um Rücknahme der Berufung bittet. Ob diese Verhaltensweise angesichts des Verfahrensablaufs an der Rücknahme der Berufung mitgewirkt hat, was angesichts der Rücknahme der Berufung zwei Wochen nach dem Schriftsatz und im Zusammenhang mit dem Eingang des Protokolls, bereits zweifelhaft erscheint, kann nach Auffassung der Kammer jedenfalls dahinstehen.
Denn anders als nach Auffassung des Verteidigers des Beschwerdeführers ist diese Tätigkeit jedenfalls nicht erstattungsfähig, da sie im konkreten Fall nicht notwendig war, §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 ZPO.
Die Notwendigkeit der Tätigkeit des Verteidigers im Berufungsrechtszug, also die Frage, ob die Gebühr nach Nr. 4124 VV RVG verdient ist, wenn die Staatsanwaltschaft ein zu Ungunsten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, wird in der Rechtsprechung hinsichtlich des Rechtsmittels der Berufung uneinheitlich beurteilt (zum Streitstand zuletzt umfassend OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.02.2021 – 2 Ws 246/20 Rn. 8-11 m.w.N., abrufbar über juris).
(1) Verteidigertätigkeit ist in einem auf alleiniges Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft geführten Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel lediglich eingelegt, aber noch nicht begründet hat und sie es vor der Begründung zurück nimmt.
Dies ist für das Rechtsmittel der Revision in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (statt vieler OLG Köln, Beschluss vom 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15, 2 Ws 400/15 Rn. 19 m.w.N. in Rn 20, abrufbar über juris), da bereits die Vorschriften des Revisionsrechts mit dem zwingenden Erfordernis einer Revisionsbegründung, die inhaltlich bestimmten Voraussetzungen unterliegt, §§ 344-347 StPO, zwingende Voraussetzung für den Fortgang des Revisionsverfahrens ist. Ein rechtlich anzuerkennende Interesse des Verurteilten/Freigesprochenen sich bereits vor Eingang dieser Begründung anwaltlich beraten und sich gegen das Rechtsmittel verteidigen zu lassen, besteht deshalb gerade nicht. Es ist zu diesem Zeitpunkt stets damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel nicht weiterverfolgt und zurücknimmt. Zudem kann eine sachgerechte und seriöse anwaltliche Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels erst dann erfolgen, wenn anhand der Rechtsmittelbegründung der Umfang der Anfechtung und auch die inhaltliche Zielsetzung bekannt ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.06.2018 – 1 Ws 550/16 Rn. 12 m.w.N.).
(2) Für das Berufungsverfahren gilt nach Auffassung der Kammer nichts anderes (vgl. zuletzt OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.02.2021 – 2 Ws 246/20 Rn. 11 m.w.N., abrufbar über juris; ausführlich auch KG, Beschluss vom 19.05.2011 – 1 Ws 168/10).
Zwar ist – wie der Verteidiger des Beschwerdeführers ausführt – zutreffend, dass das Gesetz eine zwingende Begründung der Berufung nicht verlangt. Eine solche ist aber prozessual vorgesehen (§§ 317, 320 S. 1 StPO) und darüber hinaus ist die Staatsanwaltschaft nach Nr. 156 RiStBV daran gehalten die Berufung zu begründen („Für die Staatsanwaltschaft ist die Berufungsbegründung ein nobile officium“, BeckOK StPO/Eschelbach, 39. Ed. 1.1.2021, StPO § 317).
Die Berufungsbegründung ist letztlich lediglich keine formelle Voraussetzung für ihre Zulässigkeit – dies unterscheidet sie von der Revisionsbegründung. Ihre Begründung i.S.e. Rechtfertigung ist aber in § 320 S. 2 StPO für die Staatsanwaltschaft vorgesehen und entspricht auch dem Rechtsmittelverfahren im Instanzenzug nach Urteil (anders als im Rahmen der Beschwerde, die eine Begründung gerade explizit nicht erfordert dazu und zur Frage der Übertragung der dargestellten gebührenrechtlichen Grundsätze auf das Rechtsmittel der Beschwerde, OLG Koblenz, Beschluss vom 16.06.2018 – 1 Ws 550/16 Rn. 13 ff. m.w.N.).
Dies gilt insbesondere im Falle eines Freispruchs, in dem die Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren eine Verurteilung erreichen will, zumal, wenn, wie vorliegend, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft selbst Freispruch beantragt hat.
Sämtliche Erörterungen des Verfahrensstandes sowie sonstige Tätigkeiten des Verteidigers mit dem Mandanten im Verfahrensstadium zwischen Berufungseinlegung und -begründung sind objektiv also überflüssig und für den Mandanten auch ohne jeglichen objektiven Wert. Denn Umfang und Zielrichtung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels sind in aller Regel erst aus deren Begründung zu ersehen, mit dessen Eingang sich der Verteidiger in die Lage versetzt sieht, den Mandanten sachgerecht zu beraten und das Verfahren weiter zu beeinflussen. Jegliche Vorabberatung erscheint lediglich spekulativ möglich zu sein und kann letztlich nur Mutmaßungen über den Umfang und die etwaige Erfolgsaussicht des Rechtsmittels enthalten (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.02.2021 – 2 Ws 246/20 Rn. 13 m.w.N., abrufbar über juris; KG, Beschluss vom 19.05.2011 – 1 Ws 168/10; OLG Köln, Beschluss vom 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15, 2 Ws 400/15 Rn. 19 m.w.N. in Rn. 24).
Hier verfängt auch der Verweis des Verteidigers des Beschwerdeführers auf das Urteil des BGH in NJW 2003, 756 betreffend die Situation im zivilrechtlichen Berufungsverfahren nicht. Denn die dortige Argumentation, es könne der mit einem Rechtsmittel überzogenen Partei nicht zugemutet werden, die weitere Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten, ist der Tatsache geschuldet, dass in § 517 ZPO die Frist zur Einlegung der Berufung erst mit der Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils beginnt. Die Grundlage für Besprechungen mit der Mandantschaft sind daher gänzlich andere als im Strafprozess (vgl. dazu zuletzt OLG Köln, Beschluss vom 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15, 2 Ws 400/15, Rn. 27 – abrufbar über juris).
bb. An dieser Beurteilung ändert sich nach Auffassung der Kammer auch im konkreten Einzelfall nichts.
Dass hier ausnahmsweise bereits mit der Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft ein Handeln des Verteidigers deshalb notwendig gewesen ist, weil es sich um eine Berufung gegen ein freisprechendes Urteil handelt, und somit der Beschwerdeführer unter bestehendem Anklagevorwurf in einem Zustand der Ungewissheit verharrt, rechtfertigt es nicht, eine Rechtsberatung in einem einen eigenständigen Kostenanspruch im Berufungsverfahren begründenden Umfang bereits im Zeitpunkt nach Einlegung und vor Begründung des Rechtsmittels als notwendig zu erscheinen lassen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass allgemeine prozessuale Fragen zum Prozessfortgang noch im Rahmen der Mandatierung des Ausgangsverfahrens zu beantworten sind, da diese Tätigkeiten auch über die Verkündung des Urteils hinausgehend noch von der Gebühr des Ausgangsprozesses erfasst werden (vgl. LG Köln, Beschluss vom 14.03.20214 – 111 Qs 64/14; OLG Köln, Beschluss vom 03.07.2015 – III-2 Ws 400/15, 2 Ws 400/15 Rn. 19 m.w.N. in Rn 22). Nach § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG wird nämlich auch die Einlegung der Berufung von der amtsgerichtlichen Verfahrensgebühr mit abgegolten. Dies impliziert, dass auch die zuvor erfolgte Beratung über die Möglichkeit und die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels von der amtsgerichtlichen Verfahrensgebühr umfasst sind (Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4124 Rn. 4). Im Umkehrschluss gilt dies auch für die kurze Erläuterung für den Mandanten, wie bei einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft weiter agiert wird.
Auch die Argumentation, der Beschwerdeführer habe darauf vertrauen dürfen, dass ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt werde und eine rein vorsorgliche Einlegung nicht erfolgen dürfe, verfängt nicht. Weder die StPO noch die RiStBV verbieten die vorsorgliche Einlegung eines Rechtsmittels. Nr. 148 Abs. 1 S. 1 RiStBV sieht gerade ein solches Vorgehen in Ausnahmefällen vor, weil es auch Konstellationen gibt, in denen die Anklagebehörde erst nach schriftlicher Urteilsbegründung absehen kann, ob es im Sinne der wesentlichen Belange der Allgemeinheit oder der am Verfahren betroffenen Personen geboten ist, ein prognostisch aussichtsreiches Rechtsmittel einzulegen.
Sinn und Zweck dieser Verwaltungsvorschrift ist in erster Linie die Schonung von Ressourcen. Andererseits trägt die Möglichkeit einer vorsorglichen Rechtsmitteleinlegung auch und insbesondere dem Weisungsrecht der vorgesetzten Behörde (§§ 146 ff GVG), aber auch dem Umstand Rechnung, dass die Beteiligung anderer Behörden am Strafverfahren ggf. auch im Rechtsmittelverfahren notwendig ist (vgl. BeckOK StPO/Bartel, 38. Ed. 1.10.2020, RiStBV 148 Vorsorgliche Einlegung von Rechtsmitteln Rn. 1).
Aus diesem Rechtsgedanken lässt sich dann aber auch ableiten, dass die vorsorgliche Einlegung eines Rechtsmittels aus Rück- und Absprachegesichtspunkten erfolgen darf.
Dies ist vorliegend – wie sich aus den Urteilsgründen (!) ergibt – ersichtlich deshalb erfolgt, weil der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zulässigerweise ein Rechtsreferendar war, der zwar Rücksprache mit dem eigenen Ausbildungsstaatsanwalt hielt, nicht aber mit dem Ausgangssachbearbeiter, der die Berufung betrieb.
Dies stellt eben und gerade eine solche Rück- und Absprachekonstellation dar, die trotz modernster Kommunikation eine vollständige und umfassende Absprache innerhalb der Wochenfrist nicht möglich macht (vgl. BeckOK StPO/Bartel, 38. Ed. 1.10.2020, RiStBV 148 Vorsorgliche Einlegung von Rechtsmitteln Rn. 2, 3, 4).
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Staatsanwaltschaft im hiesigen Verfahren Freispruch beantragte. Die Regelungen der StPO schließen die Einlegung eines Rechtsmittels auch in diesem Fall nicht aus. Aus diesem Grund kann in dieser Konstellation auch nicht auf eine Art „Vertrauenstatbestand“ – wie es im Schriftsatz des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 16.10.2020 anklingt – abgestellt werden.
Nur ergänzend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich der Verteidiger des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 17.02.2020, in dem er die Staatsanwaltschaft um Rücknahme der Berufung ersucht, explizit darauf abstellt, er gehe von einer ausnahmsweise vorsorglichen und deshalb nicht begründeten Berufung aus.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


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