Strafrecht

Fahrerlaubnisentziehung nach Konsum von Amphetamin – Verwertbarkeit von Blutproben

Aktenzeichen  M 1 K 15.3170

Datum:
8.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46827
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, S. 2
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.1
StPO § 81a Abs. 2
StVG § 3 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Konsum sog. harter Drogen (hier Amphetamin) führt dazu, dass die Fahrerlaubnis auch ohne Anordnung einer weiteren ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung zwingend zu entziehen ist, unabhängig von der Höhe der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration, von einer (hier vorliegenden) Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand und unabhängig davon, ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren (vgl. auch BayVGH BeckRS 2015, 49711). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Frage, ob das Ergebnis der Untersuchung einer Blutprobe, die unter Verstoß gegen den sich aus § 81a Abs. 2 StPO ergebenden Richtervorbehalt gewonnen wurde, in einem fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsverfahren herangezogen werden darf, beantwortet sich wegen der Verschiedenheit der Zielsetzungen beider Rechtsmaterien und der Unterschiedlichkeit der Rechtskreise, die bei Bejahung eines Verwertungsverbots betroffen wären, unabhängig davon, ob dieses Untersuchungsergebnis im konkreten Fall in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einem Verwertungsverbot unterliegt.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Die fehlende Einholung einer richterlichen Entscheidung, ohne dass Gefahr in Verzug gegeben ist, ist jedenfalls dann für die Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutentnahme ohne Einfluss, wenn es „auf der Hand liegt“, dass der Richter einem solchen Eingriff die Genehmigung nicht hätte versagen können (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 56892). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchbescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. In formeller Hinsicht ist der Bescheid rechtmäßig, insbesondere wurde der Kläger ordnungsgemäß i. S. d. Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) angehört.
2. Auch materiell begegnet der Bescheid keinen Bedenken.
2.1 Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen. Der Kläger konsumiert, wie die Beklagte zur Begründung ihres Bescheids wiederholt ausführt und er in einer Hauptverhandlung des Amtsgerichts – Jugendschöffengerichts – … am 10. Juni 2015 (Az. 6 Ls 42 Js 16490/14 jug, vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung, Bl. 83 BA) selbst eingeräumt hat, wiederholt Cannabis. Darüber hinaus konsumiert er jedoch auch und vor allem Amphetamin und hat unter dem Einfluss dieses Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt. Bei ihm wurde im Rahmen der Verkehrskontrolle vom … September 2014 ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens vom … Oktober 2014 ein Amphetaminwert von 154,6 ng/ml festgestellt.
Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt, ist im Regelfall zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Dies gilt bei sog. harten Drogen unabhängig davon, ob der Betroffene abhängig ist oder nicht (vgl. Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV). Selbst der einmalige Konsum harter Drogen führt zum Verlust der Fahreignung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat insoweit auch kein Ermessen. Amphetamin (§ 1 Abs. 1 i. V. m. Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes – BtMG) zählt zu den sog. harten Drogen, weshalb die Fahrerlaubnis auch ohne Anordnung einer weiteren ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung zwingend zu entziehen war (§ 11 Abs. 7 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Das gilt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B. v. 1.7.2015 – 11 CS 15.1151 – juris Rn. 12, m. w. N.) unabhängig von der Höhe der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration, unabhängig von einer (hier vorliegenden) Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand und unabhängig davon, ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren. Dass eine Ausnahme vom Regelfall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV vorliegen würde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2.2 Das Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts vom … Oktober 2014 ist nachvollziehbar und schlüssig. Es belegt die in der Blutprobe, die dem Kläger am … September 2014 entnommen wurde, nachgewiesenen Betäubungsmittelwerte, insbesondere den hohen Amphetaminwert.
2.3 Das Untersuchungsergebnis der Blutprobe in diesem Gutachten ist entgegen der Auffassung des Klägers auch verwertbar, obwohl vor der Blutentnahme keine richterliche Genehmigung eingeholt wurde.
2.3.1 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Art eines „obiter dictums“ am Ende des Beschlusses vom 28. Juni 2014 (1 BvR 1873/12 – juris Rn. 13) Bedenken gegen die „Entziehung von Führerscheinen“ aufgrund einer Verwertung von Erkenntnissen geäußert, die auf Blutentnahmen beruhten, welche unter Verstoß gegen den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in § 81 a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) gewonnen würden. Gegen eine Praxis, die diesen Vorbehalt im Bereich verwaltungsbehördlicher Eingriffsmaßnahmen „durch eine großzügige Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel flächendeckend aushebelt“, bestünden aus rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken. Allerdings bestehe mangels zulässiger Rüge im vorliegenden Verfahren kein Anlass, dieser Frage nachzugehen.
2.3.2 Nach Auffassung der Kammer ist indessen in dem hier zu entscheidenden Einzelfall aus rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Sicht die Verwertung der ohne richterliche Anordnung gewonnenen Blutprobe nicht zu beanstanden. Angesichts der Umstände, die bei der Polizeikontrolle am … September 2014 vorlagen, besteht kein vernünftiger Zweifel, dass eine solche richterliche Anordnung ohne weiteres erteilt worden wäre.
Die Frage, ob das Ergebnis der Untersuchung einer Blutprobe, die unter Verstoß gegen den sich aus § 81 a Abs. 2 StPO ergebenden Richtervorbehalt gewonnen wurde, in einem fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsverfahren herangezogen werden darf, beantwortet sich unabhängig davon, ob dieses Untersuchungsergebnis im konkreten Fall in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einem Verwertungsverbot unterliegt. Im präventiven Bereich der Fahrerlaubnisentziehung gibt es ein der repressiven strafrechtlichen Ahndung dienendes Beweisverwertungsverbot nicht. Das rechtfertigt sich aus der Verschiedenheit der Zielsetzungen beider Rechtsmaterien und der Unterschiedlichkeit der Rechtskreise, die bei Bejahung eines Verwertungsverbots betroffen wären. Strafprozessuale Beweisverwertungsverbote sind im Licht des besonderen Spannungsfeldes zu sehen, das im Strafprozess zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch auf der einen und dem Schutz von Grundrechten des Betroffenen auf der anderen Seite liegt. In einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren hat die Behörde demgegenüber nicht nur die Individualrechte des Betroffenen, sondern auch die Belange Dritter und das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern zu berücksichtigen (BayVGH, B. v. 28.1.2010 – 11 CS 09.1443 – juris Rn. 24 f.; ebenso OVG LSA, B. v. 9.2.2016 – 3 M 14/16 – juris Rn. 9, m. w. N.). Andererseits dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren jedenfalls solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Hierzu gehören jedenfalls alle Verstöße, bei denen die Menschenwürde des Betroffenen verletzt wird (BayVGH, B. v. 28.1.2010 a. a. O. Rn. 28). Die beim Kläger vorgenommene Blutentnahme gehört nicht dazu.
2.3.3 In Hinblick auf das hohe Gut von Leben und körperlicher Unversehrtheit unbeteiligter Dritter und das deshalb bestehende Interesse an einer möglichst effektiven Gewährleistung der Straßenverkehrssicherheit ist jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Blutprobenentnahme nicht unmittelbar auf Betreiben der Fahrerlaubnisbehörde erfolgt ist und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine gezielte oder systematische Umgehung des Richtervorbehalts zur Fahrerlaubnisentziehung bestehen, die Verwertung der Untersuchungsergebnisse auch solcher Blutproben als zulässig zu erachten. Dies gilt umso mehr, als im Fall des (bereits zuvor mehrfach im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln auffällig gewordenen) Klägers keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass die Beachtung des Richtervorbehalts zum selben Ergebnis geführt hätte. Die fehlende Einholung einer richterlichen Entscheidung, ohne dass Gefahr in Verzug ist, ist jedenfalls dann für die Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutentnahme ohne Einfluss, wenn es „auf der Hand liegt“, dass der Richter einem solchen Eingriff die Genehmigung nicht hätte versagen können (BayVGH, B. v. 24.7.2012 – 11 ZB 12.1362 – juris Rn. 21; B. v. 28.1.2010 – 11 CS 09.1443 – juris Rn. 21 ff.). Eine solche Situation lag am … September 2014 beim Kläger vor. Er zeigte nach dem Einsatzbericht der beteiligten Polizeibeamten drogentypische Anzeichen, ein freiwilliger Urintest verlief positiv auf THC. Deshalb bestand bei dieser Kontrolle der dringende Verdacht, dass der Kläger zumindest eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) begangen haben könnte.
2.4 Auch die übrigen im Bescheid enthaltenen Anordnungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ist rechtmäßig. Sie ist eine unmittelbare Folge der Fahrerlaubnisentziehung und findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 FeV. Die auf diese Ablieferungsverpflichtung bezogene Androhung des Zwangsgelds beruht auf Art. 29 ff. Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) und ist ebenfalls rechtmäßig.
3. Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 46.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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