Strafrecht

Gefährdungsansprache – Erweiterung des Platzverweises

Aktenzeichen  34 Wx 34/18

Datum:
14.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 682
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 6
PAG Art. 32a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

4. Zum Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch Einstweilige Anordnung bei Maßnahmen nach Art. 32a BayPAG.
1. Bei einer Entscheidung über eine einstweilige Anordnung im Beschwerdeverfahren (§ 64 Abs. 3 FamFG) sind die Erfolgsaussichten summarisch und vorläufig zu betrachten und mit den drohenden Nachteilen der Aufrechterhaltung des status quo für den Beschwerdeführer abzuwägen.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Daneben sind die mit einer Aussetzung der Vollstreckung verbundenen Nachteile für andere Beteiligte zu beachten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Hauptsacheentscheidung darf nicht vorweggenommen werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

ER VII GS 4198/17 /PAG 2017-12-20 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

Der Antrag vom 6.2.2018 auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 20.12.2017 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Antrag vom 6.2.2018 gegen eine am 20.12.2017 durch das Amtsgericht München aufgrund Art. 32a PAG angeordnete Sicherungsmaßnahme.
Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Beschwerdeführer suchte am 16.11.2017 seine ehemalige Freundin, die Geschädigte D., in deren Wohnung auf. Nach Angaben von Frau D. sei er über das von ihr geöffnete Fenster in die Wohnung eingedrungen. Er habe sie dann mit der Hand ins Gesicht geschlagen, den Wohnungsschlüssel an sich genommen und die Geschädigte aufs Bett geworfen. Dann habe er sich auf sie gekniet, mit einem von ihm mitgebrachten Paketklebeband begonnen, den Mund der Geschädigten zu überkleben, und ihr ein Kissen auf das Gesicht gedrückt. Wegen massiver Gegenwehr der Geschädigten habe er dann versucht, deren Hände mit dem Klebeband an das Bettgestell zu fixieren. Die Geschädigte hat weiter angegeben, sie habe durch das Fenster entkommen können, als der Beschwerdeführer von ihr abliess und wegen eines Geräusches die Wohnung durchsuchte. Der Nachbar H. der Geschädigten befand sich auf dem Parkplatz vor dem Haus. Bei seiner polizeilichen Vernehmung gab er an, er habe Hilferufe gehört und dann die Geschädigte aus dem Fenster springen sehen. Dort sei auch noch ein Mann gewesen, der diese an den Armen festgehalten habe. Anschließend wurde die Polizei verständigt. Der Beschwerdeführer entfernte sich und wurde von der Polizei an seiner damaligen Arbeitsstelle angetroffen. Ihm wurde ein polizeilicher Platzverweis, befristet bis 27.11.2017, erteilt. Im Rahmen der Gefährderansprache durch die Polizei wurde der Betroffene über die Folgen der Nichtbeachtung des Platzverweises belehrt. Ausweislich der polizeilichen Lichtbildaufnahmen wurde im Bett der Geschädigten ein Rest eines Klebebandes gefunden. Bei der Geschädigten wurden eine Platzwunde an der Lippe und Rötungen bzw. blaue Flecken an beiden Armen sowie blutende Kratzer am linken Fuß festgestellt. Auf einem Kissen im Bett der Geschädigten wurden Blutflecken gefunden.
Bereits am 18.11.2017 begab sich der Beschwerdeführer wieder zur Wohnung der Geschädigten, die sofort über Notruf die Polizei verständigte. Der Beschwerdeführer flüchtete vor den anrückenden Polizeifahrzeugen, konnte jedoch kurze Zeit später aufgehalten werden. Auf dem Beifahrersitz seines Autos lag ein Panzerklebeband. Der Beschwerdeführer wurde anschließend in Gewahrsam genommen und am 19.11.2017, nach richterlicher Anhörung, wieder entlassen. Der Platzverweis wurde auf die Arbeitsstätte der Geschädigten ausgedehnt. Am 20.11.2017 hielt sich der Beschwerdeführer in dem Lokal auf, in dem die Geschädigte arbeitet.
Bei einer Gefährderansprache am 22.11.2017 zeigte der Beschwerdeführer nach Angaben der Polizeibeamten starke Stimmungsschwankungen und reagierte aggressiv. Aufgrund Beschlusses des Referates für Umwelt und Gesundheit der Stadt München vom 23.11.2017 erfolgte daraufhin die zwangsweise Unterbringung des Beschwerdeführers im Isar-Amper Klinikum, welche am 6.12.2017 durch das Amtsgericht München aufgrund fehlender nachgewiesener psychischer Krankheit aufgehoben wurde.
Bei zwei weiteren Gefährderansprachen am 4.12.2017 und am 13.12.2017 zeigte sich der Beschwerdeführer zwar kooperativ und sicherte zu, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Auf Nachfragen der Polizei gab der Beschwerdeführer an, eine Therapie noch nicht begonnen zu haben.
Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt des Vorfalls als Lagerist bei BMW beschäftigt. Nach Angaben seines Verfahrensbevollmächtigten hat er diesen Arbeitsplatz aufgrund der Unterbringung verloren und ist seit 22.12.2017 als Taxifahrer beschäftigt.
Am 1.12.2017 wurde, befristet bis 1.6.2018 vom Amtsgericht München ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz erlassen.
Von Oktober 2016 bis Anfang 2017 erstattete Frau D. mehrere Anzeigen u.a. wegen Körperverletzung, Nachstellung und Handtaschenraub gegen den Beschwerdeführer. Am 31.10.2017 soll der Betroffene ihr zudem gedroht haben, ihr die Kehle durchzuschneiden. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 30.11.2017 weist keinen Eintrag auf.
Das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – hat am 20.12.2017 auf Antrag des Polizeipräsidiums München vom 19.12.2017, befristet bis 19.3.2018, gegen den Beschwerdeführer ein Kontaktverbot, die Einhaltung einer Aufenthaltsverbotszone sowie das ständige Führen der erforderlichen technischen Mittel zur Überwachung seines Aufenthaltsortes angeordnet. Zudem hat es die Erstellung eines Bewegungsbildes gestattet und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 29.12.2017 hat der Betroffene beim Amtsgericht München Beschwerde gegen den Beschluss vom 20.12.2017 eingelegt mit der Begründung, der Sachverhalt entspreche nicht den Tatsachen, es sei lediglich die Sachverhaltsdarstellung der Geschädigten ungeprüft übernommen worden. Das Vorstrafenregister des Beschwerdeführers sei ohne Eintrag, die Anzeigen der Geschädigten hätte zu keiner Verurteilung geführt. Seit der Entlassung des Beschwerdeführers am 6.12.2017 bis zum Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses am 20.12.2017 sei es zu keiner Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers zur Geschädigten gekommen. Der Beschluss des Amtsgerichts München sei rechtswidrig, da es an einer, gem. Art. 32a Abs. 1 Satz 1 PAG notwendigen, drohenden Gefahr für die Geschädigte fehle. Zudem seien die Anordnung der Verbotszone und die elektronische Fußfessel unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer arbeite als Taxifahrer. Aufgrund der Verbotszone bestehe ein Eingriff in sein Recht auf freie Berufsausübung, der sich praktisch als Berufsverbot darstelle.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.1.2018 (nachdem die polizeilichen Ermittlungsakten am 15.1.2018 dort eingingen) der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht München I zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht München I hat die Akten an das Amtsgericht München mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München gem. § 119 Abs. 1 GVG zurückgesandt. Die Akten gingen am 25.1.2018 beim Oberlandesgericht München ein und wurden dem zuständigen Senat am 31.1.2018 vorgelegt.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 6.2.2018 beantragt der Betroffene, die sofortige Vollziehung des Beschlusses auszusetzen. Ergänzend zum Vorbringen in der Beschwerdeschrift trägt er vor, durch die Dimension der Aufenthaltsverbotszone könne er seine Beschäftigung nicht ordnungsgemäß ausüben. Er werde das am 22.12. 2017 begonnene Beschäftigungsverhältnis wieder verlieren, wie der Arbeitgeber in einem Schreiben vom 29.1.2018 angekündigt habe. Zudem ist unter Berufung auf Art. 6 EMRK ausgeführt, die Vollziehung sei auszusetzen, da seit Erlass des Beschlusses fast sechs Wochen vergangen seien, ohne dass eine gerichtliche Entscheidung ergangen sei. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes sei somit verwehrt worden.
Auf den angefochtenen Beschluss vom 20.12.2017, die Abhilfeentscheidung vom 16.1.2018, die Schriftsätze des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers sowie die polizeiliche Ermittlungsakte wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Gem. § 64 Abs. 3 FamFG kann das Beschwerdegericht die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses durch einstweilige Anordnung beschließen, wobei Inhalt und Erlass der Anordnung im Ermessen des Beschwerdegerichts stehen. Die Erfolgsaussichten sind summarisch und vorläufig zu betrachten und mit den drohenden Nachteilen der Aufrechterhaltung des status quo für den Beschwerdeführer abzuwägen. Daneben sind die mit einer Aussetzung der Vollstreckung verbundenen Nachteile für andere Beteiligte zu beachten. Die Hauptsacheentscheidung darf nicht vorweggenommen werden (MüKo/Fischer FamFG 2. Aufl. § 64 Rn. 45).
Vorliegend erscheint die Beschwerde zwar nicht von vorneherein unbegründet. Die Folgenabwägung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die begehrte Aussetzung nicht ergehen kann, weil die für deren Erlass sprechenden Gründe nicht in der erforderlichen Weise deutlich überwiegen.
Erginge die einstweilige Anordnung und erwiese sich die Beschwerde als unbegründet, könnten schutzwürdige Interessen der Geschädigten in hohem Maße beeinträchtigt werden. In dem angefochtenen Beschluss wird dargestellt, dass von dem Beschwerdeführer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Geschädigten ausgeht. Würden dem Beschwerdeführer die „elektronische Fußfessel“ und das Aufenthaltsverbot ersatzlos gestrichen, würde demgemäß, wegen der damit verbundenen Möglichkeit, sich der Geschädigten unbeobachtet zu nähern, die Gefahr weiterer Angriffe auf die Geschädigte deutlich erhöht. Nach summarischer Prüfung der vorliegenden Unterlagen sprechen Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer die Geschädigte angegriffen und massiv bedroht hat. Die diesbezüglichen Angaben der Geschädigten werden durch die Angaben des Nachbarn H. der Geschädigten sowie die am Tatort gesicherten Spuren gestützt.
Der Beschwerdeführer hat zudem die Geschädigte bereits am Folgetag nach der Anordnung des polizeilichen Platzverweises bei ihrer Wohnung aufgesucht und, nach Erweiterung des Platzverweises auf die Arbeitsstätte der Geschädigten, sich zwei Tage später auch dort aufgehalten. Er hat selbst bei der Gefährderansprache am 4.12.2017 angegeben, er habe gemerkt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimme und dass er ab und zu überreagiere. Ihm sei ein Medikament gegen Schizophrenie verschrieben worden, das er aber nicht nehme, da er keine Medikamente einnehme. Er hat bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses keine Therapie angetreten. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung bis zum Erlass des Beschlusses am 20.12.2017 sich der Geschädigten nicht genähert hat, lässt vor diesem Hintergrund nicht den Schluss zu, dass die Gefahr eines erneuten Angriffs auf die Geschädigte nach Aufhebung der Sicherungsmaßnahme ausgeschlossen ist.
Dem stehen für den Fall, dass die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird und die Beschwerde sich als begründet erweisen würden, keine vergleichbar schwerwiegenden Nachteile gegenüber. Die Einschränkung der Berufsausübung, die der Beschwerdeführer vorgetragen hat und auf die er zur Begründung der einstweiligen Anordnung Bezug nimmt, bezieht sich auf ein erst nach Erlass der Maßnahme aufgenommenes Arbeitsverhältnis. Zudem ist er an der Berufsausübung nicht umfassend gehindert, da er, wie sich aus dem Schreiben seines Arbeitgebers vom 29.1.2018 ergibt, nur bestimmte Fahrten ablehnen muss und darunter der Umsatz leidet. Aufgrund dieser Umstände kann das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht festgestellt werden.
Eine Verletzung der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 EMRK folgenden Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, liegt nicht vor. Nach Einlegung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer war zunächst das vorgeschriebene Verfahren zu durchlaufen, d.h. es mussten die Ermittlungsakten sowie eine Stellungnahme des zuständigen Polizeipräsidiums München zur Durchführung des vorgeschriebenen Abhilfeverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG) angefordert werden. Nach Nichtabhilfe durch das Amtsgericht München erfolgte infolge der neuen Rechtsmaterie (Art. 32a PAG ist seit 1.7.2017 in Kraft) zunächst die Zuleitung an das als Beschwerdegericht unzuständige Landgericht München I und von diesem die Rückleitung der Akten an das Amtsgericht München. Daraufhin wurde die Vorlage an das zuständige Oberlandesgericht München verfügt, wo die Akten am 25.1.2018 eingingen. Dies führt noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer.
Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar (§ 70 Abs. 4 FamFG).


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