Strafrecht

Kürzung der Anwaltsgebühren bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren

Aktenzeichen  3 Qs 14/17

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 100824
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 14 Abs. 1 S. 1
VV-RVG Nr. 5100, Nr. 5103, Nr. 5109, Nr. 5110
ZPO § 103, § 104 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Bei der gebührenmäßigen Bewertung ist zu unterscheiden zwischen einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche einerseits und einem Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten andererseits. Nur auf ersteren ist die Mittelgebühr zugeschnitten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Hebt ein ausgesprochenes Fahrverbot von einem Monat das Verfahren aus der Masse der alltäglichen Verkehrsübertretungen etwas heraus, kann der Ansatz einer Gebühr etwas unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt sein. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 OWi 406 Js 22155/16 2016-11-16 Kostenfestsetzungsbeschluss AGFREISING AG Freising

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde vom 25.11.2016 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Freising vom 16.11.2016 wird kostenfällig als unbegründet
verworfen.

Gründe

I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt erließ am 11.04.2016 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h mit einer Geldbuße in Höhe von 160,- € und einem Monat Fahrverbot. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 13.04.2016 zugestellt. Mit Anwaltsschreiben vom 13.04.2016, taggleich eingegangen per Fax bei der Zentralen Bußgeldstelle, legte die Verteidigerin Rechtsanwältin E., die sich bereits mit einem annähernd inhaltsgleichen Schriftsatz vom 16.03.2016 für den Betroffenen bestellt hatte, Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Das Einspruchsschreiben besteht aus einer Seite und enthält überwiegend automatisierten Text. In einer Textpassage wird standardmäßig darauf hingewiesen, was bei einer Geschwindigkeitsmessung zum vollständigen Akteninhalt gehören soll. Die beantragte Akteneinsicht wurde am 27.04.2016 verfügt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Akte das Datenblatt zum Verwarnungs- und Bußgeldverfahren, das Messprotokoll für Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen für den 26.02.2016, eine Zeugenerklärung der/des Messverantwortlichen, ein Eichschein zum verwendeten Messgerät sowie Lichtbilder, die den gemessenen Pkw und den Pkw-Lenker sowie die Messstrecke zeigen.
Mit Verfügung vom 03.06.2016 wurde der Vorgang von der Staatsanwaltschaft Landshut dem Amtsgericht Freising vorgelegt. Mit Verfügung vom 08.06.2016 wurde Hauptverhandlungstermin auf den 30.06.2016 bestimmt.
Mit Schriftsatz vom 13.06.2016 teilte Rechtsanwältin S. mit, dass der Betroffene nicht mehr von der Kanzlei W. vertreten werde. Mit weiterem Schriftsatz vom 30.05.2016 teilte Rechtsanwältin E., die der gleichen Kanzlei angehört, mit, dass sie den Betroffenen nicht mehr vertrete. Mit Schriftsatz vom 27.06.2016 teilte ein Herr Rechtsanwalt G. unter dem Briefkopf der Kanzlei W. mit, „dass wir den Betroffenen anwaltlich vertreten werden.“ Zum Hauptverhandlungstermin am 30.06.2016 erschien Rechtsanwalt L. mit einer Terminsvollmacht, ausgestellt von Rechtsanwalt G.. Die Hauptverhandlung dauerte 6 Minuten. Der Betroffene wurde freigesprochen. Bei der Aktenzuleitung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO vermerkte die zuständige Richterin auf dem Terminsprotokoll handschriftlich: „ Nach Inaugenscheinnahme des Betroffenen kam dieser nicht als Betroffener in Betracht. Bereits bei der Gesichtsform und den Ohren bestanden erhebliche Abweichungen.“
Mit Schriftsatz vom 02.09.2016 beantragte Rechtsanwalt G. Kostenfestsetzung in Höhe von insgesamt 1.072,19 €. Dabei setzte er für die Grundgebühr (5100 VV RVG) 125,- €, für die Verfahrensgebühr vor der Verwaltungsbehörde (5103 VV RVG) und vor dem Amtsgericht (5109 VV RVG) jeweils 200,- € und für die Terminsgebühr vor dem Amtsgericht (5110 VV RVG) 310,- € an. Zur Begründung führte er aus, es habe sich um einen überdurchschnittlichen Fall gehandelt, insbesondere wegen des Fahrverbots. Grundsätzlich sei bei einem Durchschnittsfall von der Mittellgebühr auszugehen. Deshalb sei im vorliegenden Fall ein Gebührenansatz oberhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt.
Im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.11.2016 setzte das Amtsgericht Freising die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG auf 80,– €, die Gebührennummern 5103 und 5109 VV RVG auf jeweils 125,- € und die Terminsgebühr gem. 5110 VV RVG auf 200,- €. Die übrigen Kostenansätze des Verteidigers wurden übernommen. Daraus ergibt sich der festgesetzte Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 709,24 €. Der Beschluss wurde dem Verteidiger zugestellt am 22.11.2016. Mit Schriftsatz vom 16.11.2016, eingegangen beim Amtsgericht Freising am 28.11.2016, legte dieser sofortige Beschwerde ein und wiederholte die bisherige Begründung.
Das Amtsgericht Freising hat den Vorgang der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 474 b, 304 Abs. 2 StPO, 103, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 ZPO, 11 Abs. 2 RVG zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als unbegründet. Das Amtsgericht Freising hat die im Sachverhalt dargestellten Gebührenkürzungen zurecht vorgenommen.
Das Amtsgericht Freising war an der Gebührenherabsetzung nicht durch die Bindungswirkung des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG gehindert. Diese entfällt nur dann, wenn die beantragte Festsetzung eine Ermessensüberschreitung beinhaltet. Eine Ermessensüberschreitung liegt dann vor, wenn die beantragte Einzelgebühr die Billigkeitsfestsetzung des Gerichts um zumindest 20% überschreitet. Dies trifft vorliegend bei allen vier Einzelgebühren zu.
Bei der gebührenmäßigen Bewertung des jeweiligen Verfahrens ist nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer zu unterscheiden zwischen einem allgemeinen Durchschnittsfall, gemessen an den Verfahren aus allen Ordnungswidrigkeitsbereichen, und einem Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Nach den Bewertungsmaßstäben der Kammer ist eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche. Auf diesen Durchschnittsfall ist die Mittelgebühr zugeschnitten und nicht auf einen Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten.
Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhaltet alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird, auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen weder einen komplizierten Sachverhalt auf noch ist zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb scheint es insbesondere mit dem Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für die Kammer nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgelbühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.
Im gegenständlichen Verfahren dauerte die Hauptverhandlung 6 Minuten. Die weitere nach Außen hin sichtbar gewordene Tätigkeit des Verteidigers beschränkte sich auf die Anfertigung eines weitgehend standardisierten Einspruchsschreibens. Inhaltlich ging es im Verfahren im Wesentlichen um die Identitätsfeststellung des Fahrers. Dazu enthält die Akte keinerlei Aktivitäten des Verteidigers. Die Abweichung des äußeren Erscheinungsbildes des Betroffenen vom Bild des Fahrers im gemessenen Fahrzeug war offensichtlich so augenscheinlich und offenkundig, dass auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet und bereits nach 6 Minuten ein freisprechendes Urteil verkündet wurde. Aus dem Protokoll ist nicht ersichtlich, dass dazu ein besonderer Begründungsaufwand des Verteidigers notwendig gewesen wäre.
Angesichts dieser Umstände erschließt es sich für die Kammer nicht, warum das gegenständliche Verfahren einen Schwierigkeitsgrad haben sollte, der oberhalb der Mittelgebühr anzusetzen wäre. Bei einer derartigen Handhabung bliebe für die Anwendung des Gebührenrahmens unterhalb der Mittelgebühr faktisch kein Raum mehr, weil kaum ein einfacheres Verfahren vorstellbar ist als das gegenständliche. Einzig das ausgesprochene Fahrverbot von einem Monat hebt das gegenständliche Verfahren aus der Masse der alltäglichen Verkehrsübertretungen, zu denen auch die Geschwindigkeitsmessungen gehören, etwas heraus, so dass der gewählte Gebührenansatz etwas unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt ist. Insbesondere die Terminsgebühr mit 200,- € ist angesichts einer Terminsdauer von 6 Minuten mehr als angemessen. Bei der Gebührenfestsetzung durch das Amtsgericht Freising hat es deshalb sein Bewenden. Die sofortige Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.
Kosten: §§ 46 OWiG, 473 StPO.


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