Strafrecht

Kürzung der Dienstbezüge eines Ersten Bürgermeisters wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt

Aktenzeichen  M 19L DK 15.1594

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 160215
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 6 Abs. 4, Art. 9, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Art. 15 Abs. 1 Nr. 2, Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Hs. 1
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 S. 3
SGB IV § 28a Abs. 1, § 28e Abs. 1
StGB § 185, § 263, § 266a Abs. 1
StPO § 267 Abs. 4 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

1. Nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 BayDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat wie das Disziplinarverfahren, für das Gericht bindend; dies gilt auch für nach § 267 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StPO abgekürzte Urteile (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)
2.  Dem Umstand, dass ein Erster Bürgermeister einer Gemeinde eine besondere Vertrauensstellung bekleidet und er in seiner Gemeinde weitreichende Befugnisse besitzt, stehen hohe Anforderungen an seine Führungsfähigkeiten und seine persönliche Integrität gegenüber (Rn. 27). (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Maßnahmeverbot des Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG greift nicht ein, wenn im Hinblick auf die besondere Vertrauensstellung des Beklagten als Erster Bürgermeister die Kürzung der Dienstbezüge neben der im Strafverfahren ausgesprochenen Geldstrafe erforderlich ist, um das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren (Rn. 28). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 30 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 30 Monaten verhängt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von dem Sachverhalt aus, der Gegenstand der Disziplinarklage ist und sich den rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Augsburg vom 28. September 2011 und vom 20. Dezember 2012 entnehmen lässt. Dieser Sachverhalt steht nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) für das Gericht bindend fest. Hiernach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat wie das Disziplinarverfahren, bindend. Dies gilt auch für nach § 267 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StPO abgekürzte Urteile wie das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 28. September 2011 (vgl. BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris Rn. 94). Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 28. September 2011 steht fest, dass der Beklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zehn tatmehrheitlichen Fällen und der Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen schuldig ist. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 20. Dezember 2012 steht weiter fest, dass er eine Beleidigung begangen hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Urteile offenkundig unrichtige Feststellungen enthalten, liegen nicht vor.
3. Die Verfehlungen des Beklagten stellen ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen dar.
Sein Verhalten war kausal und logisch in sein Amt als erster Bürgermeister und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden. Dies gilt auch für die Beleidigung der Staatsanwältin, die in engem Zusammenhang mit seinem Amt als erster Bürgermeister steht.
Durch sein Verhalten hat der Beklagte gegen die Verpflichtung, sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) und gegen die Verpflichtung, die Gesetze zu beachten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. §§ 263, 266a, 53, 27 Abs. 1 StGB und §§ 185, 194 Abs. 1 und 3 StGB) verstoßen.
Bei seinem Handeln ist ihm Vorsatz zur Last zu legen, weil er die Folgen seines Handelns zumindest billigend in Kauf genommen hat.
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer und führt bei einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände zur Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 30 Monaten (Art. 9 BayDG).
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Setzt sich ein Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 74). Dies ist hier die mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 28. September 2011 abgeurteilte Vermögensstraftat. Die Zuordnung eines Fehlverhaltens zu einer der Disziplinarmaßnahmen richtet sich – auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen – nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – Ls. 1 und Rn. 19). Hier enthält § 266a Abs. 1 StGB eine Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Damit ist bei dem hier vorliegenden innerdienstlichen Fehlverhalten der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14, a.a.O., Rn. 20). Eine Betrachtung der konkret verhängten Strafe ist bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen allerdings nicht angezeigt (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24/16 – juris Ls. und Rn. 15). Die Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt nur in Betracht, wenn dies dem Schweregehalt des begangenen Dienstvergehens entspricht (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50/13 – juris Rn. 17), was hier jedoch nicht der Fall ist. Eine Zurückstufung des Beklagten ist nach Art. 6 Abs. 4 BayDG nicht möglich.
Im Ergebnis sieht das Gericht unter Beachtung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Umstände die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 30 Monaten als angemessen, aber auch erforderlich an. Erheblich zu seinen Lasten ist zu berücksichtigen, dass er als erster Bürgermeister einer Gemeinde eine besondere Vertrauensstellung bekleidet. In seiner Gemeinde besitzt er weitreichende Befugnisse. Dem stehen hohe Anforderungen an seine Führungsfähigkeiten und seine persönliche Integrität gegenüber. Sein Fehlverhalten ist in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine gesetzestreue Gemeindearbeit zu beschädigen (BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 13.2335 – n.v. UA Rn. 107). Zu Lasten des Beklagten spricht daneben die vielmonatige Dauer der Vermögensstraftat. Weiter spricht zu seinen Lasten, dass er daneben auch den Straftatbestand der Beleidigung verwirklicht hat. Zu Gunsten des Beklagten spricht, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Zu seinen Gunsten spricht weiter, dass sein Verhalten im Rahmen der Vermögensstraftat von der Absicht getragen war, die Abläufe in der Gemeinde A. bestmöglich durch Mitarbeit von G.F. zu ordnen. Zu seinen Gunsten ist auch die lange Dauer des Straf- und Disziplinarverfahrens zu berücksichtigen.
5. Das Maßnahmeverbot des Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG steht der Kürzung der Dienstbezüge nicht entgegen. Diese ist im vorliegenden Einzelfall neben der im Strafverfahren ausgesprochenen Geldstrafe erforderlich, um das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren. Dies gilt im Hinblick auf die besondere Vertrauensstellung des Beklagten als erster Bürgermeister (vgl. BayVGH, U.v. 28.11.2012 – 16a D 11.958 – juris Rn. 56 für einen Polizeibeamten, dessen Verhalten ebenso wie das eines Ersten Bürgermeisters erhöhten Anforderungen unterworfen ist).
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Nach Rechtsmittelverzicht der Parteien in der mündlichen Verhandlung ist das Urteil rechtskräftig.


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