Strafrecht

Rechtmäßige Ausweisung und ausländerrechtliche Annexentscheidungen

Aktenzeichen  AN 5 K 19.00276

Datum:
27.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1768
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1b
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Ein nach Art. 6 ARB 1/80 privilegierter Ausländer darf gem. § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre, die Abschiebungsanordnung aus der Haft bzw. Unterbringung heraus, die Ausreiseaufforderung für den Fall, dass die Abschiebung aus der Unterbringung bzw. Haft heraus nicht möglich sein sollte, sowie die Abschiebungsandrohung insbesondere in die Türkei sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids vom 30. Januar 2019 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37). Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Es kann letztlich dahinstehen, ob dem Kläger – wie von seinem Bevollmächtigten geltend gemacht – überhaupt ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 bzw. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zusteht, denn selbst bei Annahme eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts zu Gunsten des Klägers ist die streitgegenständliche Verfügung rechtmäßig.
Ein insoweit privilegierter Ausländer darf gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Dies ist vorliegend der Fall. Sowohl die Gefährdungsprognose, als auch die Abwägungsentscheidung der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass von dem Kläger gegenwärtig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v.4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr zudem nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie beziehungsweise eine andere Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Angesichts der erheblichen Rückfallquoten während einer andauernden Drogentherapie und auch noch in der ersten Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie kann allein aus der begonnenen Therapie noch nicht auf ein künftiges straffreies Leben geschlossen werden (BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris Rn. 7; B. v. 13.5.2015 – 10 C 14.2795 – juris Rn. 4; B.v. 21.2.2014 – 10 ZB 13.1861 – juris Rn. 6). Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie schließt eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr nicht per se aus (BayVGH, B.v. 24.5.2012 – 10 ZB 11.2198 – juris Rn. 13).
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Anlass für die streitgegenständliche Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht … vom 17. Januar 2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten, nachdem der Kläger einer Vertrauensperson der Polizei zunächst 10 g Metamphetamin zur Probe verkauft hatte und sodann insgesamt weitere 101 g Metamphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 39,46 g Metamphetamin zu einem Preis von 8.500,00 EUR verkaufen wollte. Bei der verabredeten Übergabe hatte er das Rauschgift und zugriffsbereit einen funktionsfähigen und als Taschenlampe getarnten Elektroschocker bei sich. Bei der Durchsuchung des Zimmers des Klägers waren weitere 85,2 g Metamphetamine mit einer Wirkstoffmenge von 36 g Metamphetaminbase aufgefunden worden. Außerdem hatte der Kläger zugriffsbereit unter seinem Bett in einem Schuhkarton einen weiteren funktionsfähigen Elektroschocker aufbewahrt. Das Strafgericht war im Rahmen der Strafzumessung nicht von einem minder schweren Fall ausgegangen und hatte zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass der Kläger geständig war und die Tat aufgrund gewissen Suchtdrucks begangen hat. Zulasten des Klägers wurde gewertet, dass dieser in der Vergangenheit erheblich, auch einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Auch sei eine beachtliche Rückfallgeschwindigkeit festzustellen. Die offene, unter anderem auch einschlägige Reststrafenbewährung sei dem Kläger erst mit Wirkung vom 27. Januar 2017 erlassen worden. Außerdem sei der Grenzwert zur nicht geringen Menge des gehandelten Rauschgifts um mehr als das 15-fache überschritten gewesen.
Ausgehend davon, dass gerade bei Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte wie Betäubungsmitteldelikten an den Grad der Wiederholungswahrscheinlichkeit regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen sind, geht die Beklagte daher in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend von einer erheblichen Wiederholungsgefahr beim Kläger aus. Insbesondere nach der Höhe der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger bei Tatausführung einen Elektroschocker bei sich führte und einen solchen auch zu Hause griffbereit aufbewahrte, handelt es sich bei dem abgeurteilten Betäubungsmitteldelikt um eine schwerwiegende Straftat, die typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft ist. Zudem besteht bei dem Kläger – auch gegenwärtig – ein erhebliches Drogenproblem. Das Landgericht … hat mit Urteil vom 17. Januar 2018 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt angeordnet, nachdem der im Strafverfahren zugezogene Sachverständige beim Kläger das Vorliegens eines Hangs, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, bejaht hatte. Der Kläger blicke auf eine langjährige Suchtmittelanamnese zurück. Trotz zweimaliger Langzeittherapie und einmaliger „Stabilisierungsphase“ sei er in schwierigen Lebensphasen rückfällig geworden. Aufgrund des Drogenkonsums sei es ihm wohl auch nicht gelungen, sich längerfristig beruflich zu etablieren.
Zwar wurde der Kläger, nach Vorwegvollzug der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe, am 21. August 2018 in die Therapieeinrichtung verlegt. Aktuell hat er die Entlassstufe des vierstufigen Therapieprogramms erreicht. Es ist ihm aber bisher offensichtlich nicht gelungen, die stationäre Therapie in der Entziehungsanstalt erfolgreich abzuschließen. Nach dem Kurzbehandlungsbericht des … Bezirkskrankenhauses … vom 19. Dezember 2019 ist es während der Therapie zu wiederholten Rückfällen mit Methamphetamin gekommen, so dass die gewährten Lockerungen immer wieder eingeschränkt werden mussten. Es bestehe jedoch trotz des zuletzt erfolgten krisenhaften Verlaufs mit gehäuften Rückfälligkeiten eine begründete Aussicht auf Erfolg der derzeit durchgeführten Entwöhnungsbehandlung. Aktuell stünden der Ausbau eines positiven Empfangsraumes und die weitere Erprobung der Rückfallvermeidungsstrategien im Fokus der Behandlung. Um die Wiederholungsgefahr ernsthaft in Zweifel ziehen zu können, wäre jedenfalls erforderlich, dass der Kläger die Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH, B.v. 3.2.2015 – 10 b 14.1613 – juris Rn. 32). Dies ist vorliegend nicht geschehen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits zwei Langzeittherapien und eine Stabilisierungsphase absolvierte hat, in schwierigen Lebensphasen aber wieder rückfällig geworden ist und der häufigen Rückfälle während der aktuellen Therapie, muss – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit – damit gerechnet werden, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Nicht näherzutreten war insoweit der Beweisanregung des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann regelmäßig von den Gerichten ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden, denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind. Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist, vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2016 – 1 B 30/16 – juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – juris Rn. 7. Da entsprechender Sachvortrag nicht erfolgt ist, war der Beweisanregung nicht näher zu treten.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44).
Im Fall des Klägers besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Danach ist ein solches dann gegeben, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist der Fall, da der Kläger mit Urteil des Landgerichts … vom 17. Januar 2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Auch wiegt das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG besonders schwer, nachdem der Kläger wegen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde.
Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht im vorliegenden Fall ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
In der nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung unter besonderer Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweist sich die Ausweisung des Klägers trotz seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Die Beklagte hat im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger im Alter von sechs Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, mittlerweile seit mehr als 28 Jahren hier lebt und somit seine wesentliche Prägung und Entwicklung im Bundesgebiet erfahren hat. Auch hat sie gesehen und gewürdigt, dass seine Stiefmutter und seine Stiefgeschwister im Bundesgebiet leben. Die Beklagte hat aber auch beanstandungsfrei berücksichtigt, dass es dem Kläger trotz des langen Aufenthalts und der vorhandenen Gelegenheiten nicht gelungen ist, sich so weit sozial zu integrieren, um einen ordnungsgemäßen, rechtschaffenen und sozialverträglichen Lebenswandel zu führen. Stattdessen hat er wiederholt schwerwiegende Straftaten begangen. Die Ausweisung verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und erscheint angesichts der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig. Auch wenn der Kläger mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Januar 1994 als Asylberechtigter anerkannt worden war und dem Kläger – bis zum Widerruf dieses Bescheids mit Bescheid des Bundesamtes vom 3. Juli 2007 und der gleichzeitigen Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen – eine Ausreise in die Türkei ohne ausländerrechtliche Konsequenzen nicht möglich war, ist die Kammer der Überzeugung, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren. Es ist insoweit zu berücksichtigen, dass sowohl die leiblichen Eltern des Klägers als auch die Stiefmutter und die fünf Stiefgeschwister, mit denen er im Bundesgebiet aufgewachsen ist, türkische Staatsangehörige sind bzw. waren. Auch ist der Kläger erst im Alter von sechs Jahren in das Bundesgebiet eingereist, so dass davon auszugehen, dass er – auch wenn der Vater des Klägers Kurde ist – mit der türkischen Sprache, Kultur und Tradition vertraut ist. Er wird sich, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, in der Türkei zurechtfinden. Der Kontakt zur der Stiefmutter und den Stiefgeschwistern – so ein solcher besteht und gelebt wird – kann telefonisch und mittels elektronischer Kommunikationsmedien aufrechterhalten werden. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Es ergibt sich auch aktuell eine Unerlässlichkeit der Ausweisung für die Wahrung des vom Kläger bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft.
Ist die Ausweisung nicht zu beanstanden, so sind auch die in Ziffern IV und V des streitgegenständlichen Bescheids gemäß §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen, die Abschiebungsanordnung, die zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist und die Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden.
Keinen Bedenken begegnet auch die von der Beklagten in Ziffer III getroffene Entscheidung, die Wirkung der Ausweisung und Abschiebung des Klägers auf sieben Jahre, gerechnet vom Tag seiner Ausreise oder Abschiebung an, zu befristen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist dabei fallbezogen ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (vgl. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentlichen Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
Gemessen an diesen Vorgaben kann der Kläger auch nicht hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, über die Befristung der Wirkung der Ausweisung und Abschiebung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das Gewicht des im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung bestehenden Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von sieben Jahren angemessen ist.
Im Übrigen folgt das Gericht den ausführlichen und zutreffenden Gründen des Bescheides der Beklagten 30. Januar 2019 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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