Strafrecht

rechtswidrige Begutachtensaufforderung, Zusammenhang der Straftaten mit dem Straßenverkehr bzw. mit der Kraftfahreignung nicht dargestellt, Ermessensfehler, unbestimmte Anordnung, falsche Rechtsgrundlage

Aktenzeichen  B 1 S 21.86

Datum:
10.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31087
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 und 7
FeV § 11 Abs. 8

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts … vom 21. Januar 2021 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
4. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt. Es wird ihm Rechtsanwalt … unter Beschränkung auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3.
Mit Bescheid vom 5. März 2020 ordnete das Landratsamt … gegenüber dem Antragsteller an, dass für seinen Pkw mit dem Kennzeichen … eine Versicherungsbestätigung vorzulegen sei, anderenfalls das Fahrzeug außer Betrieb gesetzt werden müsse. Die Polizei wurde am 13. März 2020 ersucht, die Zwangsentstempelung vorzunehmen, da der Antragsteller weder eine Versicherungsbestätigung vorlegte noch das Fahrzeug außer Betrieb setzte. Am 17. März 2020 übermittelte der Antragsteller die Versicherungsbestätigung, worauf das Ersuchen auf Zwangsentstempelung durch das Landratsamt zurückgenommen wurde. Weitere Bescheide auf Vorlage der Versicherungsbestätigung oder Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs erfolgten am 4. Mai 2020 und am 20. Juli 2020.
Das Jobcenter … teilte dem Landratsamt … mit E-Mail vom 5. April 2018 mit, dass der Antragsteller bei Fahrten auf der Autobahn unter erheblichen Angstzuständen leide, welche es ihm unmöglich machen würden, ein Fahrzeug sicher zu führen. Das Landratsamt stellte sodann Ermittlungen an und holte einen Auszug aus dem Fahreignungsregister ein. Es veranlasste eine polizeiliche Erkenntnisanfrage sowie die Beiziehung von Gerichtsakten.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 ordnete das Landratsamt … die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass folgende Erkenntnisse vorliegen würden:
– 4. Februar 2016 – 27. Februar 2020:
Vorsätzliche verspätete Insolvenzantragstellung, vorsätzlicher Bankrott und Beleidigung (Rechtskraft 27. Juni 2020, 150 Tagessätze, nachträglich durch Beschluss gebildete Gesamtstrafe AG …);
– 2. November 2016:
Beleidigung in 3 tateinheitlichen Fällen (Rechtskraft 10. Mai 2017, 30 Tagessätze, AG …);
– 17. Juni 2017:
Üble Nachrede z.N. von Mitarbeiter Jobcenter (von der Verfolgung wird gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen, da der Beschuldigte in einem anderen Verfahren eine Strafe zu erwarten hat und die Strafe wegen der angezeigten Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt);
– April 2017:
Sachbeschädigung/falsche Verdächtigung (von der Verfolgung wird gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen, da der Beschuldigte in einem anderen Verfahren eine Strafe zu erwarten hat und die Strafe wegen der angezeigten Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt);
– 18. Januar 2018:
Falsche Verdächtigung (Rechtskraft 9. Februar 2019, 60 Tagessätze, AG…);
– 5. April 2018:
Mitteilung Jobcenter;
– 19. April 2018:
Polizeianfrage;
– 13. August, 18. August und 19. August 2018:
Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in drei Fällen (Rechtskraft 16. April 2019, 130 Tagessätze, AG…);
– 2. März 2020:
telefonische Anfrage des Antragstellers wegen Gurtbefreiung;
– 4. April 2020:
Sachbeschädigung (eingestellt mangels öffentlichen Interesses, da es sich um eine Nachbarstreitigkeit handelt);
– 28. September 2020:
Führungszeugnis (Eintragungen);
– 2. Oktober 2020:
Polizeianfrage
Zur Begründung wird auf § 4 Abs. 1 StVG Bezug genommen. Eine Abweichung von den in § 4 Abs. 5 genannten Maßnahmen (Fahreignungs-Bewertungssystem) sei zulässig, wenn eine beharrliche Missachtung der Rechtsordnung auf charakterliche Mängel schließen lasse. Dies könne der Fall sein, wenn der Fahrerlaubnisinhaber durch die beharrliche und häufige Begehung von isoliert betrachtet nicht gewichtigen Verstößen auffällig geworden sei und sich aus einem derartigen Verhalten Eignungsbedenken in charakterlicher Hinsicht ableiten ließen. Dies treffe auf den Antragsteller zu. Straftaten stünden im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, wenn sie anlässlich der Teilnahme am Straßenverkehr begangen worden seien oder durch Ereignisse im Straßenverkehr motiviert gewesen seien. Darunter fielen zum Beispiel das Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag. Bereits das zweimalige Fahren ohne Versicherungsschutz rechtfertige nach der Rechtsprechung die Gutachtensanordnung. Aufgrund der fortgesetzten und erheblichen Verstöße innerhalb eines kurzen Zeitraumes sehe sich das Amt veranlasst, das Fahreignungs-Bewertungssystem nicht anzuwenden und vielmehr ein Eignungsüberprüfungsverfahren zu eröffnen. Wer Straftaten begangen habe, sei nach § 2 Abs. 4 StVG ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stünden oder wenn sie auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen ließen, sei es aus einer Neigung zu planvoller, bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer oder einer Bereitschaft zu ausgeprägt impulsivem Verhalten (zum Beispiel Raub, schwere oder gefährliche Körperverletzung, Vergewaltigung) und dabei Verhaltensmuster deutlich würden, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet werde. Wer aufgrund der rücksichtslosen Durchsetzung eigener Interessen wegen eines großen Aggressionspotenzials oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletze, von dem könne nicht erwartet werden, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren werde. Solange ein solches Fehlverhalten bestehe, sei auch mit sicherheitswidrigen Auffälligkeiten im Straßenverkehr zu rechnen. Für die Beurteilung der Fahreignung spielten daher auch Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs eine wesentliche Rolle, da der enge Zusammenhang zwischen allgemeiner Kriminalität und Verkehrsdelinquenz als wissenschaftlich gesichert gelten könne. Es sei anzunehmen, dass dieselben kognitiven und emotionalen Steuerungsmechanismen, die eine fehlende Anpassung an allgemeinrechtliche Regeln bedingen, auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr zu Missachtung der Regeln und riskantem Verhalten führen würden. Gerade im Straßenverkehr könne ein Kraftfahrer häufig in Situationen kommen, in denen sich andere möglicherweise unrichtig oder nicht der Situation angepasst verhielten. In solchen Momenten müssten Kraftfahrer in der Lage sein, sich unter Kontrolle zu halten und nicht wegen des Verhaltens eines anderen aggressiv in Worten oder gar tätlich zu reagieren.
Der Antragsteller habe mehrere Straftaten begangen, die auch aktuell im Führungszeugnis eingetragen und verwertbar seien. Neben den allgemeinrechtlichen Straftaten (vorsätzliche verspätete Insolvenzantragstellung, vorsätzlicher Bankrott und Beleidigung, Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, falsche Verdächtigung) seien auch Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr verwirklicht worden (Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in drei Fällen). Es werden Auszüge aus dem Urteil vom 8. Mai 2018 (mit Rechtskraft vom 27. Juni 2020 -…), dem Strafbefehl vom 4. Januar 2017 (mit Rechtskraft vom 10. Mai 2017 -…), vom 12. Oktober 2018 (mit Rechtskraft vom 9. Februar 2019 -…) und vom 6. Februar 2019 (mit Rechtskraft vom 16. April 2019 -…) zitiert. Im Strafbefehl vom 6. Februar 2019 wurde ausgeführt, dass der Antragsteller am 13. August, 18. August und 19. August 2018 den Pkw mit dem Kennzeichen … geführt habe, obwohl für das Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen worden sei. Das Kennzeichen sei zudem nicht für diesen Pkw, sondern für einen anderen Pkw ausgegeben worden. Durch das Anbringen der Kennzeichen … am Pkw habe der Antragsteller darüber hinwegtäuschen wollen, dass der Pkw nicht zugelassen sei und nicht über den erforderlichen Versicherungsschutz verfüge. Das Landratsamt führt weiter aus, dass bei der Bewertung der Fahreignung insbesondere dieser begangenen Verkehrsstraftat eine besondere negative Bedeutung beigemessen werde.
Die Fahrerlaubnisbehörde könne ein Gutachten nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV verlangen. Dabei sei zwischen den persönlichen Belangen und dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit abzuwägen. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller trotz erfolgter Sanktionen (hohe Geldstrafen), mehrfach und teils ganz erheblich und in kurzen Abständen (so die Taten am 13. August, 18. August und 19. August 2018) gegen Strafgesetze verstoßen habe, verstärkten sich die Fahreignungszweifel so erheblich, dass das eingeräumte Ermessen auf nahezu Null reduziert sei. Das Landratsamt habe Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die sich in folgender Frage widerspiegelten:
„Ist trotz der aktenkundigen Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zu erwarten, dass der Antragsteller künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
Es sei ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erforderlich. Auf das Akteneinsichtsrecht wurde hingewiesen. Das Landratsamt ordne die Begutachtungen nach pflichtgemäßem Ermessen an. Ein weniger einschneidendes Mittel stünde nicht zur Verfügung, um zu klären, ob künftig gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Es wurde eine Frist zur Gutachtensvorlage bis zum 20. Januar 2021 gesetzt. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnis ohne weitere Ankündigung entzogen werde, wenn das Gutachten nicht vorgelegt werde. Bereits jetzt werde die Möglichkeit zur Stellungnahme hierzu gegeben. Hinsichtlich einer etwaigen Phobie bei Autobahnfahrten würden sich zum heutigen Tage keine hinreichenden Tatsachen ergeben, die eine Überprüfung der Fahreignung rechtfertigen würden.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2021 entzog das Landratsamt … dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und ordnete die Einziehung des Führerscheins an (Nr. 2). In Nr. 3 des Bescheids wurde für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins unmittelbarer Zwang angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4). Zur Begründung wird auf § 4 Abs. 1 StVG Bezug genommen. Eine Abweichung vom Fahreignungs-Bewertungssystem sei zulässig, wenn eine beharrliche Missachtung der Rechtsordnung (Verkehrsvorschriften) auf charakterliche Mängel schließen ließe. Zu den Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr bzw. der Kraftfahreignung stünden, zähle das Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag. Bereits zweimaliges Fahren ohne Versicherungsschutz rechtfertige nach der Rechtsprechung die Gutachtensanordnung. Der Antragsteller habe neben allgemeinrechtlichen Straftaten (vorsätzliche verspätete Insolvenzantragstellung, vorsätzlicher Bankrott und Beleidigung, Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, falsche Verdächtigung) auch Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr verwirklicht (Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in drei Fällen). Bei der Wertung habe diese begangene Verkehrsstraftat, die mit 130 Tagessätzen geahndet worden sei, eine besonders negative Bedeutung. Wer aufgrund der rücksichtslosen Durchsetzung eigener Interessen, aufgrund seines großen Aggressionspotenzials oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletze, ließe nicht erwarten, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren werde. Für die Beurteilung der Fahreignung spielten daher auch Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs eine Rolle. Gerade im Straßenverkehr könne es vorkommen, dass andere sich unrichtig oder nicht der Situation angepasst verhielten. In solchen Situationen müsse der Kraftfahrer in der Lage sein, sich unter Kontrolle zu halten. Aufgrund dieses Sachverhalts habe gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV vom Antragsteller ein Gutachten verlangt werden können, da der Antragsteller trotz erfolgter Sanktionen (hohe Geldstrafen), mehrfach und teils ganz erheblich in kurzen Abständen (so die Taten am 13. August, 18. August und 19. August 2018) gegen Strafgesetze verstoßen habe und sich somit die Fahreignungszweifel so erheblich verstärkt hätten, dass das Ermessen der Behörde auf nahezu Null reduziert worden sei. Aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens habe das Landratsamt nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen dürfen. Die Androhung unmittelbaren Zwangs sei gerechtfertigt, da es erforderlich sei, den Führerschein so schnell wie möglich einzuziehen, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Zwar habe der Antragsteller mit Zustellung des Bescheids keine Fahrerlaubnis mehr. Da dies aber den Kontrollorganen außerhalb des Landkreises nicht sofort bekannt sei, wäre es ihm möglich für längere Zeit noch ein Kraftfahrzeug zu führen, wenn er bei der Anwendung anderer Zwangsmittel nicht rechtzeitig reagiere. Es folgen Ausführungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Der Antragsteller ließ durch Schreiben seines Bevollmächtigten vom 25. Januar 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 26. Januar 2021, Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis erheben und mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 25. Januar 2021 gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 21. Januar 2021 wiederherzustellen.
Die Entscheidung des Antragsgegners stütze sich auf eine E-Mail des Jobcenters … vom 5. April 2018, mit welchem über Angstzustände bei Fahrten auf der Autobahn berichtet worden sei. Es stelle sich die Frage der Verwendbarkeit dieser Information. Die Übermittlung der Daten sei unter eklatantem Verstoß gegen den Datenschutz erfolgt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte habe in seinem Schreiben vom 7. Januar 2021 den entsprechenden schweren Verstoß gegen die Datenschutzvorschriften festgestellt. Dieses Schreiben ist dem Antrag als Anlage beigefügt. Der Antragsteller sei sich über seine Angst bewusst gewesen und habe deshalb Autobahnfahrten vermieden. Dies sei kein Grund für den Entzug der Fahrerlaubnis, sondern zeige das verantwortungsbewusste Verhalten des Antragstellers. Hinsichtlich der Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden, sei auszuführen, dass diese drei Taten gemeinsam abgeurteilt worden seien und nur gemeinsam eine Sanktionswirkung entfalten könnten. Es sei nicht so, dass der Antragsteller zu einer Tat verurteilt worden sei und diese Tat sodann umgehend wiederholt hätte. Das Gegenteil sei der Fall. Die drei aufeinanderfolgenden Ereignisse (binnen weniger als einer Woche) seien daher als eine Tat zu werten. Nach der Rechtsprechung rechtfertigten diese Taten nur dann eine Gutachtensanordnung, wenn sie mindestens zweimal – sanktioniert – vorgelegen hätten. Da hier die Tat lediglich als eine einzelne zusammenhängende zu werten sei, greife diese Voraussetzung bereits nicht. Sämtliche andere Taten stünden nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr und ließen auch nicht auf charakterliche Mängel schließen, die einer Fahreignung entgegenstünden. Es läge auch kein erhebliches Aggressionspotenzial, fehlende Impulskontrolle oder Beharrlichkeit von gleichartigen Verstößen vor. Das Fahreignungsregister enthalte keine Eintragungen. Der Antragsteller habe bislang keine Unfälle verursacht. Er lebe im ländlichen Raum. In seinem Wohnort halte nur zweimal am Tag ein Schulbus. Der Antragsteller sei von der Selbstversorgung abgeschnitten. Zwischen der Anordnung der Begutachtung und dem letzten einschlägigen Verstoß läge ein Zeitraum von weit mehr als zwei Jahren. Es werde Bezug genommen auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München (vom 13. Juli 2017 – M 6 S 17.1808). Der Leitsatz laute: „Eine Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 3 FeV ist nicht frei von Mängeln, wenn in die Ermessenserwägungen nicht eingeflossen ist, dass zwischen dem letzten Verstoß und dem Zeitpunkt der Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, über eineinhalb Jahre verstrichen sind, ohne dass neue Verkehrsverstöße des Antragstellers bekannt geworden sind, die so gravierend gewesen wären, dass sie im Fahreignungsregister eingetragen worden wären, sowie, dass das seinerzeit verhängte einmonatige Fahrverbot als einschneidende Sanktion durchaus dazu eine nachhaltige und erfolgreiche Warnfunktion gehabt hatte.“ (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz). Der Sofortvollzug werde lediglich pauschal begründet. Nicht alle relevanten Tatsachen seien in die Ermessensentscheidung einbezogen worden. Es seien nur pauschale und formelhafte Wendungen benutzt worden. Dass für das Fahrzeug des Antragstellers Mitte des Jahres 2018 kein ausreichender Versicherungsschutz vorgelegen habe, führe zweieinhalb Jahre später nicht dazu, dass eine akute Gefahr für den Straßenverkehr bestünde. Der Antragsgegner habe das individuelle Interesse des Antragstellers beim Sofortvollzug nicht berücksichtigt, insbesondere auch nicht die gesundheitsbedingten Gefährdungen aufgrund der Corona-Pandemie. Der Antragsteller sei wegen seines fortgeschrittenen Alters einer besonders gefährdeten Gruppe bezüglich einer Erkrankung an COVID-19 zuzuordnen. Er sei nun gezwungen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und sei deshalb einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Gerade in einer Pandemiesituation müssten diese Überlegungen in die Ermessensentscheidung mit einfließen. Eine Ermessensreduzierung „nahe Null“ liege nicht vor, weshalb von einem erheblichen Ermessensfehlgebrauch auszugehen sei. Weiter wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2021 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zunächst wurde die Begründung des Bescheids im Wesentlichen wiederholt. Sodann wurde ausgeführt, dass sich dem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 6. Februar 2019 entnehmen lasse, dass drei selbstständige Fälle vorgelegen seien. Die Fahrten seien an verschiedenen Tagen mit dazwischenliegenden größeren Zeitspannen und unterschiedlichen Kraftfahrzeugen erfolgt. Die Taten seien nicht in einer Notsituation begangen worden, sondern bewusst und absichtlich erfolgt, sodass es nicht auf den prozessualen, sondern auf den materiell-rechtlichen Tatbegriff ankomme (VG Bayreuth, B.v. 25.9.2018 – B 1 E 18.945 und BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416). Somit seien wiederholte Fahrten ohne Haftpflichtversicherung vorgelegen. Die Gesamtgeldstrafe in Höhe von 130 Tagessätzen deute klar auf eine erhebliche Straftat hin, bei der der Straftatbestand mehrfach erfüllt worden sei. Der Antragsteller habe auch im Jahr 2020 gezeigt, dass er nicht bereit sei, für den Versicherungsschutz zu sorgen. Es wird auf die Bescheide vom 5. März, 4. Mai und 20. Juli 2020 hingewiesen. Allein die Tatsache, dass innerhalb von vier Monaten für drei Kfz keine Haftpflichtversicherung vorgelegen habe, zeige, dass der Antragsteller keine Gewähr biete, die gesetzlichen Vorgaben und Normen der staatlichen Rechtsordnung zu beachten. Vor Erlass des Entzugsbescheids sei ein aktueller Auszug aus dem Fahreignungsregister veranlasst worden. Diesem sei zu entnehmen, dass der Antragsteller am 15. September 2019 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h überschritten habe. Die Rechtskraft sei jedoch erst am 5. November 2020 eingetreten. Auch wenn die sonstigen Feststellungen und Auffälligkeiten des Antragstellers im streitigen Verfahren keine Berücksichtigung fänden, zeigten diese dennoch, dass die entstandenen Zweifel an der Fahreignung berechtigt gewesen seien, da der Antragsteller weiterhin und laufend gegen Rechtsnormen verstoße. Der Antragsteller habe die Möglichkeit, zur Selbstversorgung Einkaufsfahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu unternehmen. Solange Straftaten im Führungszeugnis eingetragen seien, würden diese bei der Eignungsüberprüfung berücksichtigt, auch wenn zwischen den Verstößen und der Anordnung ein längerer Zeitraum als zwei Jahre liege. Auch das Alter des Antragstellers stelle keinen Ausnahmegrund dar. Der Antragsteller habe durch zahlreiche Nachbarschaftsstreitigkeiten deutlich zu erkennen gegeben, dass ihm das Wohl anderer Bürger und auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung gleichgültig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 21. Januar 2021. Die Auslegung des Wortlauts des gestellten Antrags (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) ergibt, dass der Antragsteller nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides, nicht jedoch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Androhung unmittelbaren Zwangs in Nr. 3 des Bescheids, begehrt.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat in der Sache Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen/anordnen bzw. die Vollziehung des Bescheids aussetzen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist dem vorliegenden Antrag stattzugeben, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wiegt insoweit schwerer als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides.
2. Die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV unter anderem angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Die Gutachtensanordnung ist ferner bei Straftaten möglich, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht selbstständig rechtlich anfechtbar, da es sich hierbei um keinen Verwaltungsakt handelt, sondern um eine, der eigentlichen Entscheidung vorausgehende und diese vorbereitende Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung. Die Rechtmäßigkeit der Aufforderung wird nur inzident gerichtlich geprüft (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 17 f.). Daher ist der Schluss auf die Nichteignung nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und der Fahrerlaubnisinhaber auf die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 8 FeV in der Gutachtensaufforderung hingewiesen wurde.
An einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung fehlt es hier.
a) Der Antragsgegner hat im Hinblick auf seine Befugnis, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten anzufordern, als Rechtsgrundlage § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV angegeben. Hiernach geht es um eine erhebliche Straftat oder um Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Als Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr kommen die Taten vom 13. August, 18. August und 19. August 2018 [Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in drei Fällen (Rechtskraft 16. April 2019, 130 Tagessätze, AG…)] in Betracht. Hinsichtlich des Gebrauchs des Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag an drei unterschiedlichen Tagen handelt es sich um Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Die Rechtsprechung stellt für die Abgrenzung von Straftat und Straftaten darauf ab, ob es sich noch um einen einheitlichen Lebensvorgang handelt und ob eine Tat im strafprozessualen Sinn vorliegt oder nicht. Es kommt darauf an, ob ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang in Rede steht, in dessen Rahmen die einzelnen Sachverhalte innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sie nach der Lebensauffassung eine Einheit bilden und ihre getrennte Behandlung als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde, wobei insbesondere ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Vorkommnissen die Einheit des geschichtlichen Vorgangs beseitigen kann (VG Bayreuth, B.v. 25.9.2018 – B 1 E 18.945 – juris Rn. 31, BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416 – juris Rn. 32). Da der Antragsteller sich an unterschiedlichen Tagen immer wieder erneut entschloss, ein Fahrzeug ohne Haftpflichtversicherungsvertrag zu benutzen, ist nach der Lebensauffassung von drei Taten auszugehen. Da es sich bei den kurz nacheinander begangenen, in Tatmehrheit stehenden Straftaten um mehr als eine Straftat handelt (vgl. HessVGH, B.v. 15.9.2010 – 2 A 1197/10.Z – juris Rn. 4), müssen diese nicht „erheblich“ im Sinne § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV sein (BayVGH, B.v.17.11.2020 – 11 CS 20.1814 – juris Rn. 16).
Der Antragsgegner hat zwar erkannt, dass in den Fällen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV eine Auseinandersetzung mit dem Fahreignungs-Bewertungssystem erforderlich ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob die bestehenden Eignungszweifel ein hinreichendes, die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigendes Gewicht aufweisen, muss die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung Wertungswidersprüche zu anderen die Fahreignung bzw. die Möglichkeiten einer Begutachtung betreffenden Vorschriften vermeiden. So darf sie nicht außer Acht lassen, dass nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit Punkten bewertete Verkehrsverstöße grundsätzlich noch keine Eignungsüberprüfung auslösen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG, vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – juris Rn. 26 ff.).
Auch wiederholte Verstöße gegen – nicht punktbewehrte – verkehrsrechtliche Vorschriften können ausnahmsweise Anlass für eine Begutachtung geben, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch die beharrliche und häufige Begehung von – isoliert betrachtet nicht gewichtigen – Verkehrsverstößen verkehrsauffällig geworden ist und sich aus einem derartigen Verhalten Eignungsbedenken in charakterlicher Hinsicht ableiten lassen. Die langjährige und beharrliche Begehung von Verkehrszuwiderhandlungen offenbart damit nicht nur eine nachlässige Einstellung zu den den ruhenden Verkehr regelnden Ordnungsvorschriften, sondern deutet auf eine verfestigte gleichgültige Grundeinstellung gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art hin (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 21.01.2021, § 11 FeV Rn. 64).
All diese Ausführungen stellen aber darauf ab, dass es sich bei den Taten entweder um „Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften“ (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) oder um Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV) handeln muss. Für die Erläuterung des Relativsatzes „im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr“ ist von Bedeutung, dass ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Anlasstat und der Verkehrssicherheit bestehen muss. Die Anlasstat muss tragfähige Rückschlüsse darauf zulassen, dass der Täter gerade für die Verkehrssicherheit gefährlich ist; ausreichend kann sein, dass der Täter mit einer Situation gerechnet hat oder rechnen musste, in der es zur Gefährdung oder Beeinträchtigung des Verkehrs kommen konnte. Für die Geltendmachung von Fahreignungszweifeln und die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) müssen deshalb Anhaltspunkte herzuleiten sein, dass sich der Betreffende auch im Straßenverkehr nicht ordnungsgemäß verhalten werde. Damit kann auch eine Straftat Anlass für eine MPU sein, die keinen spezifischen Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit aufweist, wenn nur die Art und Weise der Begehung erkennen lässt, dass der Betroffene bereit und willens war, zur Durchsetzung seiner Interessen die Verkehrssicherheit zu missachten (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 21.01.2021, § 11 FeV Rn. 67 ff.).
Zwar handelt es sich bei der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in drei Fällen (Taten vom 13. August, 18. August und 19. August 2018) um Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Bei den anderen Straftaten (Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, falsche Verdächtigung und vorsätzliche verspätete Insolvenzantragstellung, vorsätzlicher Bankrott und Beleidigung) hat das Landratsamt nicht ausgeführt, warum gerade auf Grund der Art und Weise der Begehung darauf zu schließen ist, dass der Antragsteller bereit und willens war, zur Durchsetzung seiner Interessen auch die Verkehrssicherheit zu missachten. Auch aus den zugrundeliegenden Sachverhalten lässt sich dies nicht entnehmen. Die Ermessenserwägungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV sind deshalb fehlerhaft, da das Landratsamt davon ausgegangen ist, dass das Ermessen auf „nahezu Null“ reduziert sei, da hohe Sanktionen (hohe Geldstrafen) vorliegen würden und mehrfach und teils ganz erheblich gegen Strafgesetze verstoßen worden sei, ohne auszuführen, warum sich dies auch auf die Verletzung von verkehrsrechtlichen Vorschriften auswirken sollte. Weitere tragbare Ermessenserwägungen, die sich allein mit dem Fahren ohne Haftpflichtversicherung auseinandersetzen, sind mit Ausnahme, dass es sich um drei Taten in kurzen Abständen handelt, der Anordnung nicht zu entnehmen.
b) Soweit der Antragsgegner in der Anordnung von einem Fall des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV ausgegangen sein sollte, wofür spricht, dass an verschiedenen Stellen der Begutachtensaufforderung darauf abgestellt wird, dass bei Straftaten, die auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen ließen, ein negativer Rückschluss auf die Kraftfahreignung zulässig wäre (so Seite 4, fünfter und achter Abschnitt, Seite 5 zweiter Abschnitt) ist Folgendes auszuführen:
Andere Straftaten sind nach den Wertungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV nur dann von Belang, wenn sie im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen und Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV) oder es sich um eine erhebliche Straftat handelt, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV).
aa) Nach diesen Normen müssen die Straftaten – ausdrücklich im Unterschied zu den Gründen für eine Eignungsüberprüfung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 FeV – nicht im Zusammenhang mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften und nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Typischerweise kommen für Eignungsüberprüfungen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV solche Straftaten in Betracht, die einen Zusammenhang mit der Kraftfahreignung haben, insbesondere bei Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotenzial, und die sich z.B. durch Aggression gegen Personen oder Sachen ausdrücken, wie etwa eine schwere oder gefährliche Körperverletzung (siehe hierzu auch Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung), Raub, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Sachbeschädigung (vgl. Hess. VGH, B.v. 13.2.2013 – 2 B 189/13 – NJW 2013, 3192 f.). Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist bei Straftätern, deren Verhalten ein hohes Aggressionspotential und eine Neigung zu impulsivem Durchsetzen eigener Interessen zeigt, zu erwarten, dass sie auch in konflikthaften Verkehrssituationen (etwa bei Fahrfehlern anderer) emotional impulsiv handeln und dadurch das Risiko einer Verkehrssituation erhöhen sowie eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen werden (etwa durch nötigendes Auffahren, Geschwindigkeitsüberschreitung etc.). Insofern stellen Straftaten, die ein hohes Aggressionspotential offenbaren, die charakterliche Fahreignung insgesamt in Frage. Ein Zusammenhang zwischen dem Begehen von Straftaten und einer mangelnden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen kann ferner dann bestehen, wenn die Ursache für die Straftaten in einer überdauernden Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Normierungen, Regeln und den Rechten anderer liegt. Dann ist eher mit Delikten vor Antritt der Fahrt (Fahrzeugmängel, fehlende Versicherung) und fehlender Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer (Behinderung, Nötigung) zu rechnen (OVG Lüneburg, B.v. 2.12.2016 – 12 ME 142/16 – juris Rn. 32 unter Berufung auf OVG Lüneburg, U.v. 8.7.2014 – 12 LC 224/13 – NJW 2014, 3176 ff.). Hinsichtlich der Entziehung wegen anderer Straftaten wird eine Orientierung am Schutzzweck der Befugnisnorm gefordert. Dies bedeutet, dass die Tat tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Betroffene bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Interessen unterzuordnen. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass aus der Teilnahme des Betroffenen am Straßenverkehr zukünftig eine Gefährdung desselben resultieren kann. Es muss anhand konkreter Umstände, die sich aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben, festgestellt werden, ob die Tat tatsächlich Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulässt, z.B. dass der Täter mit einer Situation rechnen musste, in der es zu einer Gefährdung oder Beeinträchtigung des Verkehrs kommen könnte (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Auflage 2018, Teil 3, 3.16, 1.4, Seite 349).
Auch hier ist auszuführen, dass ein Zusammenhang mit der Kraftfahreignung nur hinsichtlich des Führens eines Kraftfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung in drei Fällen ersichtlich ist, hinsichtlich der anderen begangenen Straftaten der Zusammenhang vom Landratsamt … aber nicht erläutert wurde. Nach der Rechtsprechung des BayVGH (B.v. 30.11.2020 – 11 CS 20.1781 – juris Rn. 16) müssen die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial oder den Zusammenhang mit der Kraftfahreignung (wie oben ausgeführt) hinreichend konkret sein und den entsprechenden Eignungsmangel des Fahrerlaubnisinhabers als naheliegend erscheinen lassen. Ausführungen, warum die Taten auf ein insbesondere hohes Aggressionspotenzial schließen lassen, sind der Gutachtensaufforderung des Landratsamts … nicht zu entnehmen. Ebenso kann der Aufforderung nicht entnommen werden, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine überdauernde oder gravierende Störung der Verhaltenskontrolle oder der Persönlichkeit wegen auffälliger Wiederholung strafrechtlicher Verstöße und damit eine Gleichgültigkeit gegen Normen vorliegen würde und dass das Verhalten Auswirkung auf die Kraftfahreignung zeigen könnte. Hierzu sind auch folgende Ausführungen des VG Düsseldorf (U.v. 20.2.2014 – 6 K 6737/12 – juris Rn. 63 – 64) ergangen: „Die Tatsache, dass eine Person sich mehrfach strafbar gemacht hat, kann aber allein die Relevanz für die Kraftfahreignung nicht begründen. Dem Gutachten ist zwar darin zuzustimmen, dass aufgrund der begangenen Straftaten auf die mangelnde Rechtstreue des Klägers – in der Vergangenheit – geschlossen werden kann (…). Dies ist im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung indes nicht beachtlich. Entscheidend ist, ob aufgrund der bereits verübten kriminellen Delikte einer Person unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Vorhersage zulässig ist, dass von dieser Person eine zukünftige Gefährdung des Straßenverkehrs und anderer Verkehrsteilnehmer ausgeht.“ Zwar ist anzuerkennen, dass bei einer Gutachtensaufforderung nur Zweifel an der Kraftfahreignung vorliegen müssen (da die Nichteignung gerade noch nicht feststeht), dennoch muss sich die Behörde unter Würdigung des Sachverhalts der Verstöße zumindest damit auseinandersetzen, dass eine Auswirkung auf die Kraftfahreignung möglich erscheint. Dies fand hier überhaupt nicht statt. Das Landratsamt begnügte sich allein damit, den Sachverhalt der Delikte aus den Urteils- bzw. Strafbefehlsgründen abzuschreiben, ohne eine eigene Würdigung vorzunehmen. Es liegt auch ein Ermessensfehler vor, da Delikte ohne Zusammenhang mit der Kraftfahreignung auch nicht in die Ermessenserwägungen hätten einbezogen werden dürfen.
bb) Sofern die Behörde die Begutachtensaufforderung auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV stützen wollte, ist die Gutachtensanordnung darüber hinaus deshalb rechtswidrig, da in dieser nicht die Rechtsgrundlage des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV, sondern nur § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV zitiert wurde.
Wenn die Fahrerlaubnisbehörde zur Begründung der Anforderung eines Fahreignungsgutachtens eine Rechtsgrundlage angibt, muss diese zutreffen. Ist eine falsche Rechtsgrundlage angegeben, kann die streitgegenständliche Gutachtensaufforderung im Laufe des Verfahrens nicht von der Behörde oder dem Gericht auf eine andere, eigentlich zutreffende Rechtsgrundlage gestützt werden. Dem Antragsteller ist es nicht zuzumuten, die Gutachtensstelle auf die zutreffende Rechtsgrundlage hinzuweisen. Auch der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort genannte Rechtsgrundlage gebunden; es ist nicht seine Aufgabe, die zutreffende Rechtsgrundlage und damit seine eigene Beurteilungsgrundlage selbst festzulegen (vgl. auch OVG NW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – juris). Im Falle der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens kann dann nicht auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 16.8.2012 – 11 CS 12.1624 – juris). Eine Ausnahme käme nur dann Betracht, wenn eine Norm – anders als hier – schlicht falsch bezeichnet wird, die Voraussetzungen der beiden Vorschriften aber identisch sind und die Nennung der falschen Norm den Betreffenden nicht in seiner Rechtsposition oder Rechtsverteidigung beinträchtigen kann (vgl. VG Würzburg, B.v. 7.1.2014 -*W 6 S 13.1240 – juris Rn. 18, m.w.N.). Eine Beeinträchtigung der Rechtsposition des Antragstellers wäre hier aber deshalb möglich, da im Falle des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV die allgemeinrechtlichen Straftaten, die in der Aufforderung aufgezählt werden, vom Gutachter nicht geprüft werden dürften, da sie nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Nur im Falle des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV wäre eine Überprüfung auch anderer Straftaten wegen des Zusammenhangs mit der Kraftfahreignung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für eine Gutachtensanordnung denkbar (vgl. hierzu auch OVG NW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – juris Rn. 8: „Im Zusammenspiel mit den zahlreichen weiteren aufgelisteten Straftaten des Klägers ohne jeglichen Bezug zum Straßenverkehr ergibt sich aber nicht nur für den Kläger selbst, sondern auch für den Gutachter die Schwierigkeit einer sachgerechten Bewertung. Es besteht die hinreichende Möglichkeit einer unzulässigen Vermischung von in Bezug auf straßenverkehrsrechtlich relevanten Umständen …und unbeachtlichen Faktoren wie die zahlreichen sich gegen fremdes Vermögen gerichteten Straftaten des Klägers wie Betrug sowie Unterschlagung und Diebstahl andererseits. Die Aufgabe des Gutachters besteht jedoch nicht darin, einzuschätzen, ob der Fahrerlaubnisinhaber rechtstreu ist, sondern in Rede stehen allein Bedenken an der Kraftfahreignung des Fahrerlaubnisbewerbers.“).
c) Der Gutachtensaufforderung kann zudem sowohl bei der Annahme von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV als auch im Falle des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV nicht entnommen werden, ob und welche der allgemeinrechtlichen Straftaten vom Gutachter in die Prüfung mit einbezogen werden sollen, weshalb die Anordnung unbestimmt und schon allein deshalb rechtswidrig wäre. Durch die langen Ausführungen zu den einzelnen Taten in der Anordnung wird der Eindruck erweckt, dass sich die Anordnung auch auf die Prüfung dieser Taten erstrecken soll. Allerdings ist die Fragestellung allein drauf bezogen, ob Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV) zu erwarten sind (ohne auf die Kraftfahreignung abzustellen). Für diese Frage wären aber die allgemeinrechtlichen Straftaten (wie ausgeführt) ohne Belang. Geht man von einem Fall des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV aus, so wären auch nur die Taten vom Gutachter zu prüfen, die einen Bezug zur Kraftfahreignung haben. Dies müsste aber von der Behörde und nicht vom Gutachter festgelegt werden.
d) Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften durch die Mitteilung des Jobcenters vorliegt, da das Landratsamt in der Gutachtensaufforderung (Seite 9 unten) zu verstehen gab, dass eine Überprüfung wegen einer Phobie bei Autobahnfahrten nicht vorgenommen werde.
3. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Einziehung des Führerscheins (Nr. 2) ist ebenfalls erfolgreich. Die Einziehung erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Nachdem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Unrecht und sofort vollziehbar entzogen worden ist, ist die Einziehung als begleitende Anordnung, die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt wurde, nicht geboten, da keine Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV besteht.
4. Das Gericht weist darauf hin, dass durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage die in Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG genannte Vollstreckungsvoraussetzung für die Durchsetzung der Androhung unmittelbaren Zwangs nicht gegeben ist.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).
6. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auf Grund der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache gemäß § 166 VwGO, § 114 Abs. 1 ZPO stattzugeben. Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Der Antrag erscheint nicht mutwillig. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist im Hinblick auf die Bedeutung der Sache erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO). Die Kosten der Beiordnung eines Rechtsanwalts sind auf die eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts zu beschränken, da nur diese Aufwendungen zur Rechtsverteidigung notwendig sind (§ 121 Abs. 3 ZPO).


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