Strafrecht

Reihenfolge der Vollstreckung von Maßregel und Strafe aus verschiedenen Urteilen

Aktenzeichen  204 VAs 286/20

Datum:
28.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36477
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollstrO § 44b
StGB § 64, § 67

 

Leitsatz

1. Bei der Bestimmung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 44b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVollstrO ist der Vorwegvollzug der Strafe dann gerechtfertigt, wenn der Verurteilte nach einer erfolgreichen Behandlung gemäß § 64 StGB unmittelbar in die Freiheit entlassen werden kann, weil ein sich anschließender Strafvollzug die positiven Auswirkungen des Maßregelvollzugs regelmäßig wieder gefährden würde. (Rn. 7)
2. Demgegenüber kann die Bestimmung einer Vollstreckungsreihenfolge, bei der im Maßregelvollzug erzielte Therapieerfolge durch eine anschließende Strafvollstreckung gefährdet würden, nur durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden. (Rn. 7)
3. Das Gebot der an größtmöglicher Flexibilität orientierten Handhabung der Vollstreckungsreihenfolge mit dem Ziel, die Straftäter möglichst schnell der therapeutischen Behandlung zuzuführen, wird im Ergebnis somit begrenzt durch die Möglichkeit der Anrechnung der Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die daneben verhängte Freiheitsstrafe (§ 67 Abs. 4 StGB) und auf verfahrensfremde (§ 67 Abs. 6 StGB) Freiheitsstrafen sowie durch die Möglichkeit, die Vollstreckung der Reststrafen zur Bewährung auszusetzen. (Rn. 9 – 10)
4. Die Vollstreckungsbehörde hat bei der Bestimmung nach § 44b Abs. 2 StVollstrO mögliche Entscheidungen im Rahmen eines Gnadenverfahrens ebenso wenig zu beachten wie eine vom Verurteilten geleistete Aufklärungshilfe, die bereits bei der Strafzumessung berücksichtigt wurde. (Rn. 17 – 19)
5. Ein massives Bewährungsversagen kann nach Bewährungswiderruf den unmittelbaren Vollzug von verfahrensfremden Restfreiheitsstrafen im Anschluss an den Vorwegvollzug der Hauptstrafe rechtfertigen. (Rn. 20)

Tenor

1. Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 3. Juni 2020 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
3. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG statthaft, wurde gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG form- und fristgerecht eingelegt und ist auch nach § 24 Abs. 2 EGGVG zulässig, da das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) durchgeführt worden ist.
Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg, da die Verfügung der Staatsanwaltschaft Ansbach vom 18.3.2020 und der Bescheid des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 3.6.2020 den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).
1. Für den hier gegebenen Fall des Zusammentreffens der Vollstreckung von Freiheitsstrafen und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus verschiedenen Erkenntnisverfahren hat der Gesetzgeber eine Bestimmung der Reihenfolge nicht getroffen. Regelungen hierzu finden sich lediglich in der Strafvollstreckungsordnung, einer Verwaltungsvorschrift (vgl. BT-Drucks. 18/7244, Seite 26), die eine verwaltungsinterne Bindung bewirkt (vgl. Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 9. Aufl., Einl. Rn. 9 und § 44b Rn. 1).
Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 StVollstrO wird die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel aus verschiedenen Urteilen von der Vollstreckungsbehörde bestimmt. § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO regelt, wie das der Vollstreckungsbehörde eingeräumte Ermessen auszuüben ist (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 324, juris Rn. 7; OLG Hamm, NJW 1999, 535, juris Rn. 14; OLG Nürnberg NStZ 1990, 152, juris Rn. 14). Danach wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen, es sei denn, dass der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teils leichter erreicht wird.
Anders als § 43 Abs. 4 StVollstrO der in seinem Anwendungsbereich die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig macht, erlaubt § 44b Abs. 2 StVollstrO der Vollstreckungsbehörde eine am Vollstreckungsziel (einer erfolgreichen Therapierung mit anschließender Wiedereingliederung) im Sinne größtmöglicher Flexibilität orientierte Handhabung der Vollstreckungsreihenfolge. Hierbei ist nach dem Sinngehalt des § 67 Abs. 1 bis 3 StGB zu verfahren (vgl. Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, 8. Aufl., Rn. 361; Pohlmann/Jabel/ Wolf, StVollstrO, a.a.O. § 44b Rn. 2), da die dort enthaltenen Wertungen des Vorrangs der Heilung gegenüber der Bestrafung in § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO übernommen wurden (vgl. BT-Drucks. 18/7244, Seite 26; anderer Ansicht wegen der Verschiedenheit der tatsächlichen Sachverhalte OLG Hamm, NJW 1999, 535, juris Rn. 14). Der Therapie- und Heilungsgedanke spielt beim Zusammentreffen einer angeordneten Unterbringung nach § 64 StGB mit zur Verbüßung anstehenden Strafen somit eine zentrale Rolle. Demgemäß ist die im materiellen Recht, insbesondere durch das Regel-/Ausnahmeverhältnis von § 67 Abs. 1 und 2 StGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung und Zielsetzung zu berücksichtigen, den einer Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfenen Straftäter schnellstmöglich einer therapeutischen Behandlung zuzuführen (vgl. OLG Dresden, NStZ 2013, 173, juris Rn. 14).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn gerade durch den Vorwegvollzug der Strafe der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann, wenn also durch den sofortigen Beginn der Maßregel deren Erfolgsaussichten entscheidend gemindert werden würden (vgl. OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 10.3.2014 – 1 VAs 17/13 -, vom 16.7.2014 – 2 VAs 8/14 -, und vom 07.8.2014 – 2 VAs 7/14 – [jeweils unveröffentlicht]; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 67 Rn. 5 zur entsprechenden Regelung in § 67 Abs. 1 StGB).
Gerechtfertigt ist der Vorwegvollzug der Strafe somit, wenn der Verurteilte nach einer erfolgreichen Behandlung gemäß § 64 StGB unmittelbar in die Freiheit entlassen werden kann, weil ein sich anschließender Strafvollzug die positiven Auswirkungen des Maßregelvollzugs wieder gefährden würde (BGH NJW 1986, 143 juris Rn. 9; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 324 juris Rn. 11; OLG Stuttgart NStZ 1989, 344; OLG Nürnberg NStZ 1990, 152; StraFo 2013, 36 juris Rn. 11; BT-Drucks. 16/1110, S. 11, 14; so auch – zu § 63 StGB – OLG Hamm, NStZ 1999, 535 juris Rn. 15 m.w.N.; BeckOK StVollstrO/Wittmann, 6. Ed. 15.6.2020, § 44b Rn. 4). Das Ziel einer Entlassung in die Freiheit nach erfolgtem Maßregelvollzug entspricht auch dem verfassungsrechtlichen fundierten Resozialisierungsauftrag (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2012, 1784, juris Rn. 55). Aus diesem und aus der Pflicht, den Maßregelvollzug wegen des damit verbundenen Sonderopfers in besonderer Weise freiheitsorientiert und therapiegerichtet anzulegen (vgl. BVerfGE 128, 326, 374 f. = NJW 2011, 1931, juris Rn. 101), folgt, dass nur gewichtige Gründe es rechtfertigen können, im Maßregelvollzug erzielte Therapieerfolge durch eine anschließende Strafvollstreckung zu gefährden (vgl. BVerfG NJW 2012, 1784, juris Rn. 62; so auch für die Unterbringung nach § 64 StGB BGH StV 2012, 723, juris Rn. 3 und 7). In der Praxis des Maßregelvollzugs sind die Therapieprogramme demgemäß regelmäßig darauf angelegt, den Verurteilten nach Eintritt des Therapieerfolgs keiner weiteren Freiheitsentziehung auszusetzen. Die Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit mit Bewährungsmöglichkeit wird als grundlegend für einen therapeutischen Erfolg angesehen, eine nachfolgende Strafvollstreckung einer nicht miterledigten, verfahrensfremden Freiheitsstrafe dagegen durchweg als für den Behandlungserfolg überaus nachteilig beurteilt (BVerfG NJW 2012, 1784, juris Rn. 62; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2005, 324, juris Rn. 11; Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, a.a.O., § 44b Rn. 2; Röttle/Wagner, a.a.O., Rn. 361).
Diesbezüglich ist auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, dass bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen über drei Jahren vom erkennenden Gericht grundsätzlich der Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe anzuordnen ist, um im Anschluss an die Maßnahme eine Reststrafenaussetzung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB zu ermöglichen. Die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge dient nämlich auch der Sicherung des Therapieerfolgs, weil bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Betreffende unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen wird (BGH, StV 2012, 723, juris Rn. 7). Im Anwendungsbereich des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB darf somit nur dann, wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 371, juris Rn. 4; StV 2012, 723 juris Rn. 3; BT-Drucks. 16/1110, S. 14), von einer solchen Anordnung abgesehen werden (BGH, NStZ-RR 2008, 142, juris Rn. 4; NStZ-RR 2008, 182, juris Rn. 5; StV 2012, 723 juris Rn. 3).
Damit stehen sich zwei Grundsätze gegenüber: Einerseits soll gemäß der grundsätzlichen Anordnung in § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO, die Maßregel vor der Strafe zu vollstrecken, möglichst frühzeitig mit der Therapie begonnen werden. Andererseits soll ein erzielter Therapieerfolg nicht wieder durch eine sich anschließende Strafvollstreckung gefährdet werden. Gerade zur Lösung dieses Spannungsverhältnisses bietet § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO der Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit, die grundsätzliche Vollstreckungsreihenfolge umzukehren, wenn der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teils leichter erreicht wird.
Die Vollstreckungsreihenfolge sollte also – in Orientierung am Leitmotiv des § 67 Abs. 2 StGB – derart gestaltet werden, dass nach erfolgreicher Behandlung in der Unterbringung die Möglichkeit besteht, alle zur Verbüßung anstehenden Strafen zur Bewährung auszusetzen. Im Ergebnis wird das Gebot der an größtmöglicher Flexibilität orientierten Handhabung der Vollstreckungsreihenfolge somit begrenzt durch die Möglichkeit der Anrechnung der Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die daneben verhängte (§ 67 Abs. 4 StGB) und auf die verfahrensfremde (§ 67 Abs. 6 StGB) Freiheitsstrafe sowie durch die Möglichkeit, die Vollstreckung der Reststrafen zur Bewährung auszusetzen (vgl. §§ 57, 67 Abs. 5 Satz 1 StGB; so bereits BayObLG, Beschluss des 3. Strafsenats vom 18.6.2019 – 203 VAs 434/19, nicht veröffentlicht).
Ausgehend von den genannten Gesichtspunkten hat die Vollstreckungsbehörde im Rahmen der Ermessensentscheidung eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, um die Frage, wodurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht wird, beantworten zu können (vgl. zum Ganzen: Senatsbeschluss vom 20.1.2020 – 204 VAs 2104/19).
2. Aus § 44b StVollstrO folgt kein Anspruch des Verurteilten auf eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge. Der Verurteilte hat aber ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die gerichtliche Prüfung im Rahmen der §§ 23 ff. EGGVG beschränkt sich somit darauf, ob der Antrag frei von Rechtsfehlern abgelehnt wurde, insbesondere nicht die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 28 Abs. 3 EGGVG).
Unter Zugrundelegung der unter 1. genannten Prämissen ist die Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 18.3.2020 in der Gestalt des Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft vom 3.6.2020 ermessensfehlerfrei ergangen. Danach ist zunächst der im Urteil des Landgerichts Ansbach vom 7.8.2019 (KLs 1042 Js 2884/18) angeordnete Vorwegvollzug von zwei Jahren drei Monaten der beiden Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und vier Jahren sechs Monaten, weiter zu vollstrecken. Hieran anschließend sind die Strafreste von 632 Tagen Restfreiheitsstrafe aus der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten und von 353 Tagen Restfreiheitsstrafe aus der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten – beide aus dem Urteil des Amtsgerichts Ansbach vom 16.10.2013 (2 Ls 1042 Js 3759/12) in Verbindung mit dem Widerrufsbeschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 27.1.2020, rechtskräftig seit dem 7.3.2020 (4 SR StVK 17/20) – zu vollstrecken, bis vom jeweiligen Strafrest zwei Drittel verbüßt sind. Anschließend erfolgt die Verlegung in den Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB.
Die Vollstreckungsbehörde hat bei dieser Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge das ihr obliegende Ermessen unter Zugrundelegung aller entscheidungserheblichen konkreten Umstände des vorliegenden Falles rechtmäßig ausgeübt. Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen in den Bescheiden vom 18.3.2020 und vom 3.6.2020 Bezug genommen.
3. Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Verurteilten führen zu keiner anderen Beurteilung.
a) Soweit der Verurteilte sich gegen die Umkehrung der in § 44b Abs. 1 StVollstrO angeordneten Vollstreckungsreihenfolge (Vollziehung der Maßregel vor der Strafe) wendet, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
b) Soweit sich der Verurteilte gegen die Auffassung der Staatsanwaltschaft wendet, die Möglichkeit eines Straferlasses im Gnadenwege sei bei der Entscheidung über die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nicht zu berücksichtigen, ist diese, wie bereits das Oberlandesgericht Nürnberg in dem von der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg zitierten Beschluss vom 27.10.2014 (Az. 1 VAs 9/14; NStZ-RR 2015, 62 [Ls.]; Volltext in juris) zutreffend entschieden hat, nicht zu beanstanden. Denn das Gnadenverfahren ist grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle entzogen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 10.11.1995 – 2 VAs 11/95, juris Rn. 4 m.w.N.; Wolf in: Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, a.a.O., § 21 Rn. 12) und kann daher kein tragfähiges Entscheidungskriterium bei der – hier vorzunehmenden – gerichtlichen Bestimmung der Grenzen der Ermessensentscheidung sein (so auch BeckOK StVollstrO/Wittmann, a.a.O., § 44b Rn. 7).
Dies steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm, wonach die Erwägung der Vollstreckungsbehörde, die verhängten Reststrafen aus früheren Verurteilungen vor dem Beginn des Maßregelvollzugs zu vollstrecken, im Hinblick darauf, dass es sich bei den Strafresten um widerrufene Strafreste handelt, die regelmäßig vorweg zu vollstrecken sind (vgl. BGHSt 57, 155 = NJW 2012, 1016, juris Rn. 12), sachgerecht sei und durch eine so bestimmte Vollstreckungsreihenfolge es möglich sei, ohne Bemühung des unwägbaren Gnadenverfahrens nach einem erfolgreichen Abschluss der Behandlung in der Unterbringung sämtliche dann offenen Strafreste entsprechend den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Bewährung auszusetzen und dadurch zu verhindern, dass der Behandlungserfolg durch einen anschließenden Strafvollzug wieder gefährdet wird (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 2.2.2017 – III-1 VAs 156/16, juris Rn. 12 f. und vom 22.2.2018 – III-1 VAs 120/17, juris Rn. 12 f.). Zudem ist es gerade Aufgabe der Vollstreckungsbehörde, unbillige Härten für die verurteilte Person durch entsprechende Einzelfallentscheidungen zu vermeiden und nicht vorsätzlich und ohne triftigen Grund eine Situation herbeizuführen, durch die die verurteilte Person unter einer unbilligen Härte leidet (so BeckOK StVollstrO/Wittmann, a.a.O., § 44b Rn. 6 f.).
c) Es trifft zu, dass die Staatsanwaltschaft die vom Verurteilten geleistete Aufklärungshilfe nicht als Kriterium bei ihrer Ermessensentscheidung einbezogen hat und die Generalstaatsanwaltschaft lediglich darauf hingewiesen hat, dass die Aufklärungshilfe bereits bei der Strafzumessung berücksichtigt wurde. Dies ist rechtlich jedoch nicht zu beanstanden. Die Aufklärungshilfe wurde im Urteil des Landgerichts Ansbach vom 7.8.2019 (Az.: KLs 1042 Js 2884/18, Seite 66) zugunsten des Verurteilten bei der Strafzumessung durch Anwendung der gemilderten Strafrahmen berücksichtigt. Die hierdurch bewirkte Strafmaßreduzierung führt dazu, dass der Halbstrafenzeitpunkt früher erreicht wird und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Therapiedauer von zwei Jahren eine kürzere Dauer des Vorwegvollzugs werden konnte (vgl. Seite 85 des o.g. Urteils) als bei einem höheren Strafmaß. Somit kann der Antragsteller aufgrund der Strafrahmenverschiebung früher in den Maßregelvollzug gelangen, als wenn ihm keine solche Privilegierung wegen der Aufklärungshilfe zuteil geworden wäre.
d) Bei der Festlegung der Vollstreckungsreihenfolge konnte die Staatsanwaltschaft auch rechtlich beanstandungsfrei berücksichtigen, dass das vorliegende massive Bewährungsversagen den unmittelbaren Vollzug der jeweiligen Restfreiheitsstrafen im Anschluss an den Vorwegvollzug der Hauptstrafe rechtfertigt. Diesbezüglich besteht grundsätzlich ein erhöhtes Vollstreckungsinteresse, da der erfolgte Widerruf zeitnah und unmittelbar eine für die verurteilte Person spürbare Wirkung entfalten soll und anderenfalls die mit dem Bewährungswiderruf vorrangig verfolgte negative spezialpräventive Zielsetzung leerlaufen würde (BeckOK StVollstrO/Weyde, a.a.O. § 36 Rn. 20, und BeckOK StVollstrO/Wittmann, a.a.O., § 43 Rn. 10 – im Anschluss an BGH, NJW 2012, 1016 -). Gerade bei einem massiven Bewährungsversagen ist es geboten, durch möglichst raschen Vollzug des widerrufenen Strafrestes auf den Verurteilten einzuwirken und ihm so die Konsequenzen seines Bewährungsversagens aufzuzeigen. Dadurch kann erreicht werden, dass der Verurteilte die nach Vollzug der Unterbringung erneut anstehende Bewährung ernst nimmt und sich der Konsequenzen voll bewusst ist, was seine Motivation erhöht, nach der Unterbringung ein straffreies Leben zu führen (vgl. den von der Staatsanwaltschaft zitierten – nicht veröffentlichten – Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15.3.2018 – 2 VAs 5/18). Die Staatsanwaltschaft hat dadurch, dass sie die Strafreste nur bis zum Erreichen des Zweidrittelzeitpunkts vollstrecken wird, dem Interesse des Antragstellers hinreichend Genüge getan. Denn grundsätzlich sind widerrufene Strafreste nicht mehr aussetzungsfähig (vgl. § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO; § 43 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StVollstrO; hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 454b Rn. 7 m.w.N.). Ein Absehen vom vollständigen Vorwegvollzug widerrufener Strafreste kommt deshalb nur in geeigneten Einzelfällen in Betracht, wenn konkrete Umstände vorliegen, hinter denen auch das erhöhte Vollstreckungsinteresse zurückzustehen hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.1.2019 – 2 VAs 60/18, juris Rn. 23; BeckOK StVollstrO/Wittmann, a.a.O., § 43 Rn. 9 und Rn. 10).
Dies hat die Staatsanwaltschaft zugunsten des Antragstellers angenommen und durch die erneute Aussetzungsmöglichkeit der Strafreste nach dem Zweidrittelzeitpunkt im Ergebnis auch die Therapiemotivation des Antragstellers hinreichend berücksichtigt. Durch die erfolgte Anordnung der Vollstreckungsreihenfolge, die auch die erneute Aussetzung der widerrufenen Strafreste ermöglicht, wird das für den Antragsteller günstigste Ergebnis erreicht, indem alle Möglichkeiten der Strafaussetzung genutzt werden und er nach erfolgreichem Therapieverlauf in die Freiheit entlassen werden kann.
e) Auch die Rüge des Antragstellers, die Vollstreckungsbehörde habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem Urteil des Amtsgerichts Ansbach vom 16.10.2013 um ein Fehlurteil handele, bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckungsreihenfolge bietet keinen Raum, um das zu vollstreckende rechtskräftige Urteil inhaltlich auf Rechtsfehler zu überprüfen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG, § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 und 3 GNotKG.


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